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Nationale Eigenheiten und regionale Besonderheiten russischer Identität : deutsche Kurzfassung einer analytischen Studie des Mittelrussischen Consulting Centers / [Red.: Michael Frey] - [Electronic ed.] - Bonn, 2003 - 25 S. = 90 KB, Text & PDF-Files . - (Politikinformation Osteuropa ; 110) - ISBN 3-89892-182-4
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2003

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




[Seite der Druckausg.: 1-2 = Titelblatt]

[Seite der Druckausg.:3 = Inhaltsverzeichnis ]

[Seite der Druckausg.: 4]

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Einführung

Mehrjährige vom "Mittelrussischen Beratungszentrum" durchgeführte Untersuchungen haben bedeutende regionale Unterschiede in den Ansichten, Einschätzungen und Einstellungen der Russen ermittelt. Des öfteren zeigen sich Unterschiede nicht nur in der Bewertung der ökonomischen oder der politischen Situation, was leicht durch Differenzen in der sozioökonomischen Entwicklung einzelner Regionen zu erklären ist, sondern auch bei soziokulturellen Aspekten wie der Neigung zu Paternalismus oder sozialer Selbständigkeit, bei der Wahl der Wege zum Erfolg im Leben, der Arbeitsmotivation und dem Engagement bei der Suche nach zusätzlichen Einkommensquellen, bei der Toleranz gegenüber verschiedenen Minderheiten, der politischen Aktivität, des sozialpolitischen und ideologischen Selbstverständnisses, bei den Vorlieben in Bezug auf den Entwicklungsweg, den das Land wählen sollte, und bei der Bewertung der Beziehungen Russlands zu verschiedenen Ländern als freundschaftlich oder feindlich.

In diesem Zusammenhang kann man auch von der Existenz grundlegender Werteinstellungen sprechen, bei denen sich ein gewisser Konsens in der Gesellschaft herausgebildet hat, und die sich die Mehrheit der Russen, die in verschiedenen Regionen leben, zueigen machen. In den letzten zwei Jahren war dies vor allem die Forderung, Ordnung im Land herzustellen, ein höheres Lebensniveau sicherzustellen und das Ansehen Russlands in der Welt wiederherzustellen.

Die vorliegende Untersuchung, die im Auftrag der Moskauer Vertretung der Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt wurde, beabsichtigt, das Verhältnis von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in den Wertorientierungen der Bewohner Russlands gründlicher zu analysieren und die Besonderheit der gesamtnationalen und regionalen Identität der Russen näher zu bestimmen.

Auf der Grundlage welcher Ideen sind die Russen bereit, sich zu vereinigen? Als was fühlen sich die Russen in erster Linie: als Einwohner eines großen und einigen Russlands oder als Bewohner ihrer jeweiligen Region? Welche Probleme bewegen die Russen mehr und rufen größere Sorgen hervor: die Probleme des Landes oder die Probleme der Region? Wie sehen die Russen die Zukunft ihrer Region und des Landes insgesamt? Wollen sie in ihrer Region leben oder hoffen sie darauf, in eine andere Region Russlands zu ziehen? Oder wollen sie das Land überhaupt verlassen und sich in einem anderen Staat niederlassen? Dies sind die grundsätzlichen Fragen, die in der vorliegenden Studie behandelt werden.

Als Untersuchungsobjekte wurden die beiden am weitesten voneinander entfernten Regionen ausgewählt, das Kaliningrader Gebiet und die Verwaltungsregion Primorje ["Primorskij Kraj" bezeichnet eine Region im Fernen Osten, die jedoch nicht den Status eines Gebietes (oblast) hat, der Übersetzer.] , sowie eine der typischen Industrieregionen Zentralrusslands, das Gebiet Kirov.

Die Wahl des Kaliningrader Gebietes ist außerdem deswegen interessant, weil hier untersucht werden kann, wie die Kaliningrader das in europäischen und russischen politischen Kreisen wie auch in den Medien intensiv erörterte Problem Kaliningrads wahrnehmen, das mit dem bevorstehenden Beitritt Litauens und Polens in die Europäische Union verbunden ist.

[Seite der Druckausg.: 5]

Als wie schwierig nehmen die Kaliningrader dieses Problem wahr? Was beunruhigt sie in erster Linie, eine mögliche Isolation von Russland oder die Einschränkung der Möglichkeit, mehr oder weniger ungehindert die benachbarten europäischen Länder zu besuchen? Welche konkreten Folgen des Beitritts der Nachbarn in die EU erwarten die Kaliningrader? Was sollte die russische Regierung ihrer Ansicht nach tun, um die Spannungen zu verringern?

Interessant ist auch, das Verhältnis der Bewohner anderer russischer Regionen zum Problem Kaliningrad zu ermitteln. Inwiefern fallen die Positionen der Kaliningrader und der übrigen Russen auseinander oder zusammen? Davon ausgehend verwundert es nicht, dass dem Kaliningrader Gebiet in der vorliegenden Studie besondere Aufmerksamkeit gewidmet wurde.

Die Untersuchung wurde im Zeitraum von Juni bis September 2002 durchgeführt.

Insgesamt wurden befragt:

  • im Kaliningrader Gebiet: 969 Personen, darunter 599 im Alter zwischen 15 und 35 Jahren und 370 über 40 Jahre;
  • im Gebiet Kirov: 543 Personen, darunter 323 im Alter zwischen 15 und 35 Jahren und 220 über 40 Jahre;
  • in der Verwaltungsregion Primorje: 930 Personen, darunter 556 im Alter zwischen 15 und 35 Jahren und 374 über 40 Jahre.

Nachfolgend präsentieren wir eine kurze Darstellung der wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung.

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1. Einschätzung der eigenen materiellen Lage

In allen drei Regionen wurde unter den jungen Leuten ein positiver Zufriedenheitsindex in Bezug auf die Lebenssituation allgemein ermittelt: + 0,11 im Kaliningrader Gebiet, +0,10 im Gebiet Kirov und +0,22 in der Verwaltungsregion Primorje. Die ältere Generation zeichnet sich traditionell durch eine geringere Zufriedenheit mit ihrem Leben aus, wobei die Kirover über 40 Jahren in negativer Richtung deutlich aus der Reihe fallen (der Zufriedenheitsindex beträgt -0,21 gegenüber +0,01 im Kaliningrader Gebiet und +0.03 in der Verwaltungsregion Primorje).

Die jungen Leute schätzen ihre materielle Lage häufiger als zufriedenstellend denn als schlecht ein (+0.07 in der Verwaltungsregion Primorje und im Kaliningrader Gebiet und +0,11 im Gebiet Kirov). Die ältere Generation in allen drei Regionen bewertet die materielle Lage ihrer Familie negativ, -0,12 im Kaliningrader Gebiet und -0,32 im Gebiet Kirov. Nur in der älteren Generation der Primorsker, die sich in der Tat durch die höchsten Einkommensangaben je Familienmitglied auszeichnet, tendiert dieser Wert gegen Null: -0,01.

Die Jugend des Kaliningrader und des Primorje-Gebietes erwartet sechsmal häufiger eine Verbesserung ihrer Lage als eine Verschlechterung (der Bewertungsindex für die Perspektiven der Veränderung ihrer materiellen Lage beträgt +0,33 und +0,30). Die jungen Kirover sind mit +0,20 weniger optimistisch.

Die Kaliningrader und die Primorsker im Alter über 40 Jahren blicken zurückhaltender in die Zukunft, aber sie nehmen auch doppelt so häufig an, dass sich ihre materielle Lage in den nächsten zwei Jahren verbessern und nicht verschlechtern wird. Insofern unterscheidet sich die ältere Generation der grenznahen (Außen-) Regionen Russlands von den Kirovern derselben Altersgruppe, die bei weitem nicht so optimistisch in der Bewertung ihrer Perspektiven sind (dieser Wert liegt hier bei -0,02).

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2. Ängste

Wie in Russland insgesamt stellen die jungen Leute aus allen drei untersuchten Regionen die Angst vor Krieg auf den ersten und die vor Krankheit nahestehender Personen auf den zweiten Platz (vgl. Tabelle 2, S. ). Die Kaliningrader Jugend fügt der Liste der größten Sorgen zusätzlich noch die Angst vor dem Verlust der Gesundheit, der Arbeitslosigkeit und der Armut hinzu. Die jungen Kirover haben eine ähnliche Meinung und setzen die Angst vor Arbeitslosigkeit auf den dritten Platz. Die Jugend des Fernen Ostens (Primorje) ängstigt sich demgegenüber weniger als ihre Altersgenossen in den beiden anderen Regionen vor Arbeitslosigkeit. Hier fiel statt dessen die Angst vor Kriminalität und Gewalt unter die fünf wichtigsten Ängste.

Die Reihenfolge der Ängste der älteren Generation unterscheidet sich nicht prinzipiell von denen der jungen Leute, wenngleich Sorgen im Zusammenhang mit der eigenen Gesundheit bei den über 40-Jährigen häufiger sind als bei den jungen Leuten. Die ältere Generation ängstigt sich recht häufig vor Armut und Arbeitslosigkeit.

Besonders zu betonen ist, dass für die Grenzregionen spezifische Ängste wie die Angst vor einer "Isolation der Region, eines Abgetrenntseins von Russland" für die Kaliningrader und die "Flut von Übersiedlern aus anderen Staaten" in Primorje in der Hierarchie der Ängste

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sowohl bei den Jugendlichen als auch bei der älteren Generation die letzten Plätze, d.h. Platz 8-10, einnehmen. Im Gegenteil, bei den Ängsten der Befragten, selbst in so weit vom Zentrum entfernten Regionen wie dem Kaliningrader Gebiet und der Primorje-Region, ist stärker ein gesamtrussischer als ein ausgesprochen lokaler Bezug festzustellen. Dabei werden beide Probleme – die Isolation von Russland und der Zustrom von Übersiedlern – von den Befragten, wie nachfolgend gezeigt wird (Tabelle 2, S.13), zu den wichtigsten Problemen der jeweiligen Regionen gezählt..

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3. Identität: regionale, gesamtnationale und europäische

Rund die Hälfte der Befragten (zwischen 43 und 57 %) in allen Regionen und allen Altersgruppen sind Menschen mit einer überwiegend regionalen Identität, die sich vor allem als Einwohner ihres Gebietes oder ihrer Region verstehen (Tabelle 1).

Tabelle 1: Als was fühlen bzw. womit identifizieren sich die Befragten in erster Linie
(in Prozent aller, die diese Frage beantwortet haben)


Kaliningrader Gebiet

Gebiet Kirov

Primorje-Region


Junge Leute

Über 40 Jahre

Junge Leute

Über 40 Jahre

Junge Leute

Über 40 Jahre

Als Einwohner ihrer Region

53.5

43.4

47.5

57.0

47.7

44.6

Als Russen

36.0

45.1

38.0

29.5

25.0

25.7

Als Europäer

13.2

10.9

12.5

10.4

4.8

3.4

Als Bewohner des Fernen Ostens *

-

-

-

-

18.5

26.9

Andere Antworten

1.4

2.2

1.7

3.1

5.7

0.9

Gesamtzahl derer, die die Frage beantwortet haben

583

366

303

193

545

350

* Diese Antwortvariante wurde nur den Befragten in der Primorje-Region vorgeschlagen.

Im Kaliningrader Gebiet verstehen sich über die Hälfte der jungen Leute (54 %) in erster Linie als Kaliningrader, 36 % als Russen und nur 13 % als Europäer. Unter den Befragten über 40 Jahren war der Anteil derer mit einer überwiegend regionalen Identität deutlich niedriger (der niedrigste Wert in Regionen und Altersgruppen lag bei 43 %). Dagegen unterschied sich die ältere Generation der Kaliningrader dadurch, dass sich unter ihnen der höchste Anteil (von allen drei Regionen) von Personen mit einer überwiegend gesamtnationalen Identität fand (45 %) und entsprechend der Anteil der "Russen" in dieser Gruppe etwas höher lag als der der "Regionalisten", was ebenfalls eine Ausnahme darstellt.

Der Anteil derer, die sich vor allem als "Europäer" verstanden, war deutlich, nämlich um das Drei- bis Vierfache, niedriger als der Anteil der "Russen" und der "Kalingrader", was für Menschen, die nicht weit vom geographischen Zentrum Europas entfernt wohnen, etwas ungewöhnlich erscheinen mag. Dabei war der Anteil derjenigen mit einer überwiegend europäi-

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schen Identität im Kirover Gebiet, das sich im Herzen Russlands befindet, etwa ebenso hoch wie im Kaliningrader Gebiet. Offensichtlich identifizieren sich die Kaliningrader deutlich öfter entweder mit ihrer Region oder mit Russland insgesamt.

Interessanterweise fühlen sich die jungen Einwohner des Kirover Gebietes seltener als Bewohner ihrer Region (47,5 % gegenüber 57 %) und umgekehrt häufiger als "Russen" (38 % gegenüber 29.5 %) als die Vertreter der älteren Generation. Es ist anzunehmen, dass hier eine gewisse Verdrängung der regionalen durch die gesamtnationale Identität stattfindet, obwohl natürlich eine solche Vermutung noch gründlicher untersucht werden müsste.

Die Einwohner von Primorje fühlen sich seltener als die Bewohner anderer Regionen als Russen (25-26 %). Hier überwiegt klar die regionale Identität: Fast die Hälfte der Bewohner von Primorje (45-48 %) bezeichnen sich in erster Linie als Einwohner der Primorje-Region; jeder fünfte unter den Jugendlichen und jeder vierte Vertreter der älteren Generation fühlt sich in erster Linie als Einwohner des Fernen Ostens. Es fällt auf, dass in der älteren Generation etwas mehr "Fernostler" zu finden sind als "Russen".

Insgesamt muss betont werden, dass die Dominanz der regionalen vor der nationalen Identität keineswegs ausschließlich ein Kaliningrader Phänomen ist, wie es zum Teil in der Presse dargestellt wurde. Im Kirover Gebiet zum Beispiel ist eine solche Tendenz im selben Ausmaß zu beobachten und in der Verwaltungsregion Primorje sogar noch stärker.

Nach Ansicht sowohl der Kaliningrader wie auch der Einwohner von Primorje (unabhängig von ihrem Alter) ist der wichtigste positive Aspekt des Lebens in ihren Regionen nicht sozioökonomischer oder politischer Art, sondern territorial-geographisch, nämlich die Küste. Wenn bei den Bewohnern der Primorje-Region eine solche Dominanz freilich von einer absoluten Mehrheit (59 %) der Befragten, die geantwortet haben, über 40 Jahren und von 64 % der jungen Leute angegeben wurde, so war dies bei den Kaliningradern nur fast halb so oft der Fall (34 % bzw. 31 %).

Die Kaliningrader setzten die Nähe zu Europa, die es erlaubt, sich als Europäer zu fühlen, als weiteren positiven Aspekt auf Platz zwei (22 % bei den Älteren und 28 % bei den jungen Leuten). In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass auf die direkte Frage nach der eigenen Identität nur 11-13 % der Kaliningrader eine europäische Identität nannten. Die Kaliningrader schätzen die Nähe zu Europa und das Gefühl, Europäer zu sein, mehr als die praktische Möglichkeit, häufig in europäische Staaten zu reisen (18 % der jungen und 12,5 % der Befragten über 40 Jahren).

Im Unterschied zu den Bewohnern von Primorje, die im wesentlichen die Anziehungskraft ihrer Region nur mit der Küste verbinden (64 % der jungen und 59 % der Vertreter der älteren Generation) und alle übrigen denkbaren Vorzüge fünf- bis zehnmal seltener nennen, betonen die Kaliningrader auch noch andere Vorzüge. Jeder Fünfte unter den jungen Leuten und 14 % der Vertreter der älteren Generation sind überzeugt, dass das Lebensniveau in Kaliningrad höher ist als in vielen anderen Regionen Russlands. 18 % der jungen und 10-12 % der älteren Befragten schätzten die Entfernung von anderen russischen Regionen, die ihnen mehr Freiheit und Selbständigkeit gibt, hoch ein. Gute natürliche und klimatische Bedingungen nannten 11 % der jüngeren und 15 % der über 40-Jährigen Kaliningrader als attraktive Besonderheit des Kaliningrader Gebietes. So finden die Kaliningrader in ihrer Region deutlich mehr und verschiedenartigere attraktive Seiten als die Bewohner von Primorje.

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4. Die politisch-ideelle Identität

Über die Hälfte der jungen Befragten (54-62 %) in allen drei Regionen gaben an, dass demokratische Ideen ihren Ansichten am ehesten entsprechen. Solche Ansichten vertreten zwischen 38 % und 55 % der älteren Generation. Bei den über 40-Jährigen genießen kommunistische Ideen nach wie vor eine gewisse Popularität (zwischen 16 % im Kaliningrader Gebiet und 23 % in der Verwaltungsregion Primorje), während sie von den jungen Leuten zwei- bis dreimal seltener geteilt werden (6-12 %). Nationalistische Ideen werden etwas häufiger als andere von den jungen Leuten in der Primorje-Region befürwortet (10 %), sozialdemokratische Ansichten besonders von den älteren Kirovern (14,5 %). Zentralistische Ideen sind sowohl unter den jungen Kaliningradern wie auch unter den Befragten über 40 Jahre dieses Gebietes überaus verbreitet (16-18 %).

Mit der politisch-ideellen Identität der Befragten hängt auch ihre Vorliebe in Bezug auf den von Russland zu wählenden Entwicklungsweg eng zusammen. In allen drei Regionen kann man eine verhaltene Tendenz beobachten: es überwiegen diejenigen, die Russland in näherer Zukunft als demokratischen, auf Prinzipien der ökonomischen Freiheit gegründeten Staat sehen wollen. Unter den jungen Leuten schwankt dieser Anteil zwischen 44 % (Kaliningrader Gebiet) und 59 % (Kirover Gebiet), unter den Vertretern der älteren Generation zwischen 32 % (Gebiet Kirov) und 41 % (Kaliningrader Gebiet). Als Zweites wird Russland als starke Großmacht gewünscht, die von anderen Staaten geachtet und gefürchtet wird

Wir stellen insbesondere fest, dass eine Zukunft Russlands als starke und autoritäre Großmacht für die Kaliningrader besonders attraktiv ist, sowohl für die Jungen als auch für die über 40-Jährigen. Unter den jungen Befragten des Kaliningrader Gebietes ist eine solche Zukunftsvision ebenso erwünscht wie eine Entwicklung zum demokratischen, auf Prinzipien ökonomischer Freiheit gegründeten Staat. Ein Staat sozialer Gerechtigkeit, in dem die Macht (nach Art der UdSSR) den Werktätigen gehört, ist traditionell für die Vertreter der älteren Generation um das Zwei- bis Dreifache attraktiver als für die jungen Leute. Dies erwies sich in allen drei Regionen gleichermaßen. Schließlich weckt die Entwicklungsperspektive Russlands als eines auf nationale Traditionen und die Ideale einer wiedergeborenen Orthodoxie begründeten Staates am wenigsten Interesse.

Unter den Ideen, die die Russen begeistern und sie im Namen eines gemeinsamen Ziels vereinen könnten, ist in allen drei Regionen die Idee der Steigerung der Lebensqualität am populärsten (33%-48 %), wobei diese Idee bei den jungen Kaliningradern und den Bewohnern von Primorje am beliebtesten ist. Fast ebenso populär als führende nationale Idee ist das Bestreben, Ordnung im Land zu schaffen (29 %-48,5 %). Die ältere Generation der Bewohner von Primorje setzte dies auf den ersten Platz.

Die Vertreter der jungen Generation nennen etwa die Schaffung einer effektiven Marktwirtschaft an dritter (Kaliningrader Gebiet und Primorje-Gebiet) oder vierter (Kirover Gebiet) Stelle, während bei den über 40-Jährigen nur die Einwohner von Primorje diese Idee zu den ersten fünf Vorlieben zählten. In dieser Frage sind also erhebliche altersspezifische Unterschiede zu beobachten. Jeder Vierte bis Fünfte ist der Meinung, dass die Idee der Wiedererrichtung einer starken und weltweit geachteten Großmacht Russland einen könnte, und die jungen Kirover nennen dies sogar an zweiter Stelle (32 %).

Im Ergebnis sind bezüglich der nationalen Ideen, ungeachtet der großen Entfernung zwischen den von dieser Studie erfassten Regionen, keine grundlegenden Unterschiede zu beobachten.

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Interessant ist, dass beispielsweise unter den jungen Leuten aus so gegensätzlichen Regionen wie dem Kaliningrader Gebiet und der Primorje-Region die Hierarchie der die Russen verbindenden Ideen fast deckungsgleich ist. Hier erscheinen die altersspezifischen Unterschiede aufschlussreicher.

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5. Einstellung zum Patriotismus

Die absolute Mehrheit der Befragten hält sich für russische Patrioten. Am höchsten ist dieser Anteil unter den Einwohnern des Kaliningrader Gebietes (63-68 %), vergleichsweise niedrig unter den jungen Leuten der Primorje-Region (52 %). Insgesamt ist in allen drei Regionen unter den jungen Leuten der Anteil derer, die sich für Patrioten halten, geringer als unter den Vertretern der älteren Generation. Zu betonen ist jedoch, dass der Anteil derjenigen recht hoch liegt (rund ein Viertel), die Schwierigkeiten hatten, diese Frage zu beantworten. Schließlich gaben 13-18 % der Befragten an, dass sie sich nicht für Patrioten halten; ihr Anteil war in allen Regionen bei den jungen Leuten etwas höher als bei den über 40-Jährigen.

Zu den Hauptcharakteristika des Patriotismus zählen die jungen Leute in allen drei Regionen die Liebe zur Heimat, den Glauben an die Zukunft Russlands und die Bereitschaft, Russland mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Dabei setzen die jungen Kaliningrader und Bewohner von Primorje die Liebe zur Heimat an erste Stelle, die Kirover die Bereitschaft, sie mit der Waffe zu verteidigen. Ähnliche Ansichten zum Patriotismus haben auch die Vertreter der älteren Generation.

Relativ viele Befragten, besonders in den Grenzregionen des Landes (16,5-24 %), nannten den Stolz darauf, Bürger eines großen und mächtigen Landes zu sein, als ein Element des Patriotismus. Aufschlussreich ist auch, dass die Kaliningrader und die Bewohner der Primorje-Region etwas häufiger als die Kirover (17-19 % gegenüber 10-15 %) auch mit Patriotismus das Bemühen verbinden, Kräften entgegenzuwirken, die versuchen, Russland von innen zu zerstören bzw. zu sprengen. Insgesamt dominiert eine positive Sicht des Patriotismus über eine isolationistische und aggressive Sichtweise.

Ein großer Teil der Befragten (61-70 %) in allen drei Regionen (sowohl bei den Jungen als auch bei den Vertretern der älteren Generation) meint, dass Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion den Status einer Großmacht verloren hat, während ein Drittel annimmt, dass Russland diesen Status erhalten konnte. Als Kennzeichen einer Großmacht werden von den Befragten drei Merkmale als wichtigste hervorgehoben: eine entwickelte Wirtschaft und Industrie, eine mächtige Armee, die mit modernen Waffen ausgestattet ist, und ein hohes allgemeines Lebensniveau. Die Jugend der Primorje-Region und die Befragten des Kirover Gebietes stellen eine entwickelte Wirtschaft und Industrie auf den ersten Platz. Die jungen Kaliningrader betonen besonders die Existenz einer starken Armee, die mit den modernsten Waffen ausgerüstet ist. Gleichzeitig nennen die älteren Kaliningrader ebenso wie die Einwohner Primorje-Gebietes als erste Eigenschaft einer Großmacht ein hohes Lebensniveau ihrer Bürger.

[Seite der Druckausg.: 11]

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6. Die Bewertung der Situation in der Region und im Land insgesamt

Seit dem Frühjahr 2001 stellen die Mitarbeiter des "Mittelrussischen Consulting Center" eine Zunahme des Anteils junger Russen fest, die die Situation im Land positiv einschätzen (von 33 % auf 45 %) und einen stabilen Rückgang derjenigen jungen Leute, die negative Bewertungen abgeben (von 25,5 % auf 20 %) [Siehe "Die Jugend Rußlands und die Werte der Zivilgesellschaft", Seite 26. ].
Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung erlauben es, vom Anhalten dieser Tendenz zu sprechen.

Die Einwohner des Kaliningrader Gebietes bewerten die Situation in ihrer Region praktisch ebenso positiv wie die Situation in Russland insgesamt. Der Anteil derjenigen, die eine deutliche Verbesserung in der Region feststellt, deckt sich mit dem Anteil derjenigen, die eine Verbesserung im gesamten Land sehen (11 %). Auch die Anteile derer, die sich um den Zustand der Dinge in der Region und im Land Sorgen machen, sind gleich groß (17 %), ebenso wie derjenigen, die meinen, sowohl in der Region als auch in Russland insgesamt habe sich die Situation deutlich verschlechtert (4-5 %). Dasselbe gilt auch für die Vertreter der älteren Generation, bei denen allerdings die Lage der Dinge in der Region etwas mehr Besorgnis hervorruft als die Situation des Landes insgesamt (23 % gegenüber 17 %).

Im Primorje-Gebiet ist die Bewertung der Situation der Region ebenfalls fast vollständig identisch mit der Bewertung der Situation im Land. Hier äußert die ältere Generation etwas mehr Sorge in Bezug auf die Situation in der Region.

Die Einwohner des Gebietes Kirov sind offensichtlich überzeugt, dass ihre Region bedeutend schlechter lebt als das übrige Russland. Die Jugend Kirovs gibt zweimal seltener eine Verbesserung der Situation in der Region an als eine Verbesserung der Situation im Land (7,5 % gegenüber 16 %; in der älteren Generation sind es 5,5 % gegenüber 7 %) und zeigt deutlich seltener Hoffnung in Bezug auf die Zukunft (18 % gegenüber 28 %; bei der älteren Generation sind es 7 % gegenüber 21 %). Jeder vierte Einwohner des Gebietes Kirov ist unabhängig von seinem Alter (23 % unter den Jüngeren und 26 % unter den Vertretern der älteren Generation) der Ansicht, dass in den vergangenen zwei Jahren die Situation in der Region deutlich schlechter wurde, während diese Einschätzung in Bezug auf die Situation im Land insgesamt nur 8 % der jungen und 14 % der älteren Leute teilen.

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7. Vorstellungen über die Hauptprobleme der Regionen

Bei der Einschätzung der Hauptprobleme ihrer Regionen wurde in allen drei Regionen von den Befragten am häufigsten das niedrige Lohnniveau als wichtigstes Problem genannt (Tabelle 2). Eines der wichtigsten Probleme ist außerdem überall die Arbeitslosigkeit; seltener werden in allen drei Regionen Probleme wie fehlende Freizeitmöglichkeiten, fehlende Möglichkeiten, die gewünschte Ausbildung zu erhalten, und schlechte medizinische Versorgung genannt.

Für die Kaliningrader zählt das Problem der Entfernung und des Abgeschnittenseins von Russland zu den wichtigsten und wird in seiner Bedeutung nur vom Problem des niedrigen Lohnniveaus überholt (44 % der jungen und 36 % der Befragten über 40 Jahre). In Primorje nimmt das Problem eingeschränkter Freizügigkeit im Land nur den neunten Platz in der Hierarchie der Probleme der jungen Leute ein, und auch für die ältere Generation ist es nicht wichtiger als die Arbeitslosigkeit oder die Energieversorgung der Region.

[Seite der Druckausg.: 12]

Interessant ist, dass die Kaliningrader, die das Problem der beschränkten Bewegungsfreiheit am stärksten empfinden, tatsächlich häufiger als die Einwohner von Primorje oder Kirov die Grenzen ihres Gebietes überschreiten. Im Grunde ist dies nicht erstaunlich, da bisher nur ökonomische Faktoren, die in den anderen Regionen nicht weniger akut sind, die Kaliningrader darin einschränken, andere Regionen Russlands zu besuchen.

Dafür haben die Kaliningrader die Möglichkeit, relativ frei die benachbarten Länder Litauen und Polen zu besuchen. Insgesamt besuchen die Kaliningrader diese beiden Staaten ebenso häufig wie russische Regionen (44 %). Eher rührt die besonders scharfe Wahrnehmung des Problems eingeschränkter Bewegungsmöglichkeit durch die Kaliningrader daher, dass es den Massenmedien noch ein halbes Jahr vor dem Beitritt Litauens und Polens in die EU gelungen ist, den Einwohnern von Kaliningrad das Gefühl des Lebens in einer Enklave einzuflößen, die gar nicht weit vom Rest des Landes entfernt liegt, aber dennoch künstlich davon abgetrennt wird. Die Einwohner von Primorje nehmen ihre Entfernung vom Zentrum Russlands gelassener wahr und betrachten sie als eine objektive, geographisch bedingte Realität.

Dennoch wird der bevorstehende Beitritt Litauens und Polens zur Europäischen Union, der die Verbindung mit dem Rest Russlands tatsächlich einzuschränken droht, von den Einwohnern des Kaliningrader Gebietes bislang eindeutig nicht als ernsthaftes Problem angesehen. Nur 15 % der jungen und 12 % der Vertreter der älteren Generation zählten ihn zu den Hauptproblemen. Dies ist dadurch zu erklären, dass der Beitritt Litauens und Polens zur Europäischen Union im Kaliningrader Gebiet bei weitem keine eindeutige Reaktion hervorruft. Die Kaliningrader teilen sich in dieser Frage in zwei Lager.

Zum Zeitpunkt der Untersuchung waren der fehlende Wohnraum (23 %), Arbeitslosigkeit (21 %) und der Anstieg der Kriminalität (19 %) im Prinzip wichtigere Probleme für die jungen Kaliningrader, und für die Vertreter der älteren Generation in Kaliningrad waren dies die steigende Kriminalität (21 %) und die in der Region weite Verbreitung von Trunkenheit, Alkoholismus und Drogenabhängigkeit (18 %).

Das Problem des Beitritts der Nachbarn in die Europäische Union stellt sich bisweilen für die jungen Einwohner des Kaliningrader Gebietes keineswegs wichtiger dar als die Probleme Migranten (18 %), Zunahme des Alkoholismus und der Drogenabhängigkeit (17 %), die Verbreitung von Prostitution und AIDS (16 %) sowie die schlechte Verkehrsinfrastruktur (16 %).

Die wichtigste Eigentümlichkeit bei der Wahrnehmung der regionalen Probleme durch die Befragten aus Primorje besteht darin, dass für sie sehr viele Probleme häufiger wichtiger sind, als dies in den anderen beiden Regionen der Fall ist. Erstens widmen sie häufiger als andere ihre Aufmerksamkeit Problemen wie der Ordnung und der generellen Lebenssicherheit. Im Primorje-Gebiet sind die Menschen mehr als die anderen durch das Problem der Arbeitslosigkeit (25 % bei den Jungen und 28 % der über 40-Jährigen) betroffen. Und zweitens nennen die Befragten aus Primorje, besonders die jungen, häufiger als andere das Problem der Migranten aus den Nachbarländern (24,5 % der jungen Leute und 20 % der Vertreter der älteren Generation). Unter Migranten werden hier nicht Menschen aus dem Kaukasus verstanden, wie bei der Mehrheit der zentralrussischen Regionen, sondern die Nachbarn aus China. Es überrascht nicht, dass die Positionen der "Patrioten" und der "Nichtpatrioten" sich in Bezug

[Seite der Druckausg.: 13]

Tabelle 2: Vorstellungen über die Hauptprobleme ihrer jeweiligen Region
(in Prozent derer, die die Frage beantwortet haben)


Kaliningrader Gebiet

Gebiet Kirov

Region Primorje


Junge Leute

Über 40 Jahre

Junge Leute

Über 40 Jahre

Junge Leute

Über 40 Jahre

Fehlender Wohnraum

23,3

14,2

14,2

17,5

11,4

13,8

Arbeitslosigkeit

20,7

15,6

20,6

24,3

25,1

28,2

Niedriger Arbeitslohn


36,1

52,3

59,2

49,3

57,1

Entfernung von Russland, begrenzte Möglichkeiten, sich frei in seinem Land zu bewegen *

22,6

22,5

4,3

1,9

20,3

28,8

Flut von Übersiedlern aus anderen Regionen Russlands und aus anderen Ländern

17,7

16,7

18,1

12,6

24,5

20,3

Der bevorstehende Beitritt Litauens und Polens in die Europäische Union

15,0

11,9

-

-

-


Probleme mit der Energieversorgung der Region

-

-

-

-

29,2

28,2

Schlechte Infrastruktur (Verkehrswege)

15,7

15,3

20,6

21,8

23,4

25,4

Schlechte Qualität der medizinischen Versorgung

12,2

15,8

8,9

16,0

11,4

13,6

Fehlende Möglichkeit, eine gute Ausbildung zu bekommen

9,2

4,7

8,2

4,4

4,1

3,7

Ökologische Probleme

12,2

9,4

12,1

16,0

22,9

18,6

Schlechter Zustand der kommunalen Wirtschaft

11,7

12,8

18,9

24,3

22,9

24,9

Fehlende Freizeitmöglichkeiten

4,4

2,2

10,0

1,5

4,8

1,7

Anstieg der Kriminalität

19,4

21,4

17,4

16,5

19,0

24,3

Trunkenheit, Alkoholismus, Drogenabhängigkeit

16,6

18,1

20,6

17,5

21,4

21,5

Prostitution, AIDS

16,3

14,2

8,9

3,9

9,4

7,3

* [Für die Befragten des Gebietes Kirov war die Antwortvariante wie folgt formuliert: "Beschränkte Möglichkeit, aus dem Gebiet auszureisen und sich frei im Land zu bewegen".]

[Seite der Druckausg.: 14]

auf dieses Problem deutlich unterscheiden. Erstere halten das Problem der Migranten für eines der Wichtigsten nach dem Problem des niedrigen Arbeitslohns (27 %), während Letztere es nur auf den neunten Platz setzen (17 %).

Die Struktur der Hauptprobleme des Kirover Gebietes ist absolut nachvollziehbar für eine Region, in der die Bevölkerung über ein relativ niedriges Einkommensniveau verfügt. Die Bewohner des Gebietes sorgen sich in erster Linie um ihr niedriges Lebensniveau und die Arbeitslosigkeit.

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8. Wer löst die Probleme der Region?

Die Einwohner aller drei Regionen verbinden ihre Hoffnungen auf eine Lösung der Probleme ihrer Territorien nicht so sehr mit den Regionalverwaltungen, sondern eher mit der Intervention der Zentralmacht, des Präsidenten oder der Regierung. Im Kaliningrader Gebiet hoffen 42 % der jungen Leute und 36 % der Vertreter der älteren Generation auf Hilfe von Seiten des Präsidenten oder der Regierung. In die Regierung des Kaliningrader Gebietes setzen anderthalb bis zweimal weniger (18,5 % der Jungen und 22,5 % der über 40-Jährigen) ihre Hoffnungen.

Die Bewohner von Primorje vertrauen der Regionalregierung häufiger. Jeder fünfte Einwohner der Region hofft unabhängig vom Alter darauf, dass die Regionalregierung selbst in der Lage ist, die Probleme der Region zu lösen. Hilfe von Seiten der Zentralregierung erwarten die Bewohner von Primorje seltener als die Kaliningrader und die Kirover (34 % der jungen und 26 % der älteren Befragten).

Wir weisen darauf hin, dass in allen drei Regionen die jüngeren Leute häufiger auf den Präsidenten hoffen als die Vertreter der älteren Generation. Ganz geringe Hoffnungen legen die Befragten in die örtliche Selbstverwaltung (Stadt-, Rajonverwaltungen usw.) und die Abgeordneten der Staatsduma, die von der Region entsandt wurden (unter 10 %). Besondere Aufmerksamkeit verdient auch die Tatsache, dass ein nicht geringer Teil der Kaliningrader (15 % der jungen und 13 % der älteren Leute) in Bezug auf die Lösung der Probleme des Gebietes Hoffnungen auf Hilfe seitens der Länder der Europäischen Union haben. Zum Vergleich merken wir an, dass unter den Bewohnern von Primorje nur 4,5 % der jungen und 5 % der älteren Befragten auf Hilfe seitens der Nachbarn China, Korea und Japan hoffen.

Interessant ist, dass die Kaliningrader von den europäischen Staaten vor allem Hilfe bei den Problemen wie fehlende Freizeitmöglichkeiten (32 %), der schlechten Verkehrsinfrastruktur (28 %) und der kommunalen Wirtschaft (23 %) sowie der schlechten medizinischen Versorgung (21 %) erwarten. Die Einwohner des Kaliningrader Gebietes hoffen also, dass die Europäer die Region auf ihre eigenen, europäischen Standards der Lebensqualität anheben. Vom Präsidenten wird die Lösung ernster politischer Probleme wie der begrenzten Freizügigkeit im eigenen Land (58 %) und der negativen Folgen des Beitritts Litauens und Polens in die EU (56 %) erwartet. Interessanterweise wird sogar die Verbesserung des schlechten Zustands der kommunalen Wirtschaft von den Kaliningradern häufiger von der zentralen als von der regionalen oder lokalen Regierung erwartet (33 % gegenüber 24 % und 15 %).

[Seite der Druckausg.: 15]

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9. Einschätzung der Entwicklungsperspektiven Russlands und der Regionen

Auf die Frage, was das Gebiet in nächster Zukunft zu erwarten hat, gaben 36,5 % der jungen Leute in Kaliningrad an, dass ungeachtet der unausweichlichen Schwierigkeiten die Situation in der Region sich bessern wird. Unter den Vertretern der älteren Generation teilten 30 % der Befragten diese Ansicht. Weitere 18 % der Jungen und 14 % der über 40-Jährigen sind überzeugt, dass sich das Gebiet erfolgreich entwickeln wird. Nur 5,5 % der jungen und 7 % der älteren Kaliningrader erwarten eine Verschlechterung der Situation im Gebiet in nächster Zukunft. Wir betonen, dass die Sorge um die Zukunft der Region bei den Einwohnern des Kaliningrader Gebietes noch weiter verbreitet ist als die Sorge um die gegenwärtige Lage (29 % unter den jungen Leuten und 38 % unter den Vertretern der älteren Generation).

Am pessimistischsten werden die Perspektiven ihrer Region von den Einwohnern des Kirover Gebietes bewertet, wo weniger als ein Drittel der jungen Leute (29 %) und nur 12 % der Vertreter der älteren Generation auf eine erfolgreiche oder wenigstens mehr oder weniger gute Entwicklung der Situation im Gebiet hoffen. Gleichzeitig äußerten 28 % der jungen Kirover und 38 % der älteren Besorgnis in Bezug auf die Zukunft des Gebietes. Weitere 26 % der jungen und 28 % der über 40-Jährigen Kirover haben keinen Zweifel daran, dass sich die Situation der Region in der nächsten Zeit verschlechtern wird. Im Primorje-Gebiet sind positive Erwartungen etwas weiter verbreitet als im Kaliningrader Gebiet, der Grad an Besorgnis ist etwas niedriger: Die Zukunft der Region ruft bei 22 % der jungen Bewohner von Primorje und bei 33 % der Vertreter der älteren Generation Besorgnis hervor, die Zukunft Russlands bei 21 % der Jungen und 27 % der Befragten über 40 Jahre.

Die überwiegende Mehrheit der Kaliningrader und der Kirover wollen ihre Region nicht verlassen (69 % der Kaliningrader aller Altersgruppen und der Kirover über 40 Jahre und 62 % der Kirover jungen Leute). Im Primorje ist die Hälfte der Befragten bereit, die Region zu verlassen, wenn sich eine solche Möglichkeit bietet (51 % der jungen und 45 % der über 40-Jährigen Bewohner von Primorje). Von allen Orten, die die Betreffenden gegen ihre Region tauschen würden, ist Moskau am attraktivsten. 15-16 % der Kaliningrader hätten nichts dagegen, sich in der Hauptstadt anzusiedeln, 17,5-20 % der Kirover und 22-24 % der Bewohner von Primorje. Andere Regionen Russlands genießen deutlich weniger Popularität. Lieber würden die jungen Kaliningrader in ein anderes Land auswandern (11,5 %). Besonders großes Interesse an einer Auswanderung zeigen die jungen Bewohner von Primorje, von denen 19 % unter entsprechenden Umständen einen anderen Staat als Wohnort wählen würden. Die ältere Generation ist etwas seltener bereit, Russland zu verlassen (8 % im Kaliningrader und Kirover Gebiet und 12 % im Primorje-Gebiet).

Die Einwohner des Kaliningrader Gebietes nannten 15 Länder, in die sie gerne für immer auswandern würden; dabei fällt die Wahl bei der Hälfte der jungen auswanderungswilligen Kaliningrader auf Deutschland, bei einem Viertel auf die USA. 10 % der Kaliningrader würden Polen als ständigen Wohnort vorziehen, weitere 10 % gaben an, dass sie in jedes beliebige Land Europas gehen würden, 5 % würden Israel wählen. Interessanterweise gab kein einziger Kaliningrader an, nach Litauen, Lettland oder Estland auswandern zu wollen. Die ältere Generation der Kaliningrader zeigt nur für eine Verlagerung des ständigen Wohnsitzes nach Deutschland Interesse. Die Bewohner von Primorje sind klar auf ihre Region um den Stillen Ozean hin orientiert und halten die USA (22 %) und Australien (21 %) für die anziehendsten Länder im Hinblick auf einen ständigen Wohnsitz. Häufiger als andere nennen sie auch Kanada (9 %), Deutschland (8 %), Japan (7 %) und Neuseeland (4,5 %). Unter den jungen Bürgern des Kirover Gebietes würden 12 % derer, die auf die Frage geantwortet haben, gerne in ein anderes Land auswandern, und unter den Vertretern der älteren Generation der Kirover 8 %.

[Seite der Druckausg.: 16]

Insgesamt wurden 14 Länder genannt, wobei wie schon bei den Kaliningradern Deutschland (23 %) und die USA (19 %) die beliebtesten waren.

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10. Der Mobilitätsgrad

Die Bewohner des Kaliningrader Gebietes sind die mobilsten unter den drei untersuchten Regionen. Unter den Kirovern und den Bewohnern von Primorje haben 31-33 % der jungen Befragten und 41-45 % der Vertreter der älteren Generation kein einziges Mal die Grenzen ihrer Region verlassen, während dies unter den Kaliningradern 21-22 % waren. Der Anteil derjenigen jungen Leute, die selten ihr Gebiet oder ihre Region verlassen (seltener als einmal jährlich oder nicht häufiger als ein- bis dreimal im Jahr), ist in allen drei Regionen im Grunde gleich (61-62 %). Der Anteil der Kaliningrader, die über viermal im Jahr aus ihrer Region ausgereist sind, übersteigt den entsprechenden Anteil der Kirover und Primorjer um das Zweieinhalb- bis Dreifache (18 % gegenüber 7 bzw. 6 %).

Zusätzlich dazu, dass 45 % der jungen Kaliningrader und 40 % der älteren in andere Regionen Russlands gereist sind, sind über die Hälfte der jungen (54 %) und fast die Hälfte der über 40-Jährigen Kaliningrader (47 %) in ausländische Staaten gereist (wobei die 17 % der jungen und 20 % der älteren Befragten nicht mitgezählt sind, die nach Weißrussland reisten). Natürlich wurden unter den ausländischen Staaten, die von den Kaliningradern besucht wurden, am häufigsten Polen (31 % der jungen Leute und 24 % der Vertreter der älteren Generation) und Litauen (23,5 % bzw. 19,7 %) genannt. Deutlich seltener wurde Deutschland als Reiseland angegeben (4 %).

Die Bewohner von Primorje reisten öfter als die Kaliningrader in andere Regionen Russlands (71 % der jungen und 69,5 % der älteren Generation) und besuchten seltener benachbarte und andere Staaten (39 % und 34 %). Unter den benachbarten Staaten ist China das Hauptreiseziel, das von 24 % der Jungen und 19 % der über 40-Jährigen besucht wird. Korea besuchten entsprechend 7 % und 4 %, Japan 6 % bzw. 9 %.

Die Kirover, die im Unterschied zu den Kaliningradern und den Bewohnern des Fernen Ostens nicht in einer Grenzregion wohnen, was ihnen ermöglichen würde, benachbarte ausländische Staaten häufig zu besuchen, fahren fast nie ins Ausland (4 %). Ihre häufigsten Reiseziele sind Moskau (55 % der jungen und 40 % der über 40-Jährigen Befragten) und andere Regionen Russlands (38 % der jungen und 58 % der Vertreter der älteren Generation). Weitere 10-12 % der Kirover antworteten, dass sie Länder der GUS besuchten.

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11. Bewertung des bevorstehenden Beitritts Litauens und Polens zur EU

Nur eine unbedeutende Minderheit der Einwohner des Kaliningrader Gebietes meint, dass der Beitritt Litauens und Polens zur EU die Situation in der Region überhaupt nicht beeinflusst (6 % der jungen und 9,5 % der älteren Generation). Drei Viertel der Einwohner des Kaliningrader Gebietes haben bereits eine feste Meinung zu diesem Ereignis (sowohl bei den Jungen als auch bei den Älteren konnten 23 % der Befragten keine Antwort geben).

Zum Zeitpunkt der Untersuchung war die öffentliche Meinung der Kaliningrader in Bezug auf die Frage, wie der Beitritt Litauens und Polens zur EU die Entwicklung des Kaliningrader Gebietes beeinflusse, klar geteilt. Dies trifft besonders für die jungen Leute zu, von denen ein Drittel positive Folgen und ein weiteres Drittel negative Folgen erwartet (Diagramm 1-A).

[Seite der Druckausg.: 17]

Wie zu erwarten war, überwiegen bei den Vertretern der älteren Generation die negativen Erwartungen die positiven (46,5 % gegenüber 20,6 %). Man kann jedoch auch nicht die Augen davor verschließen, dass dennoch jeder fünfte Kaliningrader über 40 Jahre auf positive Folgen des Beitritts der Nachbarn in die EU hofft (Diagramm 1-B).

Die Unterschiede zwischen den Optimisten und den Pessimisten werden von vielen Faktoren bestimmt, wobei das Alter, die soziale Lage, die Höhe des Einkommens, das Niveau der sozialen Selbsteinschätzung, der Mobilitätsgrad, die dominierende Identität und politische und ideologische Vorlieben die wichtigsten sind.

Die erfolgreicheren, mobileren, besser an die gesellschaftliche Situation in der Region angepassten, liberale und demokratische Werte teilenden und auf europäische Werte hin orientierten Personen, sowie solche, die die Schaffung eines Rechtsstaates und einer Zivilgesellschaft als Entwicklungsweg für Russland wünschen, halten positive Folgen des Beitritts Litauens und Polens zur EU für das Kaliningrader Gebiet für wahrscheinlich. Sie sind selbstbewusst, und die Notwendigkeit, Antworten auf die neuen politischen und ökonomischen Herausforderungen zu finden, die mit der Erweiterung der EU um Litauen und Polen verbunden sind, erschreckt sie nicht.

Den anderen Pol bilden die Kaliningrader, die meinen, dass der Beitritt der Nachbarländer in die EU negative Folgen haben wird. Unter ihnen sind diejenigen am häufigsten, die kommunistische und nationalistische Ansichten teilen, die sich im Gegensatz zur westlichen Welt und ihren Werten sehen, die häufig Patriotismus als Isolationismus verstehen oder meinen, dass die Russen sich um Werte wie die Garantie der territorialen Integrität Russlands und den Kampf gegen Separatismus vereinen sollten, ferner solche Befragten, die die Wiedererrichtung einer starken und weltweit respektierten Großmacht befürworten und russische orthodoxe Traditionen und eine geistlich-sittliche Erneuerung der Gesellschaft anstreben. Sie sind in der Regel nicht mit ihrem Leben zufrieden, sozial passiv, schlecht an die gesellschaftliche Situation angepasst und zeichnen sich durch einen hohen Grad an Besorgnis aus. Diese Sorgen wurden freilich weniger durch die Verunsicherung angesichts der politischen Folgen, die sich aus den Ereignissen für das Kaliningrader Gebiet ergeben, hervorgerufen als vielmehr durch die Verunsicherung hinsichtlich ihrer eigenen Zukunft und ihrer (mangelnden) Fähigkeit, sich den neuen Realitäten anzupassen.

Wir weisen darauf hin, dass in Bezug auf viele ideologische, ökonomische und soziokulturelle Indikatoren diejenigen, die die Frage nicht beantworten konnten, den Pessimisten näher standen als den Optimisten. Dies erlaubt die Vermutung: Wenn sie sich schließlich für eine Position entscheiden, wird dies wahrscheinlich eher im Sinne einer negativen Haltung zum Beitritt Litauens und Polens zur EU sein.

[Seite der Druckausg.: 18]

Diagramm 1A: Wie beeinflusst der bevorstehende Beitritt Litauens und Polens zzur EU die Entwicklung des Kaliningrader Gebietes? : Kaliningrader Jugend

Diagramm 1B: Wie beeinflusst der bevorstehende Beitritt Litauens und Polens zzur EU die Entwicklung des Kaliningrader Gebietes? : Kaliningrader über 40 Jahre

Die Bewertung der Folgen des Beitritts Litauens und Polens zur EU für das Kaliningrader Gebiet fällt bei den jungen Kirovern fast mit den Positionen der jungen Kaliningrader zusammen. Die Kirover Jugend zeigt sogar etwas häufiger positive Erwartungen (39 % gegenüber 35 % bei den Kaliningradern) und etwas seltener negative (31 % gegenüber 36 % bei den Kaliningradern). Die ältere Generation der Kirover hat deutlich öfter Probleme, die Frage zu beantworten (36 % gegenüber 22 % bei den jungen Kirovern und 23,5 % bei der älteren

[Seite der Druckausg.: 19]

Generation der Kaliningrader). Im Ergebnis sprechen sich die Kirover über 40 Jahre sowohl für positive (18 % gegenüber 21 % im Kaliningrader Gebiet) wie auch für negative Folgen (39 % gegenüber 46,5 % bei den Kaliningradern) seltener aus.

Tabelle 3:
Einschätzung der wahrscheinlichsten Folgen des Beitritts Litauens und Polens zur EU
(in Prozent derer, die die Frage beantwortet haben)


Kaliningrader Gebiet

Gebiet Kirov

Region Primorje


Junge Leute

Über 40 Jahre

Junge Leute

Über 40 Jahre

Junge Leute

Über 40 Jahre

Die ökonomische Entwicklung Litauens und Polens wird sich beschleunigen, was auch die Entwicklung des Kaliningrader Gebietes positiv beeinflussen dürfte

25,4

13,9

34,1

19,3

23,9

25,5

Der Zustrom unerwünschter Migranten aus anderen Regionen Russlands und GUS-Ländern wird aufhören, was zur Abnahme der Kriminalität führen wird

15,6

12,4

18,9

9,3

11,9

8,9

Die Ausreise in die benachbarten europäischen Länder wird schwieriger

13,2

18,9

8,4

14,0

15,4

10,2

Die Verbindung zu anderen russischen Regionen wird schwieriger

21,5

28,6

21,7

28,7

24,9

31,5

Die Beziehungen Russlands mit den Ländern der Europäischen Union werden sich verschlechtern

7,2

9,1

11,6

8,7

10,9

9,8

Die Isolation der Region wird sich negativ auf die regionale Wirtschaft auswirken

28,8

27,4

8,8

22,7

18,0

20,9

Gesamtzahl der Personen, die die Frage beantwortet haben

539

339

249

150

377

235

[Seite der Druckausg.: 20]

Die größten Schwierigkeiten bereitete die Frage nach den Folgen des Beitritts Litauens und Polens zur EU bei den vom Ort des Geschehens am weitesten entfernten Einwohnern des Primorje-Gebietes. Fast die Hälfte sowohl der jungen als auch der über 40-Jährigen Bewohner von Primorje hatten Schwierigkeiten, diese Frage zu beantworten (42 %). Diejenigen Einwohner von Primorje, wie auch die Kaliningrader und die Kirover, die sich für eine Antwort entschieden haben, teilten sich in zwei fast gleich große Gruppen. 23 % unter den jungen und 24 % unter den älteren Vertretern äußerten positive Erwartungen, 26 % der jungen und 25 % der Einwohner von Primorje über 40 Jahre schlossen sich der Ansicht an, dass die Folgen des Beitritts für das Kaliningrader Gebiet negativ sein würden.

So ist in allen drei Regionen die öffentliche Meinung in Bezug auf den Beitritt Litauens und Polens zur EU und die Folgen dieses Ereignisses für das Kaliningrader Gebiet gespalten, und die Gruppen der Optimisten und der Pessimisten sind praktisch gleich groß.

Bei der Einschätzung der konkreten Folgen des Beitritts Litauens und Polens zur EU werden häufiger negative Folgen genannt (Tabelle 3). Die Jugend des Kaliningrader Gebietes äußert zwei entgegengesetzte Meinungen am häufigsten. Einerseits denken 29 % der jungen Kaliningrader, dass die Isolation der Region, die nach dem Beitritt Litauens und Polens zur EU unweigerlich eintrete, sich negativ auf die Wirtschaft in der Region auswirken werde. Andererseits meinen 25 % der jungen Leute, dass der Beitritt der Nachbarn zur EU zu deren ökonomischer Entwicklung beitragen werde, die wiederum auch die Entwicklung des Kaliningrader Gebietes positiv beeinflussen werde.

Die Tatsache, dass der Beitritt Litauens und Polens zur EU die Verbindung des Kaliningrader Gebietes mit Russland erschwert, nannte jeder fünfte der jungen Befragten (21 %) als eine negative Folge dieses Ereignisses. Die Kaliningrader geben auch an, dass die Ausreise aus dem Gebiet in die benachbarten europäischen Länder schwerer werde, wenngleich diese Folge sie seltener beunruhigt als die Einschränkung der Verbindungen mit dem Rest Russlands (13 %). Die Vertreter der älteren Generation konzentrieren ihre Aufmerksamkeit noch häufiger als die jungen Leute auf die negativen Folgen und nehmen seltener positive Folgen wahr.

Wir weisen besonders darauf hin, dass die Vorstellungen der Einwohner des Kirover Gebietes und der Region Primorje darüber, welches die konkreten Folgen des Beitritts Litauens und Polens zur EU für das Kaliningrader Gebiet sein könnten, sich kaum wesentlich von denen der Kaliningrader selbst unterscheiden. Zweifellos ist diese Übereinstimmung der Positionen von Einwohnern verschiedener Regionen in Bezug auf ein ernsthaftes politisches Problem eine Bekräftigung der Stärke des einheitlichen Informationsraumes.

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12. Was sollte Russland wegen des Beitritts Litauens und Polens zur EU unternehmen?

Auf die Frage angesprochen, was Russland im Zusammenhang mit dem Problem des Kaliningrader Gebietes bei einem EU-Beitritt Polens und Litauens unternehmen sollte, drücken die Befragten in allen drei Regionen am häufigsten den Wunsch aus, dass Russland der EU gegenüber eine harte Position einnehmen sollte (Tabelle 4). Unter den Kaliningradern meinen 26 % der jungen Leute und 31 % der Älteren, dass Russland mit allen Mitteln für seine Interessen kämpfen, die Interessen der Bewohner des Kaliningrader Gebietes verteidigen und auf keinen Fall eine Isolation der Region von Russland zulassen sollte. Neben der Anwendung ökonomischer Sanktionen gibt es auch andere Vorschläge, die bis zur Wiedereinführung der UdSSR, der Vereinigung Litauens und Polens mit Russland und dem Einmarsch von Truppen reichen.

[Seite der Druckausg.: 21]

Einen sanfteren Weg der Zusammenarbeit mit der EU in Form von Verhandlungen, der Suche nach Kompromissen usw. wünschen sich 14 % der Kaliningrader Jugend und nur 4 % der Vertreter der älteren Generation. Die der Bedeutung nach zweitbeste Maßnahme von Seiten Russlands sollte nach der Meinung der Kaliningrader die Sicherstellung einer visafreien Verbindung mit Russland sein (18 % der jungen und 30 % der über 40-Jährigen Befragten).

Finanzielle Unterstützung seitens der föderalen Regierung oder die Gewährung verschiedener Entschädigungen und Vergünstigungen (beispielsweise Steuervergünstigungen, Erhöhung der staatlichen Finanzierung, Senkung der Preise für Flugtickets für die Bewohner des Gebietes usw.) erwarten 13 % der jüngeren und 8 % der älteren Befragten. Dabei meinen 12 % der jungen und 10 % der über 40-Jährigen Kaliningrader, dass die russische Regierung von der Europäischen Union die Ausgabe von Schengen-Visa für die Kaliningrader erreichen sollte. Die Möglichkeit einer Lösung des Kaliningrad-Problems durch die Gewährung eines besonderen Status für die Region, der die Handlungsfreiheit in den Beziehungen mit den Nachbarn und der EU bis zu einer Loslösung von Russland garantieren würde, nannten nur 6 % der jungen und 4 % der älteren Kaliningrader.

Es ist verständlich, dass die Einwohner des Kirover Gebietes und Primorje-Gebietes seltener mit der Ansicht einverstanden sind, dass dem Gebiet Kaliningrad irgendwelche Sonderbedingungen oder ein besonderer Status gewährt werden sollte. Vereinzelt schlagen die Befragten freilich sogar vor, das Kaliningrader Gebiet zu verkaufen oder es an Deutschland oder Litauen zu vermieten. Unter den jungen Einwohnern des Kirover Gebietes ist der Standpunkt etwas populärer, dass Russland alle Probleme selbst lösen kann, indem es selbst der EU beitritt (12 %). Die Einwohner des Kaliningrader Gebietes schlagen eine solche Entwicklungsvariante ebenfalls vor, dies taten hier jedoch nur 4 % der Befragten.

Betrachten wir schließlich den wichtigsten Unterschied zwischen den Kaliningradern und den Bewohnern der anderen Regionen bei der Bestimmung möglicher Verhaltensweisen Russlands bei der Lösung des Kaliningrad-Problems. Jeder Vierte derjenigen aus Kirov und Primorje, die die Frage beantwortet haben (und sogar 28 % unter den jungen Leuten von Primorje) meinen, Russland sollte sich überhaupt nicht in diesen Prozess einmischen und Litauen und Polen dabei behindern, sich an die EU anzunähern. Diejenigen unter den Kirovern und den Bewohnern von Primorje, die diesen Standpunkt äußerten, meinen, dass Russland ohnedies genug eigene innere Probleme habe. Unter den Kaliningradern gaben nur 6 % der jungen und 8 % der älteren Befragten an, Russland sollte sich in Bezug auf diese Entwicklungen zurückhaltend zeigen.

Zweifellos hofft die überwältigende Mehrheit der Einwohner des Kaliningrader Gebietes darauf, dass die russische Regierung die Region nicht allein lässt, sondern auf die eine oder andere Weise unterstützt und ihre Isolation nicht zulässt. Am populärsten ist hier eine harte Position Russlands gegenüber der EU.

[Seite der Druckausg.: 22]

Tabelle 4: Was sollte Russland im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Beitritt
Litauens und Polens zur EU unternehmen?
(in Prozent derer, die die Frage beantwortet haben)



Kaliningrader Gebiet

Gebiet Kirov

Region Primorje


Junge Leute

Über 40 Jahre

Junge Leute

Über 40 Jahre

Junge Leute

Über 40 Jahre

Eine harte Position gegenüber der EU einnehmen, für seine Interessen kämpfen

26,0

30,6

35,7

40,9

25,9

15,7

Verhandlungen mit der EU führen, einen Kompromiss finden

13,9

3,9

16,7

18,2

13,5

17,6

Einen Transportkorridor schaffen und eine visafreie Verbindung mit Russland sicherstellen

17,9

30,1

7,1

9,1

11,4

33,3

Kaliningrad finanziell unterstützen, den Bewohnern des Gebietes Entschädigungen leisten

13,3

7,8

4,8

4,5

6,5

3,9

Die Ausgabe von Schengen-Visa an die Kaliningrader erreichen

11,6

9,7

0

0

3,8

0

Russland an Europa annähern, selbst der EU beitreten

4,0

3,9

11,9

4,5

5,4

0

Kaliningrad einen Sonderstatus innerhalb der RF einräumen, dem Gebiet mehr Selbständigkeit geben

5,8

3,9

0

0

4,3

5,9

Sich nicht in die Entwicklung einmischen, nichts unternehmen

6,4

7,8

23,8

22,7

28,6

23,5

Anzahl derer, die die Frage beantwortet haben

173

103

42

22

185

51

[Seite der Druckausg.: 23]

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13. Vorstellungen zum Verhältnis anderer Länder zu Russland

Im Kaliningrader Gebiet werden vor allem Länder der GUS als befreundet wahrgenommen, wobei Weißrussland sowie die benachbarten europäischen Länder, besonders Deutschland und Polen, besonders hervorgehoben werden. Im Primorje-Gebiet nennen die Befragten nicht die GUS, sondern unter den befreundeten Staaten sind die Nachbarn Japan und China an führender Stelle. Die Kirover halten Weißrussland, Deutschland und die GUS-Länder für die besten Freunde Russlands und die ältere Generation außerdem China. Insgesamt kann man den Schluss ziehen, dass regionale Unterschiede bei der Bestimmung der mit Russland am besten befreundeten Länder eine entscheidende Rolle spielen.

Befreundete Länder

Kaliningrader Gebiet

Junge Leute

Über 40-Jährige

1. GUS-Länder – 18%

1.Deutschland – 14,5%

2. Deutschland – 14%

2. GUS-Länder – 14%

3. Weißrussland – 13%

3. Weißrussland – 13%

4. Polen – 9%

4. Polen – 8%

5-6. USA und Japan – je 5%

5. USA – 5%

Kirover Gebiet

Junge Leute

Über 40-Jährige

1. Weißrussland – 13%

1. Weißrussland – 17%

2. Deutschland – 10%

2. China – 13%

2. GUS-Länder – 10%

3. Deutschland – 12%

4. China – 8%

4. GUS-Länder – 9%

4. USA – 8%

5. USA – 8%

Region Primorje

Junge Leute

Über 40-Jährige

1. Japan – 16%

1. China – 17%

2. China –13%

2. Japan – 13%

3. USA – 11%

3. USA – 10,5%

4. Deutschland – 7%

4. Frankreich – 8%

5. Frankreich – 6%

5. Deutschland – 7,5%

In allen von dieser Studie erfassten Regionen finden sich die USA für die Befragten mit 27,4% – 49% auf dem ersten Platz unter den mit Russland nicht befreundeten Ländern.

Unter den regionalen Besonderheiten fallen in der Liste der Russland gegenüber feindlich gesonnenen Staaten die hohen Plätze auf, die Lettland, Estland und Litauen bei den Befragten des Kaliningrader Gebietes einnehmen. Interessanterweise nennen vor allem die Vertreter der älteren Generation der Kirover diese Staaten als Feinde Russlands. Die Bewohner von Primorje nennen Litauen, Lettland und Estland häufiger nicht einzeln, sondern fassen sie unter dem gemeinsamen Begriff "Baltikum" zusammen.

Im Primorje-Gebiet gibt ein hoher Anteil der Befragten (13-14 %) eine nicht freundschaftliche Beziehung zu Russland im Hinblick auf China an, obwohl etwa ebenso viele dieses Land zu den besten Freunden zählen. Die Befragten aus dem Fernen Osten nennen oft Tschetschenien als Russland nicht freundschaftlich gesonnenen Staat. Derartiges war in der Mehrheit der russischen Regionen vor etwa drei bis vier Jahren zu beobachten, während Tschetschenien seitdem trotz allem durch die Befragten wieder mehr als ein untrennbarer Bestandteil der Russischen Föderation wahrgenommen wurde und deutlich seltener bei den nicht mit Russland befreundeten Staaten genannt wurde.

[Seite der Druckausg.: 24]

Besondere Beachtung verdient das Auftauchen Georgiens unter den nicht befreundeten Staaten; dies zeigt sich besonders bei Antworten aus dem Kirover Gebiet und dem Primorje-Gebiet und nur in geringerem Maße bei Antworten der Kaliningrader.

Bei der Bestimmung der Russland gegenüber unfreundlich gesinnten Länder gibt es also sehr deutliche russlandweite Tendenzen und in geringerem Ausmaß auch regionale Unterschiede. Die Altersunterschiede spielen hier nur eine unbedeutende Rolle.

Feindlich gesinnte Länder

Kaliningrader Gebiet

Junge Leute

Über 40-Jährige

1. USA – 38%

1. USA – 34%

2. Lettland – 13%

2. Lettland – 8%

3. Estland – 9%

3. Litauen – 6%

4. Litauen – 9%

4. Estland – 5%

5. Islamische Staaten – 6%

5. Islamische Staaten – 4%

Kirover Gebiet

Junge Leute

Über 40-Jährige

1. USA – 49%

1. USA – 36%

2-3. Islamische Staaten – 5%

2. Lettland – 14%

2-3. Japan – 5%

3-4. Litauen – 9%

4-5. NATO-Staaten – 4%

3-4. Estland – 9%

4-5. Baltikum – 4%

5. Islamische Staaten - 5%

Region Primorje

Junge Leute

Über 40-Jährige

1. USA – 27,5%

1. USA – 33%

2. China –13%

2. China – 14%

3. Tschetschenien – 10%

3. Tschetschenien – 12%

4. Japan – 5,5%

4. Japan – 9%

5. Georgien – 5%

5. Baltikum – 7%

Im Ergebnis stellen wir fest, dass die Bewohner der drei untersuchten Regionen sich in vieler Hinsicht voneinander unterscheiden: in der Bewertung der Situation in ihrer Region und im Land, in ihrer jeweiligen Identität sowie dem Niveau ihrer sozialen Selbsteinschätzung. In ideologischer Hinsicht sind die Einwohner völlig verschiedener Regionen Russlands einander jedoch sehr nah. Wenn es um ideologische Fragen geht, erweisen sich altersbedingte Unterschiede deutlich wichtiger als regionale. In Kaliningrad, Kirov und Wladiwostok werden ein und dieselben Ideen als die Nation verbindende genannt, und zwar die Anhebung der Lebensqualität, die Sicherstellung der Ordnung im Land, die Schaffung einer effektiven Marktwirtschaft und die Wiederherstellung einer starken und in der Welt respektierten Großmacht. Überall wird der Begriff Patriotismus mit dem selben Inhalt gefüllt, weniger als Isolationismus gesehen, mehr als Liebe zur Heimat, Glaube an die Zukunft Russlands und Bereitschaft, es mit der Waffe zu verteidigen. In allen drei Regionen überwiegt der Anteil der Russen, die sich für Patrioten halten, deutlich die Zahl der Anhänger des entgegengesetzten Standpunktes. Dabei ist die Sympathie für demokratische Werte in allen drei Regionen gleichermaßen stark.

In ideologischer Hinsicht dominieren also in der Identität der Russen allgemeine Eigenschaften klar vor regionalen Besonderheiten.

Die Ähnlichkeit der Ansichten der Befragten zeigt sich sogar in Bezug auf das sogenannte Kaliningrad-Problem, das mit dem bevorstehenden Beitritt Litauens und Polens zur EU verbunden ist. Erstaunlicherweise unterscheiden sich die Bewertungen der Kirover und der Bewohner von Primorje zwar geringfügig, aber doch nicht prinzipiell von denen der Kaliningra-

[Seite der Druckausg.: 25]

der selbst. Dennoch ist die Spaltung der öffentlichen Meinung in der Frage der Folgen der EU-Erweiterung im Kaliningrader Gebiet natürlich offensichtlicher. Ein Drittel der Einwohner des Gebietes meinen, dass die Folgen dieses Ereignisses für die Region positiv sein werden, ein weiteres Drittel erwartet negative Folgen. Viele Kaliningrader sehen in der Entfernung und dem Losgelöstsein von Russland sowie der eingeschränkten Bewegungsfreiheit im eigenen Land das für die Region schon heute wichtigste Problem, während sie den Beitritt Litauens und Polens zur Europäischen Union, der in der Tat die Verbindung mit dem Rest Russlands zu beschränken droht, bisweilen eindeutig nicht als ein ernsthaftes Problem betrachten. Nur 15 % der jungen und 12 % der älteren Befragten zählten es zu den Hauptproblemen.

Die Unterschiede zwischen denen, die negative, und denen, die positive Folgen erwarten, sind durch viele Faktoren zu erklären. Die wichtigsten darunter sind das Alter, die soziale Lage, die Höhe des Einkommens, das Niveau der sozialen Selbsteinschätzung, der Mobilitätsgrad, die dominierende Identität sowie politische und ideologische Vorlieben.

Von großer Bedeutung ist die Tatsache, dass diejenigen, die die Frage nicht beantworten konnten (und dies waren ein Viertel aller befragten Kaliningrader), in Bezug auf viele ideologische, ökonomische und soziokulturelle Indikatoren den Pessimisten näher standen als den Optimisten. Dies erlaubt die Vermutung, dass sie, wenn sie sich schließlich für eine Position entscheiden, wahrscheinlich eher eine negative Haltung zum Beitritt Litauens und Polens zur EU haben werden. Zum Zeitpunkt der Untersuchung war die Einstellung der Kaliningrader zum Beitritt Litauens und Polens zur EU recht widersprüchlich. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass schon bis Dezember eine Zunahme der negativen Erwartungen eintritt (eine Antwort auf diese Frage könnten gesonderte, am Vorabend des analysierten politischen Ereignisses im Dezember, sowie insbesondere im Januar und Februar durchgeführte Wiederholungsuntersuchungen liefern, wenn die Bewohner der Region die ersten realen Folgen selbst zu spüren bekommen).

Wichtig ist, Folgendes im Blick zu behalten: Ungeachtet dessen, dass die Kaliningrader sich territorial näher als alle anderen Russen an Europa befinden, sowie der Tatsache, dass sie den benachbarten europäischen Staaten gegenüber recht loyal sind und sie oft besuchen, erwiesen sich die Bewohner des Kaliningrader Gebietes ihrer politischen, ideologischen, patriotischen usw. Identität nach nicht mehr als "Europäer" als die Einwohner anderer russischer Regionen. Ebenso wie die Einwohner anderer Regionen meinen die Kaliningrader am häufigsten, dass Russland eine harte Position gegenüber der EU einnehmen sollte. Diesen Standpunkt unterstützt jeder vierte unter den jungen Leuten in Kaliningrad und ein Drittel der Vertreter der älteren Generation. Einen sanfteren Weg der Zusammenarbeit mit der EU, Verhandlungen, Suche nach Kompromissen usw., wünschen sich 14 % der jungen Kaliningrader und nur 4 % der älteren.

Auf die eine oder andere Weise hofft die überwältigende Mehrheit der Einwohner des Kaliningrader Gebietes darauf, dass die russische Regierung die Region unterstützt und ihre Isolation nicht zulässt. In erster Linie werden diese Erwartungen mit dem Präsidenten verbunden.


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