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Die Mazedonien-Krise / Ulrich Büchsenschütz - [Electronic ed.] - Bonn, 2001 - 23 S. = 75 KB, Text . - (Politikinformation Osteuropa ; 95) - ISBN 3-89892-031-3
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2002

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT







[Seite der Druckausg.: 1-2 = Titelblatt]
[Seite der Druckausg.: 3 = Inhaltsverz.]
[Seite der Druckausg.: 4]

Vorwort

Am 16. November hat das makedonischen Parlament endlich und nach langen Debatten die bei den Gesprächen von Ohrid vereinbarten Verfassungsänderungen verabschiedet und damit einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Stabilisierung des Landes vollzogen.

Wie viele andere, so sieht auch Ulrich Büchsenschütz, der Autor der vorliegenden Analyse, diesen Weg als sehr schwierig an. Der Interessenwiderstreit zwischen albanischen und mazedonischen Gruppen hat das Land zutiefst geteilt. Wer auch immer das Land zukünftig regiert, steht vor der schwierigen Aufgabe diese Interessen auszugleichen und die beteiligten Gruppen zu versöhnen.

Internationale Beobachter sollen durch NATO-Schutz unter deutscher Führung – Operation „Amber Fox" – dabei behilflich sein und die Umsetzung des jetzt eingeleiteten Reformprozesses beobachten.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt im Rahmen ihres Engagements in ganz Ost-, Mittel- und Südeuropa den staatlichen Aufbau Makedoniens und den dazu notwendigen Friedensprozess seit der Gründung des Staates in vielfältiger Weise. Dies geschieht über die Zusammenarbeit mir einem breiten Spektrum gesellschaftlicher Partner. Mit der o.e. verstärkten Rolle der Bundesrepublik Deutschland in Makedonien betrachten wir es darüber hinaus auch noch als unsere Aufgabe, das damit ebenfalls verstärkte Interesse der deutschen Öffentlichkeit an der Entwicklung in der Region zu befriedigen.

Dem soll die vorliegende Studie dienen. Dem interessierten deutschen Leser werden nach einer kurzen historischen und geografischen Einführung in die Konfliktsituation in Makedonien zunächst deren Akteure aus den Bereichen Politik, Militär, internationale Gemeinschaft, Medien, Religionsgemeinschaften und Nichtregierungsorganisationen vorgestellt, bevor dann auf dieser Grundlage die kurz- und langfristigen Perspektiven erörtert werden.

Wir möchten dem Autor für seine fundierte Analyse danken und hoffen mit ihrer Veröffentlichung einem dringenden Informationsbedürfnis der interessierten deutschen Öffentlichkeit abgeholfen zu haben.

Berlin, im Dezember 2001
Günther Fichtner
Friedrich-Ebert-Stiftung
Abteilung Internationaler Dialog
Referat für Mittel- und Osteuropa

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Mazedonien als Staat und geographischer Begriff

Mazedonien (oder auch Makedonien) ist zunächst einmal ein geographischer Begriff, und wenn wir heute von dem Mazedonien-Konflikt sprechen, so ist das leicht irreführend. Denn eigentlich handelt es sich dabei um den Konflikt in der (ehemaligen jugoslawischen) Republik Mazedonien. "Mazedonien" ist aber auch die Bezeichnung für eine größere Region, die Gebiete in Nord-Griechenland und in West-Bulgarien mit einschließt (evtl. Karte). Die Hauptstädte bzw. -orte dieser Region sind Skopje für die Republik Mazedonien (auch: Vardar-Mazedonien), Thessaloniki für den griechischen Teil (auch: Ägäis-Mazedonien) sowie Blagoevgrad für den bulgarischen Teil (auch: Pirin-Mazedonien).

Die politische Dreiteilung der geographischen Region Mazedonien geht auf den Vertrag von Bukarest 1913 zurück, mit dem der Zweite Balkankrieg beendet wurde. In den beiden Balkankriegen kämpften die jungen Nationalstaaten Serbien, Griechenland und Bulgarien um die Eroberung des als strategisch wichtig angesehenen Gebietes, das bis dato zum Osmanischen Reich gehört hatte. Es sollte aber noch bis 1944 dauern, bis der erste mazedonische Staat gegründet wurde – als Volksrepublik Mazedonien innerhalb Jugoslawiens. 1991 schließlich spaltete sich Mazedonien friedlich von Jugoslawien ab, nachdem eine große Mehrheit in einem Referendum für diesen Schritt gestimmt hatte.

Die Republik Mazedonien hat knapp 26.000 km2; Mazedonien ist ein bergiges Land mit Gipfeln von über 2000 m Höhe. Es hat etwa 2 Millionen Einwohner, von denen etwa 60 bis 65 Prozent ethnische Mazedonier sind, etwa 4 Prozent Türken, je circa 2 Prozent Serben und Roma. Die Angaben über die Höhe des albanischen Bevölkerungsanteils schwanken zwischen 20 und 30 Prozent - wobei von albanischer Seite auch die Zahl von 40 Prozent genannt wird. Außerdem leben in Mazedonien noch einige kleinere ethnische Gruppen wie die Vlachen, Torbeschen und Bosnier, die zusammen etwa 2,5 Prozent ausmachen sollen. Die Diskrepanzen über die Bevölkerungsanteile ergeben sich aus dem Umstand, dass die albanische Bevölkerungsgruppe die beiden Volkszählungen von 1991 und 1994 boykottiert hat. Genauere Daten über die Bevölkerungszusammensetzung werden von einer Volkszählung erwartet, die für den Herbst diesen Jahres geplant war, aber vermutlich erst im Jahr 2002 stattfinden wird.

Die ethnische Gliederung der mazedonischen Bevölkerung spiegelt sich in der religiösen Vielfalt des Landes wieder: Die Mazedonier gehören in ihrer großen Mehrzahl der Mazedonischen Orthodoxen Kirche an, die Albaner, Türken und kleinere ethnische Gruppen wie die Torbeschen sind meist sunnitische Muslime. Daneben gibt es aber auch eine geringe Anzahl Katholiken sowie Angehörige kleinerer christlicher und muslimischer Sekten und Orden.

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Mazedonien vor dem Konflikt:
eine multiethnische Mustergesellschaft?


Bis zum Ausbruch der Gewalttätigkeiten zwischen den albanischen Rebellen von der UÇK und den mazedonischen Sicherheitskräften im Februar 2001 galt Mazedonien vordergründig als eine Art multiethnische Mustergesellschaft. Die Minderheiten besaßen, zumindest nominell, größere Rechte als in den – ethnisch weitaus homogeneren – Nachbarstaaten Albanien, Bulgarien, Griechenland und Serbien. Die Gesellschaft schien vor gewaltsamen interethnischen Auseinandersetzungen gefeit zu sein, obwohl es in den Jahren 1996 und 1997 auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen albanischen Demonstranten und der Polizei in Tetovo und Gostivar gekommen war, nachdem mazedonische Gerichte die albanischen Bürgermeister zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt hatte, weil sie auf den Rathäusern die albanische Fahne aufgezogen hatten.

Besonders seit dem Machtantritt der "Koalition für den Wandel" unter Premierminister Ljubco Georgievski im Herbst 1998 wurde immer wieder betont, dass die Beziehungen zwischen den Albanern und Mazedoniern noch nie so "entspannt" gewesen seien. Als während des Kosovo-Krieges beinahe eine halbe Million albanische Flüchtlinge nach Mazedonien kam, schien sich dieser Eindruck zu bestätigen.

Die Regierung versuchte auch noch nach den Ereignissen von Tanuševci im Februar 2001 diese Illusion aufrecht zu erhalten. Dabei war es bei näherem Hinsehen augenfällig, dass zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit ein großer Unterschied klaffte. Internationale Beobachter hatten schon lange darauf hingewiesen, dass die eigentliche Bedrohung für den mazedonischen Staat nicht von außen komme, sondern in den angespannten interethnischen Beziehungen lägen.

Der Umstand, dass an den mazedonischen Regierungen seit der Unabhängigkeit auch immer albanische Parteien beteiligt waren, bedeutete keineswegs die politische Integration der albanischen Minderheit (von den kleineren Minderheiten der Serben, Türken, Roma gar nicht zu sprechen). Forderungen nach mehr Rechten, wie sie beispielsweise die Partei der Demokratischen Prosperität (PPD) als Koalitionspartner der postkommunistischen Sozialdemokratischen Union (SDSM) gestellt hatte, wurden häufig übergangen. Dies führte letztlich dazu, dass die albanische Partei bei ihrer Wählerschaft zunehmend an Ansehen verlor. Ein ähnliches Schicksal schien der Demokratischen Partei der Albaner (PDSh) bevor zu stehen, als sie eine Koalition mit der nationalkonservativen Partei Ljubco Georgievskis (VMRO-DPMNE) einging.

Aber auch im Alltag war von einem friedlichen Zusammenleben wenig zu merken. Eher konnte man wohl von einem gewaltlosen Nebeneinander sprechen, das jedoch von einem tiefen beiderseitigen Misstrauen geprägt war. Die Albaner warfen den Mazedoniern vor, sie als Staatsbürger zweiter Klasse zu behandeln. Auch machten sie sich teilweise lustig über den Nationalismus der Mazedonier, die von ihnen als "künstliche Nation" betrachtet wurden.

Das Verhalten der Mazedonier gegenüber den Albanern wiederum war tief geprägt von Vorurteilen. Die hohe Geburtenrate unter den Albanern und eine angeblich ständig steigende Zahl von albanischen Zuzüglern aus dem benachbarten Kosovo schürten die

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Angst vor Überfremdung. Dieser ständige Zuwachs von Albanern in Mazedonien wurde in weiten Kreisen der mazedonischen Bevölkerung auch als Teil eines Plans zur Schaffung eines Groß-Albanien bzw. Groß-Kosovo wahrgenommen. Darüber hinaus wurde den Albanern, unter denen hohe Arbeitslosigkeit herrschte, von der mazedonischen Seite pauschal vorgeworfen, an illegalen Geschäfte wie Drogen- und Waffenschmuggel beteiligt zu sein – man denke hier nur an die europaweit agierende "Albaner-Mafia".

Wie gespalten die Gesellschaft bereits vor dem Ausbruch des Konfliktes gewesen ist, zeigt die verschwindend geringe Zahl von Mischehen zwischen Mazedoniern und Albanern. Gleichzeitig gab es so gut wie keinen Mazedonier, der Albanisch oder die Sprache einer der anderen Minderheiten beherrschte (abgesehen von der "Staatssprache" Jugoslawiens, Serbokroatisch) . Umgekehrt wurde von den Albanern und den anderen Minderheiten jedoch verlangt, das Mazedonische zu beherrschen, was zumeist auch der Fall war.

Diese Teilung der Gesellschaft fand ihren Ausdruck auch in der räumlichen Segregation der beiden größten Bevölkerungsgruppen. Obwohl es in ganz Mazedonien kaum ethnisch "reine" Siedlungen oder Städte gab, war doch deutlich ein Hang zur "Entmischung" ethnisch gemischter Stadt- bzw. Ortsteile zu konstatieren. So wurde beispielsweise der orientalisch geprägte Nordteil Skopjes und die angrenzenden Neubaugebiete zunehmend "albanisiert", wobei der Zuzug von Kosovaren und der Wegzug von Mazedoniern sich gegenseitig potenzierten. Hierzu muss allerdings erläuternd gesagt werden, dass auf dem Balkan auch aus historischer Sicht ethnisch gemischte Wohngebiete eher die Ausnahme als die Regel war. Unter den kommunistischen Regimes wurde versucht, diese ethnische und religiöse Segregation, die als Überbleibsel aus osmanischer Zeit gesehen wurde, durch stadtplanerische Maßnahmen zu überwinden – ohne großen Erfolg.

Der Ausbruch des Konfliktes wurde nicht zuletzt auch dadurch begünstigt, dass sich in den überwiegend albanisch besiedelten Gebieten in den vergangenen Jahren eine Art "staatsfreie" Räume gebildet hatten. Wie auch der mazedonische Staatspräsident Boris Trajkovski unlängst in einer Rede vor dem Parlament zugeben musste, hat es in Mazedonien albanisch besiedelte Dörfer gegeben, in die sich zuvor jahrelang kein mazedonischer Polizist gewagt hat. Diese "staatsfernen bzw. -freien" Gebiete waren keineswegs herrschaftsfrei, sondern von der traditionellen albanischen Gesellschaft dominiert, die auf patriarchalisch strukturierten Großfamilien basiert.

Die kleineren ethnischen und religiösen Minderheiten der Serben, Türken oder Vlachen waren – abgesehen von den Roma – wesentlich besser in die mazedonischen Gesellschaft integriert als ein Großteil der Albaner, und sie standen den politischen Forderungen der Albaner meist skeptisch gegenüber. Wie sich zuletzt während der Friedensverhandlungen und nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zeigte, fühlten sich die kleineren Minderheiten übergangen.

So konnte man nur vordergründig den Eindruck bekommen, dass Mazedonien ein funktionierender multiethnischer Musterstaat war. Bei näherer Betrachtung musste es klar werden, dass es sich vielmehr um eine zutiefst gespaltene Gesellschaften handelte.

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Der Konflikt – vorhersehbar?

Als Anfang 2001 die ersten Schüsse an der jugoslawisch-mazedonischen Grenze in der Nähe des Dorfes Tanuševci fielen, ahnte noch niemand, dass die Angriffe durch bewaffnete Albaner das Balkanland genauso gut in einem Bürgerkrieg hätten versinken lassen können. Zu oft hatte es in den Grenzgebieten zu Jugoslawien und zu Albanien Schießereien mit Toten und Verletzten zwischen mazedonischen Sicherheitskräften und Schmugglern gegeben. Als dann aber eine neue UÇK in Erscheinung trat – nun nicht mehr als die Kosovo-Befreiungsarmee, sondern als "Nationale Befreiungsarmee" – änderte sich die Situation schlagartig.

Die mazedonischen Behörden drückten dieser neuen UÇK sofort das Etikett "Terroristen" auf. Mit ungeeigneten militärischen Mitteln versuchten von nun an die Polizei und auch die Armee, der UÇK Herr zu werden: Dörfer wurden aus der Ferne mit schwerem Geschütz belegt, was allenfalls Sachschaden anrichtete. Im Gegenzug dazu verschanzte sich die UÇK an immer neuen Orten, was dann zunächst im März mit den Gefechten am Stadtrand von Tetovo gipfelte. Die Guerilla-Taktik der UÇK schien aufzugehen. Immer wieder verwickelten sie die mazedonischen Regierungstruppen in kleinere Scharmützel oder schlugen aus dem Hinterhalt zu.

Über die politischen Zielsetzungen der neuen UÇK war in den ersten Wochen der Kampfhandlungen nichts zu erfahren. Dies gab Anlass zu diversen Spekulationen, denen zufolge hinter der UÇK eigentlich die Mafia stehe. Für das organisierte Verbrechen stellte das Anfang des Jahres geschlossene Abkommen über den endgültigen Grenzverlauf zwischen Jugoslawien und Mazedonien eine massive Behinderung des Menschen-, Waffen- und Drogenschmuggels dar. Später stellte die amtliche Propaganda und auch ein Großteil der mazedonischen Presse die UÇK in die separatistische Ecke – angeblich kämpfte sie für die Abspaltung der überwiegend albanisch besiedelten Gebiete und deren Vereinigung mit Albanien und Kosovo zu einem "Groß-Albanien" oder "Groß-Kosovo". Erst mit dem Auftreten des politischen Führers der UÇK, Ali Ahmeti schälte sich eine klare politische Zielsetzung heraus, die bemerkenswerte Übereinstimmungen mit den Forderungen der albanischen politischen Parteien in Mazedonien aufwiesen und das Bekenntnis zur territorialen Integrität Mazedoniens einschlossen.

Im Lauf des letzten halben Jahres sind bei diesen Kämpfen zwischen der UÇK und den mazedonischen Sicherheitskräften etwa 70 Soldaten und Polizisten ums Leben gekommen. Nach jedem größeren Angriff auf mazedonische Sicherheitskräfte kam es zu Ausschreitungen gegen albanische Zivilisten in den Heimatorten der Polizisten und Armeeangehörigen. Im südmazedonischen Bitola wurden Läden zerstört und Häuser angezündet, im zentralmazedonischen Prilep eine historische Moschee in Brand gesteckt, in der Hauptstadt Skopje Läden von Albanern geplündert.

Wie viele Opfer es auf Seiten der UÇK gegeben hat, weiß niemand zu sagen, da die UÇK keine Zahlen veröffentlicht hat. Eines der jüngsten Gefechte in der Nähe von Raduša soll in ein regelrechtes Gemetzel ausgeartet sein: Der mazedonische Innenminister Ljube Boškovski hat vor kurzem in einem Interview mit dem in Skopje erscheinenden Nachrichtenmagazin "Forum" jedenfalls behauptet, es hätten an einem Tag "hunderte" albanischer Freischärler den Tod gefunden. Die wahren Zahlen der Opfer auf albanischer Seite und unter der Zivilbevölkerung werden wohl erst nach und nach ans Tageslicht gefördert werden können.

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Darüber, ob der Konflikt voraussehbar gewesen ist, scheiden sich die Geister. Einerseits hätte man erwarten können, dass sich die Spannungen der Jahre 1996 und 1997 nicht einfach in Luft auflösen. Die drängendsten Probleme waren ja weiterhin vorhanden. Und die Forderungen der Albaner waren auch nach dem Regierungswechsel von 1998 weiterhin auf dem Tisch. Hier hatte die neue Regierung zwar einige kleine Erfolge aufzuweisen – eine Lösung der Universitätsfrage zeichnete sich ab, der Anteil an albanischen Beamten wurde erhöht usw. – aber diese kleinen Schritte kamen wohl zu spät für eine radikale Minderheit in Mazedonien und im benachbarten Kosovo.

Die ursprüngliche Kosovo-Befreiungsarmee UÇK hatte sich schon Anfang 1998 zu einigen Bombenanschlägen in Tetovo und Gostivar bekannt, die sie als Warnung an die mazedonischen Behörden verstanden wissen wollte, sich nicht in ihre Aktivitäten einzumischen und mit den serbischen Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Im September 1998 schließlich gab der damalige mazedonische Innenminister Vlado Popovski zu, dass die UÇK auch in Mazedonien aktiv sei. Seither wurde aber jeder Bezug auf die Existenz einer UÇK-Struktur in Mazedonien vermieden – wohl um weiterhin den Anschein "entspannter inter-ethnischer Beziehungen" zu wahren.

Den mazedonischen Sicherheitsbehörden war die Gefahr eines bewaffneten Aufstands der neuen UÇK jedoch durchaus bewusst. Wie bereits erwähnt, hatten sich aber in den vergangenen Jahren einige "staatsferne" Räume in den albanischen Siedlungsgebieten entwickelt, die der Kontrolle der Polizei entglitten waren. In Verbindungen mit immer neuen Beschwichtigungen durch die albanischen politischen Eliten hatte man sich wohl allmählich einlullen lassen und damit abgefunden, dass schon nichts passieren würde.

Auch den internationalen Beobachtern, die spätestens seit der Kosovo-Krise in großer Zahl in Skopje stationiert sind, muss die Gefahr klar gewesen sein. Wie die amerikanische Journalistin Laura Rozen unlängst in einem Artikel für den "Washington Monthly" beschrieb, hatten beispielsweise die amerikanischen Diplomaten ziemlich genaue Kenntnis darüber, was im Norden und Nordwesten des Landes vor sich ging. Die dortigen Vorbereitungen wurden zwar registriert, aber offensichtlich nicht ernst genommen. "Wir wollten einfach nicht wahrhaben, was da vor sich ging," zitiert Rozen einen Botschaftsangehörigen. Zu oft schon war Mazedonien an einem bewaffneten Konflikt vorbeigeschrammt, und seitens der internationalen Gemeinschaft hoffte man wohl, dass es auch diesmal glimpflich abgehen würde.

Die hypothetische Frage, ob denn der Konflikt vermeidbar gewesen ist, lässt sich also so nicht mehr beantworten. Hätte man die Zeichen, die es für eine bevorstehenden Auseinandersetzung zweifellos gegeben haben muss, jedoch richtig gedeutet, hätte man vielleicht eine frühzeitige Eskalation verhindern können.

Die Frage ist jedoch, wer die Eskalation hätte verhindern sollen. Betrachtet man nämlich im folgenden die Akteure des Konflikts, wird deutlich, dass eine politische Lösung durch die vielen Partikularinteressen der etablierten mazedonischen Parteien stark behindert wurde. Eine militärische Lösung des Konflikts ohne internationale Beteiligung war ohnehin zu keinem Zeitpunkt möglich. Und die internationale Gemeinschaft hat vergleichsweise schnell reagiert und versucht, ein Krisenmanagement aufzubauen, das nach einigen Anlaufschwierigkeiten in Gang gekommen ist und, wie es scheint, einigermaßen erfolgreich war.

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Akteure im Mazedonien-Konflikt


Die Politischen Parteien

Mazedonien hat seit der Unabhängigkeit ein relativ stabiles Parteiensystem – zumindest was die größeren politischen Parteien im Lande angeht. Wie jedes Transformationsland in Ost- und Südosteuropa gibt es neben den hauptsächlichen Strömungen noch eine Vielzahl kleinerer Parteien; Spaltungen und Neugründungen sind in diesem Bereich eher die Regel denn die Ausnahme.

Die mazedonische Verfassung erlaubt die Gründung von Parteien auf ethnischer oder religiöser Grundlage. Dies ist einer der Gründe dafür, dass es neben – wenn auch vordergründig – gesamtmazedonischen Parteien wie der Sozialdemokratischen Union Mazedoniens (SDSM) in erster Linie "mazedonische", "albanische" oder Parteien anderer ethnischer Gruppen gibt. Hinzu kommt, dass das gesamte politische Spektrum gespalten ist in antikommunistische Parteien und ex- bzw. postkommunistische.

Zu den größten und wichtigsten Parteien im Mazedonien gehören die bereits erwähnte, aus dem Bund der Kommunisten Mazedonien hervorgegangene SDSM unter dem früheren Ministerpräsidenten Branko Crvenkovski und die antikommunistisch-nationalistische Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei der Mazedonischen Nationalen Einheit (VMRO-DPMNE) unter dem derzeitigen Premier Ljubco Georgievski auf der mazedonischen Seite. Auf der albanischen Seite sind es die von Arbën Xhafëri geführte antikommunistische Demokratische Partei der Albaner (PDSh) sowie die Partei der Demokratischen Prosperität (PPD) unter Vorsitz von Imer Imeri.

Mazedonien wird wegen der Zersplitterung der Parteienlandschaft seit 1991 von Koalitionsregierungen geführt. War es zunächst eine Koalition aus SDSM und PPD, die die Geschicke des Balkanlandes lenkten, so regierte seit Herbst 1998 eine Koalition aus VMRO-DPMNE, PDSh sowie einigen kleineren Parteien wie etwa der Demokratischen Alternative und später auch der Liberalen Partei. Keine der bisherigen Regierungen im Lande hat es bisher geschafft, sich von Skandalen, vom Geruch der Korrumpierbarkeit und von der Pöstchenschieberei freizuhalten.

Geschafft haben die bisherigen Regierungen allerdings, die Republik Mazedonien aus den vorangegangenen jugoslawischen Teilungskriegen herauszuhalten. Die Abtrennung Mazedoniens erfolgte eher notgedrungen als gewollt, und auch der Abzug der jugoslawischen Truppen vollzog sich friedlich – und hinterließ der fortan unabhänigen Republik Mazedonien kaum schwere Waffen, so dass man jetzt in dieser Hinsicht auf die Unterstützung durch Bulgarien und Griechenland sowie die NATO angewiesen ist.

Das bisherige „Erfolgsrezept" für die innenpolitische Stabilität der mazedonischen Regierungen, die gleichmäßige Verteilung der zu vergebenden staatlichen Pfründen auf alle Koalitionspartner scheint bislang funktioniert zu haben. Und auch der interethnische Ausgleich hat auf diese Weise funktioniert. Gleichwohl waren die albanischen Parteien immer wieder dazu gezwungen, Forderungen nach mehr Gleichberechtigung zu stellen, um ihre Klientel bei der Stange zu halten. Ein Ausscheiden aus der jeweilige Regierungskoalition war aber als Drohung nicht unbedingt glaubwürdig, hätte doch sofort die

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konkurrierende Partei aus dem eigenen ethnischen Lager mit Kußhand die Stelle eines neuen Regierungspartners eingenommen.

Die Forderungen nach mehr Gleichberechtigung mußten also sehr dosiert vorgenommen werden, und eine Radikalisierung der großen albanischen Parteien schien in diesem Zusammenhang eher unwahrscheinlich. Sobald sie an der Regierung beteiligt wurden, führte das Taktieren der albanischen Parteiführer zwischen nach außen demonstrierter Regierungstreue einerseits und dem Zwang, die eigene Klientel mit Posten und Forderungen bedienen zu müssen, jedoch zu einem Vertrauensverlust bei der eigenen Wählerschaft und zum Vorwurf der Heuchelei seitens mazedonischen Bevölkerung. Das hatte zur Folge, dass die albanischen Parteien in der Opposition an Stärke gewannen,während die an der Regierung beteiligte Partei an Unterstützung einbüßte, weil sie unfähig war, Wahlversprechen einzulösen.

Ähnlich verhielt es sich mit den mazedonischen Parteien. Um der eigenen Klientel keine Schwäche in der albanischen Frage zu demonstrieren, mußten sie sich den albanischen Forderungen verweigern. Andererseits durften sie sich nicht so weit verweigern, dass sie in den Geruch des Nationalismus gerieten und auf diese Weise ihren Koalitionspartner verlieren. So wurden Forderungen wenn überhaupt, dann nur scheibchenweise erfüllt, gerade genug, um den Koalitionspartner zufrieden zu stellen, ohne sich dem Vorwurf des "nationalen Ausverkaufs" aussetzen zu müssen.

Der Ausbruch der militärischen Konfrontation zwischen der UÇK und den mazedonischen Sicherheitskräften bei Tanuševci veränderte einiges an dieser fragilen Balance. Wie die mazedonische Politologin Mirjana Maleska jüngst in einem Interview mit dem in Skopje erscheinenden Nachrichtenmagazin "Puls" anmerkte, folgte der Verlauf des Konfliktes zwischen UÇK und Regierung dem bekannten Muster interethnischer Konflikte in Ost- und Südosteuropa: Auf die Herausforderung durch die ethnisch motivierten Rebellen rückte die politische Führung der Mehrheitsbevölkerung enger zusammen, sie "homogenisierte" sich. Wer diese allgemeine ethnische (man kann auch sagen: nationalistische) Mobilisierung nicht mitmachte, lief Gefahr, als "Volksverräter" abgestempelt zu werden.

In der mazedonischen Regierung ging diese nationalistische Mobilisierung von der VMRO-DPMNE aus, die damit die Gefahr heraufbeschwor, ihren albanischen Koalitionspartner, die PDSh von Arbën Xhafëri zu verlieren. Gleichzeitig wurde ihr von den Sozialdemokraten mit der Ausrufung eines Generalstreiks gedroht, sollte die größte Oppositionspartei aus der Entscheidungsfindung in diesem wichtigen Moment ausgeschlossen bleiben.

Die internationale Gemeinschaft erkannte die Gefahr, die von einer weiteren ethnischen Mobilisierung durch die VMRO-DPMNE ausgehen konnte – sie hätte unweigerlich zu einer Eskalation der Gewalt geführt, aber keineswegs zu einer militärischen Lösung des Konflikts, wie von der Partei des Ministerpräsidenten behauptet (siehe auch den folgenden Abschnitt über die militärische Aspekte des Konflikts). Für Javier Solana, den Hohen Repräsentanten der EU für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, war die einzige Möglichkeit, eine Spaltung der politischen Führung nach ethnischen Gesichtspunkten in dieser kritischen Situation zu verhindern, ein möglichst breites Spektrum von politischen Parteien der Albaner und Mazedonier gemeinsam in die Verantwortung zu nehmen.

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Die im Mai 2001 unter massiven internationalem Druck geformte "Regierung der nationalen bzw. politischen Einheit" umfasst alle vier großen Parteien (VMRO-DPMNE, SDSM, PDSh, PPD); zudem sind die kleineren, im Parlament vertretenen Parteien an der Regierung beteiligt. Die Verhandlungen, die der Bildung dieser breiten Koalitionsregierung vorausgegangen waren, zogen sich immer mehr in die Länge und führten der internationalen Gemeinschaft und auch der mazedonischen Öffentlichkeit allzu plastisch vor Augen, woran es den meisten mazedonischen Politikern mangelt: an Verantwortungsgefühl und Augenmaß. Statt die innere Sicherheit des Landes in den Mittelpunkt zu stellen, lieferten sich vor allem die Vertreter der mazedonischen Parteien ein Hauen und Stechen um Posten und Pöstchen, während sich die führungslosen Polizei- und Armee-Einheiten mit der UÇK heftige Gefechte lieferte.

Gleichzeitig näherten sich die albanischen Parteien immer mehr einander an, obwohl sie sich vorher spinnefeind waren. Das dürfte vor allem daran gelegen haben, dass sie durch die Erfolge der UÇK immer mehr unter Druck ihrer Wählerschaft geraten waren – hatten die PPD und die PDSh doch jahrelang erfolglos versucht, mehr Rechte für die albanische Bevölkerung einzuklagen und sich statt dessen mit der Regierungsbeteiligung darauf zu konzentrieren, die Pfründen unter ihren Parteimitgliedern zu verteilen. Schließlich dürfte auch die UÇK selbst enormen Druck auf die Vorsitzenden von PPD und PDSh ausgeübt haben.

Da die Einheitsregierung nur unter der Bedingung zustande gekommen war, dass spätestens im Januar 2002 Parlamentswahlen stattfinden werden, war abzusehen, dass die Politiker versuchen würden, aus der Regierungsbeteiligung Kapital zu schlagen. Die Konflikte ließen denn auch nicht lange auf sich warten, und es waren ausgerechnet die Leiter der beiden wichtigsten Ressorts, die versuchten, sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben. Innenminister Ljube Boškovski von der VMRO-DPMNE, wollte und will sich der Öffentlichkeit unbedingt als Hardliner präsentieren, während Verteidigungsminister Vlado Buckovski vom SDSM eher einen gemäßigten Ansatz verfolgte und dafür von der internationalen Gemeinschaft gelobt wird.

Interessanterweise schien die Strategie der VMRO-DPMNE nicht aufzugehen, sich als die "mazedonischste aller Parteien" darzustellen, und in Meinungsumfragen rangiert sie weit abgeschlagen hinter den Sozialdemokraten. Dies liegt aber nicht unbedingt an ihrer Politik gegenüber der UÇK, sondern mit dem Vertrauensverlust, den sie sich durch einen maßlosen Nepotismus und offene Korruption selbst zuzuschreiben hat. Nicht, dass die SDSM frei von diesem Makel gewesen wäre, aber die Erinnerung der Wähler an deren Regierungszeit schien allmählich zu verblassen vor dem Hintergrund der jüngsten Skandale der Regierung Georgievski. So musste kurz nach Ausbruch der Krise Verteidigungsminister Ljuben Paunovski seinen Hut nehmen, nachdem bekannt geworden war, dass er wichtige Beschaffungsaufträge für die Armee an Familienmitglieder vergeben hatte.

Am 13. August schließlich wurde von den Vorsitzenden der vier größten Parteien sowie dem mazedonischen Staatspräsidenten ein Friedensabkommen unterzeichnet, dessen Bestimmungen jetzt vom Parlament umgesetzt werden muss. Diese Übereinkunft wurde in wochenlangen zähen Verhandlungen erzielt, die immer wieder von Waffenstillstandsbrüchen und politischen Intrigen gefährdet wurden. Vermittelt wurde es in einer gemeinsamen Mission des US-Sondergesandten James Pardew und dem EU-Beauftragten François Leotard.

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Noch während die Verhandlungen im Gang waren, erhoben diejenigen Parteien die Stimme, die nicht beteiligt waren. Neben dem grundsätzlichen Unbehagen, dass der albanischen Bevölkerung Zugeständnisse unter dem Druck der UÇK und der internationalen Gemeinschaft gemacht wurden gab es auch Zweifel an der demokratischen Legitimierung der Verhandlungsführer. Nicht nur die kleineren Parteien der Mazedonier, sondern auch große Teile der VMRO-DPMNE bestritten offen die Rechtmäßigkeit der Verhandlungen und des schließlich erzielten Vertrages. Weder habe das Parlament einer "Regierung der nationalen Einheit" zugestimmt, noch seien die Parteivorsitzenden demokratisch beauftragt, solch weitreichende Verhandlungen zu führen. Die politischen Vertretungen der kleineren ethnischen Minderheiten kritisierten vor allem, dass von den vorgesehenen Veränderungen nur die albanische Minderheit profitieren würde, während sich für die Türken, Serben, Roma oder Vlachen so gut wie nichts ändert.

Nach der Unterzeichnung des Abkommens durch die Parteivorsitzenden musste das mazedonische Parlament den Vertrag ratifizieren und die vorgesehenen Gesetzes- und Verfassungsänderungen vornehmen. Die Eröffnungsdebatte zeigte bereits, dass viele Abgeordnete der kleineren mazedonischen Parteien, aber auch aus den Reihen der VMRO-DPMNE von Ministerpräsident Georgievski nur widerwillig zustimmen werden.

Die größte Gefahr für den weiteren Friedensprozess ging zunächst von dem Vorschlag von Abgeordneten der kleinen "Nova Demokratija" aus, ein Referendum über das Friedensabkommen abzuhalten. Dabei scheint sich die Partei noch nicht sicher zu sein, ob das von ihr geforderte Referendum das Volk nur befragen oder um eine Entscheidung bitten soll. Beides ist nach dem mazedonischen Gesetz möglich. Das Parlament kann mit einer absoluten Mehrheit zu einem solchen Referendum aufrufen. Offensichtlich spekulierten diese Abgeordneten darauf, dass das Volk ihnen die Entscheidung gegen das Abkommen abnehmen würde. Gleichzeitig würde eine endgültige Entscheidung des Parlaments um Monate verzögert und womöglich erst nach den angesetzten Parlamentswahlen im Januar nächsten Jahres stattfinden. Nach heftigen öffentlichen Debatten und nachdem die internationale Gemeinschaft sich dezidiert gegen eine Volksbefragung ausgesprochen hatte, wurde die Idee jedoch wieder fallengelassen.

Schließlich stemmten sich viele der mazedonischen Abgeordneten gegen einige Bestimmungen des Ohrider Abkommens. Zum einen Stand die Neufassung der Präambel in der Kritik. Dass jede Erwähnung des mazedonischen Volkes (im ethnischen Sinn) vermieden wurde, war für diese Abgeordneten ein Indiz dafür, dass der Staat nicht mehr den Mazedoniern "gehören" würde. Damit würde die Tür für eine künftige Föderalisierung zwischen einem albanischen und mazedonischen Landesteil geöffnet. Nach den jugoslawischen Erfahrungen konnte eine Föderalisierung auf lange Sicht nur heißen, dass der Staat sich auch ganz auflösen könnte.

Hier zeigte sich aber auch ein Widerspruch zwischen dem von der internationalen Gemeinschaft anvisierten staatsbürgerlichen Konzept des Staatsvolkes bzw. der Staatsnation (Mazedonier sind alle Bürger des Staates Mazedonien unabhängig von der Nationalität) und dem nationalen Konzept des Staates (Mazedonier sind nur die mazedonischen Bürger des Staates, alle anderen sind nationale Minderheiten) – woraus sich auch rechtliche Unterschiede ableiten ließen.

Im Hinblich auf die geringe Akzeptanz der ursprünglichen Neufassung der Präambel hat dann Staatspräsident Trajkovski als Kompromiss vorgeschlagen, neben den Mazedoniern auch die Albaner als "Volk" namentlich in der Verfassungspräambel zu erwähnen.

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Dies wiederum nahm die albanische Partei der Demokratischen Prosperität (PPD) zum Anlass, die Parlamentsberatungen zu blockieren, weil eine solche Fassung wiederum eine Abstufung zwischen den Mazedoniern und Albanern nach sich ziehen würde. Wieder musste die internationale Gemeinschaft vermitteln. Dabei stellte sich heraus, dass die PPD die Frage der Präambel dazu nutzen wollte, um politisches Kapital für sich herauszuschlagen. Die Parteispitze wollte sich die Zustimmung zu den Verfassungsänderungen mit Zugeständnissen in Punkten erkaufen, von denen man dachte, sie würden das verlorene Wählervertrauen in die Partei wieder herstellen helfen.

In Umfragen hatte sich nämlich herausgestellt, dass die Partei massiv an Zustimmung eingebüßt hatte – zugunsten der Nationaldemokratischen Partei (NDP bzw. PDK), die seit ihrer Gründung in der ersten Jahreshälfte 2001 als legaler Arm der UÇK gehandelt wurde. Interessanterweise hat diese Partei vor allem im Lager der sich als radikal gerierenden PPD Stimmen gesammelt, während die PDSh von Arbën Xhaferi sich weitgehend halten konnte. Unter den albanischen Wählern genießt Xhaferi auch weiterhin das größte Ansehen. Allerdings wird er in dieser Position von Ali Ahmeti, dem politischen Führer der UÇK, bedrängt.

Schließlich wurde die im Ohrider Friedensabkommen vorgesehenen Verfassungsänderungen Mitte November doch noch vom Parlament verabschiedet – und zwar auch mit den Stimmen der PPD, die sich dem massiven internationalen Druck beugte. Damit wurde jedoch nur ein Teil der Bestimmungen des Abkommens erfüllt: die Gesetzesänderungen im Bereich der lokalen Selbstverwaltung und der Bildung stehen noch aus.

Ob und wie sich diese Änderungen werden durchsetzen lassen, bleibt abzuwarten. Nachdem schon länger darüber spekuliert worden war, erklärten die Sozialdemokraten im Anschluss an die Abstimmung über die Verfassungsänderungen ihren Austritt aus der Regierung. Begründet haben führende Mitglieder der Partei das damit, dass man dem Staat besser in der Opposition dienen könne. Und im Hinblick auf die Umfrageergebnisse, die einen hohen Wahlsieg der SDSM vorhersagen, wollte man sich darauf konzentrieren diejenige Bestimmung des Friedensabkommens durchzusetzen, die Neuwahlen am 27. Januar 2002 vorsehen.

Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im mazedonischen Parlament ist aber unwahrscheinlich, dass sich eine Mehrheit für die Selbstauflösung der Volksvertretung finden wird. Seitens der Regierung und der VMRO-DPMNE wird ein Wahltermin Ende Mai favorisiert, weil – so die offizielle und nicht ganz von der Hand zu weisende Begründung – die Sicherheit noch nicht im ganzen Land gewährleistet ist und man unter solchen Bedingungen keine demokratischen Wahlen abhalten könne.


Die militärischen Akteure

Der bewaffnete Kampf wurde von einer UÇK nach Mazedonien hineingetragen, die offensichtlich wesentlich besser ausgebildet und ausgerüstet ist als die Kosovo-Befreiungsarmee, deren Aufstand gegen die jugoslawische Regierung schließlich im Kosovo-Krieg endete. Stützpunkte und Rückzugsgebiete dieser "neuen" UÇK liegen nach wie vor im Kosovo, weshalb von der mazedonischen Regierung nach anfänglichen Versuchen, die Freischärler als Terroristen zu kriminalisieren, bald von einer Aggression von außen gesprochen wurde. Das gebe dem mazedonischen Staat das Recht, sich selbst mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verteidigen.

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Dass diese Mittel nicht besonders umfangreich und außerdem ungeeignet gegen eine hochmotivierte Guerilla waren, stellte sich jedoch schnell heraus. Als Mazedonien 1991 die Unabhängigkeit erreichte, war noch die Jugoslawische Volksarmee im Land stationiert, die jedoch schon Anfang 1992 kampflos abzog und alles aus ihren Beständen mitnahm, was nicht niet- und nagelfest war. Die neu gegründete Armee der Republik Mazedonien stand somit vor leeren Kasernen und musste von Grund auf neu ausgestattet werden.

Dass die Sicherheit des jungen Staates in der Zwischenzeit nicht ernsthaft in Gefahr war, lag unter anderem an der Anwesenheit einer UN-Schutztruppe im Land (1992 bis 1996 UNPROFOR, 1996 bis Ende Februar 1999 UNPREDEP), die aus etwa 1.100 amerikanischen und skandinavischen Soldaten bestand. Hauptaufgabe dieser Truppe war der Schutz der jugoslawisch-mazedonischen Grenze, also auch der Grenze zum Kosovo.

Beendet wurde das UNPREDEP-Mandat durch einen diplomatischen Fehlgriff erster Klasse: Von finanziellen Versprechungen gelockt, erkannte Mazedonien Taiwan diplomatisch an. Als Konsequenz brach die Volksrepublik China die Beziehungen umgehend ab, und verhinderte mit einem Veto im UN-Sicherheitsrat die Verlängerung des UNPREDEP-Mandats. Das so entstandene Sicherheitsvakuum konnten die inzwischen im Land und im Kosovo stationierten NATO-Truppen der KFOR nicht füllen.

Zu Beginn der Krise behauptete die mazedonische Regierung noch vollmundig, man werde sehr schnell mit den "Terroristen" fertig werden, wenn man nur freie Hand habe. Äußerungen seitens der internationalen Gemeinschaft von der Art man könne und solle die "Terroristen" durchaus selbst bekämpfen, dabei aber nicht übertreiben, verunsicherte aber offensichtlich die mazedonische Regierung und die Armeeführung.

Ein weiteres Problem der Regierung war die mangelhafte Ausrüstung und die offensichtlich veraltete Strategie mit Bombardements aus der Ferne. So konnte man der UÇK nicht beikommen. Als Ablenkung schob die Regierung Georgievski zunächst der NATO die Schuld zu. Schließlich habe man nicht nur die UÇK ausgebildet um Slobodan Miloševic zu stürzen, sondern auch beim Schutz der mazedonisch-(jugoslawisch)kosovarischen Grenze versagt.

Die Bildung der "Regierung der nationalen Einheit" unter internationalem Druck änderte an dem grundsätzlichen Problem nichts. Weiterhin glaubten die Hardliner um Ljubco Georgievski und Innenminister Ljube Boškovski daran, man könne und müsse zunächst die "Terroristen" militärisch besiegen, bevor man zu Verhandlungen mit den legitimen albanischen Vertretern über Zugeständnisse bereit sei. Spätestens das Versagen der Sicherheitskräfte bei Aracinovo führte aber plastisch vor Augen, dass eine militärische Lösung nicht möglich sei.

In der neuen "Regierung der nationalen Einheit" wird das Verteidigungsministerium nicht mehr von einem VMRO-DPMNE-Minister geleitet, sondern von einem SDSM-Mitglied: Vlado Buckovski, der fortan eine weitaus gemäßigtere Politik verfolgte und auch mit der NATO enger zusammenarbeitete. Dies wurde ihm von seinen politischen Widersachern innerhalb der Regierung übel genommen, und wiederholt kam es zu Anschuldigungen und Auseinandersetzungen, die das öffentliche Bild der neuen Regierung schnell ruinierte. Auch die UÇK musste sich von einer solch schwachen Regierung gestärkt gefühlt haben, die zudem immer wieder von der internationalen Gemeinschaft harsch kritisiert wurde.

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Der Waffenstillstand, der schließlich unter NATO-Vermittlung ausgehandelt wurde, war wohl die einzig mögliche Lösung, den politischen Dialog wiederaufzunehmen und eine friedliche Lösung zu finden. Mit der Unterzeichnung des Friedensabkommens verpflichtete sich auch die UÇK, die Waffen niederzulegen, doch ob die von der NATO-Operation Essential Harvest eingesammelten Waffen wirklich ausreichen, das Vertrauen der mazedonischen Bevölkerung wieder herzustellen, die inzwischen massenhaft aus den Kampfgebieten geflohen war, ist fraglich.

Immerhin scheint seit dem Abschluss der Waffensammelaktion der Friede einigermaßen stabil zu sein -- sieht man von gelegentlichen Schießereien ab. Dazu beigetragen hat sicher die Militäraktion, die der Operation Essential Harvest folgte. Unter dem Namen Amber Fox befinden sich seit Oktober etwa 700 NATO-Soldaten im Land, die in erster Linie die zivilen Beobachter von OSZE und EU beschützen sollen. Gleichzeitig haben die Soldaten die Aufgabe übernommen, die Flüchtlingsrückkehr militärisch abzusichern.

Ein großes Gefahrenpotential auch auf lange Sicht verbirgt sich jedoch nach wie vor hinter denjenigen UÇK-Einheiten, die sich nicht entwaffnen ließen und auch nicht mehr den politischen UÇK-Führer Ali Ahmeti anerkennen. Nun hat eine sogenannte "Albanische Nationalarmee" (abgekürzt ANA oder auch albanisch AKSH) die Verantwortung für einige der blutigsten Angriffe auf mazedonische Sicherheitskräfte übernommen. Ob und wie es gelingen kann, diese "Abtrünnigen" albanischen Kämpfer unter Kontrolle zu bringen ist unklar.


Die internationale Gemeinschaft

Die internationale Gemeinschaft engagiert sich seit der mazedonischen Unabhängigkeit in Mazedonien. Von der OSZE über EU, UNESCO und UNHCR über die verschiedensten Hilfsorganisationen und diplomatischen Vertretungen bis hin zur NATO – alle hatten in der mazedonischen Hauptstadt Missionen und Außenstellen eingerichtet. Möglicherweise ist das ein Grund dafür, dass die internationale Gemeinschaft nach dem Ausbruch des Konfliktes vergleichsweise schnell reagierte, wenn sie schon den Ausbruch selbst nicht vorhersehen oder gar verhindern konnte.

Nach einigen Anlaufschwierigkeiten und widersprüchlichen Aussagen einigten sich die Europäische Union, die OSZE, die NATO und die Vereinigten Staaten auf eine gemeinsame Linie zur Konfliktlösung. Diese beinhaltete Anstrengungen, die militärische Situation zu deeskalieren (durch Waffenstillstände und Druck auf die Konfliktparteien) sowie einen politischen Dialog mit Vertretern der beiden größten Bevölkerungsgruppen herbeizuführen.

Mit ihrer Pendeldiplomatie schafften es NATO-Generalsekretär George Robertson und der Repräsentant für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Javier Solana, vor allem die mazedonische Regierung unter massiven Druck zu setzen und sie so an den Verhandlungstisch zu zwingen.

In Skopje stieß diese Politik auf wenig Gegenliebe, und Ministerpräsident Georgievski beschuldigte wiederholt die internationale Gemeinschaft, die falschen Konfliktpartei unter Druck zu setzen. Schließlich sei man ja von einem UN-Protektorat unter NATO-Schutz aus angegriffen worden von Leuten, die Mazedonien teilen wollten. Weil sie sich vom Westen viel mehr militärische Unterstützung erwartet hatte, aber nicht bekam, wandte sich die mazedonische Regierung an Russland und die Ukraine. Von dort bezog

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Skopje Militärtechnik, mit deren Hilfe der Konflikt nach Ansicht der Hardliner in der Regierung gelöst werden sollte.

Dennoch fruchteten die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft. Den politischen Eliten in Skopje war wohl allzu klar, dass man allein durch Militärhilfe (und anderes kann weder die Ukraine noch Russland langfristig bieten) den mazedonischen Staat nicht am Leben erhalten kann. Es war wohl auch von den Vertretern der EU und anderen westlichen Institutionen und Organisationen deutlich gemacht worden, dass allein eine Einbindung in die europäischen Strukturen eine Perspektive für Mazedonien sein konnte.

Die Unterzeichnung des Friedensvertrages und die NATO-Operation Essential Harvest stellen die wichtigsten Erfolge der westlichen Diplomatie auf dem Balkan dar. Erste Erfahrungen mit der zeitlich begrenzten Nachfolge-Operation "Amber Fox" deuten darauf hin, dass die Anwesenheit der NATO-Truppen weiterhin nötig ist. Hier wird es darauf ankommen, die Regierung der Notwendigkeit zu überzeugen, eine internationale Truppe im Land zu haben. Der Auszug der Sozialdemokraten aus der Regierung im November 2001 hat diese Überzeugungsarbeit kaum erleichtert, denn die nationalistischen Kräfte drängen auf eine rasche Beendung des NATO-Einsatzes. Andererseits werden weiterhin albanische Parteien in der Regierung vertreten sein, in deren Interesse ein solcher Einsatz liegt.


Die Medien

Ebenso wie das Parteiensystem sind auch die mazedonischen Medien nach ethnischen Kriterien segmentiert. In der staatlichen Fernseh- und Rundfunkanstalt gibt es eigene Sendeplätze für minderheitensprachliche Ausstrahlungen. Daneben existieren noch einige private Radio- und Fernsehsender wie z. B. der Roma-Sender Šutel, die in Teilen Mazedoniens zu empfangen sind (ein Kabelnetz befindet sich noch im Aufbau).

Im Zuge der Krise wurden immer wieder albanische Journalisten (u. a. der in Skopje erscheinenden albanischsprachigen Tageszeitung "Fakti") verhaftet und stundenlang auf den Polizeistationen festgehalten, wo sie auch massiv bedroht wurden. Die Einschränkungen der Pressefreiheit betraf auch die albanischen Sendungen im Staatsfernsehen. Dort warf man den albanischen Journalisten wiederholt Propaganda für die UÇK vor, was letztendlich dazu führte, dass die albanischen Mitarbeiter in einen Streik traten.

Wenn man in den vergangenen Wochen die Nachrichten des staatlichen mazedonischen Radios gehört hat, konnte man feststellen wie weit sich die staatlichen Medien dem Sprachgebrauch der Regierung anpassen mussten. Während die Friedensverhandlungen in Ohrid kurz vor dem Abschluss standen war nicht von albanischen Rebellen, sondern von "terroristischen Banden" oder einfach "Banditen" die Rede, die "monströse Anschläge" auf mazedonische Polizisten verübten. Es ist kaum nachzuvollziehen, wie sich wohl die albanische Bevölkerung -- die sich zu diesem Zeitpunkt schon weitgehend mit den Zielen der UÇK solidarisiert hatte -- beim Hören solch hasserfüllter Sprache gefühlt haben muss.

Die mazedonischsprachigen Printmedien -- Tageszeitungen und wöchentliche Nachrichtenmagazine -- decken das gesamte politische Spektrum ab. Während die auflagenstärkste Tageszeitung "Dnevnik" zu Beginn der Krise eine weitgehend neutrale Position einnahm, tendiert sie in den letzten Wochen immer stärker dazu, das Ohrider Friedens

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abkommen abzulehnen und Stimmung gegen eine länger andauernde NATO-Präsenz in Mazedonien zu machen. Die zweitgrößte Tageszeitung "Utrinski vesnik" dagegen steht der SDSM nahe und verfolgt eine VMRO-DPMNE kritische, pro-NATO orientierte Redaktionspolitik. Bezeichnenderweise arbeiten in den Redaktionen dieser beiden Tageszeitungen keine albanischen Journalisten. Daneben existieren noch die früher kommunistische, heute von der VMRO-DPMNE kontrollierte "Nova Makedonija" sowie kleinere Boulevardblätter wie "Vecer" (ebenfalls VMRO-DPMNE kontrolliert) oder "Vest". All diese Tageszeitungen wurden und werden von der Regierung subventioniert. Die kleinere, stark nationalistische und regierungskritische Tageszeitung "Makedonija denes", ist inzwischen eingestellt worden, angeblich aus finanziellen Gründen. Die in Deutschland erscheinende "Makedonija europe" veröffentlicht eine wöchentliche Auswahl aus Artikeln aller größerer Tageszeitungen mit einer ausgeprägt nationalistischen Redaktion.

Die mazedonischen Wochenzeitschriften "Forum", "Start", "Puls" oder "Zum magazin" sind in der überwiegenden Mehrheit regierungskritisch eingestellt. "Start" wird gar von der SDSM kontrollliert und tut sich immer wieder durch die Verbreitung neuer Verschwörungstheorien hervor, deren Hauptakteure Ljubco Georgievski und Arbën Xhafëri sind. Die Journalisten des "Zum magazin" neigen dazu, antiwestliche Stimmung zu machen. "Forum" berichtete ausführlich, aber auch hier war ein gewisser Hang zu Verschwörungstheorien auszumachen.

Zusätzlich zu den Printausgaben betreiben alle mazedonischsprachigen Tages- und Wochenzeitungen Internet-Seiten, was sie auch für die zahlreiche Diaspora im Ausland zugänglich macht. Darüber hinaus existiern auch reine Internet-Medien wie die englischsprachigen Seiten "OK-MK" oder "Realitymacedonia". Speziell für die Diaspora gedacht ist die Homepage des Ministeriums für die mazedonische Emigration.

Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung hat sich seit Anfang des Jahres drastisch geändert. Die in regelmäßigen Abständen veröffentlichten Erfolgsmeldungen über militärische Erfolge über die UÇK-Rebellen, die später dann revidiert werden mussten, haben spätestens seit der Regierungsumbildung aufgehört. Einen wesentlichen Beitrag dazu dürfte der neue Verteidigungsminister Buckovski sowie die Einführung einer Koordinierungsstelle für die Sicherheits- und Informationspolitik geleistet haben.

Dass trotz dieser vordergründig vereinheitlichten Informationspolitik nach wie vor Gerüchte über Missgriffe einzelner Minister in den Medien gestreut werden, liegt nach Ansicht des Chefredakteurs der Wochenzeitschrift "Forum" unter anderem an der schlechten journalistischen Arbeit der Mitarbeiter von Tageszeitungen, die solche als "Insider-Informationen" getarnten Falschmeldungen nicht ausreichend überprüfen.

Dennoch haben sich insgesamt gesehen vor allem die beiden großen Tageszeitungen "Dnevnik" und "Utrinski vesnik" zu Beginn der Auseinandersetzungen darum bemüht, eine öffentliche Diskussion über mögliche Lösungswege für die Krise in Gang zu halten. Sie bieten auch weiterhin ein Forum für Meinungsbeiträge von Experten und Politikern; jedoch scheint der frühere Elan im Laufe der Krise weitgehend aufgebraucht worden zu sein.

In einer weithin beachteten Medienschelte hat Ende September der Direktor der staatlichen Informationsagentur, der Albaner Bebi Bexheti, die mazedonischsprachigen Medien beschuldigt, Halb- und Unwahrheiten über die Albaner im Land zu verbreiten. Sie hätten auch keine Ahnung vom Leben der Albaner in Mazedonien. Journalisten hätten sich einseitig auf Informationen des Innenministeriums berufen, ohne sie überprüfen. So

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hätten sie wesentlich zu einer albanerfeindlichen Stimmung im Lande beigetragen, die die Rebellen der UÇK mit der albanischen Bevölkerung gleichsetzt.

Dieser Vorwurf des Ethnozentrismus ist durchaus ernst zu nehmen. In der Zwischenzeit hat zwar der mazedonische Journalistenverband einen neuen Pressekodex verabschiedet, aber ob die neuen Ethik-Regelungen bald in die Tat umgesetzt werden, bezweifeln auch einheimische Beobachter. Zu sehr seien einzelne Medien – Presse und Fernsehen – wirtschaftlich abhängig von den politischen Parteien bzw. den ihnen nahestehenden Unternehmen.


Die Religionsgemeinschaften

Die beiden größten Religionsgemeinschaften Mazedoniens, die Mazedonische Orthodoxe Kirche und die Islamische Glaubensgemeinschaft, verhielt sich zu Beginn des Konfliktes zunächst neutral. Erst als die Kämpfe immer länger dauerten, bezogen auch die Vertreter der Religionsgemeinschaften deutlich Stellung – gegeneinander. Sie ließen sich damit einerseits von dem allgemeinen Strom der ethnischen Mobilisierung mitreißen und verstärkten ihn andererseits.

Da wurden plötzlich die alten Feindschaften zwischen den orthodoxen Kirchen Mazedoniens, Serbiens, Griechenlands und Bulgariens vergessen und eine allgemein-orthodoxe Achse gefordert gegen die islamische Bedrohung seitens der Albaner (und anderer Muslime auf dem Balkan). Den Regierungstruppen warf man vor, absichtlich Moscheen in Schutt und Asche zu schießen. Alles hatte den Anschein, als würden die Religionsgemeinschaften daran arbeiten, den Konflikt zwischen der UÇK und der mazedonischen Regierung zu einem Kampf der Religionen hochzustilisieren.

Nach einigen gegenseitigen Anwürfen legten die beiden Glaubensgemeinschaften jedoch wieder versöhnlichere Worte an den Tag und schließlich einigte man sich sogar darauf, den Friedensprozess zu unterstützen. Gleichwohl bleibt ein unangenehmer Nachgeschmack der Vorgehensweise auf diesem Nebenschauplatz. Und es bleiben vor allem immense Schäden für das kulturelle Erbe Mazedoniens – denn während der Kämpfe wurden eine große Zahl von Moscheen und Kirchen stark beschädigt oder unwiederbringlich zerstört, wie etwa die Kirche des Lešok-Klosters.

Die beiden großen Religionsgemeinschaften werden in der Zukunft große Anstrengungen unternehmen müssen, um gegenseitig das Vertrauen aufzubauen, das schon vor der Krise kaum vorhanden war.


Die Nichtregierungsorganisationen

Schon kurz nach Ausbruch des Konfliktes veröffentlichten eine ganze Reihe von mazedonischen Nichtregierungsorganisationen einen Aufruf zum Frieden, in dem unter anderem gesagt wurde, man solle den Kräften, die eine nationalistische Mobilisierung der Bevölkerung vorantrieben, widerstehen. Gleichwohl wurde diese Initiative in weiten Kreisen der internationalen Gemeinschaft und auch in der Bevölkerung kaum wahrgenommen, denn in den mazedonischen Medien war für solche Meldungen kaum Platz.

Momentan sind die mazedonischen Menschenrechtsorganisationen wie das Helsinki-Komitee dabei, die Menschenrechtsverletzungen während des Konfliktes aufzuarbeiten.

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Dabei ist besonders der mazedonische Innenminister ins Visier geraten. Diese Organisationen sind international gut eingebunden und werden von ihren Partnerorganisationen unterstützt; in der mazedonischen Öffentlichkeit und von nationalistischen Politikern erfahren sie dagegen Anfeindungen, und man hat etwa der Vorsitzenden des Helsinki-Komitees schon mit einer Klage wegen übler Nachrede gedroht.

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Aussichten und langfristige Perspektiven

Ob es in Mazedonien einen dauerhaften Frieden geben wird, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, die miteinander verknüpft sind.

Kurzfristig muss darauf gedrängt werden, dass das Friedensabkommen, das am 13. August in Skopje von den Führern der größten politischen Parteien und dem mazedonischen Staatspräsidenten unterzeichnet wurde, möglichst zügig umgesetzt wird – und zwar nicht nur auf dem Papier, was ja inzwischen geschehen ist, sondern auch in der Praxis. Dies wird sicher der schwierigere Teil.

Der Austritt der Sozialdemokraten aus der Regierung Mitte November 2001, könnte die weitere Umsetzung des Friedensplanes gefährden. Die noch ausstehenden gesetzlichen Neuregelungen im Bereich der Schul- und Universitätsbildung sowie im Bereich der lokalen Selbstverwaltung – beides Kernpunkte des Friedensabkommens – könnten dadurch bis weit in das nächste Jahr hinein verzögert werden. Auch die Aussichten auf vorgezogene Neuwahlen, ob sie nun wie vorgesehen im Januar stattfinden oder erst im Mai, bedeutet Verzögerungen. Der bevorstehende Wahlkampf könnte auch von nationalistischen Kräften auf beiden Seiten genutzt werden, die bestehenden interethnischen Spannungen erneut aufzuheizen.

Parallel zu der parlamentarischen Annahme des Friedensplans empfahl unter anderem die International Crisis Group, dass die vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen dem albanischen und dem mazedonischen Bevölkerungsteil forciert werden. Das schließt zum einen die Entwaffnung nicht nur der UÇK, sondern auch der mazedonischen paramilitärischen Einheiten ein. Zum anderen sollte die internationale militärische Präsens dazu genutzt werden, möglichst vielen Flüchtlingen die Rückkehr in ihre Häuser zu ermöglichen. Dies soll in erster Linie dazu dienen, den Vertrauensverlust der mazedonischen Bevölkerung gegenüber der NATO wieder wettzumachen. Wie wichtig diese vertrauensbildenden Maßnahmen sind, haben auch die Vorfälle im November des Jahres gezeigt, als kurz vor der Ratifizierung des Friedensabkommens durch übertriebene Polizeiaktionen die Spannungen innerhalb eines Wochenendes so weit angestiegen waren, dass ein erneuter Ausbruch von Kämpfen unmittelbar bevorzustehen schien. Diese Ereignisse haben aber auch gezeigt, dass radikale Kräfte (vertreten durch die sogenannte "Albanische Nationalarmee") versuchen könnten, die Situation weiter instabil zu halten. Langfristig wird mit weiteren Anschlägen dieser Gruppe zu rechnen sein.

Um dem Unsicherheitsfaktor zu begegnen, ob die albanischen Rebellen tatsächlich ihren bewaffneten Kampf gegen die mazedonische Regierung aufgeben, ist es unbedingt nötig, dass die mazedonische Regierung die Amnestie für die Rebellen vorantreibt. Im Friedensplan wurde festgelegt, dass diejenigen UÇK-Kämpfer, die sich nicht schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht haben, vom Präsidenten begnadigt werden. Zwar

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wurde eine Amnestie mehrfach vom Präsidenten erklärt, doch sind Rechtsexperten der Meinung, dass das Parlament eine solche Amnestie in ein Gesetz fassen müsse, damit Rechtssicherheit und Schutz vor weiterer Verfolgung bestehen kann. Ob sich allerdings die vielfach geäußerte Hoffnung von UÇK-Angehörigen, in die mazedonische Polizei aufgenommen zu werden, politisch durchsetzen lässt, ist zweifelhaft.

Darüber hinaus ist es unumgänglich, dass die mazedonischen Politiker aller ethnischen Gruppen und Parteien sich offen zu dem Friedensplan bekennen, und nicht nur Lippenbekenntnisse abgeben oder gar offen gegen den Plan agitieren.

Als Alternative zur derzeitigen NATO-Mission "Amber Fox" wurden verschiedene Modelle diskutiert, von denen einige für die mazedonische Regierung, die einer Verlängerung des bestehenden NATO-Mandats ablehnend gegenübersteht, annehmbarer sind als andere. Zwischenzeitlich hatte Präsident Trajkovksi die Erneuerung UNO-Mission UNPREDEP favorisiert, doch dieser Vorschlag scheint aus verschiedenen Gründen nicht realisierbar zu sein und ist inzwischen offensichtlich wieder vom Tisch. Da "Amber Fox" zeitlich begrenzt ist, die Spannungen im Land aber weiterhin die Anwesenheit einer internationalen Militärmission notwendig erscheinen lassen, haben sich NATO-Vertreter bereits für eine Verlängerung des jetzigen Mandats ausgesprochen.

Inwieweit die nach den Terroranschlägen von New York und Washington verstärkte Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA auch auf eine künftige Mission in Mazedonien Auswirkungen haben wird, muss sich noch zeigen. Der amerikanische Sonderbeauftragte für Mazedonien, James Pardew, hat jedenfalls schon zu erkennen gegeben, dass sich an der US-Balkanpolitik durch die Terroranschläge nichts ändern wird.

Eine langfristige Lösung muss in erster Linie auch die mazedonische Bevölkerung aller ethnischen Gruppen und Religionen sowie deren politische Vertreter mit einschließen. Denn eines ist klar: die politische Kultur in Mazedonien muss sich grundlegend ändern. Dazu gehört die Überwindung eines nach wie vor nach ethnischen Kategorien sich vollziehenden öffentlichen Lebens ebenso wie die Absage der Politiker an Korruption und Vetternwirtschaft.

Der Weg in eine Zivilgesellschaft ist durch den Kampf der UÇK sicher nicht erleichtert worden. Um so größter müssen daher die Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft sein, den Wiederaufbau und die Demokratisierung in Mazedonien nachhaltig zu unterstützen. Insofern verdient die Anregung Joschka Fischers, die vielfältigen und von unterschiedlichen Institutionen betriebenen balkanpolitischen Initiativen der Europäischen Union zu bündeln durchaus Beachtung

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.


Abkürzungen

Im Text wurden um der Übersichtlichkeit willen durchgängig die jeweiligen mazedonischen bzw. albanischen Original-Abkürzungen beibehalten. Daneben existieren von den albanischen Abkürzungen auch meist noch mazedonische Entsprechungen, z. B. OVK für die UÇK.

UÇK

Nationale Befreiungsarmee

VMRO-DPMNE

Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation – Demokratische Partei der mazedonischen nationalen Einheit

SDSM

Sozialdemokratische Union Mazedoniens

PPD

Partei der demokratischen Prosperität (albanisch)

PDSh

Demokratische Partei der Albaner

DA

Demokratische Alternative

LP

Liberale Partei

SP

Sozialistische Partei

LDP

Liberaldemokratische Partei




Weiterführende Literatur und Internet-Resourcen

Brunnbauer, Ulf: Historischer Kompromiß oder Bürgerkrieg? Makedonien sucht Antworten auf den albanischen Extremismus, in: Südosteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsforschung 50 (2001) Heft 4, S. 159-189.

Büchsenschütz, Ulrich: Die Verfassung der Republik Makedonien auf dem Prüfstand, in: Südosteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsforschung 50 (2001), Heft 1-3, S.134-149.

Cowan, Jane K. (Hg.): Macedonia. The Politics of Identity and Difference, London / Sterling, VA 2000.

Der Kosovo-Konflikt. Ursachen, Akteure, Verlauf. München 2000 (Bayerische Landeszentrale für politische Bildung D 56).

Hatschikjan, Magarditsch: Reparierte Nationen, separierte Gesellschaften. Mazedonien und seine neue große Frage, in: Osteuropa 51 (2001), S.316-330.

[Krause, Stefan:] Macedonia towards Destabilisation. The Kosovo Crisis Takes Its Toll on Macedonia. ICG Report, Skopje / Brussels 18 May 1999 (www.Intl-crisis-group.org/projects/sbalkans/reports.mac08rep.htm).

Macedonia: Still Sliding. ICG Balkans Briefing, Skopje / Brussels, 27 July 2001.

Macedonia: Filling the Security Vacuum. ICG Balkans Briefing, Skopje / Brussel, 8 September 2001.

[Seite der Druckausg.: 23]

Oschlies, Wolf: Mazedonien im Sommer 1998. Politisch-ökonomische Momentaufnahmen im Schatten des Kosovo-Konflikts, Köln 1998 (=Berichte des BIOst 1998, 39).

Oschlies, Wolf: Republik Mazedonien. Teil 1: Staatsbildende Jahre 1990-1992, Köln 1993 (=Berichte des BIOst 1993, 48).

Oschlies, Wolf: Republik Mazedonien. Teil 2: Politische und wirtschaftliche Koordinaten 1993/94, Köln 1994 (=Berichte des BIOst 1994, 10).

Oschlies, Wolf: Republik Mazedonien. Teil 3: Land ethnischer Koexistenz, Köln 1994 (=Berichte des BIOst 1994, 14).

Sundhaussen, Holm: Jung, verunsichert und klein. Warum die Mazedonier ihren Nachbarn als "künstliche Nation" gelten, in: Berliner Zeitung vom 4. April 2001.

Troebst, Stefan: "Groß-Kosovo" oder unabhängiges Kosovo?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. Juni 2001.

Willemsen, Heinz u. Troebst, Stefan: Transformationskurs gehalten. Zehn Jahre Republik Mazedonien, in: Osteuropa 51 (2001), S.299-315.

Links

International Crisis Group, Brüssel – http://www.crisisweb.org

Macedonian Information Agency – http://www.mia.com.mk

OK-MK (Nachrichten, Kommentare und Informationen zu Mazedonien in englischer Sprache mit weiteren Links) – http://www.ok.mk

Radio Free Europe / Radio Liberty, Prag – http://www.rferl.org

Reality Macedonia (Nachrichten und Kommentare zu Mazedonien in englischer Sprache) – http://www.realitymacedonia.org.mk

Regierung der Republik Mazedonien (mazedonisch und englisch) – http://www.gov.mk

Institute for War and Peace Reporting, London – http://www.iwpr.org

Nationale Befreiungsarmee UÇK – http://www.tetovari.com


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