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TEILDOKUMENT:

    Albrecht Ritschl:
    [Seite der Druckausg.: 203]




    Albrecht Ritschl
    Die verpatzte Reform. Ein Nachwort[Fn_1]


    Seit meinem Vortrag vom Oktober 2001,[Fn_2] geschrieben direkt nach der Rückkehr von sieben Jahren Auslandsaufenthalt, ist gerade das geschehen, wovor ich seinerzeit gewarnt hatte: Die versuchte Reform in der 5. Novelle zum Hochschulrahmengesetz ist Stückwerk. Sie ist gegenüber der ursprünglich guten Absicht verfälscht. Sie bricht ein unbefriedigendes, aber immerhin in sich kohärentes System von Verhaltensanreizen auf und setzt die verkehrten Anreize. Sie verschlimmert die Lage des Nachwuchses, anstatt sie zu verbessern. Und womöglich wird sie Episode bleiben und als Vorwand für die schnellstmögliche Rückkehr zum alten System herhalten müssen.

    Eine Kernthese meines Vortrags war, dass alle Reformen des deutschen Systems einander bedingen. Eine halbe Reform ist keine Reform. Die 5. HRG-Novelle ist eine solche halbe Reform. Sie unternimmt immerhin den richtigen und löblichen Versuch, eine neue Form der akademischen Laufbahn in der Qualifikationsphase nach der Promotion zu schaffen. Dafür setzt sie an der richtigen Stelle an, nämlich dem Ersatz der Habilitation durch eine sogenannte Juniorprofessur mit eigenständiger Forschung und Lehre, angesiedelt außerhalb der Verantwortung gegenüber einem einzelnen Lehrstuhlinhaber.

    Dieses Modell könnte zugkräftig und von ungeheurer Zukunftswirkung sein, wären nur die Anreize richtig gesetzt. Eine attraktive Juniorprofessur würde die tendenziell besseren Nachwuchskräfte anziehen. Von der Juniorprofessur aus könnten sie sich ohne Habilitation weiterqualifizieren. Das HRG schreibt dies sogar als Regelfall vor, eine immerhin vielversprechende juristische Finesse. Auf diese Weise könnte eine hochwirksame Konkurrenz zum alten Karriereweg geschaffen werden: Nicht mehr das paternalistische Modell der Kooptation in die Zunft würde über die Lebenschancen entscheiden, sondern der Erfolg der eigenen wissenschaftlichen Arbeit draußen im Markt der Zeitschriften, Kongresse und Drittmittelprojekte. Mittelfristig würde damit das Lehrstuhlmodell ausgehöhlt: Universitäten müssten Juniorprofessuren schaffen, um den Nachwuchs anzuziehen und zu halten, sie müssten zu ihrer finanziellen Ausstattung Mittel bereitstellen, Räume, Sekretariatsressourcen und dergleichen mehr. Alles dies würde notwendig zu Lasten der bestehenden Strukturen gehen; im Wettlauf um die besten jungen Leute würde sich das bestehende System allmählich von selbst wandeln. So die gute Absicht.

    [Seite der Druckausg.: 204]

    Allerdings fehlt es der Juniorprofessur an der hierfür nötigen Attraktivität. Ihre konkrete Ausgestaltung ist ein kleines Lehrstück in Machiavellismus: Wenn eine Reform schon nicht verhindert werden kann, so trage man wenigstens dafür Sorge, dass sie so schlecht ausgeführt wird wie möglich. Nach einigen Jahren wird sie sich von selbst vereiteln, und die alten Zustände kehren wieder. Gegeben die neuen Umstände, kommt die Berufung auf eine Juniorprofessur eher einer Strafversetzung gleich als einer Beförderung oder gar einem akademischen Privileg. Im Unterschied zur amerikanischen Assistenzprofessur ist sie keine Anwartschaftsprofessur. Das bindet den Juniorprofessor nicht an die Universität, denn nach spätestens sechs Jahren geht man doch wieder auseinander. Viel schlimmer, es bindet auch die Universität nicht an den armen Kandidaten. Es gibt keinerlei Grund, ihn besonders gut zu behandeln, keinen Grund, Geld oder Räume über das Nötigste hinaus bereitzustellen, keinen Grund, besonders erfolgreiche Forschung zu prämieren und erst recht keinen Grund, ihm interessante Lehrveranstaltungen zuzuweisen. Salopp gesprochen, ist es wie bei einer Lehrlingsausbildung ohne anschließende Übernahme. Weder der Ausbildungsbetrieb noch der Azubi werden mehr als das Mindestmaß ineinander investieren, denn man trennt sich ja doch wieder.

    Auch in die eigene Forschung können die Inhaber einer Juniorprofessur aber nicht wirklich investieren. Als Ergebnis eines politischen Kuhhandels zwischen Befürwortern und Gegnern der Reform hat der Bundesgesetzgeber beschlossen, die Höhe des Lehrdeputats von Juniorprofessuren der Ausgestaltung durch die Ländergesetze zu überlassen. Als Rahmen sind vier Semesterwochenstunden, anwachsend auf bis zu acht Semesterwochenstunden nach drei Jahren, vorgegeben. Auch hier scheint Machiavell die Feder geführt zu haben: Für Nachwuchskräfte international üblich sind vier Semesterwochenstunden, an Spitzenuniversitäten oft sogar noch weniger. Das Deputat von acht Semesterwochenstunden hat in Deutschland üblicherweise ein Lehrstuhlinhaber zu bewältigen, dem zur Vorbereitung und Durchführung allerdings der volle Apparat von Sekretariat über Assistenten bis hin zu studentischen Hilfskräften zur Verfügung steht. Die traditionelle Habilitandenstelle (C1 im Beamtenverhältnis, jetzt wegfallend, oder BAT IIa im Angestelltenverhältnis) kennt dagegen ein Maximum von vier Semesterwochenstunden; oft wird nicht einmal das ausgefüllt.

    Die Wirtschaftswissenschaft als Instrument zur Analyse von Anreizwirkungen in Institutionen kommt zu einer schnellen und eindeutigen Bewertung: Die 5. HRG-Novelle hat versucht, ein zuvor in sich stimmiges System falscher Anreize durch ein neues Element zu korrigieren, die Juniorprofessur außerhalb der traditionellen Habilitation. Ob durch Unachtsamkeit oder durch Lobbyismus ist dieses neue Element allerdings so unattraktiv ausgestaltet worden, dass seine Überlebenschancen bezweifelt werden müssen. Man darf vermuten, dass das alte System sich stabilisieren wird und die Habilitation noch besteht, wenn die Juniorprofessur längst wieder abgeschafft ist.

    [Seite der Druckausg.: 205]

    Interessanterweise ist die hauptsächliche Kritik an der Reform in der Öffentlichkeit weniger von der Professorenseite gekommen und hat nicht in erster Linie der Juniorprofessur und ihren beklagenswerten Konstruktionsfehlern gegolten. Diskreditiert hat sich die Reform über eine Nebenbestimmung, die Begrenzung der sogenannten Qualifikationsphase auf zwölf Jahre. Diese Bestimmung hat einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen. Rechtlich gesehen gingen die Proteste fehl – es hatte sich die Kunde verbreitet, nach Ablauf der Qualifikationsphase bestünde ein allgemeines Beschäftigungsverbot. So schlimm steht es nicht: Nach Ablauf der Qualifikationsphase unterliegt jeder Beschäftigte im wissenschaftlichen Bereich, der es nicht zum Professor gebracht hat, dem normalen Arbeitsrecht. Ökonomisch gesehen mag es allerdings auf dasselbe hinauslaufen; insofern war die Aufregung berechtigt. Bislang war der wissenschaftliche Bereich von den Schutzbestimmungen des Arbeitsrechts insofern ausgenommen, als Zeitverträge auf Projekten, Drittmittelstellen etc. nicht automatisch zur Entfristung, d.h. der Übernahme ins Dauerarbeitsverhältnis führten. Das ist nach neuem Recht anders. Jeder Arbeitgeber im wissenschaftlichen Bereich, der Wissenschaftler nach Ablauf ihrer Qualifikationsphase beschäftigt und nach Projektende entlassen will, setzt sich der Gefahr arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen aus. Haben erst einmal Wissenschaftler vor dem Arbeitsgericht die Entfristung ihrer Verträge erreichen können, werden die entsprechenden Arbeitgeber die Einstellung oder Weiterbeschäftigung nach der Qualifikationsphase regelmäßig verweigern; die Berufschancen derjenigen, die beim Rennen um die Professorenstellen zurückgeblieben sind, werden damit noch einmal drastisch verschlechtert. – Übrigens zeigt sich an diesem Beispiel nicht nur ein Webfehler des neuen HRG. Das tiefere Problem aus arbeitsmarktökonomischer Sicht sind die überzogenen und damit letztendlich arbeitnehmerfeindlichen Schutzbestimmungen des deutschen Arbeitsrechts. Mit einem besseren Arbeitsrecht wäre dieser Teil der HRG-Novelle unproblematisch, so aber stellt er eine ihrer entscheidenden Schwächen dar.

    Warum diese Fehlkonstruktion? Sie erklärt sich aus dem Kompromisscharakter der Novelle. Anstatt die Habilitation abzuschaffen – was wegen der notwendigen Übergangsregelungen schwierig gewesen wäre – räumt das Gesetz eine achtjährige Übergangsfrist ein, in der die Juniorprofessur und die Habilitation nebeneinander bestehen sollen. Angesichts der äußerst unattraktiven Ausgestaltung der Juniorprofessur würde bei einem ungeregelten Konkurrenzverhältnis beider Karriereformen die Habilitation wahrscheinlich trotz aller ihrer Mängel für viele die Karriere der Wahl darstellen. Wohl um dieses Schlupfloch zu schließen, hat der Gesetzgeber eine Zeitbegrenzungsklausel eingebaut, die einer massenhaften Umgehung der Juniorprofessur als Karriereform vorbeugt. Damit wird es unmöglich gemacht, sich die Qualifikation sozusagen auf dem Schleichweg an den Regelinstitutionen vorbei zu erwerben, zumindest über eine enge Fristbegrenzung hinaus. Wissenschaftler an außeruniversitären Forschungsinstituten, auf Drittmitteln usw. hätten sonst gegenüber der

    [Seite der Druckausg.: 206]

    Juniorprofessur, ihrer engen Zeitbegrenzung und ihrer unattraktiven Ausstattung einen unschlagbaren Konkurrenzvorteil.

    Wie wird sich die neue Regelung auf die Wirtschaftswissenschaften auswirken? Wird sie die Abwanderung von jungen Kräften abstoppen, vielleicht auch umkehren können? Hier gilt es von eigenen, positiven Erfahrungen zu berichten. Bei unserem Versuch, eine Juniorprofessur im Bereich Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität international zu besetzen, sind wir unerwartet erfolgreich gewesen. Womöglich sind die Anreizhindernisse der neuen Regelung doch nicht so einschneidend, wie sie im Moment erscheinen. Allerdings ist der von uns erfolgreich angeworbene Spitzenforscher kein Deutscher und insofern diesen Problemen vielleicht in geringerem Maße ausgesetzt...

    [Fußnoten]

    1. - Zu den aktuellen Entwicklungen seit der Tagung und der Diskussion um die 5. HRG-Novelle.

    2. - Albrecht Ritschl, Die Situation in der Wirtschaftswissenschaft, oben S. 165-176.


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