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TEILDOKUMENT:


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Frank Kessler
Migrantenerfahrungen und deutsche Universitätsreform –
Vorschläge aus niederländischer Sicht II


Vorbemerkung

Zunächst möchte ich kurz mein eigenes berufliches Umfeld skizzieren. Ich unterrichte an der philologischen Fakultät der Universität Utrecht in einem Fachgebiet, der Film- und Fernseh- bzw. Medienwissenschaft, das in mancher Hinsicht eine gewisse Sonderstellung einnimmt: Einerseits handelt es sich um einen relativ jungen Gegenstandsbereich, der immer noch um seine Anerkennung kämpfen muss, der institutionell weit schwächer verankert ist als die "traditionelleren" Fächer und der sich deshalb auch auf keine Lobby stützen kann. Andererseits übt das Fach eine sehr starke Anziehungskraft auf Studenten aus, so dass hier in den vergangenen Jahren ein stetiger Zustrom verzeichnet werden konnte, der für die Finanzierung der philologischen Fakultät in Utrecht von großer Bedeutung ist. Daraus ergibt sich eine einigermaßen merkwürdige Situation: Konfrontiert mit einem überproportionalen Studentenzustrom, sind wir strukturell unterbesetzt; für die Fakultät eine wichtige Einkommensquelle, sind wir unterrepräsentiert; für die Kollegen anderer Richtungen sind wir einerseits in gewisser Hinsicht eine Bestandsgarantie, gleichzeitig aber auch eine bisweilen eher ungeliebte Konkurrenz. In Utrecht führen die wachsenden Studentenzahlen (sowie die Einrichtung eines neuen, ebenfalls für Studenten offenbar sehr attraktiven Studiengangs "Kommunikations- und Informationswissenschaften" an unserem Institut) dazu, dass unsere Situation sich langsam verbessert. An der Universität in Nijmegen, an der ich zuvor 9 Jahre lang in einem ähnlichen, aber sehr viel kleineren Studiengang unterrichtet habe, wurde die Film- und Medienwissenschaft dagegen de facto eingestellt und existiert nur noch in Form einzelner Kurse im Rahmen eines Programms für vergleichende Kunstwissenschaften. Diese negative Entwicklung in Nijmegen hing auch mit den erwähnten Widerständen gegen das Fach zusammen.

Meine persönlichen Erfahrungen lassen sich also nicht ohne weiteres verallgemeinern, zumal die einzelnen Universitäten in den Niederlanden über einen beträchtlichen Handlungsspielraum verfügen. Das betrifft Faktoren wie die Einteilung des Studienjahres (Semester, Trimester oder, in Utrecht, sogar fünf Blöcke), aber auch interne Finanzierungs- und Verwaltungsmodelle. Die Einführung des Bachelor/Master-Systems wird zwar eine gewisse Homogenisierung bewirken, doch schon jetzt lässt sich feststellen, dass auch hier die verschiedenen Universitäten zum Teil eigene Wege gehen.

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Zu meinen Erfahrungen, die hier relevant sein können, zählen neben meiner Tätigkeit in Nijmegen und Utrecht noch mein eigenes Studium, zunächst in Frankfurt am Main, dann in Paris, sowie eine Lehrstuhlvertretung in Trier und eine DAAD-Gastdozentur in Weimar. Außerdem war ich in den letzten Jahren auch in verschiedenen internationalen Kooperations- und Austauschprogrammen aktiv. Und schließlich habe ich mich bei der Vorbereitung dieses Beitrags intensiv mit meinem niederländischen Kollegen Henri Schoenmakers unterhalten, der vor einem Jahr eine Professur in Deutschland übernommen hat und dadurch einen unmittelbaren Vergleich mit der niederländischen Situation ziehen konnte. Ihm sei an dieser Stelle herzlich gedankt.

Im folgenden möchte ich mich vor allem auf drei Bereiche konzentrieren: das institutionelle Umfeld, die Situation der Studierenden sowie die Situation der Lehrenden. Dabei möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass alle meine Beobachtungen und Aussagen innerhalb des gerade skizzierten Erfahrungsrahmens zu verstehen sind.

Das institutionelle Umfeld

Im Vergleich zu den deutschen Universitäten gibt es in den Niederlanden einen regelrechten Dschungel an Kommissionen und Verwaltungsregeln. Das beginnt mit der zentralen Erfassung aller Daten über die Studienleistungen der Studenten (für die praktisch alle Vorlesungen und Seminare Pflichtveranstaltungen sind, die mit einem qualifizierten Leistungsnachweis abgeschlossen werden müssen) und erstreckt sich über die vielfältigen Formen von Berichten (Unterrichtsevaluationen, interne Evaluationen aller Art, internationale Kontakte, Publikationslisten usw.) bis hin zu den vielen Kommissionen, die als Beratungs- oder Beschlussorgane in nahezu alle Instituts-, Fakultäts- und Universitätsvorgänge eingeschaltet werden. Dies führt oft genug zu einem regelrechten Wildwuchs an Korrespondenzen, Berichten und Verwaltungsvorgängen, unter dem das wissenschaftliche Personal auch leidet, weil diese meist zeitintensiven administrativen Aktivitäten im allgemeinen zu Lasten von Forschung und Lehre gehen.

Im Lauf der letzten Jahre wurde an vielen niederländischen Universitäten versucht, die Verwaltung zu professionalisieren und auf verschiedenen Ebenen Manager einzustellen. Dazu kann man – vorsichtig – anmerken, dass dies nicht wirklich zur Entlastung des wissenschaftlichen Personals geführt hat, eher im Gegenteil. Ich könnte hier zwar eine ganze Reihe von Beispielen anführen, um die Absurdität mancher Vorgänge zu illustrieren und ich bin sicher, die meisten Kollegen in den Niederlanden – und nicht nur dort – könnten das mühelos überbieten und ähnliche Anekdoten über noch absurdere Vorgänge erzählen. Doch darauf möchte ich lieber verzichten. Wichtig scheint mir hier vor allem, dass dies eine Tendenz widerspie-

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gelt, die gleichzeitig Chancen und Gefahren birgt: Einerseits könnten Wissenschaftler, die ja nicht automatisch auch über Managementkompetenzen verfügen, von Verwaltungsaufgaben entlastet und die Administration effizienter organisiert werden. Andererseits gilt es, der tendenziellen Verselbständigung von Verwaltungen entgegen zu wirken und zu verhindern, dass administrative Vorgänge zum Selbstzweck werden.

Die Entwicklung in den Niederlanden hat – zumindest in Utrecht – aber auch dazu geführt, dass die Finanzierung von Lehre und Forschung transparenter geworden ist. Objektive Kriterien wie Studentenzahlen, erfolgreiche Abschlüsse und die Vergabe von Scheinen liegen den Zuweisungen zugrunde, das Gewicht der Tradition wurde deutlich geringer. Davon profitieren natürlich vor allem junge Disziplinen wie die Medienwissenschaft, deren institutionelle Schwäche (sowohl was die personelle Besetzung betrifft als auch in Hinblick auf ihr Gewicht innerhalb der Fakultät) dadurch wenigstens bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden kann. Ein solches Verfahren schließt andererseits nicht aus, dass die traditionellen lokalen Schwerpunkte in Forschung und Lehre – in Utrecht zum Beispiel die Mediävistik und die Alte Musik – auch weiterhin Bestand haben können, obwohl die Studentenzahlen in diesen Fächern eher niedrig sind. Doch dann handelt es sich um explizite Entscheidungen der Fakultät bzw. der Universität, und die zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten Mittel werden entsprechend ausgewiesen. Ich will nicht verschweigen, dass es in auch in diesem System zu Verzerrungen und Auswüchsen kommt und dass die so genannte Output-Finanzierung viele Ungereimtheiten mit sich bringt. Die Qualität der Lehre wird übrigens sowohl extern wie intern kontrolliert: extern durch periodische Evaluationen durch unabhängige, vom Ministerium einberufene Kommissionen, intern durch ständige Evaluationen seitens der Studierenden.

Hinzufügen möchte ich noch, dass die einzelnen Institute innerhalb der Fakultät – in unserem Fall sind das die Niederlandistik, die Fremdsprachen, Geschichte, Kunstgeschichte und Musik sowie "Media en Representatie" – in einem gewissen Rahmen finanziell eigenständig operieren können. Damit verschwindet auch das vielerorts beklagte Finanzierungssystem, das dazu führt, dass kurz vor Jahresende noch überschüssige Gelder "verbraten" werden müssen. Dies ermöglicht den Instituten auch, Mittel entsprechend den jeweiligen Umständen zu verplanen und einzusetzen. Auf Engpässe in bestimmten Bereichen kann man so auch sehr viel schneller und unbürokratischer reagieren.

Dieses System hat also durchaus eine Reihe von Vorteilen, es hat aber auch seinen Preis. Da es sich zumindest zum Teil um ein gewachsenes System handelt, wird man es nicht ohne weiteres in eine anders organisierte Hochschullandschaft übertragen können. Man kann hier aber sicherlich eine Reihe interessanter Anregungen finden.

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Die Situation der Studierenden

Als ich während meines Studiums Anfang der achtziger Jahre von Frankfurt am Main nach Paris ging, erlebte ich eine Art von Kulturschock: Statt einer nahezu grenzenlosen Freiheit in Deutschland mit minimalen formalen Anforderungen bei der Fächerwahl, mit nur wenigen Leistungsnachweisen (Hausarbeiten oder Referate, zudem meist in Gruppenarbeit erstellt), studierte ich nun in einem weitgehend verschulten System mit einer Reihe von Pflichtveranstaltungen, in denen nicht nur Hausarbeiten und Referate verlangt, sondern meist auch noch Klausuren geschrieben wurden. 1988 trat ich dann meine Stelle in Nijmegen an, wo das Programm sogar noch strikter war: Praktisch das gesamte Lehrangebot bestand aus Pflichtveranstaltungen, auch wenn natürlich im Hauptstudium die Inhalte einzelner Seminare jährlich wechselten. Dies war in Nijmegen allerdings auch eine Konsequenz unzureichender Lehrkapazitäten; in Utrecht haben die Studierenden vor allem im Hauptstudium weitaus mehr Wahlmöglichkeiten, weil die Zahl der Dozenten viel höher ist und damit das Lehrangebot auch reichhaltiger. Natürlich gibt es in Deutschland in sehr vielen Fakultäten solche einigermaßen streng regulierte, prüfungsintensive Programme. In den Geisteswissenschaften ist dies allerdings wohl auch heute noch eher selten der Fall.

Diese sog. "Verschulung" möchte ich jetzt unter zwei Aspekten genauer untersuchen. Zum einen in Hinblick auf curriculare Überlegungen, zum anderen unter dem Gesichtspunkt der Betreuung der Studierenden.

In den Niederlanden, aber auch in Frankreich, müssen die Studierenden ein mehr oder weniger vorstrukturiertes Programm absolvieren. Ziel ist hierbei vor allem ein weitgehend kontrollierter Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten, von Arbeitstechniken und Prinzipien wissenschaftlichen Arbeitens, insbesondere im Grundstudium. Diese sollen dann im Hauptstudium die Studenten dazu befähigen, eigenständig Problemstellungen zu formulieren, zu reflektieren und zu bewältigen. Dadurch können Lernfortschritte besser strukturiert und kontrolliert werden. Dies verlangt von den Dozenten eine ständige Reflexion und Diskussion des Curriculums, das ja auch der kontinuierlichen Weiterentwicklung des Fachs Rechnung tragen sollte. Die Frage nach den allgemeinen und fachspezifischen historischen, theoretischen und methodischen Grundkenntnissen, über welche die Studierenden verfügen müssen, um eigenständig wissenschaftlich arbeiten zu können, steht dabei im Mittelpunkt. Dies ist eine Frage, die sich im Rahmen der künftigen dreijährigen Bachelor-Studiengänge ganz akut stellen wird. Dabei müssen natürlich Entscheidungen getroffen werden, gerade dann, wenn man danach strebt, die vielfältigen Richtungen innerhalb eines Fachs oder einer Disziplin zumindest ansatzweise zu präsentieren. Diese sind jedoch, zumindest im Idealfall, das Resultat einer breiten Diskussion unter den Dozenten (möglichst auch unter Einbeziehung der Studieren-

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den) und nicht einfach das Produkt eher zufälliger Vorlieben oder wissenschaftlicher Orientierungen innerhalb des Lehrkörpers. Das Entscheidende dabei ist die sicherlich schwierige Balance zwischen einer ausreichenden Vermittlung von Grundlagenwissen und der Kopplung der Lehre an die Forschungsschwerpunkte des Instituts, die ja schließlich das spezifische Profil eines Studiengangs prägen sollen.

Als mein nach Deutschland berufener Kollege Henri Schoenmakers an seinem Institut eine Reihe von einführenden historischen, theoretischen und methodologischen Pflichtkursen in das Curriculum aufnahm, beklagten sich die Studierenden über die angebliche Einschränkung ihrer Wahlfreiheit. Sein, wie mir scheint, sehr zutreffendes Gegenargument war, dass derartige Veranstaltungen ganz im Gegenteil die Wahlfreiheit erhöhen, weil die Studierenden auf diese Weise das Fach in seiner Breite kennen lernen und sich somit sehr viel bewusster für Gegenstände, Forschungsansätze oder -methoden entscheiden können. Natürlich spielt hier auch die personelle Ausstattung eines Instituts – damit meine ich die fest angestellten Mitarbeiter – eine wichtige Rolle.

Das niederländische Unterrichtssystem ist sehr konsequent durchorganisiert: Das von den Studierenden für die einzelnen Veranstaltungen aufzuwendende Zeitbudget ist genau festgelegt, pro Jahr 42 x 40 Stunden, die sich über eine relativ große Anzahl von Kursen verteilen. Das birgt allerdings die Gefahr in sich, dass die Studierenden sich vor allem auf den Pflichtstoff konzentrieren und dadurch für die Eigeninitiative, das neugierige Stöbern in der Bibliothek, den Blick über den Tellerrand, nicht genug Raum bleibt. Das hängt auch damit zusammen, dass die Förderung, die "studiebeurs", die alle Studierenden erhalten, zeitlich begrenzt ist, und darüber hinaus der pro Jahr geforderte Erwerb von "credits" (Studierpunkte) streng kontrolliert wird.[Fn_1] Natürlich wird versucht, die studentische Eigeninitiative so stark wie irgend möglich zu stimulieren, doch die Praxis zeigt, dass das nicht immer gelingt. Hier liegt ganz sicher eine große pädagogische Herausforderung.

Der zweite Aspekt betrifft die Betreuung der Studierenden. Diese geht, nach meinen Erfahrungen, erheblich über das in Deutschland übliche Maß hinaus. Von den Dozenten wird erwartet, dass sie für ein kontinuierliches Feedback sorgen. Die Beurteilung von Leistungen soll für beide Seiten transparent sein. Das gilt auch für die Abschlussarbeiten, bei denen regelmäßig Gespräche zwischen Betreuer und Student stattfinden. Oft wird jedes Kapitel der Arbeit intensiv besprochen. Dieses System ist sehr zeitaufwändig, aber durchaus sinnvoll, denn gerade in dieser Phase kommt es vielfach zu großen Zeitverzögerungen oder gar zum Studienabbruch.

Auch hier gibt es natürlich Gefahren, vor allem wenn seitens der Studierenden der legitime Anspruch auf eine vernünftige Betreuung so interpretiert wird, dass die ganze Verantwortlichkeit für den erfolgreichen Studienverlauf letztlich bei der Universität liegt. Das studentenorientierte System hat ganz zweifellos große Vorteile. In

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letzter Zeit hört man in den Niederlanden jedoch immer öfter auch die Forderung nach "kundenorientierten" Universitäten. Das mag ganz einfach die Übernahme eines Modejargons sein. Doch es besteht tatsächlich die Gefahr, dass man dadurch auch eine Konsumentenhaltung produziert, die sich natürlich niemand wünschen kann. Die Universität darf sich hier keinesfalls opportunistisch verhalten. Doch auch das andere Extrem ist alles andere als pädagogisch sinnvoll. Mein jetzt in Deutschland lehrender niederländischer Kollege Schoenmakers hat das System, auf das er dort traf, sicher nicht ganz zu Unrecht als "darwinistisch" bezeichnet: Nach seiner Beobachtung bleiben die Studierenden vielfach sich selbst überlassen, es fehlt an Orientierung, strukturierten Curricula und Betreuung.

Dies alles mag nun von Universität zu Universität, von Fakultät zu Fakultät, von Studiengang zu Studiengang unterschiedlich sein. In jedem Fall aber steht man vor dem Problem, ein möglichst optimales Gleichgewicht zwischen Struktur bzw. Programm einerseits und akademischer Freiheit sowie studentischer Selbständigkeit andererseits zu finden. Das niederländische System wirft ganz gewiss eine Reihe von Problemen auf, doch wenn es darum geht, in Deutschland die Universität zu reformieren, wird man dort zumindest einige interessante Ansätze finden, mit denen man sich auf produktive Weise auseinandersetzen kann.

Die Situation der Hochschullehrer

Der wohl auffallendste Unterschied zwischen den Niederlanden und Deutschland betrifft den sogenannten Mittelbau. Als ich begann, in Nijmegen zu arbeiten, erhielt ich nach einem Jahr einen festen, zeitlich unbegrenzten Anstellungsvertrag. Als ich später zur Universität Utrecht wechselte, wurde ich sofort fest angestellt. Damit war ich zwar nicht unkündbar, hatte jedoch eine längerfristige Perspektive, da Entlassungen nur innerhalb eines genau definierten gesetzlichen Rahmen möglich sind. Darüber hinaus war ich im Grund- wie im Hauptstudium lehr- und prüfungsberechtigt, konnte sogar, unter gewissen Voraussetzungen, als "Co-Promotor" Doktoranden betreuen. Doch nicht nur in der Lehre, sondern auch im Bereich der Forschung konnte ich meine Arbeitsschwerpunkte weitgehend selbst bestimmen. Jeder Dozent hat eine vertraglich geregelte Aufgabenverteilung, wobei 70 % der Arbeitszeit auf Unterricht und Verwaltung entfallen und 30 % auf die Forschung (bei den so genannten "senior docenten" ist das Verhältnis 60 % zu 40 %, genau wie bei den Professoren). Lehrbeauftragte werden nur in vergleichsweise geringem Umfang eingestellt, erhalten dafür aber ein wirkliches Gehalt. Bei der Planung und Gestaltung der Studienprogramme werden alle festen Mitarbeiter einbezogen.

In den Niederlanden können und sollen die Mitarbeiter im Mittelbau Verantwortung für Organisation, Curricula, Gestaltung und Ausführung von Forschung und Lehre übernehmen. Die Hierarchien scheinen mir in dieser Hinsicht um einiges

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flacher zu sein als in Deutschland. Mancher wird hierin eine Schwächung der Position der Lehrstuhlinhaber sehen. Das wäre meines Erachtens jedoch falsch: Letztlich befreit die geteilte Verantwortung für das Institut auf all diesen Ebenen die Professoren von vielerlei zeitraubenden Detailaufgaben, für die sie natürlich die Endverantwortlichen bleiben. Sie führt zu stärkerem persönlichen und professionellen Engagement der Mitarbeiter für die Belange des Instituts und hilft gleichzeitig bei der persönlichen Weiterqualifizierung. Ob das System der Junior-Professuren, wie es in Deutschland eingeführt werden soll, dies alles leisten kann, wird sich zeigen müssen. Zweifel sind angebracht, denn das Problem des extrem ausgedünnten Mittelbaus wird ja damit nicht gelöst. Im übrigen ist es in den Niederlanden nicht automatisch für jeden Mitarbeiter das höchste Ziel, eines Tages auf einen Lehrstuhl zu kommen. Auch innerhalb des Mittelbaus gibt es zumindest finanzielle Aufstiegsmöglichkeiten, die Karriere muss nicht notwendigerweise auf eine Professur hin ausgerichtet sein.

Das Funktionieren dieses Systems ist natürlich auch eine Frage der Finanzierung. Ohne die politische Bereitschaft, einen einigermaßen breiten Mittelbau einzurichten und die entsprechende finanzielle Ausstattung zur Verfügung zu stellen, kann sich nicht viel ändern. Genau diese Frage wird man an die Politik immer wieder stellen müssen: Was ist der Gesellschaft eine effizient funktionierende Universität wert? Doch auch von den Universitäten wird dann eine Gegenleistung zu erwarten sein. Sie müssen Rechenschaft darüber ablegen, wie diese Gelder eingesetzt werden, wie die Lehre funktioniert, wie man dem Problem der Studienabbrecher begegnen will usw. Dabei gibt es ganz sicherlich auch eine Reihe von Gefahren, vor allem dann, wenn die Diskussion, wie es leider oft genug der Fall ist, sich rein auf der Ebene von Kosten-/Nutzenrechnungen abspielt. Doch darum geht es ja letztlich gar nicht, sondern darum, dass der Staat – in diesem Fall vor allem auch die Länder – dafür sorgt, dass alle die Sonntagsreden zum Thema "Wissensgesellschaft" auch tatsächlich zu Investitionen im Bereich der Bildung und vor allem der Universitäten führen, und dass andererseits die Universitäten transparent machen, wie sie mit dem Geld umgehen. Dies gilt für alle Fakultäten ohne irgendwelche hierarchischen Abstufungen zwischen angeblich wichtigen und weniger wichtigen Disziplinen. Es geht vor allem auch darum, die universitäre Ausbildung effizienter zu gestalten, ohne dabei opportunistisch qualitative und inhaltliche Anforderungen fallen zu lassen.

Mir scheint es deshalb auch verfehlt, dass in Deutschland die Diskussion um die Universitätsreform so oft von Schlagworten wie "Spitzenleistungen", "Eliteuniversitäten" usw. dominiert wird. Dabei vergisst man regelmäßig, dass gerade in den USA die Universitäten einen guten Ruf haben, in denen der Unterricht insgesamt, ob nun von Lehrstuhlinhabern oder von "Assistant Professors" gegeben, von hervorragender Qualität ist. Der Erfolg eines Studiengangs bemisst sich an der Qualität aller Absolventen und nicht nur an der Zahl der späteren Nobelpreisträger.

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Das niederländische Universitätssystem hat ganz sicher eine Reihe von Schwächen, und man würde es, selbst wenn man das wollte, auch nicht so einfach auf die deutsche Situation übertragen können. Dennoch lohnt sich die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen, die man dort gemacht hat. Aber auch in Deutschland selbst gibt es ja Beispiele, von denen man lernen kann. Um nur ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung zu nennen: Die Fakultät Medien der Bauhaus-Universität in Weimar, wo ich im vergangenen Jahr als DAAD-Gastdozent tätig sein durfte, hat im Bereich der Curricula der verschiedenen Studiengänge sehr viel geleistet. Dazu gibt es in dem deutsch-französischen Studiengang "Europäische Medienkultur" ein gut funktionierendes Auswahlverfahren, und auch auf dem Gebiet der Unterrichtsformen geht man neue Wege. Wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Weimar in einem der neuen Bundesländer liegt.

Damit komme ich zu meinem letzten Punkt: Wie bereits erwähnt, besitzen die niederländischen Universitäten bei der Umsetzung ministerieller Vorgaben einen großen Gestaltungsspielraum. Dadurch wird wohl auch mehr und schneller experimentiert. Soweit ich in der deutschen Presse die Diskussion über die Universitätsreform verfolgt habe, ist mir aufgefallen, wie häufig sich sowohl Reformbefürworter wie Reformskeptiker in ihren Positionen eingraben. Als könnte man schon im Voraus wissen, welche Auswirkungen die Veränderung oder Beibehaltung gewisser Regelungen oder Strukturen haben werden. Hier ließe sich von den Niederlanden (und von anderen Ländern) sehr direkt etwas lernen: Wenn man bestimmte Rahmenbedingungen klar regelt, kann man den Universitäten, Fakultäten oder Instituten durchaus weitreichende Freiheiten geben, solange man gewährleistet, dass deren Arbeit angemessen kontrolliert und evaluiert wird, so dass eventuelle Fehlentwicklungen erkannt werden können und nicht zu Lasten der Studierenden gehen.



    [Fußnoten]

    1. - Siehe zum Punktesystem den Beitrag von Rainer Fremdling, oben S. 73 f.



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