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[Seite der Druckausg.: 5]



1. LEBENSZIELE DER FRAUEN


Die Jahrzehnte sowjetischer Geschichte, des weltweit ersten Systems, das die Garantie der Gleichberechtigung der Frauen zu einem Ziel staatlicher Politik erklärte und auch tatsächlich viel für die Realisierung dieses Ziels getan hat, beeinflusst die Lebensorientierungen der Russinnen weiterhin deutlich. Wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, ist das Spektrum ihrer Lebensziele außergewöhnlich breit (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Was konnten die Frauen in ihrem Leben erreichen und was nicht (in Prozent)

Bereiche, in denen Erfolge erzielt wurden

Erfolge wurden bereits erreicht

Wurde noch nicht erreicht, dies wird aber für möglich gehalten

Würden dies gern erreichen, halten dies aber kaum für möglich

Dies war nicht Teil des Lebensplanes

Eine gute Aus-
bildung bekommen

31,8

27,8

30,4

9,2

Einen prestigeträchtigen
Arbeitsplatz bekommen

11,5

35,1

43,0

9,4

Eine glückliche
Familie gründen

40,0

39,3

16,3

3,6

Ein eigenes
Unternehmen haben

4,6

14,4

27,7

52,2

Karriere machen
(beruflich, politisch,
gesellschaftlich)

5,5

25,7

23,5

44,0

Den eigenen Lieblings-
beschäftigungen nachgehen

30,3

38,7

26,5

3,6

Die wahre Liebe finden

50,1

27,2

17,0

4,5

Verschiedene Länder
der Welt bereisen

4,3

20,8

56,5

17,3

Eine eigene
Wohnung haben

42,2

23,9

30,9

2,2

Eine gute
Kindererziehung

28,9

60,6

5,8

3,6

Nicht schlechter
als andere leben

26,2

50,4

18,4

4,0

Gute Freunde haben

70,5

19,6

7,2

1,6

Sein Leben ehrlich leben

48,4

38,6

7,6

3,4

Einer interessanten
Arbeit nachgehen

29,6

43,3

23,2

3,0

In den Kreis
bestimmter Leute gelangen

18,1

23,8

13,2

43,2

Den Respekt der
Umgebung gewinnen

57,0

30,6

4,1

6,8

Die in Tabelle 1 angeführten Daten zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der russischen Frauen ihre Lebensziele in verlässlichen Freunden, Selbstachtung wie auch im Respekt der Umgebung sehen, ferner in der wahren Liebe, einem ehrlichen Leben, der Gründung einer glücklichen Familie, der Existenz einer eigenen Wohnung, Lieblingsbeschäftigungen und

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einer guten Kindererziehung. Über 95 % der befragten Frauen nannten diese Dinge als Ziele, die sie bereits erreicht haben, oder Ziele, die sie im Leben noch erreichen möchten. Dabei lagen Ziele, die mit persönlichen Aspekten des Lebens verbunden sind (Freunde, eigene Wohnung, interessante Arbeit), sogar leicht vor den mit weiblichen familiären Rollen verbundenen Zielen. Dagegen erwiesen sich Karriere- und Statusziele, also solche wie ein eigenes Unternehmen zu gründen, Karriere zu machen oder in bestimmte Kreise zu gelangen, für eine bedeutende Zahl von Russinnen als fremd.

So ist die durchschnittliche Russin, jedenfalls auf der Ebene ihrer Lebensziele, heute durch eine große Vielfalt an Interessen charakterisiert, unter denen Familie und Kinder eine sehr große, aber keine alleinige Bedeutung haben. Dieses Ergebnis gilt bei den Frauen für ausnahmslos alle Altersgruppen. Selbst in der ältesten der untersuchten Altersgruppen (41-50 Jahre) befinden sich auf den ersten Plätzen nicht nur Ziele, die mit der Gründung einer glücklichen Familie und guter Kindererziehung verbunden sind, sondern auch mit persönlichen Interessen verbundene Ziele, wie etwa, eine eigene Wohnung zu haben, ein ehrliches Leben zu führen und gute Freunde zu haben.

Gleichzeitig hat das Alter in Bezug auf einige Lebensziele sehr große Bedeutung. Die Mehrheit der jungen Russinnen würde gerne Karriere machen, Zutritt zu bestimmten Kreisen gewinnen oder ein eigenes Unternehmen haben, während ihre älteren Mitbürgerinnen dies in ihrer Mehrheit nicht wünschen. Unter den Vertreterinnen der älteren Generation gibt es denn auch bedeutend mehr Frauen, die nicht nach einer guten Ausbildung, einer prestigeträchtigen Arbeit oder danach streben, verschiedene Länder zu bereisen.

Bei der allerjüngsten Gruppe unter den befragten Frauen, den 17-18-Jährigen, fällt eine Eigenart der weiblichen Ziele auf. Jede dreizehnte Vertreterin dieser Altersgruppe strebt es nicht an, eine glückliche Familie zu gründen, und jede zehnte will keine gute Kindererziehung. Mehr noch, für fast jede zwölfte junge Frau dieses Alters ist es nicht wichtig, in ihrem Leben die wahre Liebe zu finden. Dennoch wollen praktisch alle Vertreterinnen dieser Gruppe gute Freunde haben und eine interessante und prestigeträchtige Arbeit finden.

Die Untersuchung erlaubt es nicht nur, die Orientierungen in Bezug auf einzelne Lebensziele der russischen Frauen und die Dynamik dieser Ziele in Abhängigkeit vom Alter offenzulegen, sondern auch, vier grundlegende Typen von Russinnen zu unterscheiden, die sich durch ihre Lebensabsichten unterscheiden. Diese Typen könnte man in etwa wie folgt benennen: „Hausfrauen", „Berufstätige", „Karrieristinnen" und „Enttäuschte". Wie unsere Studie gezeigt hat, wird jeder dieser Typen nicht durch entgegengesetzte Lebensziele, sondern durch mehr oder weniger vielfältige Ziele charakterisiert.

Der Typ „Hausfrau" ist auf eine gute Kindererziehung konzentriert und orientiert sich an der Existenz guter Freunde, einem ehrlichen Leben und der Achtung des Umfelds.

Die „Berufstätigen", die ebenfalls diese Ziele in ihren Lebensplänen haben, sind außerdem an einer interessanten und prestigeträchtigen Arbeit interessiert sowie an der Möglichkeit, Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen und an einer guten Ausbildung.

Die „Karrieristinnen" (wir betonen, dass dieser Begriff keinerlei negative Bedeutung hat und lediglich ausdrücken soll, dass für die spezifischen Lebensorientierungen der Angehörigen dieser Gruppe Karriere ein besonders wichtiger Faktor ist) haben das breiteste Spektrum an Lebenszielen. Dieser Typ umfasst Frauen, die zusätzlich zu den Lebenszielen der vorherigen Typen ein eigenes Unternehmen haben wollen, Karriere planen, verschiedene Länder der


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Welt bereisen und in bestimmte Kreise gelangen wollen, dies bereits erreicht haben oder zumindest für erreichbar halten.

Der vierte Typ schließlich, den wir „Enttäuschte" genannt haben, umfasst Frauen, die ihren Zielen zufolge den „Hausfrauen" sehr nahe stehen, aber der Ansicht sind, dass sie die für diese Gruppe charakteristischen Lebensziele in ihrem Leben nicht werden erreichen können, insbesondere die Ziele Gründung einer glücklichen Familie und eine gute Kindererziehung usw.

In quantitativer Hinsicht verteilen sich die beschriebenen Typen unter den russischen Frauen im Alter zwischen 17 und 50 Jahren wie folgt (siehe Graphik 1):



Graphik 1: Nach Lebenszielen typisierte russische Frauen (in Prozent)

Dabei muss unterstrichen werden, dass sich das verbreitete Stereotyp, Frauen, die sich auf Arbeit und Karriere konzentrieren, seien weniger an der Gründung einer Familie interessiert, als falsch erwies. Wie sich zeigte, halten alle Frauentypen Familie für ein sehr wichtiges Element ihres Lebens. Bei 95 % der Frauen, die sich auf ihre Karriere und eine interessante Arbeit konzentrieren, befindet sich die Neigung zur Gründung einer glücklichen Familie unter den Lebenszielen.

Ungeachtet dessen, dass sich die „Karrieristinnen" hauptsächlich in den jüngeren Altersgruppen konzentrieren, erreichten sie bei der Mehrheit der Ziele in Relation zu den „Hausfrauen" entweder vergleichbare oder sogar deutlich übertreffende Resultate, wenngleich „Hausfrauen" mehr Lebenserfahrung haben. So geht ein Viertel der „Karrieristinnen" und nur 1,2 % der „Hausfrauen" einer prestigeträchtigen Arbeit nach, davon jeweils 18,7 % bzw. 1,7 % einem eigenen Geschäft; 17,3 % bzw. 0,7 % haben erfolgreich Karriere gemacht; 40,2 % bzw. 13,7 % gehen ihren Lieblingsbeschäftigungen nach; 11,6 % bzw. 3,1 % haben fremde Länder besucht; 41,6 % bzw. 9,3 % ist es bereits gelungen, in bestimmte Kreise zu gelangen und 44,5 % bzw. 17 % leben „nicht schlechter als andere".

Höher als bei den „Hausfrauen" sind die Ergebnisse in Bezug auf das Erreichen einzelner Ziele bei den Frauen, die eine interessante Arbeit anstreben. Mehr noch: Wenn man den Anteil der verheirateten Frauen unter den „Karrieristinnen" und den „Hausfrauen" betrachtet, die

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ihre Familie für glücklich halten, so zeigt sich, dass „Karrieristinnen" häufiger glücklich verheiratet sind. Dieselben Tendenzen, wenn auch in abgeschwächter Form, sind auch für die Frauen charakteristisch, die eine interessante Arbeit anstreben.

Was ist also der Grund, der die Russinnen im Hinblick auf ihre Chancen auf Erfolg in den verschiedenen Lebensbereichen in so ungleiche Gruppen teilt? Wie die vorliegende Studie gezeigt hat, ist der wichtigste Faktor, der den Erfolg der Lebensstrategien der russischen Frauen bestimmt, ihr Bildungs- und Ausbildungsniveau (siehe Tabelle 2).



Tabelle 2: Verhältnis zwischen den Typen russischer Frauen der vier Gruppen und ihren verschiedenen Ausbildungsniveaus (in Prozent)

Frauen-
typen

Ausbildung

Nicht ab-
geschlossene
mittlere

Mittlere

Mittlere
Fachaus-
bildung

Nicht ab-
geschlossene
höhere

Höhere

Wissen-
schaftlicher
Grad

Karrieristinnen

8,1

11,3

12,1

40,3

21,5

57,9

Berufstätige

10,8

30,1

36,2

41,0

56,3

31,6

Hausfrauen

54,1

46,4

44,2

15,8

18,4

10,5

Enttäuschte

27,0

12,2

7,5

2,9

3,8

-

Wie wir sehen, sind in den Gruppen mit nicht abgeschlossener mittlerer, allgemeiner und spezieller mittlerer Ausbildung die Mehrheit (und im Fall der nicht abgeschlossenen mittleren Ausbildung die absolute Mehrheit) Hausfrauen. Sobald eine Frau dagegen wenigstens eine nicht abgeschlossene höhere Bildung hat, weitet sich das Spektrum ihrer Lebensziele enorm aus, und die Wahrscheinlichkeit, sie auch zu erreichen, steigt deutlich an.

Höhere Bildung ist für die Frauen also nicht nur eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche berufliche Selbstverwirklichung oder eine Bedingung für berufliches Wachstum, sondern wird für sie faktisch auch zur Eintrittskarte in ein anderes, erfüllteres und farbenfroheres Leben, ein anderes soziales Umfeld, wo die Beziehungen zwischen Männern und Frauen, Eheleuten und Freunden einen qualitativ anderen Charakter haben. Die Möglichkeit, ein vielseitiges und glückliches Leben zu führen, steigt stark an. Daher ist es nicht verwunderlich, dass unabhängig davon, wie ihre Arbeit bezahlt wird, die russischen Frauen aktiv daran arbeiten, eine höhere Ausbildung zu erlangen und die Mehrheit unter denjenigen Bürgern des Landes stellen, die über eine solche verfügen.

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2. KENNZEICHEN DES ALLTAGSLEBENS

Es ist schon selbstverständlich geworden anzunehmen, dass das Leben russischer Frauen sehr schwer ist. Wenn man die Einschätzungen des Niveaus ihrer materiellen Absicherung betrachtet, erscheint dies auch völlig verständlich. Gleichzeitig hat die Untersuchung gezeigt, dass die Einschätzung ihrer Lebensumstände durch die russischen Frauen insgesamt eher optimistisch als pessimistisch ausfällt. Nach Ansicht von 25,5 % der Befragten sind ihre Lebensumstände "gut" und für 62,9 % "zufriedenstellend". Nur 11,6 % der befragten Frauen äußer-

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ten die Meinung, dass ihre Lebensumstände "schlecht" sind. Unter den heutigen Bedingungen ist das für Russland ein niedriger Wert.

Mit den Familienverhältnissen und der Möglichkeit zu Gesprächen mit Freunden, also den Werten, die bei einer überwältigen Zahl russischer Frauen zu den grundlegenden Lebenszielen gehören, sind unsere Mitbürgerinnen in höchstem Maße zufrieden.

Nicht zufrieden sind die russischen Frauen vor allem mit der fehlenden Möglichkeit, sich im Urlaub zu erholen, die für nötig erachtete Ausbildungen zu erhalten, mit der materiellen Lage und den schlechten Bedingungen der Freizeitgestaltung (siehe Tabelle 3), d.h. im Grunde mit den Aspekten ihres Lebens, die für die überwiegende Mehrheit von ihnen im gewählten Lebensmodell keine hochrangigen Werte darstellen.



Tabelle 3: Einschätzung ihrer Lebensbedingungen durch die Frauen (in Prozent)

Gut

Zufrieden-
stellend

Schlecht

Materielle Absicherung

9,7

55,8

34,5

Ernährung

29,7

59,1

11,2

Kleidung

15,6

61,4

23,0

Gesundheitszustand

26,2

60,2

13,6

Wohnbedingungen

28,0

49,4

22,6

Familienbeziehungen

53,8

39,3

6,9

Möglichkeiten
der Freizeitgestaltung

20,1

47,5

32,4

Erholungsmöglichkeit
während des Urlaubs

15,4

36,2

48,4

Gesprächsmöglichkeit
mit Freunden

50,4

41,5

8,2

Möglichkeit, sich
beruflich zu
verwirklichen

24,2

48,6

27,2

Möglichkeit, die
nötige Bildung
und Ausbildung
zu bekommen

20,0

44,1

35,9

Gesellschaftliche
Lage und Status

23,5

62,9

13,6

DAS LEBEN INSGESAMT

25,5

62,9

11,6

Besondere Aufmerksamkeit verdient die Selbsteinschätzung der russischen Frauen in Bezug auf ihre materielle Sicherheit. So betrug das mittlere Einkommen eines Familienmitgliedes Anfang 2002 nach Einschätzung der befragten Frauen 2076 Rubel, d.h. etwas weniger als $ 70, was den statistischen Angaben recht nahe kommt. Eine Durchschnittsfamilie von 3 Personen verfügte somit über ein durchschnittliches Haushaltseinkommen von etwa $ 200.

Im Prinzip liegt ein solches Einkommensniveau für die Mehrzahl der Regionen über dem offiziell festgelegten Existenzminimum. Das Grundproblem besteht jedoch darin, dass das "durchschnittliche Einkommen" unter den aktuellen russischen Bedingungen etwa dasselbe ist wie die "durchschnittliche Temperatur in einem Krankenhaus". Weil die soziale Ungleichheit zwischen den Bevölkerungsschichten derart gravierend ist, erscheint es geboten, das Niveau des Durchschnittseinkommens für verschiedene Untergruppen zu ermitteln. Und wenn wir alle von uns befragten Frauen nach dem Niveau ihres Einkommens in zehn zahlenmäßig gleich große Gruppen ("Zehntel") einteilen, so unterscheidet sich das Einkommensniveau zwischen dem ersten und dem letzten Zehntel um ein 25-faches (siehe Graphik 2).

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Graphik 2: Verteilung des monatlichen Durchschnittseinkommens russischer Frauen je Familienmitglied nach Zehnteln (in US-Dollar beim Kurs von $ 1 = 30 Rubel)

Wie wir sehen, versteckt das durchschnittliche Einkommensniveau in Wirklichkeit eine bedeutende soziale Differenzierung. Aber welches Pro-Kopf-Einkommen ist das typischste für die Haushalte der russischen Frauen?

Über ein Einkommen bis zu 2000 Rubel pro Familienmitglied verfügen 70,9 % der Frauen (unter 1000 Rubel 37,7 %), und über ein Einkommen über 8000 Rubel 3,7 %. Am niedrigsten ist das monatliche Durchschnittseinkommen je Familienmitglied mit 1600 Rubeln bei den Frauen, die als Arbeiterinnen in der Industrie, auf Baustellen und im Transportwesen beschäftigt sind, ebenso im Staatsdienst mit 1810 Rubeln. Bei Staatsbeamten liegt der Wert dieses Indikators nicht viel höher, nämlich bei 2005 Rubeln, bei den Beschäftigten in Handel und im Dienstleistungsbereich mit 2145 Rubeln. Bei den Beschäftigten des Finanz- und Kreditgewerbes liegt das von ihnen angegebene Durchschnittseinkommen bei 2630 Rubeln, bei Ingenieuren beträgt es 2770 Rubel und bei Unternehmern 4160 Rubel. Betont werden muss, dass es hier um Indikatoren des Konsumbudgets geht, in welches anderweitig investiertes, z.B. in Kleingewerbe angelegtes Geld nicht einbezogen ist, ebenso wenig wie verschiedene Arten von Unterstützungsleistungen, die die betreffenden Familien erhalten, und Einkünfte aus Nebentätigkeiten.

Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass ein und dasselbe Einkommensniveau bei den in Russland bestehenden Unterschieden in den Lebenshaltungskosten in den verschiedenen Regionen in der Praxis sehr unterschiedliche Lebensniveaus bedeuten. Dieser Umstand erlaubt es also nicht, ein vollständiges Bild des realen Niveaus des materiellen Wohlbefindens der russischen Frauen allein auf der Grundlage des monatlichen Pro-Kopf-Einkommens zu zeichnen. Zur Nivellierung der Unterschiede zwischen den Regionen wurde in der Studie daher zuerst das für die jeweilige Region typischste Einkommensniveau ermittelt und dann in jeder einzelnen Region vier Gruppen von Familien unterschieden: Arme, schlecht Abgesicherte, durchschnittlich Abgesicherte und gut Abgesicherte.

[Seite der Druckausg.: 11]

Im Ergebnis zeigte sich, dass die Armen und die gut Abgesicherten etwa ähnlich stark vertreten waren, während die Zahl der durchschnittlich Abgesicherten die Zahl der schlecht Abgesicherten etwa um das Eineinhalbfache überstieg (siehe Graphik 3). Dabei erinnern wir daran, dass Haushalte von allein lebenden Rentnern, die in der Regel zu den Armen oder den schlecht Abgesicherten gehören, von unserer Stichprobe nicht erfasst wurden.



Graphik 3: Verteilung der russischen Frauen im Alter zwischen 17 und 50 Jahren nach dem Niveau ihres materiellen Wohlergehens (in Prozent)

Wenn man unter Berücksichtigung des oben Gesagten betrachtet, welche von den russischen Frauen ihre materielle Lage als "schlecht" einschätzten, so zeigt sich, dass dies besonders die "Armen" waren (60,3 % dieser Gruppe schätzten ihre materielle Lage als "schlecht" ein und nur 1,9 % als "gut"). Gleichwohl waren auch viele der deutlich besser gestellten Frauen unzufrieden mit ihrer materiellen Lage, was offensichtlich nicht einfach nur durch das Fehlen von Geld für das Nötigste zu erklären ist, sondern auch durch die unterschiedlichen Ansprüche unterschiedlicher Gruppen von Frauen (siehe Tabelle 4).

Tabelle 4: Einschätzung ihrer materiellen Lage durch die Frauen mit unterschiedlichem Pro-Kopf-Einkommen (in Prozent)

Arme

Schlecht
Abgesicherte

Durchschnittlich
Abgesicherte

Gut Ab-
gesicherte

Gut

1,9

3,3

10,8

30,2

Zufriedenstellend

37,8

50,5

62,1

62,6

Schlecht

60,3

46,2

27,1

7,2

Festzuhalten ist: Das Lebensniveau in der Gruppe der „Armen" ist derart niedrig, dass dies für die Mehrheit der Vertreterinnen dieser Gruppe völlig ausreicht, um mit ihrem Leben insgesamt unzufrieden zu sein (siehe Tabelle 5).

[Seite der Druckausg.: 12]



Tabelle 5: Einschätzung ihres Lebens insgesamt durch die Frauen mit unterschiedlichem Pro-Kopf-Einkommen (in Prozent)

Arme

Schlecht Abgesicherte

Durchschnittlich Abgesicherte

Gut Abgesicherte

Gut

5,1

12,9

23,0

40,3

Zufriedenstellend

37,8

43,9

44,9

43,9

Schlecht

57,1

43,2

32,1

15,8

Natürlich stellt sich die Frage, wer in erster Linie vom Risiko der Armut betroffen ist. Wie die Studie gezeigt hat, hängt sowohl das objektive (Pro-Kopf-Einkommen) als auch das subjektive (Selbsteinschätzung ihrer materiellen Lage) Niveau des materiellen Wohlergehens der Frauen vor allem von ihrem Wohnort ab (siehe Tabelle 6).



Tabelle 6 : Anteil der Gruppen, die sich nach dem Niveau ihres Pro-Kopf-Einkommens unterscheiden, in Abhängigkeit vom Wohnort der Frauen (in Prozent)

Großstädte

Gebietszentren

Rajonzentren

Dorf

Arme

8,6

3,0

10,5

27,2

Schlecht Abgesicherte

35,2

24,2

29,7

36,3

Durchschnittlich Abgesicherte

40,6

58,8

50,3

31,9

Wohlhabende

15,6

13,9

9,6

4,7

Wie aus Tabelle 6 ersichtlich, ist die Wahrscheinlichkeit, sich unter den Armen zu befinden, unter den Landbewohnerinnen dreimal höher als bei den Einwohnerinnen von Großstädten. Umgekehrt ist bei den Großstädterinnen die Wahrscheinlichkeit, sich unter den gut Abgesicherten zu befinden, zweimal höher als unter der Dorfbevölkerung.

Als zweitwichtigster, die materielle Lage russischer Frauen beeinflussender Faktor erwies sich der Koeffizient familiärer Belastung, die Zahl der von einem Verdiener abhängigen Familienmitglieder. Drei Viertel der durchschnittlich und der gut abgesicherten Familien waren Familien, wo es entweder gar keine abhängigen Familienmitglieder gab oder der Koeffizient der familiären Belastung unter 1 lag. Dagegen betrug dieser Koeffizient in zwei Dritteln der armen Familien und fast der Hälfte der schlecht abgesicherten Familien 1 oder mehr als 1.

Drittwichtigster Faktor bei der Bestimmung des Wohlstandsniveaus ist der berufliche Status der Frauen. Er hatte eine deutlich größere Bedeutung als der Wirtschaftszweig, in dem sie beschäftigt waren. Wenn zum Beispiel unter den Unternehmerinnen fast 60 % zu den gut Abgesicherten gehörten und unter den Abteilungsleiterinnen oder stellvertretenden Abteilungsleiterinnen 34,1 %, so waren dies unter den Hilfs- und den ungelernten Arbeiterinnen nur 3,1 % und unter den Facharbeiterinnen 5,3 %. Unter den Hochschulstudentinnen, die etwa 5 % der Stichprobe ausmachten, gab es überhaupt keine armen Vertreterinnen. Dies kann ein Zeichen dafür sein, dass junge Frauen aus armen Familien gegenwärtig praktisch keinen Zugang zu höherer Bildung, dieser wichtigen Sozialisierungsressource, haben.

[Seite der Druckausg.: 13]

Die zum Beitrag der Frauen zum Familienbudget gewonnenen Resultate, die zeigen, dass über die Hälfte der Frauen ihren Beitrag für jedenfalls nicht geringer als den ihres Ehemannes halten, erscheinen recht paradox, wenn man für den Normalfall annimmt, dass das Niveau des Wohlergehens einer Familie in der Regel vom Gehalt des Ehemannes abhängt. Tatsächlich war das Gehalt des Ehemannes selbst in den am besten gestellten Gruppen (Unternehmer, Führungskräfte oder Spezialisten) in 52-60 % der Fälle gleich hoch oder höher als das Gehalt der Frauen. In der am schlechtesten gestellten Gruppe, der Gruppe der Hilfsarbeiterinnen, betrug die Zahl der Familien, in denen das Gehalt des Ehemannes die wichtigste Grundlage des Familienbudgets bildete oder zu gleichen Teilen wie das der Ehefrauen dazu beitrug, indes ebenfalls über die Hälfte (57,9 %). All dies bestätigt, dass der berufliche Status der Frauen eng mit dem beruflichen Status ihres Ehemannes und seinem Einkommensniveau verbunden ist.

Von den Faktoren, die die materielle Lage der Familien mitbestimmt, müssen noch zwei weitere genannt werden, deren Wirkung relativ klar erkennbar ist, nämlich das Ausbildungsniveau der Frauen und ihre Zugehörigkeit zu verschiedenen Typen in Bezug auf ihre Lebensziele (siehe Tabellen 7 und 8).



Tabelle 7: Anteil der Frauen mit unterschiedlichem Bildungsgrad innerhalb der Gruppen, die sich nach dem Niveau ihres Pro-Kopf-Einkommens unterscheiden (in Prozent)

Ausbildungsniveau

Arme

Schlecht Abgesicherte

Durchschnittlich Abgesicherte

Wohl-habende

Nicht abgeschlossene mittlere

8,3

2,0

1,6

1,4

Mittlere

26,9

29,2

22,7

13,7

Mittlere Fachausbildung

51,3

44,2

37,3

25,9

Nicht abgeschlossene höhere

5,1

8,9

9,7

15,8

Höhere

7,7

15,2

27,1

39,6

Promotion, wissenschaftlicher Grad

0,6

0,5

1,6

3,6

Wie aus Tabelle 7 ersichtlich, sind die überwältigende Mehrheit der armen und in geringerem Maße die schlecht abgesicherten Frauen ohne höhere Bildung. Auf der Ebene der durchschnittlich Abgesicherten nähert sich die Anzahl der Frauen mit höherer (darunter auch nicht abgeschlossener höherer Bildung) der Marke von 40 %. In der Gruppe der Wohlhabenden beträgt der Anteil der Frauen mit höherer Bildung dagegen rund 60 %.



Tabelle 8: Anteil der Frauen mit verschiedenen Lebensorientierungen innerhalb der Gruppen, die sich nach dem Niveau ihres Pro-Kopf-Einkommens unterscheiden (in Prozent)

Frauentyp

Arme

Schlecht Abgesicherte

Durchschnittlich Abgesicherte

Wohlhabende

Karrieristinnen

5,8

13,2

18,3

36,0

Berufstätige

28,2

35,3

43,5

38,8

Hausfrauen

51,9

42,1

32,1

20,9

Enttäuschte

14,1

9,4

6,1

4,3

[Seite der Druckausg.: 14]

Nicht weniger deutlich ist nach den Daten von Tabelle 8 auch die wechselseitige Beziehung zwischen dem Lebensniveau und der Existenz bestimmter Lebensziele. Es ist zu sehen, dass die Chancen, zu den am Besten abgesicherten Gruppen zu gehören, bei den Frauen der verschiedenen Kategorien recht unterschiedlich sind.


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