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VI. Bausteine für die kommunal-politische Kooperation

Trotz vielfacher Probleme und Rückschläge in der Umsetzung werden sich die Dezentralisierungspolitiken in Lateinamerika fortsetzen und konsolidieren. In einigen Ländern wird sich die Entwicklung stärker auf die mittlere Verwaltungsebene konzentrieren, in anderen wird die Verbesserung der Planungs- und Verwaltungskapazität in Städten und Gemeinden im Vordergrund stehen.

In nahezu allen Fällen sind die Beziehungen der Gebietskörperschaften untereinander die Schwachstellen des Prozesses. Dies gilt insbesondere für die Finanzbeziehungen, d.h. die Herstellung eines ausgewogenen Systems von Steuern, allgemeinen und Zweckzuweisungen sowie Bestimmungen über die Kreditpolitik, das jeder Verwaltungsebene einen seinen Aufgaben entsprechenden „fairen Anteil" an den öffentlichen Einnahmen sichert. Noch sind das Interesse des Zentralstaates an der Erhaltung seiner makroökonomischen Steuerungsfähigkeit und die Versuchung der Kommunen, ihre Investitionsfähigkeit zulasten des Staatshaushaltes - d.h. des „nationalen Steuerzahlers" - zu erhöhen und die eigenen Bürger - den „lokalen Steuerzahler" - zu schonen, in vielen Fällen unausgeglichen. Aus diesem Dilemma führt weder die Unterstützung der municipalistas („höhere Zuweisungen"), noch die Solidarisierung mit den centralistas („geringere Zuweisungen"), sondern nur die Förderung von politischen und institutionellen Strukturen, die es erlauben, diese Frage immer wieder neu zu stellen und immer wieder neu zu beantworten.

Dezentralisierungspolitiken im Sinne der Stärkung von Kommunen, die über mehr als ein Jahrhundert ein Dasein ohne Aufgaben und Ressourcen fristeten und überwiegend nur der Befriedigung klientelistischer Ansprüche dienten, bergen Risiken und Chancen.

Die Risiken liegen vor allem darin, daß sich lokale wirtschaftliche und politische Machtstrukturen verfestigen - nunmehr über Wahlen legitimiert und der nationalen Kontrolle weitgehend entzogen. Sie liegen auch in der Privatisierung des öffentlichen Raums und in unkontrollierter Korruption. Insbesondere in wenig integrierten Ländern wie Kolumbien und Brasilien gibt es zahlreiche Fälle des Machtmißbrauchs lokaler Politiker und der Bereicherung auf Kosten der Gemeindekassen. Aber auch wohlmeinende Kommunalverwaltungen können mit Fehlentscheidungen großen Schaden anrichten.

Um diese Risiken in Grenzen zu halten, ist es notwendig, die lokalen politischen Systeme wettbewerbsintensiv zu gestalten und das Recht der Bürger auf umfassende Information und Partizipation sicherzustellen. Direktwahl der Bürgermeister, Wiederwahlmöglichkeit, ein faires Wahlsystem, Publizitätspflicht sowie staatliche Aufsichts- und Kontrollfunktionen sind hierzu wichtige Instrumente, ebenso wie das weitere Umfeld: eine unabhängige Justiz, freie Presse, etc.

Risiken der Dezentralisierung liegen auch in der Entstehung ungleicher Versorgungsstandards, sei es aufgrund ungleicher Finanzausstattung oder aufgrund der Unterschiede in der Verwaltungskapazität oder lokalen politischen Kultur. Aber diese Risiken sind gewollt: Kreativität soll sich unter Wettbewerbsdruck entfalten, Fehler sollen lokal begrenzt bleiben, Erfolge Nachahmer finden. Das Wellenschwimmbad im Urwald und der Informatikunterricht in der favela sind untrennbar zwei Seiten derselben Medaille.

Hier gilt es, Erfahrungen - positive wie negative - aufzuarbeiten, zu verbreiten, zu systematisieren und aus ihnen Verbesserungsvorschläge für das institutionelle Design der Dezentralisierung abzuleiten.

Risiken liegen schließlich in der Natur der Dezentralisierung, die staatliche Funktionen nach dem Subsidiaritätsprinzip auf eine möglichst niedrige Verwaltungsebene verlagert und dabei in Kauf nehmen muß, daß eine Reihe dieser Funktionen economies of scale besitzen, bzw. externe Effekte erzeugen, die über die jeweilige Jurisdiktion hinausreichen. Nicht jede einzelne Gemeinde braucht eine Anlage zur Aufbereitung von Sondermüll und häufig ist es unvermeidlich, daß die eigenen Verwaltungsentscheidungen den Nachbarn nützen oder sie schädigen.

Dezentralisierungserfahrene Länder in Nordamerika und Europa verfügen über ein ausgefeiltes Instrumentarium, mit diesen Problemen umzugehen, vor allem in Form vielfältiger Mechanismen der horizontalen und vertikalen Kooperation - vom Gemeindeverbund über gemeinsame Eigenbetriebe bis hin zur verhandelten Kompetenzverlagerung auf eine höhere Ebene. Eine Diskussion dieser Erfahrungen und die Prüfung ihrer Übertragbarkeit können dazu beitragen, daß das Rad nicht neu erfunden werden muß.

Neben Risiken bieten die Dezentralisierungspolitiken vor allem jedoch Chancen: politische Legitimität der Amtsträger, bürgernahe Verwaltungsentscheidungen, Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten führen dazu, daß die öffentlichen Aufgaben effizient - das heißt entsprechend der Präferenzen und Prioritäten der lokalen Wähler - erfüllt werden. Das gilt übrigens auch dann, wenn die Neugestaltung des Parks vor dem Bau des Kindergartens kommt.

Dabei steigen die Anforderungen an die Gemeinden ständig. Die Professionalisierung der Verwaltungen gehört dabei zu den wichtigsten und schwierigsten Herausforderungen. Ohne eine Verbesserung der Planungs-, Management- und Verwaltungskapazität können sich die Gemeinden aus ihrer eigenen „strukturellen Unterentwicklung" nicht befreien. Häufig sind sie dabei auf sich allein gestellt, weil es an nationalen Aus- und Fortbildungsinstitutionen mangelt oder deren Qualität den neuen Anforderungen nicht entspricht.

Bürger und öffentliche Meinung fordern von den Kommunalverwaltungen klare Leistungsnachweise. Ihre Glaubwürdigkeit hängt unmittelbar von ihrer Problemlösungskompetenz ab und diese von der Transparenz ihrer Aktionen. Häufig handeln Kommunen Informationen wie Staatsgeheimnisse, der Zugang der Bürger zur Verwaltung wird erschwert und nicht selten sogar seine Pflicht zur Zahlung der kommunalen Steuern.

Erhöhte Anforderugen stellen sich insbesondere an die Innovationsfähigkeit und Kreativität: Kommunalverwaltungen, die nach dem überlieferten Muster - „haben wir immer so gemacht..." - vorgehen, können kaum mit zufriedenen Wählern rechnen.

Immer häufiger müssen Kommunalverwaltungen einsehen, daß Insellösungen nicht möglich sind, weil die Probleme zu komplex oder weil die verfügbaren Ressourcen zu knapp sind. Gerade die Stärkung der lokalen Autonomie erfordert den Sprung über den Stadtgraben und die Zusammenarbeit mit den Nachbargemeinden, mit allen Gemeinden in politisch schlagkräftigen Verbänden, mit übergeordneten Gebietskörperschaften und häufig auch mit erfolgreichen Gemeinden im Ausland

Die Lösung komplexer Probleme ist nach den Mustern traditioneller - vertikaler und paternalistischer - Verwaltungen nicht mehr möglich. Bürgernähe und Bürgerbeteiligung sind daher nicht nur demokratische Rechte, sondern immer mehr auch eine notwendige Voraussetzungen für Leistungseffizienz. Dies gilt für die Mobilisierung von Eigenleistungen ebenso wie für die Zusammenarbeit mit dem privaten Unternehmenssektor. Die konkrete institutionelle Ausprägung von Bürgernähe und Bürgerbeteiligung ist eine vielschichtige Herausforderung für die Gemeinden und befindet sich eher noch in einem experimentellen Stadium.

Zivilgesellschaft - Mode oder Moderne?

Bürgerbeteiligung, Subsidiartät, „öffentlich-private Partnerschaften" setzen nicht nur voraus, daß auf seiten der öffentlichen Verwaltungen entsprechende institutionelle Voraussetzungen und Verhaltensmuster geschaffen werden, sondern sie erfordern auch einen hohen und nachhaltigen Grad an Interventionsfähigkeit auf seiten der Bürger, Bürgerinitiativen, Vereine und anderer Akteure. Die nicht-staatlichen gesellschaftspolitischen Instanzen, heute unter dem diffusen Begriff der civil society zusammengefaßt, verfügen jedoch häufig nicht über die Voraussetzungen, die es ihnen erlauben würden, nicht nur revindikativ die Lösung von Problemen zu fordern, sondern nachhaltig die Formulierung und Umsetzung von Politiken und Programmen auf lokaler Ebene mitzugestalten, ein Defizit, das proportional zur Komplexität der Probleme wächst.

Häufig wirkt sich hoher Problemdruck motivationsfördernd aus und führt zu erfolgreichen Interventionen:

• die Bürgerinitiative Viva Rio erreichte vor dem Hintergrund der perkären Sicherheitslage in Rio de Janeiro die Einführung einer „Bürgerpolizei"; in São Paulo scheint eine ähnliche Initiative zu entstehen;

• die Bürgerinitiative Participación Ciudadana in der Dominikanischen Republik bildete über 2.000 vom Wahlamt offiziell akkreditierte Wahlbeobachter aus und verklagte die Mitglieder der junta electoral der Wahlen von 1994 wegen Wahlfälschung.

Fälle wie diese scheinen zuzunehmen; ihre Nachhaltigkeit ist häufig begrenzt. Maßnahmen, die auf eine Stärkung der Interventionsfähigkeit von Instanzen der Zivilgesellschaft zielen, können hier stabilsierend wirken, die Planungskompetenz, Verhandlungsfähigkeit, Problemlösungskapazität sowie die Kommunikationsstrategien, etc. dieser Instanzen verbessern und sie so „subsidiaritätsfähig" machen.

Das kommunalpolitische Kooperationsangebot der Friedrich-Ebert-Stiftung stößt auf allen diesen Feldern auf eine steigende Nachfrage. Nach der Diskussion auf dem workshop lassen sich folgende Ansätze für die Zusammenarbeit konkretisieren:

1. Die Förderung des nationalen, regionalen oder internationalen Erfahrungsaustauschs in bezug auf konkrete Politiken und Problemlösungen im Sinne einer Sozialisierung von Erfolgen und Fehlschlägen: Finanzausgleichssysteme, institutionelle Formen der Bürgerbeteiligung oder Erfahrungen mit kommunaler Wirtschaftsförderung sind Themen, die insbesondere dann für die Zusammenarbeit mit Gemeindeverbänden und Regierungen geeignet sind, wenn die gesetzlichen und institutionellen Rahmenbedingungen unzureichend sind.

2. Die Beeinflussung der nationalen Politik im Sinne einer ausgewogenen Dezentralisierungsstrategie kann nur gelingen, wenn sich die Kommunen als nationale Akteure Gehör verschaffen und in der Lage sind, konstruktiv an der Gestaltung der Rahmenbedingungen mitzuwirken. Die Förderung und Stärkung von unabhängigen Gemeindeverbänden ist ein aufwendiges Kooperationsfeld, auf dem sich bisher Erfolge (Fall Chile) und Rückschläge (Fall Kolumbien) die Waage zu halten scheinen [ Mit Unterstützung der FES wurde der kolumbianische Gemeindeverband gegrün det, der rasch an politischem Gewicht in der Dezentralisierungsdebatte gewann. Wenig später wurde er von seinem Präsidenten zur eigenen politischen Profi lierung instrumentalisiert und institutionell geschwächt. Der ebenfalls mit Unter stützung der FES gegründete chilenische Gemeindeverband hat sich dagegen - auch aufgrund eines auf die Unabhängigkeit des Verbandes achtenden General sekretärs - weitgehend konsolidiert.] .

3. Insbesondere dann, wenn politische Partner Leistungsnachweise suchen, steht die Stiftung einer Nachfrage nach Kooperation vor Ort gegenüber. Die Zusammenarbeit mit einzelnen Gemeinden ist in diesen Fällen eher Mittel als Zweck. Allerdings ist es ohne praktische Erfahrung vor Ort häufig unmöglich, qualifizierte Beratungsleistungen gegenüber umfassenderen Partnerstrukturen (Verbände, Parteien, Regierungen, etc.) zu erbringen. Grundsätzlich bedarf die Zusammenarbeit mit einzelnen Gemeinden einer besonderen Prüfung, da oft andere nationale oder internationale Organisationen über eine bessere Infrastruktur verfügen und höhere Breitenwirkung erzielen können.

4. Die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen einschließlich der großen internationalen Organisationen bietet sich vor allem im Hinblick auf jene Fragen an, die ein komplexes Fachwissen erfordern, das häufig in den einzelnen Ländern nur unzureichend vorhanden ist. Dies gilt insbesondere für Fragen des Finanzausgleichs, der Gestaltung von Aufsichts-, Kontroll- oder Kooperationsmechanismen, Umfang und Formen der Privatisierung öffentlicher Leistungen, u.a.

5. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat in den letzten Jahren auf dem Gebiet partizipativer Planungsmethoden einen besonders guten Ruf erworben. Sie verfügt damit über ein Instrumentarium, das einen Beitrag zur Bewältigung der größten Herausforderung lateinamerikanischer Kommualverwaltungen - und nicht nur dieser - leisten kann: die notwendige Verschweißung von Professionalisierung und Innovationsfähigkeit. Dieses Kapital zu erhalten und zu vermehren wird auf längere Sicht hohe Priorität haben müssen.

6. Dies gilt auch für die Entwicklung von Methoden und Instrumenten der Bürgerbeteiligung, die die überkommene participación popular von ihrem verstaubten Image kleinbäuerlicher Kartoffelproduzenten befreit und in die Lage versetzt, der komplexen urbanen Wirklichkeit Lateinamerikas gerecht zu werden. Die politischen, rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen moderner participación ciudadana sind erst schwach entwickelt. Daß dazu nicht nur Stadteilversammlungen und Delegiertenräte gehören, sondern auch Meinungsumfragen, Mikrozensen und Publizität, haben die innovationsfreudigsten Kommunalverwaltungen bereits erkannt - bisher eine Minderheit.

7. Das - auch für die Stiftung - in Lateinamerika relativ neue Thema der kommunalen Wirtschaftsförderung weckt hohe Erwartungen, die nicht immer leicht zu befriedigen sind. Häufig ersetzen plakative Lösungen - Steuerbefreiungen für Investoren bis ins nächste Jahrtausend - die Notwendigkeit eines filigranen Geflechts aus Pragmatismus, Kompetenz und Verhandlungsgeschick. Die Möglichkeiten und Grenzen kommunaler Wirtschaftsförderung auch im Hinblick auf die Lösung sozialer Probleme aufzuzeigen und die eigenen Erfahrungen in Deutschland einzubringen, erscheint heute als ein besonders fruchtbares Kooperationsfeld.

8. Die ideologischen Grabenkriege der 60er und 70er Jahre sind auch in Lateinamerika Geschichte. Eine „gute Regierung" ist kaum noch im Rückgriff auf ein umfassendes Gesellschaftsmodell zu begründen, sondern erfordert Fähigkeiten, die eher im Bereich des Interessensausgleichs, der Konsensfähigkeit und der pragmatischen Kompetenz liegen. Dies bedeutet freilich nicht die widerstandslose Akzeptanz der neoliberalen Privatisierungsideologie und „das Ende der Geschichte". Es begründet vielmehr die Notwendigkeit für die politischen Partner - und die Friedrich-Ebert-Stiftung selber -, über die Rekonstruktion der sozialen Demokratie unter den veränderten Vorzeichen einer gleichzeitig fragmentierten und globalisierten Ökonomie nachzudenken. Die Wiederentdeckung des Bürgers ist dazu ein erster Schritt.


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