FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 27]



Andrea Allerkamp
Etats des lieux – Französische Zustände


Seit zwölf Jahren lebe und arbeite ich in Frankreich. Studium und Promotion fanden in Deutschland statt, auch meine Habilitation habe ich in Deutschland eingereicht. Sie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert und von deutschen und französischen Hochschullehrern begutachtet. Meine Lehrerfahrung aber habe ich an französischen Universitäten gesammelt. Drei Jahre lang hat man mich hier von der Lehre freigestellt, damit ich mein Habilitationsstipendium in Anspruch nehmen konnte.

Kurz vor dem Fall der Mauer fing ich in Montpellier als DAAD-Lektorin an. Zuerst vertraute man mir Sprachunterricht und Landeskunde für "LEA"-Studenten an, die Wirtschaft mit zwei Fremdsprachen studieren. Später überließ man mir auch Literatur-Vorlesungen für Germanisten im Grundstudium und sogar zur Vorbereitung auf die nationale Wettbewerbsprüfung für Lehramtsanwärter (Concours d’Agrégation). Eine zweisprachige Tandem-Veranstaltung forderte mich von Anfang an besonders. Das außergewöhnlich kooperative Seminar konfrontierte alle Teilnehmer damit, wie schwer – und lohnenswert – es sein kann, zusammenarbeiten. Es gab Anlass für Begegnungen, Konflikte und Austausch. Die einen bereitete es auf ein Auslandsstudium vor, die anderen versöhnte es mit Differenzen, die sich vor Ort abzeichneten. Das Fremde schmückte sich mit Zügen des Eigenen, und umgekehrt wurde das, was man als Eigenes wahrgenommen hatte, plötzlich fremd. Die französische Sprache hebt diese Dialektik im Wort "Hôte" auf. Es bezeichnet nicht nur den Gast, sondern auch den Gastgeber. Vorab also ein Dank an mein Gastland, das mich für unbefristete Zeit bei sich aufgenommen hat.

Lektoren seien "Mini-Kultur-Institute in einer Person – Ein-Mann-/Eine-Frau-Orchester" schreibt Reinhart Meyer-Kalkus in seiner Studie zur akademischen Mobilität zwischen Deutschland und Frankreich.[Fn_1] Bleiben Lektoren im Land, so werden sie zu Gästen auf unbestimmte Zeit. Seit 1984 (Réforme Savary) ist es möglich, die deutsche Staatsangehörigkeit zu behalten und mit ausländischen Diplomen als "Maître de Conférences" oder "Professeur des Universités" verbeamtet zu werden. Das war vorher undenkbar. Früher mussten deutsche Wissenschaftler, wenn sie in Frankreich bleiben wollten, Franzosen werden. Heute ist zumindest von Seiten des Gesetzes keine Assimilation um jeden Preis mehr gefordert, und sogar die "Agrégation", das staatliche Auslese-Verfahren für Lehrer, hat sich europäischen Kandidaten ge-

[Seite der Druckausg.: 28]

öffnet. Das Leben zwischen zwei Ländern und Hochschulsystemen ist leichter geworden. Das heißt nicht, dass es einfacher ist. Aber Abkommen wie das von Maastricht sorgen für Voraussetzungen, aus denen sich etwas machen lässt. Auch nach meinem Amtsantritt als "Maître de Conférences" betrachte ich mich weiterhin als ein "Mini-Kultur-Institut". Meine Situation hat sich inzwischen verändert. Ich habe keinen diplomatischen Sonderstatus und/oder Anspruch auf "Heimaturlaub" mehr. Meine Studenten können jetzt von mir erwarten, dass ich ihre Probleme gut genug kenne und sie in ihrem Bildungssystem auf ihre zukünftigen Tätigkeiten als Lehrer, Übersetzer usw. vorbereite. Sie wissen aber auch, dass sie mich ansprechen können, wenn es um Fragen zu deutschen Hochschulen, zu Austauschprogrammen oder zu den sogenannten Äquivalenzen in Europa geht. Während meine französischen Kollegen den Alltag eines Studenten oder Schülers selbst erlebt haben, bringe ich andere Arbeitsformen, Methoden und vielleicht auch Zielsetzungen mit. Ich lerne von meinen französischen Kollegen und Studenten, und sie lernen vielleicht auch von mir. Weder einem Lehrstuhl noch einem Profil verpflichtet, lehre ich in verschiedenen Bereichen der Germanistik. Mein Status als französische Beamtin lässt mir Freiheiten, die mir ein befristeter Posten an einer deutschen Universität nicht gewähren könnte: die Möglichkeit einer Freistellung zu Forschungszwecken, der Aufbau von längerfristigen Projekten mit anderen Disziplinen oder Bereichen wie Theater, Film bzw. mit anderen Ländern. Die Knappheit der finanziellen Mittel schränkt diese Freiheit jedoch erheblich ein. Aufgrund fehlender französischer Diplome (keine Agrégation) bekomme ich bei gleicher Arbeitsbelastung weniger Geld als meine französischen Kollegen. Meine Forschungen und Tagungsaktivitäten habe ich bis jetzt durch Drittmittel aus Deutschland finanziert, die ich dank der Unterstützung durch Lehrstuhlinhaber an deutschen Universitäten beantragen konnte. Durch die vielen arbeitslosen Forscher in Deutschland ist jedoch mittlerweile der Konkurrenzdruck enorm gestiegen, wodurch natürlich auch die Chancen für eine Förderung im Ausland sinken.

In Frankreich wird Integration dank öffentlicher Schulen und Bildungseinrichtungen geleistet – und über die Sprache. Man denke etwa an die Begegnungen zwischen der deutschen Aufklärung und den französischen "Lumières" sowie an die Emigration der französischen Hugenotten im 18. Jahrhundert. Auch heute noch ist Französisch Zeichen einer gehobenen Ausdrucksweise, während Deutsch in eingeweihten Kreisen auf das Volk der Dichter und Denker verweist. Dem Erwerb beider Sprachen eilt der Ruf der Schwierigkeit, wenn nicht gar Unerreichbarkeit voraus. Dass der wissenschaftliche Austausch und Kontakt in erster Linie von der Fähigkeit zur gegenseitigen Verständigung abhängt, zeigt die "beunruhigende Erosion" der Zahl von Franzosen und Deutschen, die immer weniger bereit sind, über die allgemeine lingua franca des Englischen hinaus die Sprache des unmittelbaren Nachbar-

[Seite der Druckausg.: 29]

landes zu lernen.[Fn_2] Philosophische Auseinandersetzungen wie zwischen Frankfurter Schule und Dekonstruktivismus mögen zudem über eine gemeinsame "Verkennungsgeschichte aus gegebenem Anlass"[Fn_3] Zeugnis ablegen. Die Vehemenz, mit der sie geführt werden, demonstriert jedenfalls, dass gemeinsame Erkenntnisse und voneinander trennende Differenzen nicht ohne Migration von Sprache, Ideen und Personen denkbar sind. Gerade in Krisenzeiten müssten sich wissenschaftliche Tätigkeiten und Forschungen aufeinander beziehen, anstatt sich in nationaler Besonderheit voneinander abzuschotten. Statt aber gleich zu fragen "Was stimmt hier nicht? Wer hat hier versagt?" wäre es vielmehr angebracht, aufgrund der unterschiedlichen Voraussetzungen und Systeme von Lehre und Forschung ins Staunen darüber zu geraten, dass trotz aller Verschiedenheit überhaupt Begegnungen stattfinden.[Fn_4] Niemand wäre so naiv, die Hindernisse zu übersehen, die dabei im Weg stehen.

Umso überraschter war ich daher, als man mir schon während meiner Lektoren-Zeit eine Vorbereitungs-Vorlesung auf die staatliche Lehrerprüfung (Agrégation) überließ. Sicher, es war eine Lücke, in die ich damals schlüpfen konnte. Denn auf dem Programm standen gerade zwei Theaterstücke Heiner Müllers. Ihnen ging der Ruf der Unlesbarkeit und der intertextuellen Dichte voraus. Aber die Situation zeigte auch, dass sich die spezifisch französische Einrichtung der staatlichen "Concours" durchaus öffnen konnte. Und ich bekam langsam einen Eindruck davon, was französische Studenten an Wissen speichern mussten und welche Methoden ihnen dafür an die Hand gegeben wurden: die Kunst des formalisierenden Aufsatzes, der "dissertation", die Gedächtnisleistung des auswendigen Zitats sind nur zwei Beispiele. Um zu verstehen, wie das französische Bildungssystem funktioniert, ist ein kurzer Einblick in die historische Entwicklung vonnöten.

Wie in Deutschland geriet die Bildungspolitik in Frankreich in den siebziger Jahren unter Druck: sie wollte sich politisch öffnen, sah sich mit einer Explosion der Schüler- und Studentenzahlen konfrontiert und musste sich strukturell ausdifferenzieren. Von 1960 bis 1990 versiebenfachten sich die Studentenzahlen in Frankreich, in Deutschland waren es nur fünfmal mehr. Während 1999 in Deutschland 48 % der 20-jährigen[Fn_5] eine Ausbildung erhalten werden, sind es in Frankreich 6 % mehr,[Fn_6] zumin-

[Seite der Druckausg.: 30]

dest was die ersten beiden Studienjahre angeht. Im Jahr 2000 bestanden 80 % der Schüler ihr Abitur, das baccalauréat, und es gab über zwei Millionen Studienanfänger, zwei Drittel davon gingen an die Universität. In Deutschland dauert das Studium durchschnittlich zwei Jahre länger. Den 15 000 französischen Doktoranden standen hier 1992 dreimal mehr gegenüber.[Fn_7] Ein Schulabgänger in Deutschland kann zwischen einem staatlichen oder einem innerbetrieblichen, von Industrie und Handel getragenen Ausbildungssystem wählen – ein Modell, das von vielen Franzosen oft bewundernd zitiert wurde. Der Ansturm der Studenten an französischen Universitäten hat zugleich auch das Hochschulpersonal anwachsen lassen.[Fn_8] Neue Institutionen wurden gegründet. Vor allem geisteswissenschaftliche Fakultäten zogen an den Stadtrand.

Wer sich nach dem Abitur in einer Universität einschreibt, wird von manchen Leuten in Frankreich als Versager angesehen. Er hat es wohl nicht geschafft, in eine der "Hohen Schulen" (Grandes Ecoles) aufgenommen zu werden. Die geisteswissenschaftliche Hochschule, die Ingenieurschule oder die Handelshochschule (Ecole normale supérieure, Ecole d’Ingénieurs, Ecole de Commerce) sind flexibler, besser ausgerüstet und stehen weit über den Universitäten. Deren Absolventen erwarten Spitzenpositionen in Industrie, Wirtschaft und staatlicher Verwaltung, auch später an den Hochschulen,[Fn_9] von diesen Grandes Ecoles gingen wesentliche Anstöße aus. Von ihnen kam auch der Anspruch auf Professionalisierung, die inzwischen sogar in einer Philosophischen Fakultät an erster Stelle steht. Studienangebote für den regionalen oder lokalen Arbeitsmarkt, die nicht das eigene Bildungssystem reproduzieren und auf außeruniversitäre Bereiche wie Tourismus oder Marketing vorbereiten, haben zur Zeit Hochkonjunktur. In den klassischen Geisteswissenschaften sinken die Einschreibungen oder gar die von jeher schmale Minderheit derjenigen, die es bis zum Magister oder bis zur Promotion bringen.[Fn_10] Doch ohne "Concours" können auch

[Seite der Druckausg.: 31]

qualifizierte Studenten nur wenig mit ihren Diplomen anfangen. Der "Monokultur" deutscher Universitäten steht das duale Hochschulsystem in Frankreich gegenüber. Die zum Teil aus dem 18. Jahrhundert stammenden, von der 68er Reform ausgelassenen "Grandes Ecoles" bereiten eine Elite auf künftige Spitzenpositionen vor, während die Universitäten bessere Berufschancen für die Masse in Aussicht stellen wollen. Das duale System drückt sich außerdem in einer klaren Trennung zwischen Lehre und Forschung aus.

Auch wenn die Massenuniversitäten seit den siebziger Jahren vor ähnlichen Aufgaben stehen, so bestimmen doch unterschiedliche Traditionen und Ziele die Bildungspolitik in Deutschland und Frankreich. Das fängt bei Schulsystem und Kindererziehung an. Während das deutsche Bildungsideal eine "Dominanz der ’Selbstreifung’" betont – "Bilde Dich selbst und wirke auf andere durch das, was Du bist", schrieb Wilhelm von Humboldt –,[Fn_11] und auf einen Willen zur persönlichen Gestaltung bzw. den überspringenden Funken in jeder einzelnen Seele setzt,[Fn_12] verlangt die französische Idee der Erziehung vom Lehrer, seine "Zöglinge" wie eine Pflanze im Interesse der Nation aufzuziehen.[Fn_13] Alle Kinder im 4. und 5. Lebensjahr gehen in Frankreich ganztätig in die "Ecole maternelle". Nicht die Familie, sondern eine Art Vorschule, Schule und Staat gelten als die primären Erziehungsinstanzen. Durch die Trennung von Staat und Kirche nimmt sich die staatliche Schule aller Kinder an, unabhängig von ihrer Konfession, Herkunft oder Staatsangehörigkeit. Das nationale Erziehungssystem ist ohne den französischen Zentralismus undenkbar. Der Versuch, zentrifugale Kräfte zu bannen, führt sowohl zu Napoleon als auch zur Französischen Revolution zurück. Mit Napoleon wurde die Verwaltung von Gymnasien, Universitäten und "Grandes Ecoles" vereinheitlicht und hierarchisiert. Auch das durchgehende Schul- und Studienjahr stammt aus dieser Zeit. Inzwischen mehren sich in Frankreich allerdings die Stimmen gegen diese napoleonische Zwangsjacke. Bernard Belloc, Vorsitzender der Konferenz der Universitätspräsidenten (CPU), weist auf die eingeschränkte Handlungsfreiheit der Hochschulen hin. Das System fordere dazu auf, die Universität nach den Regeln der Post zu verwalten.[Fn_14]

[Seite der Druckausg.: 32]

Ohne diesen Hintergrund sind die Arbeitsbedingungen von deutschen Wissenschaftlern und ihre Aussichten auf Karriere und Integration in Frankreich kaum zu verstehen. Jeder Austauschstudent würde das sofort bestätigen: Verschulung dort und Wissenschaftlichkeit hier. Wie alle Klischees müssen aber auch diese berichtigt werden. Sicher, in Frankreich käme nur ein Arzt auf die Idee, sich mit Doktortitel vorzustellen. Der "Dr."-Titel als rechtlich geschützter Teil des Namens ist so unbekannt wie etwa die Berufsbezeichnung "Literaturwissenschaftlerin". Das Literaturstudium ist eine Studie ("étude" oder "histoire"), Literatur kein trockenes Forschungsobjekt.[Fn_15] Am Ende eines Studiums winkt die Hürde der staatlichen Lehrerprüfungen "CAPES" (nach dem dritten Studienjahr, der "Licence") oder "Agrégation" (nach dem Magister). Die "Agrégation" stammt übrigens ebenfalls aus der napoleonischen Zeit. Die "Concours" geben auch in den "Grandes Ecoles" oder in vielen anderen Fach- und Aufbaustudiengängen den Ton an. Da sie das Mittel der Auslese sind, hat man sie von Anfang an im Blick. Das betrifft sowohl Methoden als auch Inhalte der Lehre. Getreu nach dem revolutionären Prinzip der Gleichheit sind die Korrekturen der schriftlichen Prüfungen anonym. Damit jeder die gleichen Chancen hat, bieten die Universitäten ein gemeinsames Programm an, um auf die jährlich wechselnden Themen vorzubereiten. Die Studenten sind auf die gute Vorbereitung durch ihre Hochschullehrer angewiesen. Ihnen bleibt nur wenig Zeit, um sich bis zur Prüfung in Quellen und Sekundärliteratur einzuarbeiten. Das bedeutet: Die Lehrkräfte sind für gemeinsame, im Interesse der Studenten angelegte Tagungen bestens vorbereitet, ein großer Teil der Zeit für eigene Themenstellungen geht dabei aber verloren. Der staatlich alimentierte Forschungsbereich – Organisationen wie der Nationale Forschungsrat ("Conseil National de Recherche Scientifique", CNRS) – "unterhält dagegen nur schwache Verbindungen zur universitären Lehre und ist an der Ausbildung des Forschernachwuchses nicht beteiligt."[Fn_16]

Zusammenfassend kann man vier Punkte festhalten, welche einer akademischen Mobilität im Weg stehen:[Fn_17]

  1. Wissenschafts- und hochschulinterne Hindernisse: Studienorganisation, Fächerabgrenzung, Prüfungsinhalte, Fachtraditionen und Forschungsansätze. Nicht zu vergessen die Anerkennung oder Nichtanerkennung von Leistungen und Diplomen. Dem deutschen System wird in Frankreich aufgrund mangelnder Auswahlkriterien oder "zu guter" Beurteilungen nicht selten misstraut.

  2. Unterschiede in der Einstellung zur Wissenschaftlichkeit und Vortragsstil:

    [Seite der Druckausg.: 33]

    "dem harten Kern der Alterität zwischen beiden Ländern". Dazu gehören: Rhetorik, Gestenspiel, Argumentationsweise, Vortragsstil, Manieren etc. In Frankreich sind Studenten häufig nicht genügend auf selbstständiges Arbeiten und kontroverse Diskussionen vorbereitet, wie sie in deutschen Seminaren üblich sein sollten. Die Konsequenz: Diskussionsfeindliche Sitzordnungen, Klausuren statt Referate, individuelle Mitschriften statt Protokolle, Frontalunterricht selbst im Seminar, mündliche Abfrage-Prüfung statt Disputation einer Hausarbeit – sind oft beklagte Schattenseiten des zentralistisch geregelten französischen Bildungssystems.

  3. Politisch-administrative Hindernisse, die in Europa noch nicht ganz der Vergangenheit angehören.

  4. Lebenshaltungskosten. Ein französischer Wissenschaftler verdient im Durchschnitt ein Drittel weniger als sein deutscher Kollege. Fehlt die Agrégation, wie es bei den meisten in Deutschland ausgebildeten Wissenschaftlern der Fall ist, fällt der Verdienst, jedenfalls im Mittelbau, noch magerer aus. Auch der studentische Alltag unterscheidet sich in beiden Ländern. So wohnen französische Studenten meist noch bei ihren Eltern oder sind in Einzelzimmern untergebracht. Kollektive Wohn- und Arbeitsformen bilden eher die Ausnahme.

Zwischen den einzelnen Universitäten und Institutionen gibt es in Frankreich – wie in Deutschland auch – große Unterschiede, was ihren "Zustand" angeht.[Fn_18] "Was ist noch heterogener, komplexer und verwirrender als die französische Universität?" fragt das Magazin "Le Monde de l’Education" pünktlich zum Semesterbeginn.[Fn_19] Vor hohe Ansprüche gestellt, im Spagat zwischen Berufsausbildung und Kulturvermitt-

[Seite der Druckausg.: 34]

lung, Einzelbetreuung und Massenabfertigung, droht die Universität unter ihrer Last zusammenzubrechen. Mal erwartet man Aufklärung von ihr, mal ärgert man sich über die Schwerfälligkeit ihres bürokratischen Apparates. Ganze Tage können hier mit aufwendigen Verwaltungsaufgaben oder unfruchtbaren Konferenzen verbracht werden. Der Versuch, das von Oktober bis Juni dauernde Studienjahr zu semestrialisieren, führte nicht etwa zu einer längeren vorlesungsfreien Pause, sondern zur Verdoppelung der Prüfungsfrequenzen. Eine Woche zwischen Winter- und Sommersemester reicht weder, um sich auf das nächste Semester vorzubereiten, noch um zu forschen. Und die Konzentration auf die "Concours" geht oft auf Kosten anderer Bereiche.[Fn_20] Im internationalen Vergleich steht Frankreich mit den meisten Studenten pro Lehrkraft an der Spitze – seit 15 Jahren hat sich hier die akademische Demographie verdoppelt.[Fn_21] Die "Misere des universitären Alltags" hat immer noch nichts an Aktualität verloren: triste Seminarräume, verstopfte Büros, düstere Flure und baufällige Toiletten sind an der Tagesordnung. Nicht zu vergessen das Lamento über Korrekturen von Klausuren, die in phonetischem Französisch verfasst sind. Universitäre Bibliotheken besitzen häufig nur kleine Bestände, sind kurz geöffnet und bieten äußerst minimale Dienstleistungen an (Vormerkungen oder Fernleihe sind oft Fremdwörter). In den Sommermonaten wandern Interessierte an andere Bibliotheken in Paris oder im Ausland ab.[Fn_22] Der "Campus-Blues" hat sich offenbar für länger eingenistet.

Vorschläge zur Änderung der Lage sind gefragt. Das aber ruft nach Subventionen. Die Erhöhung des Unihaushaltes um 2,23 Prozent im Jahr 2002 stellte sich für den früheren Erziehungsminister Jacques Lang als eine "außergewöhnliche und beispiellose Anstrengung" dar. Alle Universitäten, so versichert der Minister, könnten schon bald über zusätzliche Mittel für pädagogische Reformen verfügen. Vor allem geisteswissenschaftliche Fakultäten müssten renoviert, mehr Stipendien bewilligt und weiteres Lehrpersonal eingestellt werden. Für den bereits tätigen Mittelbau gibt es seit dem Sommer nur noch zwei statt drei Gehaltsklassen. Wer einmal die Hürden der Pariser Bewertungskommission ("Conseil National des Universités" CNU) überwunden und in den öffentlichen Dienst aufgenommen wurde, hat also trotz Klagen eine relativ gute Ausgangsbasis. In Frankreich sind übrigens 20 % der Bevölkerung verbeamtet, wenn auch nicht alle beim Erziehungsministerium als dem größten Arbeitgeber. Die unentgeltliche Lehrverpflichtung der habilitierten Privatdo-

[Seite der Druckausg.: 35]

zenten in Deutschland stellt dazu einen scharfen Kontrast dar.

Was bewegt nun eine deutsche Wissenschaftlerin, nach Frankreich zu gehen und dort zu bleiben? Zur Arbeitslosigkeit im eigenen Land mögen die Liebe zu Gastland und Gastgebern kommen. Nicht zu vergessen verborgene, nicht immer transparente Motive. Thomas Keller, Germanistik-Professor in Aix-en-Provence, erforscht den Weggang der "Verpflanzten" durch einen Fragebogen, der nach privaten Gründen wie Herkunftsfamilie (etwa Vertreibung aus Ostgebieten) bzw. Optionen im Gegenwartssystem sucht (zweisprachige Kindererziehung, Ganztagsbetreuung für berufstätige Mütter). Seine These: Frankreich könnte für einen dritten Weg stehen, "jenseits der amerikanischen und der zentralistisch-planerischen Moderne".[Fn_23] Erstes Ergebnis von Kellers genealogisch orientierter Forschung: "Je älter, desto assimilationsbereiter, manche Assimilationisten wollen aber in Deutschland begraben sein."[Fn_24] Die Migration ist kein eindeutiges Untersuchungsfeld. In den meisten Fällen gibt es vereinzelte und widersprüchliche Motive. Die Arbeitslosigkeit im Inland gibt jedoch nicht selten den Anstoß für die akademische Mobilität.

Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses und auch der Forschung sind in Frankreich jahrelang vernachlässigt worden (besonders zwischen 1968 und 1985). Als die Promotion 1984 wieder zur Voraussetzung für eine Unilaufbahn wurde – jahrzehntelang reichte die "Agrégation" und eine Bescheinigung des Doktorvaters, dass die Dissertation "gut vorankommt" ("est en bonne voie"), fehlten plötzlich Kandidaten. Dieser Mangel bot deutschen Akademikern eine Chance, ins französische Universitätssystem hineinzurutschen.[Fn_25] Im Gegensatz zu deutschen Universitäten, die so gut wie keinen einzigen französischen Romanistikprofessor beschäftigen, gibt es inzwischen eine bemerkenswerte Zahl deutscher Germanisten, die an französischen Universitäten Aufnahme fanden.[Fn_26] Sie sind nicht nur durch die Maschen nationaler und lokaler Bewerbungskommissionen gekommen, sie wirken nun auch ihrerseits aktiv mit, indem sie Lehrer ausbilden, über Qualifikationen von zukünftigen Kollegen entscheiden und den jährlichen "Concours"-Programmen ihre Themen unterbreiten.

Ob und inwiefern deutsche Wissenschaftler überhaupt daran interessiert sind, nach Deutschland zurückzukehren, hängt davon ab, ob Wege für eine Rückkehr offen stehen. Je nachdem, welcher Generation sie angehören, haben viele der Migranten große Anstrengungen unternehmen müssen, um in Frankreich bleiben zu können. Bis zum Abkommen von Maastricht war die Annahme der französischen Staatsbürgerschaft die erste Voraussetzung für die Universitätslaufbahn. Damit waren die Weichen für eine definitive "Verpflanzung" gestellt. Diejenigen, die später nach Frank-

[Seite der Druckausg.: 36]

reich kamen und als Deutsche verbeamtet wurden, bleiben vielleicht eher mobil. Auch kommt es, neben dem Grad der gesellschaftlichen Integration, darauf an, in welchem Fach und an welcher Institution der Beruf ausgeübt wird. Die Germanistik zum Beispiel muss in Frankreich zur Zeit um ihr Überleben kämpfen. Das Fach Deutsch ist seit einiger Zeit an vielen Schulen rückläufig, die sinkende Zahl der Erstsemester und das sich verschlechternde Sprachniveau sind das Ergebnis. Der Trend geht, wie in anderen Ländern auch, zu den "wichtigen" Sprachen wie Englisch und Spanisch. An kleineren Universitäten müssen bereits ganze Abteilungen schließen. Dazu gehört die Tendenz, inhaltliches Arbeiten frankophonen Fächern wie "Lettres Modernes" zu überlassen und sich auf reinen Sprachunterricht zu konzentrieren.

Hat man einmal an einer französischen Universität Aufnahme gefunden – vorausgesetzt werden französische Publikationen, häufig auch die "Agrégation" oder auch eine zweite, französische Habilitation –, ist ein gewisses Alter erreicht. Ein rückkehrwilliger Wissenschaftler ist in zwei Systemen gleichzeitig tätig: in Frankreich ist er durch die von den "Concours" bestimmte Lehre absorbiert, in Deutschland versucht er, in der Forschung mitzuhalten. Der Weg über den Mittelbau kommt dort gar erst nicht in Frage, denn die Kriterien für eine deutsche Juniorprofessor sind für einen Migranten nicht mehr erfüllt. Bleibt die Möglichkeit, aus der Not eine Tugend zu machen. Ist man noch im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit, könnte die Finanzierung eigener Forschungsprojekte über die Drittmittel deutscher Stiftungen und der DFG laufen – allerdings unter der Bedingung, ein deutsches Gastinstitut zusammen mit einem deutschen "Strohforscher" zu finden, der den Antrag stellt. Hat man dagegen die französische Staatsangehörigkeit erworben, so bietet sich z. B. für die germanistische Forschung die Humboldt-Stiftung oder der DAAD an. Ein französischer Wissenschaftler wird übrigens weniger dazu angehalten, individuelle Leistungen zu erbringen als zu "kooperieren" – er sollte sich lokalen, teilweise vom CNRS geförderten Forschungsgruppen anschließen und Verbindungen "zwischen der universitären Forschung, der industriellen Forschung und der Gesamtheit aller Produktionsbereiche" schaffen, so das Berufsbild des französischen Bildungsministerium.[Fn_27] Die Hochschullehrer erscheinen aus dieser Sicht als ideale Vermittler zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen. Die Berufspraxis sieht jedoch selten so idealtypisch und praxisbezogen aus. Eine akademische Ausbildung ist nicht gerade das beste Aushängeschild, wenn man in der Privatwirtschaft Karriere machen will. Und sogar die Lehrerausbildung scheint langsam aber sicher aus der Universität in andere Institute verlagert zu werden.[Fn_28]

[Seite der Druckausg.: 37]

Doch zurück zu den Migranten, die zwischen allen Stühlen sitzen. Eine Position zwischen zwei Hochschulsystemen bringt Unruhe mit sich und sorgt zugleich für Anstoß und Innovation. Das könnte sowohl Hochschullehrern als auch Studenten zugute kommen. Gelingt es einem in Deutschland ausgebildeten Hochschullehrer, die französischen Studiengänge mit Elementen aus dem deutschen Seminarbetrieb anzureichern, so wird seine Arbeit zwar nicht abnehmen, doch alle Beteiligten könnten von den didaktischen Differenzen profitieren. Die Mobilität der Austausch-Studenten in Europa verlangt längst eine Mischung verschiedener Lehrmethoden. Und auch der deutsch-französische Hochschullehreraustausch hat seit den dreißiger Jahren große Fortschritte gemacht. Gab es in Frankreich bis 1985 noch keine Freisemester, die einen längeren Studien- oder Lehraufenthalt im Ausland ermöglichten, so gehören inzwischen kürzere Gastaufenthalte von ein bis drei Monaten zum Alltag europäischer Wissenschaftler.

Was nun könnten die "französischen Zustände" zur deutschen Hochschulreform beitragen? In Frankreich schafft die frühe Verbeamtung – ein "Maître de Conférences" tritt nicht selten schon mit Anfang 30 seinen ersten Posten an, er untersteht keinem Lehrstuhl und kann, so weit das Portemonnaie kein Veto einlegt, selbstständig forschen – theoretisch also eine gute Basis für weitere Projekte und Perspektiven. Da in Deutschland der Mittelbau seit Jahrzehnten systematisch abgebaut wurde, bleibt hier nur die steile Alternative zwischen gloriosem Professorendasein und sozial prekären Existenzen. In Zukunft wird es sich eine Universität zweimal überlegen, ob sie sich für die lebenslange Besetzung einer hoch dotierten Professur entscheidet oder nicht vielmehr zwei befristete Juniorprofessuren einrichtet. Die Generation der jetzt 35-45jährigen Habilitanden und Privatdozenten in Deutschland soll "verschrottet" werden, wie aus dem deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung zu hören war. Auch wenn der angestrebte "Verjüngungseffekt" zu begrüßen ist, so klingt die Änderung des Hochschuldienstrechts vor allem dann nach rascher Einsparung, wenn keine "Überleitung des vorhandenen Personals" vorgesehen ist.[Fn_29] In Frankreich fehlt es trotz der auf den ersten Blick humaner wirkenden Einstellungsbedingungen immer noch an Anreizen, damit sich der Mittelbau weiterbildet und weiter forscht. Hier müsste nicht nur etwas für Studenten, sondern auch für das Lehrpersonal getan werden, das sonst unter der Lehrroutine zu ersticken droht und die Forschung schnell ad acta legt.

Der französische Zentralismus, der auf Anonymität und externe Evaluation setzt, ist nicht von vorneherein zu verwerfen. Nationale Kommissionen kommen immerhin einer Ausschreibungspraxis zuvor, die den Verdacht nährt, "dass es weniger um

[Seite der Druckausg.: 38]

Wettbewerb als um Bedarfsdeckung geht."[Fn_30] In Deutschland gibt es kein unabhängig arbeitendes Gremium – wie etwa das nationale Evaluierungskomitee ("Comité Nationale d’Evaluation") in Paris. Durch die "Grandes Ecoles" kommen zudem "eine starke Dynamik und ein Zug zum Wettbewerb ins System."[Fn_31] Von ihren Prämien und Posten profitiert aber nur eine kleine politische Elite. Der universitären Doktorandenausbildung gehen die besten Köpfe verloren. Stattdessen verlangt man von den französischen Universitäten, dass sie berufliche Fertigprodukte ausliefern, eine Aufgabe, auf die sie nicht genügend vorbereitet sind. Der Schwerpunkt Berufsausbildung erklärt die kürzere Studienzeit (vier statt sechs oder sieben Jahre bis zum Magister), von der so mancher Reformer in Deutschland träumen mag. Die hohe Prüfungsfrequenz in Frankreich gibt zwar Lehrenden und Studenten einen Überblick über Fortschritt und Stagnation. Aber je mehr Zeit für Prüfungen verwendet wird, desto weniger bleibt für die Lehre. Studenten, die sich eher für ein selbstständiges und kreatives Arbeiten eignen würden, drohen aus einem solchen System herauszufallen. Es müsste deshalb zweigleisig verfahren werden. Auf der einen Seite könnten kurze und allgemeinere Studiengänge denjenigen Orientierungshilfen geben, die nicht an einer längeren Laufbahn an der Hochschule interessiert sind. Auf der anderen Seite müssten aber auch all diejenigen motiviert werden, denen ein Studium generale zu wenig wäre. Dieses duale System könnte zu Entscheidungen zwingen, die es später zu revidieren gilt. Insofern sollte sich die Universität vorbehalten, weiterhin Angebote für den zweiten Bildungsweg bereitzuhalten und sich verstärkt für Quereinsteiger zu öffnen. Es könnte ein interessanter "intergenerationeller" Austausch entstehen, den einige deutsche Universitäten schon jetzt anbieten. In beiden Ländern müsste die Chance einer Öffnung der Universitäten noch mehr genutzt werden.

In Deutschland spielt sich die Konkurrenz weniger zwischen Institutionen als zwischen einzelnen Bundesländern oder Lehrstühlen ab. Das ermöglicht einerseits mehr Flexibilität und erschwert andererseits übergreifende Zielsetzungen und Entscheidungen. In Frankreich dagegen lässt sich eine Tendenz zur nationalen Abschottung ausmachen. Nicht nur dass kaum ein Franzose bereit ist, freiwillig für längere Zeit ins Ausland – und noch dazu nach Deutschland – zu gehen, das Beharren auf Frankophonie gehört zum politischen Programm. Das hat den Vorteil, einer drohenden Anglo-Amerikanisierung die Stirn zu bieten, aber auch den Nachteil, einer engen Provinzialisierung Vorschub zu leisten.

Auf beiden Seiten des Rheins gibt es genügend Anlass zu Kritik und Reform. Nicht nur an Mitteln fehlt es, auch an innovativen Ideen und Projekten. Wie kann die Balance zwischen aufmerksamer Lehre und anspruchsvoller Forschung gehalten werden? Wie lassen sich der Spielraum für Kreativität und aktuelle, interdisziplinäre

[Seite der Druckausg.: 39]

Themen verbinden mit überregionalen Evaluierungskriterien und -gremien? Bei den Bestrebungen, die Ausbildung auf europäischer Ebene zu harmonisieren, dürfen nicht die Irrtümer wiederholt werden, die seit den siebziger Jahren gemacht wurden. Der Vorschlag, trotz Masse wieder zu "kleineren, menschlich wie wissenschaftlich attraktiven Einheiten" zurückzufinden,[Fn_32] regt zum Nachdenken an. Und angesichts der Tatsache, dass geburtenstarke Jahrgänge bald der Vergangenheit angehören werden, muss der Begriff "Masse" sowieso überdacht werden. Es liegt vielmehr nahe, mehrgleisig zu verfahren. In beiden Ländern sind Gesellschaft, Schule und Hochschule zur Zeit in einer großen Krise. Sie könnte genutzt werden für Vergleiche und Diskussionen. "Nichts kann ohne Grenzen existieren", schreibt Norbert Bolz wider die "Verzweiflungsformel ’deutsche Leitkultur’". Territorialität sei heute keine überzeugende Sinngrenze mehr. Angesichts der Mobilität von Recht, Wirtschaft, Politik und Menschen entstehe ein "neues Unbehagen in der Kultur".[Fn_33] Es macht sich überall dort bemerkbar, wo Probleme auftauchen und Spannungen erzeugt werden, die nach Dialog rufen: bei Austauschprogrammen, Förderungs(un)möglichkeiten, auf internationalen Kongressen… Und gerade da wird es ja spannend.



    [Fußnoten]

    1. - Reinhart Meyer-Kalkus, Die akademische Mobilität zwischen Deutschland und Frankreich (1925-1992), DAAD-Forum 16, Bonn 1994, S.156.

    2. - Die Alarmglocke ziehen beispielsweise Jacques Morizet u. Otmar Seul, Paris et Berlin ne doivent pas s’éloigner, in: Le Monde, 17.4.2001.

    3. - Ulrich Raulff, Akute Zeichen fiebriger Dekonstruktion. Die Frankfurter Schule und ihre Gegenspieler in Paris: Eine Verkennungsgeschichte aus gegebenem Anlass, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.9.2001.

    4. - Vgl. Brigitte Schroeder-Gudehus, Die Jahre der Entspannung: Deutsch-französische Wissenschaftsbeziehungen am Ende der Weimarer Republik, in: Yves Cohen et al. (Hg.), Frankreich und Deutschland, Forschung, Technologie und industrielle Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, München 1990, S. 105-115, hier S. 114: "Warum gehen wir nicht von der Hypothese aus, dass wissenschaftliche Tätigkeit und Forschung sich grundsätzlich einmal im nationalen Rahmen entwickelt, und fragen lieber, was denn von Fall zu Fall zu internationaler Zusammenarbeit geführt hat?"

    5. - In Deutschland: 31 % im Hochschulbereich, 15 % im Fachhochschulbereich. In Frankreich ist das Verhältnis umgekehrt: nur 14 % im Hochschulbereich, dafür 43 % im Fachhochschulbereich.

    6. - Einschulungsquote mit 20, Internationaler Vergleich 1999.
    Vgl. ftp://trf.education.gouv.fr/pub/edutel/dpd/chiffres_e/gchiffres_sortants.pdf

    7. - In Frankreich überlegt es sich ein Naturwissenschaftler, ob er angesichts weniger Laborplätze und Finanzierungsmöglichkeiten promoviert oder in die Privatwirtschaft abwandert. Wie so oft protestieren als erstes die Naturwissenschaftler gegen die unzumutbaren Bedingungen. Vgl. Véronique Radier, La Révolte des Chercheurs Smicards, in: Le Nouvel Obervateur, 27.10.2001, S. 158-160.

    8. - Dem Korpus der 17 800 Universitätsprofessoren stand 2000 ein doppelt so großer Mittelbau gegenüber: 33 000 "Maîtres de Conférences" und "assistants titulaires". Bereits mit Anfang 30 werden französische Universitätsdozenten verbeamtet (wie Anm. 6).

    9. - Meyer-Kalkus, akademische Mobilität (wie Anm. 1), S. 223: "Viele der besten Köpfe jedes Jahrgangs werden auf diese Weise der Forschung entfremdet bzw. nicht zur eigenständigen Forschungsarbeit motiviert."

    10. - Den offiziellen Zahlen zufolge schlossen 1999 137 756 Studenten mit dem D.E.U.G. (Zwischenprüfung nach dem zweiten Studienjahr) ab, 135 306 mit der Licence (nach dem dritten Studienjahr) und nur 93 734 mit der Maîtrise, 28 885 mit einem DESS, 23 520 mit einem DEA (Aufbaustudiengänge), 24 624 mit einem Diplôme d’ingénieur, und nur 6 984 mit einem Diplôme de docteur (santé) bzw. 9 467 mit dem Doctorat.

    11. - Vgl. Ernst Ulrich Große, Das Bildungswesen: Traditionen und Innovationen, in: ders. et al. (Hg.), Frankreich verstehen. Eine Einführung mit Vergleichen zur Bundesrepublik, Darmstadt 1989. Verbindungen zu Spätscholastik, Mystik und Protestantismus seien hier nur angedeutet. Große fasst die Situation noch 1989 kurzerhand so zusammen: "Aus dem protestantischen Kaufmannssohn von einst ist das karriereerträumende Angestellten- und Beamtenkind der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft geworden." Ebd., S. 208.

    12. - Ebd., S. 197. Dem deutschen Bildungsbegriff hafte eine "individualistisch-monadologische und letztlich biologisch orientierte Ideologie" an.

    13. - "Education", das französische Wort für "Erziehung" kommt von "éduquer", heraus-ziehen oder auf-ziehen.

    14. - Zitiert nach Luc Cédelle, L’urgence de la réforme, in: Le Monde de l’Education, Dossier "Les faiblesses de l’université", Oktober 2001, S. 24.

    15. - Vgl. Hansgerd Schulte, Wissenschaft, in: Jacques Leenhardt et al. (Hg.), Esprit/Geist. 100 Schlüsselbegriffe für Deutsche und Franzosen, München 1989, S. 361-369.

    16. - Meyer-Kalkus, Mobilität (wie Anm. 1), S. 223.

    17. - Ebd., S. 24 f.

    18. - Vgl. Eberhard Demm, Les Cahiers de doléances universitaires. L’Enquête sur nos conditions de travail, in: Bulletin de la Fédération nationale des syndicats autonomes de l’Enseignement supérieur de la Recherche, NF 96, Février 2000, S. 30-37, hier S. 30: "[…] die enorme Disparität der Arbeitsbedingungen und zwar nicht nur von einer Universität zur nächsten, sondern auch innerhalb der Universitäten selbst. Ein Abgrund tut sich auf zwischen dem Direktor eines Forschungszentrums, der über ein Personalbüro mit Sekretärin und Fax verfügt, in neuen und gut ausgestatteten Räumlichkeiten lehrt und für seine Forschung eine großzügige Finanzierung durch Universität und Ministerium bekommt, und dem armen Teufel, ebenfalls Professor, der seine Sprechstunde auf der Treppe abhält, nicht einmal ein Stück Kreide in seinem heruntergekommenen und schlecht beleuchteten Seminarraum findet, am Postschalter Schlange steht, um auf eigene Kosten Manuskripte und Freiexemplare zu versenden, und zur Finanzierung seiner Forschungsarbeit bei reichen deutschen oder englischen Verwandten anklopfen muss, damit sie ihm einige Krümel von ihrem reichgedeckten Tisch übrig lassen." – Text übersetzt von der Verf.; der Autor machte mich darauf aufmerksam, dass mit Verwandten nicht etwa Familienmitglieder, sondern wissenschaftliche Alimentatoren, also Stiftungen oder andere Förderungseinrichtungen, gemeint sind.

    19. - Cédelle, L’urgence de la réforme, (wie Anm. 13).

    20. - Um hohe Erfolgsquoten zu erzielen und im nationalen Wettbewerb gut abzuschneiden, wird an manchen Universitäten ein zusätzliches Gratis-Training der Studenten in Kauf genommen.

    21. - Der internationale Vergleich sieht 1999 so aus: 24,8 Studenten pro Lehrkraft in Italien, 19,4 in Frankreich, 18,5 in Holland, 18,5 in England, 16,4 in Spanien, 17,3 in Irland, 14 in den USA, 12,3 in Deutschland, 11,5 in Japan und 9,5 in Schweden (wie Anm. 6).

    22. - Organisatoren von Kolloquien sehen sich nach regionalen und außeruniversitären Geldquellen um, Teilnehmer finanzieren sich zu 60,8 % aus eigener Tasche. In 71,7 % der Fälle wird erwartet, dass Unterrichtsausfall nachgeholt wird. Vgl. Demm, Cahier des doléances universitaires (wie Anm. 18).

    23. - Vgl. Thomas Keller, Deutsch-französische Dritte Wege-Diskurse, Reihe: Übergänge, München 2001.

    24. - Brief vom 7.5.2001 an die Verf.

    25. - Erst die Einrichtung von Assistentenstellen (ATER) hat die Situation inzwischen wieder etwas entspannt.

    26. - Vgl. den Beitrag von Philippe Viallon in diesem Band, S. 21 ff.

    27. - Vgl. Décret N°84-431 de juin fixant les dispositions statuaires communes applicables aux enseignant-chercheurs et portant statut particulier du corps des professeurs des universités et du corps des maîtres de conférences. Titre 1, chap. 1: Droits et obligations, article 3, in:
    http://www.education.gouv.fr/enssup/dec6juin.htm.

    28. - So das Fazit der französischen Vereinigung der Hochschulgermanisten ("Association des Germanistes de l’Enseignement Supérieur"), die außerdem einen allgemeinen Rückgang des herkömmlichen Literaturstudiums feststellt, vgl. http://www.univ-paris12fr./www/formations/flsh/ages/carriere.htm.

    29. - Vgl. dazu "Lost Generation"? Resolution des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland (HabilitandInnen/PrivatdozentInnen), in : http://www.wissenschaftlichernachwuchs.de.

    30. - Sabine Etzold, Ein Gesetz genügt nicht. Die Dienstrechtsreform lässt sich nicht einfach aushebeln, in: Die Zeit, 27.9.2001.

    31. - Meyer-Kalkus, Mobilität (wie Anm. 1), S. 219.

    32. - Ebd., S. 239.

    33. - Norbert Bolz, "Deutsche Leitkultur" – eine Verzweiflungsformel, in:
    http://schule.spiegel.de/leitkultur/debatte/0.2172,171281,00.htlm


[Seite der Druckausg.: 40 = Leerseite]


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | July 2003

Previous Page TOC Next Page