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[Seite der Druckausg.: 43 ]


5. Expertengespräch


Die nachfolgende Aufzeichnung des Expertengesprächs folgt nicht ihrem Verlauf, sondern ist nach Themen geordnet. Der Diskussionsschwerpunkt verlagerte sich weg von der Situation in Asien hin zu praktischen Maßnahmen, die in Deutschland helfen können, vor allem den Menschenhandel zurückzudrängen. Nicht in allen Fällen werden die Referentinnen der einzelnen Beiträge genannt.

Im ersten Block ging es um die Verbesserungen, die in der Bundesrepublik Deutschland möglich und nötig sind. Nötig sei es vor allem, die Definition für Menschenhandel zu erweitern. Wie Dr. Lea Ackermann klarstellte, dürfe diese Definition nicht nur für Frauen gelten, die für die Prostitution mißbraucht würden. Sie solle zum Beispiel auch für Schlepper gelten, die Frauen zum Zwecke von Heiratsvermittlung nach Deutschland importierten. Generell sei festzuhalten, daß das Problem weit größer sei als allgemein angenommen und als aus den offiziellen Statistiken zu ersehen sei. Anzeigen gingen aus diesem Milieu so gut wie nie ein und deshalb tauchten in der Statistik nur die Fälle auf, auf die die Polizei mehr oder minder zufällig stoße.


Weltweit mindestens sieben Milliarden Dollar Umsatz

Ackermann zitierte Schätzungen der Vereinten Nationen, nach denen weltweit jährlich rund sieben Milliarden US-Dollar mit dem Handel von rund vier Millionen Menschen umgesetzt würden. Allein in Baden-Württemberg habe man illegale Gewinne aus derartigen Geschäften von 500.000 DM im Jahre 1996 eingezogen. Ein Jahr später seien es schon 7 Millionen und 1998 (Januar bis August) 48 Millionen Mark gewesen.

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Bei der Betreuung in Deutschland komme es nach Erfahrung von SolWoDi (Solidarity with Women in Distress) vor allem darauf an, das Selbstwertgefühl der Frauen zu stärken. Ihnen müsse klar gemacht werden, daß ihnen erhebliches Unrecht zugefügt worden sei, an dem sie selbst keine Schuld tragen. Es dürfe nicht vergessen werden, daß zwischen dem Zeitpunkt, wo die Frauen von der Polizei aufgegriffen werden, bis zum Ende eines Prozesses gegen etwaige Menschenhändler in der Regel ein bis zwei Jahre vergehen. Neben der psychosozialen Betreuung sei es jedoch auch wichtig, daß die Betroffenen Deutsch lernten, damit der Prozeß von ihnen mitverfolgt werden könne. Dann sei es wichtig, den Frauen - wenn machbar - eine Berufsausbildung zu ermöglichen und selbstverständlich juristischen Beistand zu stellen. Zudem müßten sie in Schutzwohnungen untergebracht werden, in denen sie vor Racheakten der Angeklagten sicher seien. Dazu gehöre auch eine Nebenklagevertreterin, die die Interessen der Frauen vor Gericht zu wahren versuche.


Zeugenschutzprogramm ausweiten

Zwar gebe es, so Ackermann, ein offizielles Zeugenschutzprogramm der Polizei, doch seien zum Beispiel im Jahr 1997 nur 1,9 Prozent der Frauen in den Genuß dieser staatlichen Unterstützung gekommen. Das sei viel zu wenig. Denn das Problem in diesem Zusammenhang sei, daß Frauen, die nicht in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen würden, kein Aufenthaltsrecht und keine Sozialhilfe in Deutschland erhielten. Deshalb seien zum Beispiel 1991 von 33 Fällen nur 15 zur Anklage gebracht und davon nur 5 vor Gericht verhandelt worden. Im Ergebnis habe es nur eine einzige Verurteilung auf Bewährung gegeben. In den anderen Fällen seien die Frauen einfach abgeschoben worden.

Hinweis
Das Foto der Druckausgabe (Seite 44/45) kann leider
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Daß die Betroffenen

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aber sehr wohl Auskünfte über die Funktionsweise des Organisierten Verbrechens geben könnten - wofür das Zeugenschutzprogramm eingerichtet worden ist - bewiesen die 31 Verurteilungen, die aus den acht Prozeßbegleitungen resultierten, die SolWoDi 1997 durchgeführt habe.

Der zweite wichtige Ansatzpunkt der Arbeit von SolWoDi seien die Rückkehrhilfen, die von Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) finanziert werden. Nicht immer gingen die Frauen ganz freiwillig in ihre Heimatländer zurück, doch die Chance des Rückkehrerprogramms nützten fast alle. Bei dieser Arbeit gehe es vor allem um einkommensschaffende Maßnahmen im Heimatland oder um Weiterbildungsmaßnahmen.

Auf diesen Punkt ging Frau Lim noch einmal näher ein. Die Probleme der Frauen lägen sowohl innerhalb wie auch außerhalb des Arbeitsmarktes. Es gehe jedoch auch um grundlegende Fragen der Gleichberechtigung. Wer Frauen in Entwicklungsländern unterstützen wolle, sollte solche Lösungen suchen, die nicht nur ein Einkommen versprechen, sondern die auch nachhaltig seien und nach Möglichkeit hohe Multiplikatoreffekte besitzen. Ihrer Meinung nach sei eine Unterstützung zum Beispiel im landwirtschaftlichen Kleingewerbe wie der Hühnerzucht am sinnvollsten: Die hier erzeugten Produkte Fleisch, Eier und Federn forderten eine arbeitsteilige Weiterverarbeitung geradezu heraus. Damit vervielfältige sich aber der Nutzen.


Wer Frauen hilft, ändert Machtstrukturen

Ergänzt werden sollten derartige Maßnahmen durch die Vergabe von Kleinkrediten für soziale Investitionen und die Schaffung Ausbildungsmöglichkeiten. Die Ausbildung müsse die unterstützten Frauen auch für eine sinnvolle Verwendung

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des neuen Einkommens sensibilisieren. Grundsätzlich aber sei festzuhalten: Wer Frauen unterstütze, helfe auch deren Familien und Kindern und darüber hinaus änderten sich auch oft die Machtstrukturen.

Auch diese Entwicklung könne man durch geeignete Maßnahmen begleiten. Es habe keinen Sinn, eine fortschrittliche Arbeitsgesetzgebung auf staatlicher Ebene zu verabschieden, wenn die Arbeiterinnen ihre Rechte nicht kennen. Auch hier sei noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten.

Und schließlich sei es wichtig, sich gegenseitig über die Erfolge zu informieren. Zusätzlich sollten die Erfahrungen aus den erfolgreichen Programmen in praktisch handhabbare Werkzeuge einfließen. Handbücher zum Beispiel für eine erfolgreiche ländliche Entwicklung seien ein solches Werkzeug.

Regina Kalthegener, von TERRE DES FEMMES und zur Zeit Sprecherin des deutschen Forums Menschenrechte, ging noch einmal im Detail auf die Probleme der Strafverfolgung von Frauenhändlern in Deutschland ein.

Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise, die sich auch auf Osteuropa und die lateinamerikanischen Länder erstrecke, bemerke sie in der Praxis vor allem an einer steigenden Zahl von Fällen, in denen es um Frauenhandel gehe. Sie selber trete in Prozessen gegen Frauenhändler als Nebenklägerin auf. Vor allem Osteuropa werde immer wichtiger, weil es einfacher sei, Frauen von dort einzuschleusen und zu rekrutieren.


Frauen fürchten Bedrohungen von Tätern nach Strafprozessen

Als erstes Problem nannte Kalthegener die Tatsache, daß die betroffenen Frauen als Zeuginnen vor Gericht erscheinen müßten. Das sei dann fatal, wenn das Opfer bzw. die Zeugin nie in Deutschland war, oder hier nicht hergebracht werden könne. Sei eine Zeugin greifbar, mangele es oft an der Bereitschaft oder der Fähigkeit, auszusagen. Viele Frauen hätten - oft zu Recht - vor allem Angst vor Bedrohungen nach

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dem Prozeß in ihrem Heimatland. In dieser Situation helfe auch das Zeugenschutzprogramm nicht weiter. Zudem sei es sehr schwierig, in einem solchen Programm zu leben. Viele Frauen seien nicht in der Lage, die Zeit der Isolation durchzuhalten.

Wichtig sei es zudem, endlich eine einheitliche und geschlechtsspezifisch angelegte Strafverfolgungsstatistik zu diesen Delikten aufzustellen. Diese Notwendigkeit sei auch von der Kriminalpolizei schon erkannt worden. In Nordrhein-Westfalen habe es zwischen 1994 und 1996 96 Verurteilungen zum Thema Menschenhandel gegeben - im gleichen Zeitraum seien aber 71 Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt worden. Schwierig sei eine Erfassung jedoch auch, weil der Straftatbestand Menschenhandel oftmals in andere Straftatbestände aufsplittere: Oft komme es nach einer Anklage wegen Menschenhandel zu einer Verurteilung wegen Nötigung, sexuellem Mißbrauch oder Vergewaltigung.


Menschenhandel zersplittert in verschiedene Straftatbestände

Ein weiterer Bereich, der im übrigen auch wachse, sei der Heiratshandel. Oft wirke diese Form des Frauenhandels selbst auf die Opfer wie normale Migration. Um diesen Handel zu unterbinden, sei eine Änderung des Paragraphen 19 des Ausländergesetzes Dringend geboten. Die Regelung erlaube es einem Deutschen, seine verheiratete Frau ohne eine Scheidung zur Rückkehr in ihr Heimatland zu zwingen. Dazu reiche ein Hinweis beim Ausländeramt, daß man nicht mehr gemeinsam lebe. Viele Männer rechneten damit, daß es sich auszahle, eine Frau zu heiraten und so die Kosten für hiesige Prostituierte zu sparen. Wichtig sei es hier auch, die Ehemänner für unmenschliches Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen.

Frau Fograscher, MdB, Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, beschrieb vor allem die neuen Perspektiven, die sich in der Entwicklungspolitik durch den Regierungswechsel bieten - auch in Bezug

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auf die Arbeit für Frauen, die im Sex-Sektor beschäftigt sind oder für Opfer von Menschenhandel.

Der rot-grüne Koalitionsvertrag sehe eine „deutlich andere Politik im Bereich der Außen- und Innenpolitik" vor. Die neue Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung habe neue Richtlinienkompetenzen in das BMZ zurückgeholt und angekündigt, die Erosion des BMZ-Etats stoppen zu wollen. Das sei auch notwendig, wenn man im Bereich Bildung oder Kleinkredite - gerade für Frauen - aber auch in der Öffentlichkeitsarbeit hierzulande Erfolge verzeichnen wolle.

Zudem habe die Ministerin Wieczorek-Zeul angekündigt, daß Deutschland mehr Einfluß auf die internationalen Institutionen nehmen werde. Ein wichtiges Thema seien hier die sozialen Mindeststandards oder die Überprüfung von Strukturanpassungsprogrammen von IWF und Weltbank.

Herr Racki vom Ostasienreferat des BMZ beschieb die Auswirkungen und Dimensionen der Asienkrise im makroökonomischen Maßstab. Bisher seien die Auswirkungen kaum exakt erfaßt, doch seien sie seines Wissens um einiges schlimmer als erwartet. Mittlerweile gebe es ein erstes Papier der Weltbank, in dem auch die sozialen Auswirkungen abgeschätzt würden. Hier gehe es zum Beispiel ganz wesentlich um die Bereitstellung von ausreichenden Bildungsmöglichkeiten - bei schrumpfenden staatlichen Budgets.


Besonders die Mädchen brechen die Ausbildung vorzeitig ab

Werde die Bildung nicht ausreichend subventioniert, sei zu befürchten, daß besonders die Mädchen ihre Ausbildung vorzeitig abbrächen.

  • Von den betroffenen Ländern verfüge einzig Südkorea über eine „leidlich funktionierende Arbeitslosenversicherung". Die Rolle des BMZ sei vor allem darin zu sehen, die leistungs- und konkurrenzfähigen Industrien mit kurzfristigen Hilfen zu unterstützen, damit diese die Produktion aufrecht erhalten und die Exportchancen wahren können.

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  • In Thailand sei vor der Krise ein Bruttosozialprodukt von weit über 2000 US-Dollar pro Kopf erwirtschaftet worden. Auch vor dem großen Boom in den 70er Jahren habe Hunger in Thailand „allenfalls bei einigen Bergvölkern geherrscht". Hunger in größerem Ausmaß sei auch in Zukunft nicht zu erwarten. Die Bevölkerung habe hier die Möglichkeit, auf das Land zurückzukehren. Die Weltbank habe allein 300 Millionen Dollar in einer ersten Tranche zur sozialen Abfederung der schärfsten Auswirkungen bereitgestellt.
  • Indonesien sei von der Krise besonders schwer getroffen worden. Hier seien Maßnahmen von der Geberseite äußerst schwierig, vor allem, solange die politischen Verhältnisse derart unruhig blieben.
  • Vietnam habe - anders als Südkorea und Thailand - die Talsohle noch nicht erreicht. Für Vietnam lege das BMZ erst 1998 ein größeres Programm auf, daß die Auswirkungen der Krise berücksichtige.
  • In den Philippinen sei die Krise wesentlich milder verlaufen als anderswo, da man hier „eine relativ vernünftige Wechselkurspolitik gemacht" habe. Auch hier sei die Talsohle im Wesentlichen erreicht.
  • Racki hielt ausdrücklich fest, daß die aktuelle Krise „eine hausgemachte" sei, die von einer „Oberschicht verursacht worden ist, die politisch und ökonomisch versagt" habe.

[Seite der Druckausg.: 50 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2000

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