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II. Wahlen und Demokratieentwicklung - Welche Aufgaben übernehmen dabei die politischen Parteien?

Die Diskussion über die Rolle und die Aufgaben politischer Parteien wurde eröffnet von Gero Erdmann, Institut für Afrika-Kunde Hamburg. In seinem Überblick identifizierte er verschiedene generelle Funktionen, die Parteien seit Beginn der Demokratisierungsprozesse vor zehn Jahren einnehmen. Hierzu zählen (weiterhin) die Funktion der gesellschaftlichen Mobilisierung, die Auswahl von Funktionsträgern, die Zusammenführung gesellschaftlicher Interessen und die Entwicklung politischer Programme. Entscheidend sei nun aber, dass Parteien auch einen Beitrag zur Konsolidierung der neuen demokratischen Systeme leisten müssten. Ohne flächendeckende Präsenz im Land und eine tatsächliche innerparteiliche Demokratie könnten die Parteien diese letzte Rolle jedoch kaum spielen. Je weniger die Parteien ihre Aufgaben wahrnehmen würden, desto mehr Möglichkeiten böten sich den Nichtregierungsorganisationen, die in den Transitionsprozessen errungene zentrale Vermittlungsinstanz zwischen Staat und Gesellschaft zu behaupten.

Der senegalesische Minister Landing Savané konzentrierte sich in seinem Beitrag auf die im frankophonen Afrika einzigartige Entwicklung im Senegal, wo bereits acht Jahre nach seiner Einführung das Einparteiensystem als gescheitert galt und Ende der 70er Jahre Parteienpluralismus wieder zugelassen worden sei. Damals habe der Kampf um Transparenz und Chancengleichheit begonnen. Mit jeder Wahl hätten die Oppositionsparteien größeren Einfluss auf die Ausgestaltung der Spielregeln nehmen können und seien schließlich auch vorübergehend in Regierungen der nationalen Einheit eingetreten. Mit dem Wahlsieg im Februar 2000 sei ein Zyklus politischer Reformen zu Ende gegangen. Möglich wurde dies, weil sich alle Parteien und der amtierende Präsident auf Verhandlungen einließen und Sicherheitsgarantien aussprachen,

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die Zivilgesellschaft den Machtwechsel stützte und der friedliche Wechsel durch eine politische Kultur des Ausgleichs abgesichert wurde. Heute sei die Beteiligung der Parteien am politischen Prozess im Senegal unersetzlich und allgemein akzeptiert.

Professor Christophe Kougniazonde aus Benin skizzierte zunächst die Grundzüge und das Erfolgsgeheimnis des Demokratisierungsprozesses in seinem Land. An der Option für den multipartisme intégral, ein echtes Mehrparteiensystem, habe es nie Zweifel gegeben. Prinzipiell bleibe jedoch die Entstehung von Parteien noch viel zu sehr abgekoppelt von Wahlen und den Erfolgschancen im politischen Wettbewerb. Dies erkläre das Fehlen klarer strategischer Überlegungen, die Bildung von ad hoc Allianzen und die rasche Zersplitterung von Parteien wegen persönlicher Differenzen. Die meisten Parteien seien völlig von der Person ihres Führers dominiert, der die Mitglieder nicht konsultiere, über Wahllisten bestimme und oft die Finanzen für Wahlkämpfe im Alleingang auftreibe. Dies habe die Parteien nachhaltig in Misskredit gebracht. Das Beispiel Benins zeige, dass selbst erfolgreiche Demokratisierung nicht automatisch mit der Ausbildung starker Parteien einhergehe. Wie Savané sieht auch Kougniazonde daher die Garantie für die Stabilität der jungen Demokratie hauptsächlich im génie der jeweiligen Völker, die für den friedlichen Systemwandel verantwortlich seien.

Auch Tiébilé Dramé, Vorsitzender der malischen Partei PARENA, betonte die konstitutive Bedeutung der politischen Parteien für die Demokratieentwicklung in Afrika und seinem Land. Die großen politischen Zäsuren des Jahrhunderts, 1945 und 1989/90, seien auch Wegmarken der Parteientwicklung in Afrika, da sie die zweifache Begründung von Parteienpluralismus in Afrika darstellten. Die Einheitspartei und die Militärdiktatur erschienen vor diesem Hintergrund als zwischenzeitliche Verirrung, auch wenn autoritäre Tendenzen und Gefahren selbst in einem demokratischen Erfolgsfall wie Mali immer noch sichtbar seien. Die Diskussion um das

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neue Wahlsystem für die Parlamentswahlen habe gezeigt, wie sehr die Regierungspartei ihre Kontrolle der Parlamentsmehrheit ungeniert zur verfassungsrechtlichen, bzw. gesetzlichen Absicherung ihrer Dominanz einsetze. Parteienkonkurrenz laufe oft noch nach der Logik miteinander konkurrierender Einheitsparteien ab, in der jede die ganze Wahrheit und das alleinige Recht auf die Vertretung des Volkswillens für sich beanspruche. Die realen sozialen und gesellschaftlichen Probleme drohten dagegen, zu spontaner Rebellion und Volksaufstand zu führen, statt von politischen Parteien zu gesellschaftlichen Projekten geformt zu werden. Ihre Verankerung in der breiten Bevölkerung sei unzureichend und die Aufgabe der gesellschaftlichen Mobilisierung und Erziehung werde nur bei Wahlen wahrgenommen, was zu Zynismus und Enttäuschung führe. Andererseits, so sein versöhnliches Fazit, seien bislang allein die Parteien in der Lage, ein ethnienübergreifendes Gegengewicht zur staatlichen Macht zu konstruieren und zu garantieren.

Der letzte Beitrag des langjährigen Oppositionspolitikers Leopold Gnininvi aus Togo führte wieder zum Einleitungsstatement von Erdmann zurück. Denn auch Gnininvi bemühte sich um eine Skizzierung wesentlicher Funktionen von Parteien, wobei er freilich andere Akzente setzte. Als zentrale Funktionen nannte auch er die politische Mobilisierung, die Repräsentierung der gesellschaftlichen Interessen und das personell-programmatische Angebot einer Alternative, was nicht immer leicht sei. Zu diesen drei Faktoren zählte er dann auch noch die soziale Unterstützung der Wählerschaft und die spezifische Rolle, die (in diesem Fall wohl die Oppositions-) Parteien in der Artikulierung von Protest und als Gesprächspartner und Vermittler gegenüber der Regierung einnehmen. Er illustrierte diese Kriterien am Fallbeispiel seiner eigenen Partei, die angesichts eines unnachgiebigen Regimes nur einen Teil der Funktionen erfüllen könne. Alternativen könnten nur unter fairen Wahlbedingungen greifen und das Angebot des Dialogs drohe schnell zu einer Legitimationsbeschaffung für das herrschende Regime zu werden.

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Im Folgenden entspann sich eine lebhafte Diskussion, in die auch Teilnehmer aus Guinea und der Côte d' Ivoire ihre spezifischen und enttäuschenden Erfahrungen mit der landeseigenen Parteienlandschaft einbrachten. Dabei fiel auf, dass das Prinzip des (unbegrenzten) Parteienpluralismus überhaupt nicht in Frage gestellt wurde. Dennoch wurden die Defizite der derzeitigen Parteien stärker als in den Vorträgen aufgezeigt. Hierzu gehören erstens technische Schwierigkeiten bei der Sicherung eines fairen Parteienwettbewerbs, eine fehlende Parteidisziplin und häufige Parteiwechsel (‘transhumance’), die alle Parteien strukturell schwäche. Parteiführer seien nur an der politischen Macht und dem ‘Aufteilen des Kuchens’ interessiert und würden sich nicht mehr um die Entwicklung ihrer Nationen kümmern, was von den auf dem Podium anwesenden Parteipolitikern übrigens weit weniger zurückgewiesen wurde, als dies der neutrale Beobachter vermutet hätte. So berechtigt diese Kritik scheint, sie richtet sich weniger gegen Parteien, und mehr gegen afrikanische Politiker im Allgemeinen, denn in der Phase von Militär- oder Einparteienherrschaft ist sicherlich keine stärkere Entwicklungsorientierung bei den herrschenden Eliten festzustellen gewesen. Solange Politik in Afrika eng mit der Kontrolle wirtschaftlicher Ressourcen verbunden bleibt, müsse, wie der ehemalige guineische Premierminister Sidya Touré ganz offen zugab, den Parteiführern zugesichert werden, dass sie unabhängig vom Wahlsieg nicht völlig von der politischen Bühne verschwinden. Es war schade, dass diese Frage nach der Rolle von politischen Parteien in einem politischen System, wo Wahlen nur der Theorie nach über Regierung und Opposition entscheiden, tatsächlich aber hauptsächlich über die Verteilung der Ministerposten, weder von den Vortragenden noch in der Diskussion angesprochen wurde.

Großen Raum nahm die (berechtigte) Kritik von Vertretern zivilgesellschaftlicher Gruppen ein, die Parteien hätten den demokratischen Prozess ‘konfisziert’, und dabei übersehen, dass zur Eroberung der Macht eine soziale Bewegung notwendig sei, die

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über die parteipolitische Oppositionsbewegung hinausgehen müsse, um erfolgreich zu sein. Am Beispiel Senegals konnte diese These eindringlich diskutiert werden. Während die senegalesischen NGO-Vertreter den Regierungswechsel in ihrem Land auf die gewachsene Macht der Straße zurückführten, räumte Minister Savané auch ein, dass es Geheimverhandlungen zwischen der damaligen Regierung und Opposition gegeben habe, bei denen den bisherigen Machthabern Zugeständnisse gemacht worden seien. Am Ende der Diskussion blieb der zwiespältige Eindruck, dass das Schicksal Senegals und vielleicht der Demokratisierung im frankophonen Afrika im Allgemeinen von (relativ spontaner) gesellschaftlicher Mobilisierung einerseits und der Kompromissbereitschaft der Parteiführer abhängt, ganz gewiss aber einstweilen noch nicht von der Leistungsstärke und Institutionalisierung der Parteien selbst.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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