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Zwischen der Durchsetzung nationaler Interessen und der Rolle als globaler Ordnungsmacht : Perspektiven künftiger amerikanischer Militäreinsätze / Stephan Böckenförde - [Electronic ed.] - Berlin [u.a.], 2001 - 16 S. = 65 KB, Text . - (Frieden und Sicherheit) - ISBN 3-89892-002-X
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT









[Seite der Druckausg.: 1 = Titelblatt]

Stephan Böckenförde

Zwischen der Durchsetzung nationaler Interessen
und der Rolle als globaler Ordnungsmacht:
Perspektiven künftiger amerikanischer Militäreinsätze

Juli 2001

Spätestens mit der neuen republikanischen US-Regierung
ändern sich die sicherheitspolitischen Perzeptionen
und Planungen der Vereinigten Staaten.
Sie werden in der Zukunft bei der Durchsetzung ihrer eigenen
nationalen Interessen und der Wahrnehmung ihrer Rolle als
Weltordnungsmacht vor einer Reihe von alten, vor allem aber
neuen militärischen Herausforderungen stehen.
Militärische Einsätze werden weiterhin Bestandteil
der amerikanischen Interessens- und Weltordnungspolitik sein.
Mittel und Strategien werden allerdings dem neuen Spektrum
möglicher Operationen angepasst werden müssen.

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Die US-Sicherheitspolitik vor neuen Herausforderungen

Militäroperationen stellen bis heute die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln dar. Die Vereinigten Staaten haben seit ihrer Gründung weit über 200 militärische Kampfeinsätze im Ausland durchgeführt – meist zwar nur kleinere Kommandounternehmen, die dem Schutz von Staatsangehörigen in Krisenregionen oder der Sicherung ihrer Botschaften galten. Seltener waren es mittlere Operationen wie in Grenada 1983 oder in Panama 1989; schließlich kam es aber auch zu einigen großen Kriegseinsätzen wie in Europa während der beiden Weltkriege, in Vietnam oder am Golf.

Militäreinsätze dienen der Durchsetzung des nationalen Interesses. Seit 1947 besteht dieses für die Vereinigten Staaten nun nicht mehr nur aus einem klassischen "genuin nationalen" Interesse, sondern ist untrennbar gepaart mit der selbstauferlegten Übernahme globaler Verantwortung. Die Vereinigten Staaten nehmen seitdem die Rolle einer Weltordnungsmacht wahr. Dafür haben sie – in Abkehr vom zuvor praktizierten weltpolitischen Isolationismus – ihr militärisches Potential seit den späten 40er Jahren aufgebaut. Sie haben die Verantwortung für die Sicherung der Weltordnung nicht an Dritte, etwa an Internationale Organisationen, abgetreten, und eine solche Entwicklung ist auch für die Zukunft nicht zu erwarten.

Die Entscheidungen für Militäreinsätze der Vereinigten Staaten sind im Einzelfall schwer zu prognostizieren. Die unterschiedlichen abgestuften Hierarchiekataloge des "nationalen Interesses", die man in der Literatur findet, sind von allenfalls begrenztem Wert. Sicher ist, dass jede US-Regierung von ihrem militärischen Potential Gebrauch macht, wenn das eigene Überleben oder die wesentlichen Pfeiler der Weltordnung auf dem Spiel stehen. Unterhalb dieses Interesses von "höchstem vitalen Wert" aber folgen die Entscheidungen zu militärischen Einsätzen keiner Proportionalität mehr, sondern basieren auf der Abwägung der politischen Kosten und des zu erwartenden Nutzens. Tatsächlich kann so auch im Einzelfall der Einsatz militärischer Mittel opportun erscheinen, um offensichtlich weniger drängende Interessen durchzusetzen. Militäreinsätze sind also nicht unbedingt das "letzte Mittel", sondern ein Mittel unter anderen im Katalog machtpolitischer Möglichkeiten.

Jeder Militäreinsatz steht in den Vereinigten Staaten unter einem innenpolitischen Vorbehalt. Dieser wird allerdings oft überschätzt: In der Regel geht der Kongress den Entscheidungen über Militäreinsätze aus dem Weg und überlässt der Regierung die alleinige Verantwortung. Und auch die Öffentlichkeit stellt sich mit dem Beginn von Militäreinsätzen normalerweise hinter die Regierung – selbst noch in den Fällen, in denen eine eindeutige Mehrheit ein militärisches Vorgehen zuvor abgelehnt hatte.

Die Rolle, die einzelne Interessengruppen (oft genannt: wirtschaftliche Akteure) bei den Entscheidungen zugunsten von Militäreinsätzen spielt, wird ebenfalls meist überschätzt. Auch hier gilt: Die Regierung entscheidet weitgehend autonom. Selbstverständlich gibt es oft deutliche Konvergenzen zwischen dem "nationalen" Interesse, das die Regierung wahrnimmt, und demjenigen verschiedener gesellschaftlicher Akteure. Es ist zudem nur natürlich, dass einige dieser Akteure unmittelbar von den Folgen militärischer Einsätze profitieren. Das bedeutet aber nicht, dass Militäreinsätze nun primär zur Durchsetzung von Partikularinteressen durchgeführt würden. Nach wie vor gilt Stephen Krasners Feststellung, dass Militäreinsätze nur nachgeordnet der Wahrnehmung von Sonderinteressen dienen. Partikularinteressen wirken sich lediglich dann aus, wenn ihnen über einen längeren Zeitraum hinweg im innenpolitischen Diskurs in den Vereinigten Staaten eine besondere Prominenz verlie-

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hen wird, wodurch sich die Regierung möglicherweise zu einem Handeln veranlasst sehen könnte. In diesem Falle sind die Operationen weniger außenpolitisch als vielmehr innenpolitisch motiviert.

Ein wesentliches Problem für jede US-Regierung besteht darin, die (globale) Reichweite der von ihr vertretenen nationalen Interessen und die Möglichkeiten ihrer Machtprojektion in Übereinstimmung zu bringen. Das betrifft zum einen die geographischen Dimensionen, zum anderen aber auch die Mittel, über die sie für erwartete Militäreinsätze rechtzeitig verfügen muss. Dem zweiten Punkt wird nun für die Zukunft ein besonderes Gewicht zukommen, weil das Nebeneinander von nationalen und post-nationalen Strukturen, von nationalen und transnationalen Bedrohungen es erforderlich macht, das bestehende militärische Inventar nicht nur zu modernisieren und gegebenenfalls auszubauen, sondern es auch durch neue Plattformen und Einsatzstrategien mit Blick auf die kommenden Herausforderungen umfassend zu ergänzen.

Auf der traditionellen nationalstaatlichen und geostrategischen Ebene wird der Brennpunkt des Weltordnungskonfliktes in Zukunft nicht mehr in Europa liegen (um "Stellvertreterkriege" erweitert), sondern in Asien. Die zu erwartenden Spannungen werden dabei einerseits ganz allgemein durch die Folgen von Bevölkerungswachstum und durch Ressourcen- (im wesentlichen: Energie-)bedarf der neuen Wirtschaftszentren Ostasiens, andererseits speziell durch Großmachtambitionen Chinas bestimmt werden. In den Szenarien vieler "Realisten" in den Vereinigten Staaten wird China als die neue expansive Weltmacht in Zukunft gegenüber den Vereinigten Staaten diejenige Rolle einnehmen, die früher die Sowjetunion besetzte – Voraussetzung dafür ist allerdings, dass China nicht in den kommenden Jahren im Zuge der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Öffnung an seinen inneren Widersprüchen zerbricht. Russland wiederum wird in der näheren Zukunft allenfalls durch seine Atomwaffen und seinen Beitrag bei der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen noch bedeutsam sein. Neben China erreicht in vielen Szenarien auch Indien in der Zukunft Großmachtstatus. Daneben könnte Japan sein Gewicht durch den Ausbau seiner Streitmacht deutlich erhöhen, sollte dazu der politische Wille vorhanden sein. Unklar ist, welche Entwicklung die beiden Koreas nehmen werden und welche Rolle ein sich zunehmend öffnender Iran spielen wird.

Neben der Herausbildung dieser Machtzentren werden im asiatischen Raum auch Regionen großer Instabilität entstehen, vor allem im indonesisch-philippinischen Raum, aber auch in Pakistan/Afghanistan und schließlich im schwach besiedelten östlichen Teil Russlands. So wird es zu einem unmittelbaren, den Kontinent unter Umständen stark destabilisierenden Nebeneinander von neuen Machtzentren und ausgesprochen schwachen Regionen kommen.

Die sich anbahnenden Umwälzungen im internationalen System werden die Vereinigten Staaten zum Eingreifen herausfordern: Zum einen erfüllen sie damit ihre Rolle als stabilitätssichernde Weltordnungsmacht. Zum anderen ist es für große Teile der politischen Elite in den Vereinigten Staaten ganz einfach undenkbar, den Aufstieg einer antagonistischen Großmacht – im Klartext: vor allem den Aufstieg Chinas zu einer militärischen Weltmacht – widerstandslos hinzunehmen. Entsprechend wird man Chinas (geopolitische) Rolle so stark wie möglich einzuschränken versuchen.

Neu ist dabei, dass in Zukunft (im Gegensatz zum Ost-West-Konflikt) die Vereinigten Staaten in eine direkte Konkurrenz mit den aufsteigenden Mächten um Märkte und Ressourcen treten. Dies betrifft vor allem die Frage des Zugangs zu den Weltenergiereserven und wird zu einer besonderen Beachtung aller Entwicklungen führen, die sich am Persischen Golf, im Kau-

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kasus und entlang der wichtigen Seewege anbahnen.

Daneben werden die "Sorgenstaaten" ("states of concern" bzw. "rogue states") – z. B. der Irak, der Iran, Nordkorea oder Libyen – ihre prominente Rolle in der sicherheitspolitischen Konzeption der Vereinigten Staaten behalten. Ihnen traut man gemeinhin zu, durch die Drohung mit biologischen, chemischen oder sogar nuklearen Waffen die Regionen zu destabilisieren oder – mittels Raketen oder durch terroristische Akte – die US-Alliierten in Europa und Asien, am Ende gar die Vereinigten Staaten selbst zu treffen. Darüber hinaus sind der Irak und der Iran unmittelbar in der Lage, den Zugang zu den Ölquellen des Nahen Ostens zu versperren.

Neben diese Bedrohungen traditioneller geopolitischer Natur treten zunehmend neue "transnationale" bzw. "post-nationale" Gefahren. Unter diesen erfährt der internationale Terrorismus in den Vereinigten Staaten eine besondere Beachtung: So wurde beispielsweise vor zwei Jahren ein "Senatsunterausschuss zur Behandlung entstehender Gefahren" (Senate Subcommittee on Emerging Threats) ins Leben gerufen, der einen Großteil seiner Zeit darauf verwandte, mögliche terroristische Operationen – von der Bedrohung durch biologische und chemische Waffen bis zum "Cyber-Terrorismus" – und geeignete Gegenmaßnahmen zu beraten. Daneben wird der internationalen Kriminalität, vor allem in der Form der Drogenkriminalität, in der außenpolitischen Diskussion in den Vereinigten Staaten immer mehr Bedeutung beigemessen.

Auch wenn diese "neuen" Gefahren zum Teil noch – etwa als "asymmetrische Bedrohungen" – von ("Schurken"-)Staaten ausgehen oder zumindest von ihnen geduldet werden (z. B. Afghanistan im Falle Osama bin Ladens), so besteht ihre neuartige Qualität doch darin, dass sie sich zunehmend der staatenweltlichen Sphäre entziehen. Entsprechend sind sie mit den herkömmlichen diplomatischen Mitteln nicht mehr in den Griff zu bekommen. Und auch die militärischen Mittel aus der Zeit des Ost-West-Konfliktes sind weitgehend ungeeignet in diesen Auseinandersetzungen.

Ein wichtiger Herd für die neuen Gefahren sind auch die "kollabierenden Staaten" ("failed states") – Nationen also, in denen die staatliche Ordnung stark eingeschränkt oder bereits weitgehend zusammengebrochen ist. Als Ausgangspunkt für Bedrohungen werden diese "schwachen" Staaten in den Vereinigten Staaten als mindestens so gefährlich eingeschätzt wie die "starken" Staaten.

Zivile/politische Krisenprävention, wie sie von den Europäern seit einiger Zeit konzipiert wird, ist in den Vereinigten Staaten eher unpopulär – hier wird Krisenprävention nach wie vor besonders als Systemumbau und Reduzierung von Waffen in "starken" Staaten verstanden (etwa in Form der Sicherung von Nuklearwaffen in der ehemaligen Sowjetunion). Entsprechend fehlt den Vereinigten Staaten weitgehend das außenpolitische Instrumentarium, um jenseits von militärischen Maßnahmen auf die Bedrohungen zu reagieren, die von kollabierenden Staaten ausgehen.

Schließlich wird auch von einigen amerikanischen Beobachtern auf die Gefahren hingewiesen, die sich langfristig aus nicht-traditionellen Krisen ergeben können. Diese Krisen resultieren vor allem aus Umweltproblemen, aus dem Fehlen von sauberem Wasser, aus Epidemien und Hungersnöten. Die entstehenden Bedrohungen wirken ebenfalls transnational, und schleichend können sie große Weltregionen destabilisieren. Im Vordergrund wird hier in der Zukunft sicherlich Afrika stehen. Lösen lassen sich solche Krisen nur mit großen langanhaltenden, kontinuierlichen Kraftanstrengungen, in denen das Militär allenfalls eine untergeordnete, assistierende Rolle bei der vorübergehenden Stabilisierung von Unruheregionen spielen kann. Da sich diese Regionen zugleich – bis auf Ostafrika – weit entfernt von den geopoli-

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tisch brisanten Räumen befinden, besitzen sie – wie etwa der Sudan zur Zeit – allenfalls das Potential, über lange Zeit die innenpolitische Diskussion in den Vereinigten Staaten zunehmend zu beeinflussen und gegebenenfalls über diese innenpolitische Komponente schließlich auch militärische Einsätze zu provozieren.

Aus dieser Analyse ergeben sich fünf unterschiedliche Formen militärischer Einsätze, zu denen sich die Vereinigten Staaten veranlasst sehen könnten:

  1. Traditionelle Kriege auf einer nationalstaatlichen Ebene, im wesentlichen von der Luftwaffe getragen, aber möglicherweise auch als Landkrieg geführt; sie dienen zum Erhalt des geopolitischen Systems und/oder dem Schutz eigener Interessen; mögliche zukünftige Gegner sind China, eventuell auch der Irak oder Nordkorea;
  2. Der "kleine Krieg", der zur Sicherung regionaler Stabilität geführt wird (möglicherweise in Kolumbien u. a.) oder der im wesentlichen innenpolitische Ursachen hat und stark humanitär motiviert ist (eventuelles Eingreifen im Sudan z. B.);
  3. Kriege "niedriger Intensität" und Einsätze von Spezialeinheiten in Unruhezonen;
  4. Kommandoeinsätze oder isolierte Luftschläge zur Bekämpfung von Terrorismus, Drogenhandel oder der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, möglicherweise auch Vergeltungsschläge;
  5. Kommando-Operationen zum Schutz von Staatsbürgern oder US-Einrichtungen im Ausland.

Insgesamt ist bemerkenswert, dass die Vereinigten Staaten auch nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes für die "großen Kriege" am besten gerüstet sind, während diese Konflikte zugleich aufgrund der hohen politischen Kosten am unwahrscheinlichsten erscheinen.

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Die sicherheitspolitischen Vorstellungen in der neuen Regierung der Vereinigten Staaten

Zwar ist der für neue US-Regierungen vollkommen normale außenpolitische Schlingerkurs der ersten Monate mittlerweile einem ruhigeren außenpolitischen Alltagsgeschäft gewichen, doch die Sicherheitspolitik befindet sich in zu großen Teilen noch in Überprüfungs- und Planungsstadien. Die verschiedenen Szenarien, die seit einiger Zeit in sicherheitspolitischen Zirkeln in Washington durchgespielt werden, weisen auf den längerfristigen Trend einer Renaissance der Geopolitik im asiatischen Raum hin. Genauere Aussagen über kurzfristige Perspektiven wird man aber frühestens im Herbst 2001 machen können, wenn mit der Veröffentlichung der alle vier Jahre erscheinenden Verteidigungsanalyse (Quadrennial Defense Review) mehr verteidigungspolitische Details bekannt werden. Bis dann werden auch weitere Regierungspositionen in der zweiten und dritten Reihe mit Bush-Leuten besetzt sein – diese Personen sind dann für die Routinearbeit zuständig, und sie beeinflussen als "Filter" wesentlich die Wahrnehmungsfähigkeit der Regierung für regionale Krisen sowie die Gestaltung des Krisenmanagements.

Auch wenn – entgegen dem üblichen Muster – unter Präsident Bush die "Falken" eher an der Spitze des Verteidigungsministeriums und die "Tauben" mehrheitlich im Außenministerium zu finden sein könnten, wird es bei den üblichen deutlichen Differenzen in sicherheitspolitisch-strategischen Auffassungen zwischen dem Weißem Haus, dem Kongress und vor allem zwischen dem Pentagon und dem Außenministerium kommen: Man kann sicher sein, dass Außenminister Powell seinen Grundsätzen folgen wird, die er als Generalstabschef Anfang der 90er Jahre aufstellte und in denen er die Schwellen für militärische Operationen sehr hoch legte. Das Militär sollte nicht unnötig als diplomatisches Druckmittel missbraucht werden. In dieser Haltung wird er von seinem

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Planungschef Richard Haass sicherlich bestärkt werden: Haass könnte zwar militärischen Einsätzen etwas weniger ablehnend gegenüberstehen als Powell, aber auch er hat in der Vergangenheit wiederholt unmissverständlich gefordert, dass solche Operationen nur unter sehr klar definierten Umständen durchgeführt werden dürften. Damit wird sich die neue Führung im Außenministerium in der näheren Zukunft gegen neue Einsätze aussprechen – zumindest solange keine unmittelbare Bedrohung vitaler Interessen vorliegt.

Auf der anderen Seite wird sie aus diplomatischen Gründen an den bestehenden Missionen eher festhalten als sie einseitig beenden wollen. So überwiegt im Außenministerium die Überzeugung, entgegen den Vorstellungen des Verteidigungsministers vorerst weder vom Balkan noch vom Sinai die US-Kontingente vorzeitig abzuziehen. Auf dem Balkan sollen die Truppen vor allem einen symbolischen Beitrag leisten, damit ein Vertrauensverlust bei den NATO-Partnern vermieden werden kann. Auf dem Sinai geht es um die Rolle der Vereinigten Staaten als stabilisierender Faktor in der Region und um die Beziehungen zu den Vereinten Nationen, die man im Außenministerium nicht zusätzlich belasten will.

Im Verteidigungsministerium dagegen spricht man sich entgegen der eher interventionistischen Grundhaltung von Verteidigungsminister Rumsfeld und seinem Stellvertreter Paul Wolfowitz dafür aus, die im Ausland stationierten Truppen zunächst in die Vereinigten Staaten zurückzuverlegen. Diese Position ist auf Veränderungen in der Schwerpunktsetzung, aber auch auf eine seit langem beklagte Überbelastung des Militärs durch zu viele Auslandseinsätze zurückzuführen. Die Personaldecke ist dünn geworden, vor allem, seitdem infolge der guten Konjunktur der Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten eng geworden ist und die Löhne in der freien Wirtschaft den Soldatenberuf unattraktiv gemacht haben. Neben der Belastung für die Mannschaften wird beklagt, dass das Material oft nicht erneuert werde und Modernisierungen seltener als erhofft stattfänden. Vor diesem Hintergrund wird die Spitze im Verteidigungsministerium "zweitrangige" Auslandseinsätze weitgehend beenden wollen.

Das ändert allerdings nichts an der grundsätzlich konfrontativeren Haltung von Rumsfeld und Wolfowitz, mit der sie ein Gegengewicht zu Colin Powells Positionen bilden. Wesentlich für die weitere Entwicklung – mehr außenpolitische Konfrontation oder mehr Diplomatie – wird somit die Frage sein, zu welcher Seite Vizepräsident Cheney tendieren wird. Bislang galt er als Verbündeter Rumsfelds (so verhinderte er zu dessen Gunsten Powells Wunschkandidaten Richard Armitage als Verteidigungsminister) –, und schon unter Präsident Ford behinderten Cheney und Rumsfeld (der eine als Stabschef des Weißen Hauses, der andere als Verteidigungsminister) gemeinsam nach Kräften die Entspannungspolitik von Henry Kissinger. In den 90er Jahren dann kreuzten sich Cheneys und Rumsfelds Wege immer wieder in konservativen Sicherheitsforen. Einige Beobachter glauben daher nun ein konservatives Triumvirat aus Cheney, Rumsfeld und Wolfowitz zu entdecken, bei dem Wolfowitz als intellektueller Architekt die Richtung vorgibt, die Rumsfeld in der Militärbürokratie durchsetzt, während Cheney der Politik insgesamt durch seine Stellung das nötige Gewicht verleiht. Unter diesen Bedingungen wäre mit einer stärkeren Militarisierung der gesamten US-Außenpolitik zu rechnen. Auf der anderen Seite aber scheinen sich in letzter Zeit Powell und sein Stellvertreter Armitage öfter mit ihrem diplomatischeren Ansatz durchgesetzt zu haben – nicht nur in der China-Politik, sondern beispielsweise auch gegenüber Nordkorea. (Der Einfluss, den in diesem Zusammenhang Ex-Präsident George Herbert Walker Bush auf die Außenpolitik seines Sohnes auszuüben scheint, darf dabei nicht übersehen werden.)

Insgesamt wird man im Pentagon dem Militär so nach den Zeiten des Abbaus und

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der gleichzeitigen Überforderung durch weltweite Einsätze in den vergangenen zehn Jahren eine Ruhepause einräumen. In dieser Zeit sollen die bestehenden Kapazitäten gepflegt und modernisiert werden. Zugleich wird man sich auf die neuen Bedrohungen einstellen, ferner die Planungen zur Raketenabwehr verfolgen und den sich abzeichnenden Vorstoß zur militärischen Nutzung des Weltraums vorbereiten. Schließlich ist der Regierung klar, dass selbst die herausragende Stellung, die die Vereinigten Staaten derzeit im internationalen, de facto unipolaren System, genießen, noch keine Omnipotenz bedeutet. Daraus folgt die formale Fortsetzung der Politik des "ausgewählten Engagements" ("selective engagement") mit zunächst so wenig Einsätzen wie möglich.

Allenfalls Operationen der Spezialeinheiten oder isolierte Luftschläge wie 1998 gegen den Sudan und Afghanistan oder die Angriffe auf die irakischen Luftabwehranlagen im Februar 2001 im Zusammenhang mit dem "stillen Krieg" gegen den Irak könnte man bewusst verfolgen. Gerade für solche Operationen bestehen relativ geringe Risiken, während der vordergründige Nutzen dagegen unter Umständen hoch sein kann. Zugleich hat man unter Präsident Bush im Weißen Haus die Abteilungen für die Kontrolle der Nicht-Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (Non-Proliferation) und für die aktive Bekämpfung dieser Waffen (Counterproliferation) zusammengelegt. Dieses könnte ein Indiz dafür sein, dass man in Zukunft die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen verstärkt mit militärischen Mitteln durchsetzen will; Beispiele dafür sind der Angriff auf eine pharmazeutische Fabrik im Sudan 1998, in der möglicherweise chemische Kampfstoffe produziert worden waren, oder die offenbar angedachten Bombardierungen von Nuklearanlagen in Nordkorea 1994. Eine solche Politik würde zudem einer neueren Tendenz in der amerikanischen Sicherheitspolitik entsprechen, der klassischen Rüstungskontrolle aus den Zeiten des Kalten Krieges zunehmend weniger Wert beizumessen und statt dessen militärtechnologische Wege zu beschreiten.

Isolierte Luftschläge könnten auch eine Rolle bei möglichen Vergeltungsmaßnahmen (wie im April 1986 gegen Libyen) spielen. Ziele wären in diesen Fällen vor allem Staaten, die im Verdacht stehen, Stützpunkte für den internationalen Terrorismus zu bilden (etwa Afghanistan, wie bereits im Jahr 1998).

Im Pentagon selbst sind eine Reihe von Arbeitsgruppen mit der detaillierteren Ausarbeitung neuer Konzepte und Strategien befasst. Dieser Prozess der Neuorientierung lief bislang aber weit weniger reibungslos ab, als die Regierungsspitze ursprünglich erwartet hatte: Weder die Abstimmung mit den Stabschefs von Heer, Marine, Luftwaffe und Marines, den regionalen Kommandeuren noch mit den republikanischen Spitzensenatoren funktionierte. So kam es zu Verzögerungen, und man wird frühestens im Herbst 2001 Konkreteres zum neuen Kurs erfahren. Im Augenblick ist nur die grundsätzliche Stoßrichtung eindeutig erkennbar: Die Aufmerksamkeit wird von Europa auf Asien – vor allem auf China und Südostasien – verlagert werden. Außerdem wird man sich langfristig verstärkt um die Weltraumrüstung kümmern.

Im Weißen Haus wird George W. Bush das Thema der "religiösen Freiheiten" stark in den Vordergrund rücken. Religion spielt im öffentlichen Leben der Vereinigten Staaten eine immer prominentere Rolle, und Präsident Bush besitzt eine auffallende Nähe zu religiösen Gruppen, die seine Außenpolitik beeinflussen werden. Im Weißen Haus wurde bereits eine "Regierungskommission zur Internationalen Religionsfreiheit" eingerichtet, die von Reagans ehemaligem Staatssekretär für die westliche Hemisphäre, Elliott Abrams, geleitet wird (Abrams ist durchaus als ein Interventionist einzuschätzen; seit wenigen Tagen ist er auch Direktor des Büros für Demokratie, Menschenrechte und Internationale Operationen im Nationalen Sicherheitsrat

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des Weißen Hauses). In der Sicherheitspolitik wird diese neue Ausrichtung vor allem dann bedeutsam werden, wenn in Unruhegebieten vordergründig Konfliktlinien entlang von Religionszugehörigkeiten verlaufen: Immer dann könnte der Präsident eine aktive Rolle für die Vereinigten Staaten suchen und möglicherweise auch an den Einsatz von Militär denken – nicht unbedingt in Form von Kampfeinsätzen, aber beispielsweise durch die militärische Absicherung international durchgeführter Maßnahmen (wie im Falle Ost-Timors).

In diese Art von Konflikten könnte sich auch der Kongress – bremsend oder beschleunigend – einschalten. Gerade die informellen Arbeitsgruppen über Menschenrechtsfragen oder zu einzelnen Regionen können im Laufe der Zeit den politischen Diskurs und damit wichtige Entscheidungen beeinflussen. Darüber hinaus kann der Kongress bedeutsame, langfristig wirkende Akzente in der Sicherheitspolitik setzen – etwa hinsichtlich der Raketenabwehr, der Beschaffungspolitik des Militärs, verstärkter multilateraler Ansätze in der Außenpolitik oder im Verhältnis zu China.

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Die Anpassung des Militärs an die neuen Bedingungen

Das US-Militär befindet sich derzeit in dem Prozess, die globalen Interessen der Vereinigten Staaten und die Machtprojektionsmöglichkeiten wieder in Übereinstimmung zu bringen. Neben den klassischen Abnutzungskrieg, wie er die Planungen während des Ost-West-Konfliktes bestimmte, sind neue Formen getreten: Zunächst die asymmetrische Kriegsführung, bei der ein technologisch und/oder zahlenmäßig unterlegener Gegner seine Schwäche beispielsweise durch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen auszugleichen versucht. Dies macht einen passiven und aktiven Schutz für die US-Soldaten erforderlich. Des weiteren Bedrohungen durch transnational agierende Gruppen. Oder auch die Kriegsführung im städtischen Raum der künftigen Mega-Städte Asiens, Ostafrikas oder Lateinamerikas. Auf diese neuen Herausforderungen, denen sich das Militär zusätzlich zu den traditionellen Einsätzen stellen muss, hat die Militärführung reagiert und strebt nun eine "Überlegenheit auf der ganzen Linie" an ("full spectrum dominance"): Der Katalog der Joint Vision 2020 umfasst Einsätze, die von Hilfsoperationen nach Naturkatastrophen über humanitär motivierte Einsätze, die Übernahme von Polizeiaufgaben, "friedensschaffende" Operationen bis zu atomar geführten Kriegen reichen.

Diese umfangreiche Erweiterung des Einsatzspektrums geht einher mit der Abkehr von der alten "Zwei-Kriege"-Doktrin. Ursprünglich sollten die US-Streitkräfte in der Lage sein, zwei regionale Kriege praktisch simultan zu führen und nacheinander zu gewinnen ("Win-Hold-Win"-Modell). Als mögliches Szenario galt ein Parallelkrieg am Persischen Golf und auf der koreanischen Halbinsel. Dieses Szenario war aber bereits seit längerem von vielen Seiten als unwahrscheinlich kritisiert worden; statt dessen wurde die Vorstellung mehrerer unterschiedlich großer Einsätze mit divergierenden Zielen als zeitgemäßer ins Spiel gebracht – beispielsweise ein großer Landkrieg mit der zeitgleichen Eindämmung eines Gegners und dem Einsatz weiterer Truppenkontingente in einem lokalen Konflikt. Die Neuorientierung hat man an der Spitze des Verteidigungsministeriums nun offenbar vollzogen.

Dieser Paradigmenwechsel wird begleitet von dem wahrscheinlichen Verzicht auf zahlreiche teure Großprojekte: Der Bau neuer Flugzeugträger, die Entwicklung einer neuen Generation von Kampfflugzeugen und anderes werden in Zukunft umstritten sein. Dafür konzentriert man sich auf die Entwicklung neuer Plattformen, die vor allem den neuartigen Herausforderungen gerecht werden sollen. Der Grundstein dafür wurde in den 90er Jahren mit der "Revolution in militärischen Angelegenheiten" gelegt ("Revolution in Military Affairs", RMA): Begünstigt durch die Umwälzungen, Firmenzusammenlegungen

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und Konzentrationen in der Rüstungsindustrie wurden neue, auf Hochtechnologie basierende Waffen entwickelt, die eine vollkommen neuartige datentechnische Vernetzung und gleichzeitig Autonomie der Kampfeinheiten erlauben. Diese Neuerungen machen tiefgreifende Veränderungen in der Strategie erforderlich, will man die sich bietenden Vorteile vollständig ausnutzen. Am Ende werden kleine, leichte, hochmobile Kampfeinheiten stehen, die – gegenüber ihren Gegnern mit einem Informationsvorsprung versehen und über Datenaustausch miteinander vernetzt – in der Form von "Expeditionsstreitkräften" in allen Umgebungen und unter allen Bedingungen eingesetzt werden können. (Gleichzeitig müssen sich die US-Truppen aufgrund der Abhängigkeit von Hochtechnologie auch vor wahrscheinlichen "Cyber-War"-Attacken schützen können.)

Um die Beweglichkeit der Truppen zu garantieren werden neue Transportmittel wie der V-22 Osprey entwickelt, der mit seinen Schwenkrotoren die Transportkapazität und Schnelligkeit eines Flugzeugs mit den vertikalen Start- und Landeeigenschaften eines Hubschraubers verbindet. Schweres Gerät wird durch leichte Fahrzeuge ergänzt werden, die Entwicklung geht auch hin zu unbemanntem Gerät. Luftangriffe sollen über weite Entfernungen und aus großer Höhe durchgeführt werden können (beispielhaft der Einsatz der B-2-Bomber während des Kosovo-Krieges, die aus den USA heraus operierten), und auch hier geht die Entwicklung hin zu unbemannten Flugzeugen, die aus der Ferne gesteuert werden.

Zugleich wird man versuchen, die eigenen Truppen am Boden und die eigene Bevölkerung (sowie die der Alliierten) durch Raketenabwehrsysteme zu schützen. Dabei wird das Spektrum von Gefechtsfeldwaffen (wie dem Patriot-System) bis hin zu Kontinenten überspannenden Systemen reichen. Die weitgehende Stabilität der Zeit des Ost-West-Konfliktes, die für die Kernregionen der Blöcke im wesentlichen durch Abschreckungspolitik in Form gegenseitig gesicherter Zerstörung (Mutual Assured Destruction, MAD) aufrechterhalten wurde, wird durch die enorme Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Raketen zunehmend in Frage gestellt. Ohne einen Schutz vor raketengestützten Massenvernichtungswaffen würden die großen Mächte zur Tatenlosigkeit verdammt werden. Die Raketenabwehrsysteme sollen ihnen die Handlungsfähigkeit auch gegenüber denjenigen Staaten, die auf asymmetrische Kriege setzen, erhalten. Dieses betrifft im Augenblick vor allem die "Sorgenstaaten" Nordkorea, Irak, Iran, aber auch Syrien und Libyen. Langfristig werden diese Waffen darüber hinaus auch eine wesentliche Rolle in zentralen Konflikten zwischen den Großmächten spielen, beispielsweise in einem zukünftigen Konflikt zwischen China und den Vereinigten Staaten über Taiwan.

Jenseits der Vorbereitung auf solche traditionellen Einsätze im Rahmen der Staatenwelt sieht sich das US-Militär mit der Frage konfrontiert, wie man in der Zukunft in "post-nationale" Konflikte eingreifen kann, die in ihrer Form der ungelösten Krise auf dem Balkan, der Intifada in Israel/Palästina, dem Krieg in Kolumbien oder den unübersichtlichen Gewaltausbrüchen in einigen Teilen Afrikas gleichen werden. Bislang fehlt dem US-Militär das Instrumentarium, um mit diesen Konflikten angemessen umzugehen. Da Mittel und Strategien überwiegend aus der Zeit des Ost-West-Konfliktes stammen, sind allenfalls die Sondereinheiten (Special Operation Forces) für solche Einsätze vorbereitet.

Diese Kräfte sind trotz ihrer geringen zahlenmäßigen Größe und ihres begrenzten Haushalts in über einhundert Staaten der Welt im Einsatz. Offiziell bilden sie in den meisten Fällen lokale Einheiten in der Bekämpfung von Drogenproduktion und –handel aus. Praktisch jedoch greifen sie in vielen Fällen in die innenpolitischen Angelegenheiten ihrer Gastgeberstaaten mit dem Ziel ein, die jeweiligen Regierungen zu stabilisieren. Oft kommt es dabei zu einer Paralleldiplomatie zum Außenministerium

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und damit in Einzelfällen zu einer schleichenden Militarisierung der US-Außenpolitik.

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Regionale Konfliktszenarien

Für die unterschiedlichen Weltregionen sind eine Vielzahl von Szenarien kurz- bis langfristiger Reichweite denkbar. Folgende Entwicklungen besitzen eine relativ große Wahrscheinlichkeit:


Europa

Europa wird in den Planungen der amerikanischen Militärstrategen eine zunehmend untergeordnete Rolle spielen. Es wird den Europäern selbst überlassen, für die Sicherheit und Stabilität in Europa und den angrenzenden Gebieten zu sorgen. In der Spannung zwischen Kontroll- und Dominanzbedürfnis der Vereinigten Staaten gegenüber ihren Alliierten einerseits und dem geostrategischen Prioritätenwechsel andererseits wird am Ende angesichts der auch für die Vereinigten Staaten knappen Ressourcen der weitgehende Rückzug aus Europa stehen. Wirtschaftlich sind die Westeuropäer ohnedies schon lange zu Konkurrenten der Vereinigten Staaten geworden, so dass die Verteidigung des "wohlhabenden" Europas für die jeweilige amerikanische Regierung innenpolitisch immer schwerer zu vertreten sein wird.

Mit der Verlagerung der Schwerpunkte in den asiatisch-pazifischen Raum wird Europa auch viel von seiner Bedeutung als Drehscheibe und Standort für Militärbasen einbüßen. Unabhängig davon, wie die Regierung in der allernächsten Zukunft auf die Unruhen in Mazedonien reagieren wird: Konflikte wie der auf dem Balkan sind für die Vereinigten Staaten allenfalls noch deshalb von Wichtigkeit, weil die Verbündeten weitgehend unvorbereitet davon getroffen wurden. Im weltweiten Vergleich und mit Blick auf die mittelfristig zu erwartenden Konflikte im asiatischen Raum kann der Balkankonflikt nur ein Nebenschauplatz sein. Entsprechend werden die Vereinigten Staaten ihre Kräfte in Europa nicht mehr unnötig binden; vor allem Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und Minister Rumsfeld drängen in diesem Zusammenhang offen auf den weitgehenden Rückzug.

Auch wenn keiner der westeuropäischen Staaten für sich allein den Vereinigten Staaten in Fragen der militärischen Kapazitäten das Wasser reichen kann – schon der US-Verteidigungshaushalt ist doppelt so groß wie der der übrigen NATO-Staaten zusammengenommen –, können die Europäer ihre Kräfte bündeln (wie dies in einigen Bereichen der Rüstungsindustrie bereits geschieht) und ihre Rollen untereinander abstimmen. Dann sähe nicht nur die Kräftebilanz anders aus: Da die Europäer zudem keine Ordnungsmacht mit globalem, sondern allenfalls mit regionalem Anspruch sind, können sie ihre Prioritäten anders setzen. In den überregionalen Bereichen werden sie sich mit den Vereinigten Staaten ohnedies in einem Boot sitzend wiederfinden und müssen in diesem Zusammenhang vor allem darauf achten, rüstungstechnisch den Anschluss nicht vollkommen zu verlieren und eine relative Interoperabilität wahren zu können.


Asien

Für die Entwicklung in Asien existiert eine Vielzahl von unterschiedlichen Szenarien. Im Vordergrund steht meist China: Kurzfristig werden für die Vereinigten Staaten mit China regionale Konflikte erwartet. Die größte unmittelbare Gefahr geht zunächst von einer möglichen Taiwankrise aus. Zwar wird China auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, Taiwan militärisch zu erobern. Denkbar ist aber, dass China versuchen könnte, die "abtrünnige Provinz" durch einen massiven Beschuss mit Kurzstreckenraketen in Verbindung mit einer Seeblockade zu einem Anschluss zu zwingen. Es wird weder für die gegenwärtige noch für die kommenden chinesischen Führungen möglich sein, ihren Anspruch auf Taiwan aufzugeben. Ein solcher Schritt würde zu einer innenpolitischen Krise mit

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nicht mehr kalkulierbaren Ausmaßen führen, die durch die Folgen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Öffnung zusätzlich verstärkt würde. Darüber hinaus wäre er ein mögliches Signal an andere Problemregionen in China – vor allem an Tibet und das muslimisch geprägte Xinjiang im Nordwesten –, dass der Griff der Zentralregierung schwächer werden könnte. Diesen Eindruck wird die Regierung in Peking vermeiden müssen.

Auf der anderen Seite fühlen sich die Vereinigten Staaten verpflichtet, eine durch militärische Mittel herbeigeführte Veränderung von Taiwans Status nicht hinzunehmen. Gleichzeitig ist die Skepsis gegenüber China in den vergangenen Monaten ständig gewachsen: Im letzten Jahr wurde Chinas Regierung im Cox-Bericht (an dessen Entstehen Cheneys Stabschef und Sicherheitsberater I. Lewis Libby maßgeblich beteiligt war) beschuldigt, umfangreiche Militärspionage in den Vereinigten Staaten vor allem auf dem Gebiet der Nuklear- und Raketentechnologie betrieben zu haben. Der Umgang mit den Anhängern des Falun Gong-Kultes, die Verhaftungen chinesischer Wissenschafter, die ihren ersten Wohnsitz in den Vereinigten Staaten haben, und die Vorgänge um das amerikanische EP-3-Aufklärungsflugzeug haben das Misstrauen der Amerikaner nur gesteigert und in der Öffentlichkeit eine anti-chinesische Stimmung erzeugt. Zwar machen die Verhandlungen über den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation Fortschritte, aber sicherheitspolitisch ist die US-Regierung kompromisslos und dürfte – ungeachtet einer gewissen Vorsicht gegenüber der Regierung in Taipeh – jede Verschärfung der Situation in der Straße von Taiwan wie 1996 mit der Entsendung von Marineeinheiten beantworten. Bei einem tatsächlichen Ausbruch von Feindseligkeiten würden die Vereinigten Staaten damit unweigerlich in den Konflikt hineingezogen.

Es ist anzunehmen, dass China – sofern es nicht vorher an seinen inneren Widersprüchen im Rahmen der wirtschaftlichen Öffnung zerbrochen ist – langfristig über den Anschluss Taiwans hinaus die Stellung als die entscheidende Großmacht Asiens anstreben wird. Das beträfe zunächst den Raum des Südchinesischen Meeres, der mit seinen Seewegen für die Energieversorgung des gesamten pazifischen Wirtschaftsraumes von größter Bedeutung ist. Dazu käme die alte Konkurrenz mit Indien; möglicherweise könnte China sogar in die schwach bevölkerten Regionen des sibirischen Teils Russlands vordringen. Eine derartige Entwicklung, zu der es im Laufe der bevorstehenden zehn bis zwanzig Jahre kommen könnte, müsste massive Gegenreaktionen anderer Mächte provozieren.

Am Verhalten der Vereinigten Staaten gegenüber China wird ihre Glaubwürdigkeit als globale Schutzmacht gemessen werden. Es ist vorstellbar, dass bei etwaigen Zweifeln die Regierung in Tokio angesichts der sino-japanischen Rivalitäten dazu verleitet werden könnte, ihre militärischen Kapazitäten dramatisch auszubauen (bis zu einem Aufbau von eigenen Atomstreitkräften) – eine Entwicklung, die angesichts der japanischen Geschichte im pazifischen Raum die gesamte Region in weitere Unruhe versetzen müsste.

Eine andere Frage ist die nach der Zukunft der beiden Koreas: Nordkorea steht im Verdacht, bereits jetzt über Massenvernichtungswaffen und geeignete Trägersysteme zu verfügen. Sollte es zu einer Vereinigung Nord- und Südkoreas und damit zu einem Zusammenführen der wirtschaftlichen und der militärischen Fähigkeiten bei einer gleichzeitigen Schließung der US-Basen im Süden kommen, hätte auch dieses weitreichende Folgen für das strategische Machtverhältnis in Ostasien.

Um ihre militärische Präsenz in der Region langfristig zu sichern, müssen sich die Vereinigten Staaten daher nach möglichen neuen Standorten für ihre Basen umsehen (sofern sie vollkommen auf Abstandswaffen bauen wollen). Indonesien böte sich an, eine Rückkehr auf die Philippinen wäre

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eine weitere Option, ebenso die Öffnung Vietnams.

Bereits heute ist die ganze Region eine Unruhezone, die ein militärisches Eingreifen durch die Vereinigten Staaten provozieren könnte: Die Straße von Malakka, die für die Energieversorgung des gesamten pazifischen Raums von enormer Bedeutung ist, ist zu einem Zentrum der Piraterie geworden; Indonesien als Anrainerstaat – immerhin die viertgrößte Nation der Welt und der bevölkerungsreichste muslimische Staat – kommt seit dem Sturz von Suharto nicht zur Ruhe, und auch seine Rolle als Erdgaslieferant ist in Frage gestellt (Exxon Mobil hatte zwischenzeitig seine Förderanlagen in der Unruheprovinz Aceh aufgegeben). Ein weiterer Zerfall der staatlichen Ordnung in Indonesien könnte die Vereinigten Staaten zu einem Eingreifen (zunächst mit Special Operation Forces) bewegen, um die Lage nach Möglichkeit zu stabilisieren und die eigene Position in der Region zu festigen. Gleiches gilt für die Philippinen.

Neben China wird Indien zu einer Großmacht aufsteigen, während anzunehmen ist, dass die innenpolitische Stabilität des benachbarten Nuklearstaates Pakistan weiter abnehmen wird. Denkbar wäre ein Krieg zwischen den beiden um die umkämpfte Kaschmirregion – vorstellbar in der mittelfristigen Perspektive aber auch ein Absinken des gesamten pakistanisch-afghanischen Raumes in Chaos. Davon wären die Nachbarstaaten Indien und Iran, aber auch China und die südlichen GUS-Republiken sowie – aufgrund der Nähe zu den Ölquellen des arabisch/kaspischen Raumes – die in der Region aktiven Ordnungsmächte USA, Russland und wahrscheinlich auch Europa betroffen. Das militärische Eingreifen einer oder mehrerer Parteien wäre in diesem Fall praktisch unvermeidlich, zumal die Notwendigkeit bestünde, die pakistanischen Atomwaffen vor dem Zugriff Dritter zu sichern.


Der Nahe und Mittlere Osten

Neben der Ungewissheit, welche Rolle langfristig der Iran in der Region spielen wird, muss man sich vor allem mit der Frage des Palästinakonfliktes und des Umganges mit dem Irak auseinandersetzen. Es ist anzunehmen, dass die US-Regierung sich diplomatisch im Nahostkonflikt engagieren wird, um sowohl eine geographische Ausweitung wie eine weitere Eskalation zu verhindern. Ein militärisches Eingreifen von außen, wie es Präsident Reagan 1982 im Falle des Libanon versuchte, ist dagegen sehr unwahrscheinlich – die Bindungen an eine der beiden Seiten sind nicht so stark, dass man sich militärisch in einem kaum lösbaren bürgerkriegsähnlichen Konflikt aufreiben und verausgaben wird.

Gegenüber dem Irak ist die Entwicklung der amerikanischen Politik unklar. Im irakischen Luftraum sind die Vereinigten Staaten gemeinsam mit Großbritannien seit zehn Jahren präsent und führen in den Flugverbotszonen nach wie vor ihren "stillen Krieg", der nur selten – wie mit den Angriffen im Februar 2001 – in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt. Auf der einen Seite haben sich führende Mitglieder der Bush-Regierung nun offenbar damit abgefunden, dass Saddam Hussein mit diesen Operationen und mit wirtschaftlichen Sanktionen nicht zu stürzen ist. Daher will man die Sanktionen modifizieren, um zumindest die irakische Militärmacht schwach zu halten. Immerhin ist der Irak bereits heute über das "Food for Oil"-Programm der Vereinten Nationen zum sechstwichtigsten Öllieferanten der Vereinigten Staaten geworden, und seine Bedeutung für die Weltenergieversorgung wird in den kommenden Jahren weiter stark wachsen. Gleichzeitig unterstützen die Vereinigten Staaten die – wenngleich nur wenig geschätzte – irakische Exilopposition finanziell. Aber es gibt auch Regierungsmitglieder (etwa Paul Wolfowitz), die immer noch heimlich auf eine gewaltsame

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Beseitigung des irakischen Regimes setzen.

Sehr viel wird in der näheren Zukunft davon abhängen, auf welche Modifizierungen des Sanktionsregimes sich die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates einigen und wie Saddam Hussein auf diese neuen Entwicklungen reagieren wird. Es ist kaum vorstellbar, dass die US-Regierung unter George W. Bush, Richard Cheney und Colin Powell Saddam Hussein noch lange gewähren lassen will. Andererseits hat in den vergangenen Wochen der öffentliche Druck zugunsten einer Lockerung oder gar Aufhebung der Sanktionen spürbar nachgelassen, so dass im Augenblick kein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht und die Vereinigten Staaten noch eine Weile an den Sanktionen festhalten können in der Hoffnung, dass Saddam Hussein in absehbarer Zeit die Macht verliert. Auf jeden Fall werden die Vereinigten Staaten (gemeinsam mit Großbritannien) mindestens bis zu einem Ende der Regierung Saddam Husseins die Flugverbotszonen über dem Irak militärisch aufrechterhalten.


Afrika

Flugverbotszonen wären auch ein militärisches Mittel, das die Vereinigten Staaten möglicherweise in der Zukunft gegenüber dem Sudan anwenden könnten.

Insgesamt ist Afrika für die Vereinigten Staaten nach den politisch-wirtschaftlichen Bemühungen durch die Clinton-Regierung eher wieder ein "sterbender Kontinent", auch wenn Colin Powell Afrika eine große Bedeutung beimisst und vor kurzem vier afrikanische Staaten besuchte, während Präsident Bush Erklärungen zugunsten einer aktiven Afrika-Politik ablegt. Gegenüber dem Sudan allerdings stellt sich die Lage anders dar: Bürgerkrieg, Hungersnot und Sklavenhandel haben eine heterogene amerikanische Koalition aus Interessengruppen entstehen lassen, die eine aktivere Rolle der Vereinigten Staaten im Sudan fordert. Sie erstreckt sich vom ultrakonservativen Family Research Center über einflussreiche christliche Gruppen bis zu afro-amerikanischen Bewegungen. Innerhalb des Kongresses hat sich eine überparteiliche Arbeitsgruppe zum Sudan gebildet, deren Mitglieder wichtige Ausschusspositionen besetzen, so dass sie von der Regierung angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Kongress nicht ignoriert werden können. Für die Regierungsspitze selbst hat Colin Powell im März 2001 bei einer Anhörung festgestellt, es gebe derzeit weltweit keine größere Tragödie als im Sudan. Zum Handeln mahnt Elliott Abrams, der Vorsitzende von Bushs "Regierungskommission zur Internationalen Religionsfreiheit". Und der Einfluss der religiösen Gruppierungen auf die Entscheidungen von Präsident Bush ist groß.

Hier könnte sich also ein innenpolitisch motiviertes Eingreifen durch die Vereinigten Staaten anbahnen. Derzeit ist das Außenministerium bemüht, durch die Einsetzung von Chester Crocker als Sondergesandten eine tiefere Verstrickung in den Konflikt zu vermeiden. Offenbar hofft man, dass Crocker seine diplomatischen Erfolge wiederholen kann, die er Ende der 80er Jahre als Vermittler im Namibia-Konflikt zwischen Angola und Südafrika erzielte. Allerdings könnte der innenpolitische Druck durch eine solche Aufwertung der Krise mit der Zeit erst recht so groß werden, dass Präsident Bush sich doch zu einer begrenzten militärischen Operation entschließen könnte. (Beispiele für solche Entwicklungen sind Panama 1989 und Haiti 1994.) Man würde in einem solchen Fall wahrscheinlich zunächst versuchen, die in der Region bereits aktiven Norweger, Briten und Italiener zu einem Eingreifen zu bewegen, sich selbst im Hintergrund halten, allenfalls Transportkapazitäten zur Verfügung stellen und die Aufklärung aus der Luft übernehmen. Sollte das nicht ausreichen, wäre eine Einrichtung von Flugverbotszonen zum Schutz der Bevölkerung im Südsudan denkbar. Eine andere Variante bestünde in der Bewaffnung der christlichen Milizen im Süden – eine Option, die

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offensichtlich von einigen Kongressmitgliedern bevorzugt wird.


Lateinamerika

Ein regional bedeutsamer Dauerkonflikt schließlich, in den die Vereinigten Staaten verstrickt sind, existiert in Kolumbien. Der dort herrschende Bürgerkrieg zwischen den Rebellen der FARC, der ELN, dem paramilitärischen AUC und der Regierung unter Präsident Pastrana ist für die Vereinigten Staaten von besonderer Wichtigkeit, weil der Krieg zu großen Teilen aus dem Drogenhandel in die Vereinigten Staaten finanziert wird. Außerdem führen die Drogentransporte zu einer Destabilisierung der Lage in Mexiko. Die Gewaltanwendung in Kolumbien hat in den letzten Jahren eine Massenauswanderung von Kolumbianern vor allem in die Ballungsräume der Vereinigten Staaten verursacht. Außerdem berühren die Unruhen die gesamte Region, speziell Peru, aber auch das wegen seiner Ölexporte für die Vereinigten Staaten immens wichtige Venezuela, dessen politische Entwicklung ebenfalls einen problematischen Verlauf nehmen könnte.

Seit Jahren sind die Vereinigten Staaten in dieser Region präsent – 1986 beteiligten sie sich federführend mit der Operation Blast Furnace in Bolivien militärisch an Maßnahmen zur Drogenbekämpfung. Die Intervention in Panama 1989 galt zum Teil auch der Unterbindung des dortigen Drogenumschlags. Im vergangenen Jahr sagte die Regierung Clinton Präsident Pastrana zu, sich an dem sieben Milliarden Dollar teuren "Plan Colombia" zur Bekämpfung der Drogenproduktion mit 1,3 Milliarden Dollar zu beteiligen. Zunächst wird die Hilfe zu großen Teilen aus der Lieferung von militärischem Material, aber auch in der Ausbildung kolumbianischer Einheiten durch US-Militärberater bestehen, die in der gesamten Andenregion aktiv sind. Sollte die Regierung Pastrana aber im Kampf gegen die FARC weitere Rückschläge erleiden, werden die Vereinigten Staaten ihr Engagement deutlich verstärken: Ein Kollabieren Kolumbiens werden sie unter allen Umständen zu verhindern suchen; manche Beobachter ziehen bereits jetzt Parallelen mit der Entwicklung in Indochina während der frühen 60er Jahre.

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Konsequenzen für die Westeuropäer

Man kann davon ausgehen, dass es in den kommenden Jahren zu umfassenden geopolitischen Veränderungen kommen wird, in deren Verlauf Europa – vormals im Zentrum des Ost-West-Konfliktes stehend – seine herausragende Rolle an die Spannungsregionen Asiens abgeben wird.

Die Vereinigten Staaten werden zur Durchsetzung ihrer nationalen Interessen – zu denen die Festigung ihrer geopolitisch dominanten Stellung und des globalen Systems in der derzeitigen Form gehört – auch weiterhin in die weltweit wesentlichen Krisen mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mittel eingreifen. Dazu orientieren sie sich bereits jetzt militärisch/sicherheitspolitisch nach Asien.

Das bedeutet, dass die Europäer bald allein zu Haus sein werden und entsprechend selbst die Verantwortung für Stabilität in ihren unmittelbaren Randgebieten und in ihrer Interessensphäre tragen müssen. Die neue Randlage in geopolitischen Fragen bringt einerseits Vorteile: Weil sie vorerst keine Weltordnungsrolle einnehmen können – und zumeist gar nicht einnehmen wollen –, werden sie nicht gezwungen sein, in der Zukunft so gewaltige Verteidigungsbudgets wie die Vereinigten Staaten aufzustellen. Sie können sich vielmehr auf eine Strukturreform ihrer Streitkräfte zum Einsatz in den Europa näherliegenden Krisengebieten beschränken.

Auf der anderen Seite muss Europa darauf vorbereitet sein, die globalen Operationen der Vereinigten Staaten zur Stabilisierung des Systems im Einzelfall zu unterstützen oder sogar in solche Konflikte unmittelbar hineingezogen zu werden (wie dieses im Falle des Golfkrieges geschehen ist). Wie wird man sich angesichts der neuen Kons-

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tellationen verhalten? Die innenpolitischen Debatten um das Für und Wider und die auf dem Spiel stehenden Interessen, wie sie die Vereinigten Staaten seit 1989 kennen, werden sich dann auch in Europa abspielen.

Auf derartige Situationen muss man politisch-gesellschaftlich vorbereitet sein. Zudem muss militärisch eine Interoperabilität mit den Vereinigten Staaten weiterhin gewährleistet werden. Da die Konflikte in Zukunft auch verstärkt durch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen (oder zumindest mit der Androhung ihres Einsatzes) ausgetragen werden, müssen die Europäer außerdem das Spektrum ihrer Möglichkeiten erweitern – das kann unter Umständen sogar heißen: Aufbau einer Raketenabwehr. Europa wird also nicht umhin können, auf dem Gebiet der Geopolitik – möglicherweise unbequeme - Antworten auf neue Fragen zu formulieren.

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Ausgewählte Literatur

CIA: Global Trends 2015: A Dialogue About the Future With Nongovernment Experts. December 2000, http://www.cia. gov/cia/publications/globaltrends2015/index.html

Richard N. Haass/Meghan O’Sullivan, Engaging Problem Countries. Brookings Institution, Policy Brief No. 61, June 2000. Washington, D.C.: 2000.

Stephen D. Krasner, Defending the National Interest: Raw Materials Investments and U.S. Foreign Policy, Princeton/N.J.: Princeton UP, 1978

Joint Vision 2020, Director for Strategic Plans and Policy, J5, Strategy Division, Washington, D.C.: USGPO, June 2000, http://www.dtic.mil/jv2020/jv2020.doc

Anthony Lake, Six Nightmares: Real Threats in a Dangerous World and How America Can Meet Them, Boston/New York/London: 2000.

Michael O’Hanlon, Prudent or Paranoid? The Pentagon’s Two-War Plans, in: Survival, Vol. 43, No. 1, Frühjahr 2001, S. 37-52.

Colin Powell, Statement of Secretary of State-Designate Colin L. Powell. Prepared for the Confirmation Hearing of the U.S. Senate Committee on Foreign Relations Scheduled for 10:30 AM, January 17, 2001, http://www.senate.gov/~foreign/ testimony/wt_powell_011701.txt

Statement of the Honorable Donald H. Rumsfeld. Prepared for the Confirmation Hearing before the U.S. Senate Committee on Armed Services. January 11, 2001, http://www.senate.gov/~armed_services/statemnt/2001/010111dr.pdf

Statement by the Director of Central Intelligence George J. Tenet for the Senate Armed Services Committee. 7 March 2001. The Worldwide Threat in 2001: National Security in a Changing World, http://www.senate.gov/~armed_services/statemnt/2001/010308gt.pdf

Global Threats and Challenges Through 2015. Vice Admiral Thomas R. Wilson, Director, Defense Intelligence Agency. Statement for the Record. Senate Armed Services Committee. 8 March 2001, http://www.senate.gov/~armed_services/statemnt/2001/010308tw.pdf


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