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Wirtschaftliche Globalisierung : was bringt sie für Deutschland? ; Versuch, einen diffusen Diskurs zu strukturieren / von Alfred Pfaller - [Electronic ed.] - Bonn, 2001 - 12 S. = 41 KB, Text
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




Drei Facetten wirtschaftlicher Globalisierung

Mit dem Begriff „Globalisierung„ werden unterschiedliche Prozesse angesprochen, die nicht unbedingt miteinander zusammenhängen und teilweise sogar die Basis für miteinander konkurrierende Interpretationen bilden.


Tendenz zur globalen Preisbildung

Unter volkswirtschaftlicher Perspektive weist der Begriff auf einen Prozess, in dessen Verlauf die Preise auf wichtigen Märkten immer weniger von Angebot und Nachfrage in nationalen oder gar sub-nationalen Räumen gebildet werden, sondern immer mehr von Angebot und Nachfrage in supranationalen, letztlich globalen, Räumen. Dies gilt für Preise auf den Produktmärkten (Güter und Dienstleistungen) und auf den Kapitalmärkten. Die Frage ist, wie weit es auch für Preise auf den Arbeitsmärkten gilt.


Globale Präsenz von Unternehmen

Unter betriebswirtschaftlicher Perspektive schließt der Begriff Globalisierung das Ausgreifen von Unternehmen auf immer mehr fremde Märkte auch dann mit ein, wenn damit keine Entnationalisierung von Preisbildung einher geht. Diese Art von Globalisierung führt dazu, dass multinationale Unternehmen in einer Vielzahl nationaler, voneinander abgegrenzter Märkte präsent sind und gegebenenfalls vor Ort für diese Märkte produzieren.


Globale Produktionsplanung

Die volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Perspektive verbinden sich, wenn Unternehmen nicht nur in national segmentierten Märkten präsent sind, sondern die Herstellung selbst länderübergreifend organisieren. Die Zwischenprodukte werden dabei innerhalb des Unternehmens - oder eines kooperierenden Unternehmensverbundes - über Ländergrenzen hinweg bewegt, ohne dass es unbedingt zu Markttransaktionen (also zu Außenhandel im klassischen Sinn) kommt. Die - in letzter Instanz - global agierenden Unternehmen nehmen dabei die jeweiligen Vorteile unterschiedlicher lokaler Beschaffungsmärkte wahr (global sourcing). Solche Vorteile können sich aus dem Fortbestand segmentierter Regulierungsräume (nach wie vor äußerst wichtig für Arbeitsmärkte) ergeben oder schlichtweg aus den Spezialisierungsprofilen unterschiedlicher Standortregionen.

Länderübergreifende Produktionsplanung durch suprantional agierende Unternehmen und Unternehmensverbünde unterscheidet die heutige Globalisierung von den offenen Weltmärkten etwa des 19. Jahrhunderts.

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Globalisierung als natürlicher Prozess und als politisches Projekt

Überwindung von Distanz

Die Überwindung von Distanz erfordert immer geringeren physischen Aufwand. Der wichtigste Grund ist der technische Fortschritt in der Informationsübermittlung und im Transportwesen. Aber auch Veränderungen in den Produktionsprozessen, den Produkteigenschaften und den Nachfragepräferenzen mögen den Transportaufwand vermindern, weil Gewicht bzw. Umfang pro Produktwerteinheit geringer werden (Miniaturisierung, zunehmende Komplexität der Produkte und somit steigender Anteil des Entwicklungsaufwandes und des Humankapitals am Produktwert).

Entgrenzung

Politische Beschränkungen internationaler Transaktionen wurden im Verlauf der letzten Jahrzehnte immer mehr abgebaut. Dies trifft als seit langem voranschreitender evolutionärer Prozess für den Güter- und Dienstleistungshandel und als gleichsam revolutionärer Prozess seit den 70er Jahren für den Kapitalverkehr zu. Hohe Zugangsbarrieren bestehen freilich weiterhin zu den nationalen Arbeitsmärkten. Der gewollte Abbau wirtschaftlicher Grenzen wird damit begründet, dass große, länderübergreifende Märkte zu

  • einem effizienteren Einsatz knapper Ressourcen (Vorteile der Massenproduktion und der Spezialisierung) und

  • verstärktem Leistungswettbewerb

führen. Beides wirkt sich zum Nutzen der Konsumenten aus. Andere stellen als Entgrenzungsmotiv den Vorteil der globalisierungsfähigen Akteure in den Vordergrund. Allen voran werden hier die multinationalen Unternehmen - des Finanzsektors und des Produktionssektors - genannt. Globalisierung verbessert ihre Verhandlungsposition gegenüber Arbeitnehmerschaften und Staaten. Für Finanzspekulanten eröffnen sich zum Teil phantastische Gewinnchancen.

Entwicklung peripherer Standorte

Aufgrund der genannten Entwicklungen gelangen nicht nur Produkte leichter auf fremde Märkte. Auch Unternehmen können zunehmend physisch entfernte Produktionsprozesse in ihre firmeneigene Ablauforganisation integrieren und damit die räumliche Betriebseinheit bis zu einem gewissen Grad auflösen. Sie können neue Produktionsstandorte bis zu einem gewissen Grad unabhängig vom Entwicklungsstand des Gastlandes für den Weltmarkt erschließen.

Nationale Entwicklungsanstrengungen, die physische und institutionelle Infrastruktur aufbauen, Humankapital heranbilden, nationale Produktionskapazitäten errichten und durch angemessene Wirtschaftspolitik die internationale Marktfähigkeit ihres Produktionspotenzials sichern, treiben diese Verbreiterung der weltweiten Standortpalette zusätzlich voran.

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Unklarheit über das Ausmaß von Globalisierung

Wirtschaftliche Globalisierung im Sinne von supranationalen Preisbildungsprozessen ist nicht unbedingt direkt zu beobachten. Die ihr zugrundeliegende größere Mobilität von Waren, Produktionsfaktoren und Information stellt zunächst ein Potenzial dar. Wie weit dieses Potenzial realisiert wird, hängt entscheidend davon ab, wie die Akteure in den nunmehr integrierten Märkte reagieren. Es kann sein, dass sie durch eine schnelle Anpassung die alten Produktionsstrukturen erhalten. So kann der Prozess der Globalisierung in Produktmärkten auch voranschreiten, ohne dass die Außenhandelsanteile an den nationalen Bruttosozialprodukten zunehmen. Nur die Autonomie der Preisbildung nimmt ab.

Die beobachtbaren Indikatoren liefern keine schlüssige Information über das Ausmaß von Globalisierung.

Außenhandelsverflechtung bleibt in Grenzen

Die Außenhandelsverflechtung vieler Länder, darunter der meisten hoch entwickelten Industrieländer hat in den vergangenen 15 Jahren, in denen allgemein entscheidende Globalisierungsfortschritte verortet werden, nicht dramatisch zugenommen. In einigen hat sie sogar abgenommen (ganz beträchtlich in Japan). In anderen zeigt sich bei näherem Hinsehen keine Globalisierung, sondern eine Regionalisierung der Verflechtung (insbesondere in Europa). Generell war die Außenhandelsverflechtung vor dem Ersten Weltkrieg größer als heute. Danach hat eine starke Entglobalisierung stattgefunden. Aber wie gesagt, die Entwicklung der Verflechtungsindikatoren sagt allein noch nichts über die Entwicklung des Konkurrenzdrucks aus dem Ausland aus.

Direktinvestitionen weiterhin vorrangig in national segmentierte Märkte

Die Direktinvestitionen, die Unternehmen im Ausland vornehmen, haben in den letzten 20 Jahren stark zugenommen, wesentlich stärker als das weltweite Wirtschaftswachstum, aber auch wesentlich stärker als der Welthandel. Letzteres deutet daraufhin, dass der Großteil der Direktinvestitionen (a) der Präsenz in fremden Märkten und (b) der Kontrolle ausländischer Firmen, aber nicht der Ausnutzung fremder Standortvorteile dient. Also eher ein Anzeichen dafür, dass der Zugang zu nationalen Märkten von außen auch weiterhin schwieriger ist als von innen! In diese Richtung weist auch die Beobachtung, dass sich der allergrößte Teil der Direktinvestitionen auf die reichen Industrieländer, also die größten Märkte, konzentriert. Auch die Tatsache, dass sehr viele Direktinvestitionen dem Aufkauf fremder Unternehmen dienen, passt unmittelbar eher ins Bild der Marktpräsenzstrategie als in das der Produktionsverlagerungsstrategie (ist allerdings auch im Rahmen letzterer vorstellbar). Andererseits hat der Anteil der Direktinvestitionen, die in Entwicklungsländern vorgenommen werden, in den letzten Jahren stark zugenommen. Aber auch bei dieser Zielgruppe ist eine sehr starke Konzentration auf wenige Länder zu beobachten (ein Drittel geht nach China).

Unternehmen weiterhin herkunftsverhaftet

Multinationale Unternehmen konzentrieren nach wie vor ihren Umsatz und ihre Aktiva auf ihr Heimatland. Es ist insgesamt kein Trend erkennbar, dass diese Konzentration nachlässt, also dass sich die Unternehmen „transnationalisieren„. Außerdem blieben nationale Sparquote und nationale Investitionsquote bis heute, zumindest in den größeren Ländern, eng aneinander gekoppelt. Dies stellt die These in Frage, dass das Kapital unabhängig von seiner Herkunft dort produktiv investiert wird, wo die Bedingungen am günstigsten sind. Möglicherweise bieten die jeweiligen Herkunftsländer immer noch die günstigsten Bedingungen für die Unternehmen, weil sie sich sozusagen nur dort wie der Fisch im Wasser bewegen können.

Mehr Produktionsverlagerung zum Zweck der Kostensenkung

Andererseits ist aber auch Produktionsverlagerung an billigere Standorte laut Umfragen in den letzten Jahren ein sehr wichtiges Motiv für deutsche Auslandsinvestitionen gewesen. Für Japan ist das Gleiche erkennbar.

Weitgehend entgrenzte Finanzmärkte

Die gewaltige Zunahme der internationalen Finanzströme, die in keinerlei quantitativem Bezug mehr zu den Handelsströmen und den Direktinvestitionen stehen, ist auf den ersten Blick der beeindruckendste Indikator wirtschaftlicher Globalisierung. Diese Finanzströme entstehen aus dem Kauf und Verkauf von Anrechten auf Zinszahlungen und andere Erträge sowie auf gesicherte Umtauschkurse in der Zukunft. Sie bewirken in der Tat, dass die Preise der gehandelten Anrechte und der Währungen, in denen sie ausgedrückt sind, ebenso wie die zugehörigen realen Erträge durch globale und nicht durch nationale Angebots- und Nachfragemengen bestimmt werden.

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Bedrohungsszenarien

Nationale Preisfestsetzungsspielräume verschwinden, wenn sich die Preise global bilden. Die Auswirkungen werden zum Teil als Bedrohung perzipiert, zum Teil als Herausforderungen, auf die man sich einstellen muss, die aber durchaus zu meistern sind. Eine Bedrohung wird in dreierlei Hinsicht gesehen:

Zunehmende Niedriglohnkonkurrenz verdrängt die Hochlohnarbeit

Gewaltige „industrielle Reservearmeen„ in unterentwickelten Ländern werden in relativ kurzer Frist für die Weltmarktproduktion verfügbar. Ihr Preis (Lohn + Lohnnebenkosten) ist ausgesprochen niedrig, weil in ihren Heimatländern die Produktivität pro arbeitsfähigen Einwohner sehr gering und die Nachfrage nach Arbeitskraft entsprechend preissensibel ist.

Niedriglohnarbeit, die mit Hilfe moderner Technologie und Kapitalausstattung auf wettbewerbsfähige Produktivitätsniveaus gebracht wird, ersetzt die Hochlohnarbeit der Industrieländer in immer mehr Bereichen. In anderen Worten: Produktion wird aus den Hochlohnländern in Niedriglohnländer verlagert. Indirekt, d.h. auch ohne massenhafte Migration, globalisiert sich der Arbeitsmarkt. Das allgemeine weltweite Wirtschaftswachstum reicht nicht aus, um die „freigesetzte„ Arbeitskraft in neuen (noch) nicht verlagerbaren Wirtschaftsaktivitäten bzw. in der Produktion von „non-tradables„ (nicht international handelbare Güter und Dienstleistungen) zu beschäftigen. In den hoch industrialisierten Hochlohnländern kommt es zu gesellschaftlicher Polarisierung. Diejenigen, die (noch) ein gesichertes Einkommen im nicht verlagerbaren Wirtschaftssektor haben, profitieren von den mit Hilfe der Auslagerung verbilligten Produkten. Die anderen (überwiegend, aber nicht ausschließlich, weniger gut Ausgebildete) müssen eine drastische Verschlechterung ihrer Arbeitsmarktposition hinnehmen. Ihnen blüht entweder Arbeitslosigkeit (bei rigiden Arbeitsmärkten) oder schlecht bezahlte und schlecht abgesicherte Arbeit (bei deregulierten Arbeitsmärkten). Aus der Binsenwahrheit, dass die Niedriglohnländer ihre steigenden Exporteinkünfte auch wieder in Importnachfrage ausgeben und nicht immer größere Handelsbilanzüberschüsse ansammeln, kann keine Entwarnung abgeleitet werden. Denn die neue Importnachfrage aus den Niedriglohnländern ersetzt weitgehend nur frühere Binnennachfrage aus den Hochlohnländern. D.h. frühere Binnenproduktion wird in Exportproduktion umgewandelt, aber es wird nicht mehr produziert, weil zu Hause mit der Produktionsverlagerung auch Einkommen und somit Nachfrage vernichtet wird. Ein Beispiel: Textilmaschinenhersteller, die früher an die heimische Textilindustrie verkauft haben, verkaufen jetzt an die malaysische, chinesische etc. Textilindustrie. Somit exportieren sie mehr, aber sie produzieren nicht mehr.

Die Industrieländer treten untereinander in einen sozialen Unterbietungswettlauf (race to the bottom) ein

Weil Produktion immer leichter verlagert werden kann, sind Unternehmen immer weniger an ihren herkömmlichen Standort gebunden. Sie können sich nicht nur den kostengünstigsten Produktionsstandort aussuchen, der Konkurrenzdruck zwingt sie sogar dazu. Damit treten die Standorte untereinander in Wettbewerb um die Gunst der Unternehmen. Es droht eine Dynamik der Kostensenkung zu Lasten der Staatseinkünfte und der öffentlichen Aufgaben (Steuersenkung), der Umwelt (möglichst geringe Auflagen) und der Arbeitskraft (Senkung der direkten und indirekten Arbeitskosten). Der Unterbietungswettlauf wird durch die verschlechterte Verhandlungsposition von Arbeitnehmerschaft und Staat begünstigt. Sie müssen eine Verlagerungsdrohung der Unternehmen viel ernster nehmen als zu früheren Zeiten und können sozusagen weniger hoch pokern. Dieser Unterbietungswettlauf ist insbesondere zwischen denjenigen Ländern zu erwarten, die den Unternehmen in etwa gleiche Bedingungen in Bezug auf Infrastruktur, Ausbildungsstand der Arbeitskräfte, politische Stabilität etc. bieten. Demzufolge steht innerhalb der Europäischen Union mit ihrer nahezu totalen Marktintegration (minimale Mobilitätsbarrieren) und ihrer hohen Homogenität hinsichtlich des Entwicklungsstandes (von wenigen Ausnahmen abgesehen) der schärfste Unterbietungswettlauf an.

Die internationale Mobilität des Kapitals macht nationale Wachstumspolitik wirkungslos

Der langfristige reale Zinssatz, der für die Investitionsneigung der Unternehmen von hoher Bedeutung ist, bildet sich durch globale Nachfrage- und Angebotsmengen. Z.B. wird er durch eine hohe Kreditnachfrage der Staaten in die Höhe getrieben. Ein einzelnes Land kann sich davon nicht abkoppeln, weil das Kapital dann an rentablere Gestade wandert. Weiterhin unterliegt die Wirtschaftspolitik der ständigen Bewertung durch die Finanzmärkte. Inflationsverdächtige Finanz- und Einkommenspolitik wird unmittelbar durch Kapitalflucht in Länder mit größerer erwarteter Geldwertstabilität geahndet. Die dadurch letztlich hervorgerufene Abwertung stärkt dann in der Tat die inflationären Kräfte und kann ein rezessionsträchtiges geldpolitisches Gegensteuern erfordern. Staaten, deren Stabilitätswillen das internationale Kapital mißtraut, können ihren Wechselkurs nur mit einem Zinsaufschlag verteidigen. All das zwingt der Wirtschaftspolitik eine eher exzessive Stabilitätspräferenz zu Lasten des Wirtschaftswachstums auf.

Hinzu kommt die Gefahr spekulativer Übertreibungen in den Preisbewegungen (exzessive Wechselkursfluktuationen), denen ebenfalls eher mit kontraktiver (kursstützender) als mit expansiver Wirtschaftspolitik begegnet wird, von den Verunsicherungseffekten für die produktive Investition ganz zu schweigen.

Kumulierung der Gefahren

Die aufgeführten Gefahren schließen sich nicht gegenseitig aus. Sie können sich kumulieren und gegenseitig verstärken. So kann zunehmende Verdrängungskonkurrenz durch Niedriglohnprodukte den gegenseitigen Unterbietungswettlauf unter den Hochlohnländern intensivieren.

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Gründe für Zuversicht

Die der wirtschaftlichen Globalisierung zugeschriebenen Gefahren werden nicht generell akzeptiert. Die Gegenpositionen lauten wie folgt:

Keine Verdrängungskonkurrenz durch Niedriglohnarbeit, sondern erweiterte internationale Arbeitsteilung.

Niedriglohnländer verdienen mit ihren steigenden Exporten die Devisen, die sie zur Absicherung ihres eigenen Wirtschaftswachstums brauchen. Denn je mehr sie produzieren, desto mehr müssen sie auch importieren (u.a. Kapitalgüter, Rohmaterialien). Vom Wirtschaftswachstum in den Niedriglohnländern gehen Wachstumsimpulse für die ganze Weltwirtschaft aus, d.h. es entstehen neue Märkte. Die sogenannten Tiger-Länder Ostasiens sind nicht auf Kosten der westlichen Industrieländer gewachsen, diese haben vielmehr an ihrem Wachstum partizipiert. Ohne den anhaltenden Boom in Ostasien wäre bei uns das Wachstum noch schwächer ausgefallen. Also kein Nullsummenspiel, sondern ein Positivsummenspiel. Freilich rufen die Importe aus Niedriglohnländern eine Umstrukturierung hervor: einige Produktionsbereiche fallen der neuen Konkurrenz zum Opfer, andere expandieren dafür. Im Kontext allgemeiner Arbeitslosigkeit - die ganz anderen Gründen geschuldet ist - besteht die Tendenz, nur die mit Arbeitsplatzverlusten einher gehenden Schrumpfeffekte zu sehen.

Weiterhin überlegene Vorteile der Hochlohnstandorte, deshalb geringe Gefährdung durch Niedriglohnarbeit.

Eine Verdrängung der Hochlohnarbeit durch Niedriglohnarbeit aus Arbeitskräfteüberschussregionen der Welt ist theoretisch schon möglich. Aber nur dann, wenn die Niedriglohnstandorte ihre eklatanten Nachteile in Bezug auf Infrastruktur, Humankapital, Kundennähe, Synergien erzeugende Verdichtungseffekte etc. verringern. Von Rechtssicherheit und gesellschaftlicher Stabilität ganz zu schweigen. In der Praxis findet dies nur in sehr geringem Ausmaß statt. Denn es erfordert über lange Frist durchzuhaltende Entwicklungsanstrengungen, die einer entsprechenden politischen Grundlage bedürfen. Nicht umsonst geht weiterhin der Löwenanteil aller produktiven Investitionen, soweit sie nicht der Ausbeutung von Rohstoffen dienen, an die Standorte, die in Bezug auf Löhne, Immobilien, Regulierungsdichte etc. am teuersten sind. Das ist innerhalb der einzelnen Länder so und das ist auch im globalen Rahmen so. Gegenbeispiele (wie z.B. der Rückgriff auf billige indische EDV-Dienste) werden in ihrer Signifikanz über Gebühr aufgebläht.

Kein Unterbietungswettlauf, sondern weniger Toleranz für Ineffizienz und Monopolrenten - letztlich zum Nutzen aller.

Es gibt schon sehr lange viele Volkswirtschaften, die in hohem Maße in die Weltwirtschaft integriert sind und sich gegenüber der ausländischen Konkurrenz behaupten müssen - sowohl was den Preis als auch was die Qualität ihrer Produkte betrifft. Diese seit langem sehr intensive Konkurrenz hat bislang keineswegs zu einem Unterbietungswettlauf geführt. Was im Zuge der sogenannten Globalisierung stattfindet, ist, dass weitere Produktionsbereiche, die bislang der internationalen Konkurrenz entzogen waren, nunmehr ihr ausgesetzt werden. Für manche bislang geschützten Branchen ist dies ein Schock. Große Länder müssen sich erst an eine Situation gewöhnen, in der kleine Länder von jeher leben mussten. Die leichtere Verlagerungsmöglichkeit von Betrieben und Betriebsteilen ins Ausland verringert auch die Schonfrist, die für fortgesetzte Wettbewerbsnachteile gewährt wird. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass von nun an der Wettbewerb Länder auf breiter Front aus dem Markt verdrängt. Das tat er in der Vergangenheit auch nur bei stark spezialisierten Volkswirtschaften, wenn außerordentliche Schocks die Wettbewerbsverhältnisse sehr schnell veränderten (z.B. der Niedergang der Wallonie, als Erdöl und Erdgas die Kohle weithin ersetzten). Ansonsten gab es in den Ländern mit voll entwickelter Infrastruktur und Humankapitalbasis bislang immer Ausgleichsmechanismen, die vorübergehende Wettbewerbsnachteile kompensierten.

  • Preisliche Wettbewerbsverluste aufgrund überdurchschnittlicher Inflationierung wurden letztlich durch Wechselkursanpassungen kompensiert.

  • Imitation (z.T. auf Basis von Lizenzen) und

  • ausländische Direktinvestition sorgten dafür, dass technologisch auch dann der Anschluss an den Industrieländerstandard (nicht unbedingt die „Weltspitze„) gewahrt wurde, wenn die einheimischen Unternehmen an den bahnbrechenden technologischen Innovationen nicht von Anfang an beteiligt waren.

Nicht Aussonderung der Schwachen, sondern Wohlstandsdiffusion

Anders als bei einzelnen Unternehmen erwies sich der internationale Wettbewerb bei ganzen Ländern mit einer halbwegs diversifizierten Volkswirtschaft bisher nicht als ein Mechanismus der Aussonderung, der nur „Spitzenreitern„ eine Chance ließ, sondern eher als ein Mechanismus der Wohlstandsdiffusion, der den jeweiligen „best practice„ in Bezug auf Produktionseffizienz und Produktqualität zumindest industrieländerweit durchsetzte. Die leichtere Verlagerbarkeit von Produktionsaktivitäten erleichtert die Diffusion des „best practice„ unabhängig von der Erfindungsfreudigkeit nationaler Unternehmen und Forschungsinstitute.

Internationale Kapitalströme erzwingen solide Wirtschaftspolitik.

Die Verlagerung großer privater Kapitalmassen von einem Land in andere Länder erfolgt nicht nach völlig willkürlichen Kriterien. Sie gehorcht einer klar erkennbaren Rationalität, an der sich die Wirtschaftspolitik ausrichten kann. Das Kapital flieht aus Währungsräumen, für die es aufgrund bereits beobachtbarer Preis-, Geldmengen- und Verschuldungsentwicklungen oder aufgrund antizipierter Politikwechsel, die in solche Entwicklungen münden, eine Abwertung voraussieht. Die Reaktion des Kapitals auf derartige Erwartungen kann zwar eine sehr starke spekulative Eigendynamik bekommen, diese ist aber das sekundäre Phänomen, d.h. sie werden auf die Primärreaktion draufgesattelt. Die Erwartungen des Kapitals (durchaus ein „scheues Reh„) lassen sich durch vertrauensbildende solide Wirtschaftspolitik und die zugehörigen Signale (wozu anfangs auch antispekulative Interventionen gehören mögen) stabilisieren. Entscheidend sind hierbei die Staatsverschuldung, die Einkommenspolitik und die Geldpolitik. Es scheint, dass die Staaten die Lektion allmählich gelernt haben. Insofern besteht Zuversicht, dass die Währungsturbulenzen der Vergangenheit sich in Zukunft nicht so leicht wiederholen. Bei größeren Schocks, wie etwa einer drastischen Energieverteuerung, können vorübergehende international koordinierte Eingriffe in den Kapitalverkehr den Anpassungsverlauf glätten. Die Wirtschaftspolitik, die auf Dauer das Vertrauen des Finanzkapitals erwirbt, ist keineswegs wachstumsfeindlich. Im Gegenteil, sie führt zu weltweit niedrigeren Realzinsen, zu größerer Planungssicherheit für die Unternehmen und zu größerem Handlungsspielraum für die Staaten, Handlungsspielraum, der nicht zuletzt auch ihre Fähigkeit zu antizyklischen Haushaltsdefiziten erhöht.

Nicht weniger Freiheit für nationale Wirtschaftspolitik als unter der Bretton-Woods-Ordnung.

Es stimmt zwar, dass die internationale Mobilität des Finanzkapitals die Optionen für staatliche Wirtschaftspolitik einengt, dass sie ihnen keine beliebigen Kombinationen von Geld- und Fiskalpolitik zugesteht. Aber im Bretton-Woods-System der weitgehend festen Wechselkurse (als die Welt gleichsam noch in Ordnung war) musste die Wirtschaftspolitik ebenfalls den Grenzen der Systembelastbarkeit Rechnung tragen. Ein hohes Maß an Geldwertstabilität, relativ geringe Leistungsbilanzungleichgewichte und relativ niedrige Staatsverschuldung waren Bedingungen für die Funktionsfähigkeit des Systems. Die wirtschaftspolitische Freiheit, sich über sie hinwegzusetzen, wurde erst später in Anspruch genommen - letztlich eher zum Schaden als zum Nutzen des weltweiten Wohlstandes.

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Deutschland angesichts der Globalisierung: drei Positionen

Position l: Der Wohlstand der Deutschen ist, ebenso wie der der Franzosen, Amerikaner, Japaner etc. durch die Globalisierung bedroht.

Die oben aufgeführten Gefahren haben nichts mit einer spezifischen Schwäche der deutschen Wirtschaft zu tun. Niedriglohnkonkurrenz gilt für alle Hochlohnländer. Die Vorstellung, dass sich ihr ein einzelnes großes Land wie Deutschland durch Okkupierung eines großen Teils des Weltmarkts für Spitzentechnologie entziehen kann, ist wenig plausibel. Denn es ist damit zu rechnen, dass die Zahl der High-tech-Arbeitsplätze weltweit bei weitem nicht ausreicht, um alle die verdrängten Hochlohnarbeiter aus der verlagerten Standardproduktion aufzunehmen. Dennoch schwächt natürlich ein starker Hochtechnologiesektor den Problemdruck, der von der Niedriglohnkonkurrenz ausgeht, ab. Im Non-tradable-Bereich hingegen droht aufgrund des zunehmenden Arbeitskräfteüberschusses massiver Lohnverfall. Die anderen genannten Gefahren - Unterbietungswettlauf und Unterminierung der Wachstumspolitik durch unkontrollierbare Kapitalströme - betreffen das gesamte internationale System und nicht einzelne Länder. Sie laufen auf ein OECD-weites oder gar weltweites Regulierungsdefizit hinaus.

Position 2: Der Wohlstand der Deutschen ist ebenso wenig durch die Globalisierung bedroht wie der der übrigen hoch industrialisierten Nationen. Die wirtschaftlichen Probleme unseres Landes sind anderen Ursachen geschuldet.

Die Entwarnung hinsichtlich der Globalisierungsgefahren, die sich aus den oben aufgeführten „Gründen für Zuversicht„ ableitet, gilt auch für Deutschland. D.h., die Niedriglohnkonkurrenz stellt keine Gefahr für die deutsche Volkswirtschaft dar, höchsten für einige regionale Standorte (und dann zugunsten anderer Standorte, die von der erweiterten internationalen Arbeitsteilung profitieren); Unterbietungswettlauf und dysfunktionale Finanzströme erweisen sich bei näherem Hinsehen als Scheingefahren. All dies bedeutet nicht unbedingt, dass es um die deutsche Wirtschaft gut bestellt ist. Aber die Probleme Wachstumsschwäche, Massenarbeitslosigkeit, zunehmende Armut sind kein Ausfluss der Globalisierung. Diese steht ihrer Lösung auch nicht im Wege. Vielmehr ist es so, dass die Einengung des wirtschaftlichen Diskurses auf die imaginäre Globalisierungsgefahr die Lösung der eigentlichen Probleme erschwert.

Position 3: Deutschland hat spezifische Wettbewerbsprobleme, die im Kontext der Globalisierung unseren Wohlstand nachhaltig gefährden.

Hohe Stückkosten - verkürzte Anpassungsfristen: Die Globalisierung der Produktion stellt keine allgemeine Gefahr für die Weltwirtschaft oder die Hochlohnländer dar. Aber sie erhöht die Strafe für vorübergehende Wettbewerbsschwäche. Dies liegt daran, dass die leichtere Verlagerbarkeit von Produktion die Korrekturfristen verkürzt hat. D.h. Deindustrialisierungsprozesse setzen schneller ein als früher. Für Deutschland ergibt sich diesbezüglich eine spezifische Gefahr wegen der hohen Stückkosten, die aus dem Zusammenwirken von Tarifabschlüssen, außertariflicher Entwicklung der Lohnnebenkosten und frühere - nunmehr im Euro zementierten und Deutschlands Kostennachteile innerhalb der Währungsunion gleichsam festschreibenden - DM-Aufwertung entstanden sind.

High-tech-Schwäche: Die Niedriglohnkonkurrenz mag die Hochlohnländer insgesamt bedrohen (wie oben aufgeführt). Aber einzelne Länder können sich in dem Maße immunisieren, wie sie ihren Spitzentechnologie-Sektor stärken; denn auf Dauer widersteht nur dieser dem Niedriglohndruck. In diesem Sinne stimmt die Metapher, dass nur die Besten im internationalen Wettbewerb bestehen werden. Deutschland ist nicht gut gerüstet, diese Chance wahrzunehmen, weil seine spezifischen Wettbewerbsstärken eher in solchen Produktionsbereichen liegen, die in Zukunft der Verlagerung zum Opfer fallen (Beispiel Automobilindustrie, Teile der chemischen Industrie).

Starke Unternehmen - schwacher Standort?

Unabhängig davon, welche Herausforderungen sich für Volkswirtschaften aus der Globalisierung von Preisbildungsprozessen ergeben, müssen sich Unternehmen darauf einrichten, dass

  • sie vermehrt auch auf ihren angestammten Märkten mit ausländischen Unternehmen in Konkurrenz treten;

  • sie erweiterte Chancen in Bezug auf die Ausnutzung von Standortvorteilen („global sourcing„), die Ausweitung ihres Umsatzes durch Präsenz in mehreren nationalen Märkten und die begrenzte Zusammenarbeit mit Konkurrenten bei der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung bestimmter Produkte (u.a. strategische Allianzen) haben;

  • ihre Konkurrenten diese Chancen wahrnehmen und

  • die Wahrnehmung solcher Chancen demzufolge zur „Pflichtübung„ im globalen Wettbewerb wird.

Stellen sich nationale Unternehmen den neuen Herausforderungen mit Erfolg, kann das auch der nationalen Volkswirtschaft in Form von Bruttosozialprodukt, Beschäftigung und Steuereinnahmen zugute kommen. Aber erfolgreiche unternehmerischer Globalisierung kann auch am heimischen Standort der Unternehmen vorbei und mit einer Verlagerung der Produktionsaktivitäten an andere Standorte einher gehen. Umgekehrt können die Interessen einer Volkswirtschaft auch durch neue „Allianzen„ mit ausländischen Unternehmen gewahrt werden. D.h. der nationale Wohlstand ist nicht völlig an den Erfolg der einheimischen Unternehmen im globalen Konkurrenzkampf gekoppelt.

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Diagnosen und Politikempfehlungen

Diagnose „Niedriglohn-Verdrängungskonkurrenz„:

Als Defensivpolitik: Lohnflexibilität, Importschutz.

Als Offensivpolitik: Sicherung hoher Weltmarktanteile in den gegen Niedriglohnkonkurrenz geschützten Hochtechnologiebereichen; Förderung der Binnennachfrage in Niedriglohnländern, um das Problem des dortigen Arbeitskräfteüberschusses zu entschärfen.

Als Reparaturpolitik: Transfereinkommen für die Opfer der Niedriglohnkonkurrenz.

Diagnose „Unterbietungswettlauf„:

Grenzüberschreitende Tarifabschlüsse unter Einschluss von Ländern mit ähnlicher Produktivität, steuerpolitische „Stillhalteabkommen„ zwischen den wichtigsten Industrieländern, international koordinierte Umweltauflagen für Unternehmen, Abkommen zwischen den Industrieländern über gemeinsame Sozialstandards (weltweite sogenannte „Mindeststandards„ hingegen helfen den Hochlohnländern kaum etwas).

Diagnose „dysfunktionale Finanzmärkte„:

Geld- und/oder finanzpolitische Koordinierung zwischen den Industrieländern (evtl. nur auf der G3-Ebene); finanzpolitischer Verhaltenskodex, der OECD-weit solide Staatsfinanzen sichert und damit sowohl eine wichtige Quelle von Währungsturbulenzen beseitigt als auch das weltweite Zinsniveau entlastet; Einschränkung der internationalen Kapitalmobilität.

Diagnose „erweiterte internationale Arbeitsteilung„:

Förderung des Strukturwandels, um Anpassungskosten zu minimieren; evtl. vorübergehender Importschutz mit gleichem Ziel; vermehrte Umschulung von Arbeitskräften.

Diagnose „verringerte Schutzräume für Ineffizienz und Monopole„:

Förderung der unternehmerischen Anpassungsfähigkeit.

Diagnose „Zwang zu solider Wirtschaftspolitik„:

Stabilitätsorientierte Geldpolitik, Staatsschulden auf langfristig durchhaltbares Niveau zurückführen (Verschuldung nur soweit sie eine Investition in spätere Steuereinnahmen darstellt), an Produktivitätsfortschritt orientierte Lohnpolitik.

Diagnose „zu hohe Stückkosten„:

Lohnpolitische Zurückhaltung, Verlagerung der sozialen Absicherungskosten von den Unternehmen auf die Haushalte.

Diagnose „Hochtechnologieschwäche„:

Bessere Technologie-, Industrie- und Bildungspolitik (was „besser„ ist, kann mit den Kategorien dieses Problemaufrisses allerdings nicht diskutiert werden).


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