FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:



[Seite der Druck-Ausg.: 2 = Rückseite Titelblatt]

[Seite der Druck-Ausg.: 3-4 = Inhaltsverzeichnis]

[Seite der Druck-Ausg.: 5]

Vorbemerkung

Seit dem Fall der Mauer und des Sowjetreichs erlebt der Frauenhandel und die Zwangsprostitution in vielen Ländern der Europäischen Union einen dramatischen Aufschwung. Das Angebot auf dem Markt für Frauen ist um einen „neuen Frauentyp" angereichert worden, der billig, reichlich und schnell beschafft werden kann. Das Risiko einer Bestrafung ist für die Händler gering. Da sich die osteuropäischen Frauen illegal in Westeuropa aufhalten, werden sie zu Mittäterinnen, die schnell abgeschoben werden. Damit stehen sie als Zeuginnen für die Verurteilung der Täter nicht mehr zur Verfügung.

Mittlerweile fordern nicht nur Nichtregierungsorganisationen, sondern auch die Regierungen der Europäischen Union und das Europäische Parlament ein koordiniertes Vorgehen gegen den internationalen Frauenhandel. Das Europäische Parlament hat eine „Europäische Kampagne gegen Gewalt an Frauen" initiiert, die im diesjährigen EU-Budget mit einer eigenen Haushaltslinie ausgestattet ist. Gefordert werden ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für ausländische Frauen, die zur Prostitution gezwungen worden sind, eine Verbesserung des Opferschutzes, geeignete Bestrafungen der Täter sowie die Beschlagnahmung der Gewinne. Aber auch auf der Nachfrageseite soll angesetzt werden: So plant Terres des femmes eine Kampagne, die den deutschen Kunden von illegalen Prostituierten ihre Mitverantwortung bewußt machen soll.

Auch in den mittel- und osteuropäischen Herkunftsländern müssen präventive Maßnahmen ergriffen werden: Der Transformationsprozeß in diesen Ländern hat für Frauen bislang wenig Vorteile, aber viele Nachteile gebracht. Da sie auf dem Arbeitsmarkt auch mit einer guten Ausbildung wenig Chancen haben, träumen viele Frauen von einem besseren Leben im Westen. Doch für viele von ihnen endet dieser Traum in den Fängen der organisierten Kriminalität: Händlerringe verschleppen Frauen in westeuropäische Länder und zwingen sie dort zur Prostitution.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat im März diesen Jahres eine Delegation von acht Frauen aus Polen, Ukraine, Estland, Lettland und Litauen nach

[Seite der Druck-Ausg.: 6]

Bonn und Brüssel eingeladen. Die aus Vertreterinnen von Frauenorganisationen, einer Journalistin sowie zwei Mitarbeiterinnen aus dem Polizeiamt zusammengesetzte Gruppe hat sich über die Arbeit der deutschen Frauenorganisationen gegen den Frauenhandel informiert, mit deutschen und europäischen Politikerinnen über mögliche Strategien gegen diese organisierte Kriminalität diskutiert und die EU-Programme zum Kampf gegen Frauenhandel sowie die Arbeit von Europol dazu kennengelernt.

Im Rahmen dieses Besuchsprogramms hat die Friedrich-Ebert-Stiftung am 23. März 1999 in Bonn eine Konferenz zum Thema „Osteuropas verkaufte Frauen - Wege zur effektiven Bekämpfung des Menschenhandels" organisiert, auf der engagierte Frauen aus Ost- und Westeuropa zu einem Erfahrungsaustausch zusammen kamen, um nationale und internationale Strategien für eine wirksame Bekämpfung von Frauenhandel zu diskutieren. Diese Publikation enthält nicht nur Ergebnisse dieser Tagung, sondern versucht einen Überblick über Ursachen, Ausmaß sowie nationale und europäische Programme zur Bekämpfung des Handels mit osteuropäischen Frauen zu geben.

Die Projekte der Friedrich-Ebert-Stiftung in den mittel- und osteuropäischen Ländern wollen unter anderem erreichen, daß Frauen sich aktiv an der Mitgestaltung des Transformationsprozeß beteiligen. Dies steht in Verbindung mit Maßnahmen, die zu einer wirtschaftlichen, politischen und sozialen Stabilisierung der Transformationsländer beitragen.

Anne Seyfferth

Page Top

Zusammenfassung

[Seite der Druck-Ausg.: 7]

  1. Frauenhandel und erzwungene Prostitution gab es schon immer. So lange ein starkes Wirtschafts- und Wohlstandsgefälle existiert, wird die sexuelle Ausbeutung von Frauen ein Geschäft bleiben. Dennoch hat das, was sich seit 1989 - also seit dem Fall des "Eisernen Vorhangs" - innerhalb Europas abspielt, eine neue Qualität: Nur selten fliehen Frauen auf legalen oder illegalen Wegen auf eigenes Risiko vor der Armut, sondern sie sind Opfer von durchorganisierten Menschenhändlerringen, die sie nicht nur sexuell, sondern auch materiell ausbeuten. Grund dafür ist die weltweite Feminisierung der Armut. Bis Ende der achtziger Jahre waren es vor allem Frauen aus den Entwicklungs- und Schwellenländern rund um den Erdball, die in der Hoffnung auf Teilhabe am besseren Leben in die reichen Industrieländer des Westens kamen. Heute sind es junge Frauen aus den ehemaligen Ostblockländern, die Opfer der sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche wurden. Doch nur in seltenen Fällen erfüllt sich die Hoffnung auf einen Ausweg aus der Armutsfalle, aus der Arbeitslosigkeit, Zukunfts- und Hoffnungslosigkeit.

  2. Es fehlt in Europa nicht an Ideen, um diesen Frauen zu helfen. Es gibt beispielhafte Anlaufstellen, in der Regel ins Leben gerufen und am Leben gehalten von Nichtregierungsorganisationen (NROs) oder von lokalen Frauengruppen. Sie haben konkrete Vorstellungen, wie den Frauen zu helfen wäre, aber es fehlt an Unterstützung durch staatliche Stellen und durch die Polizei. Ermittlungsbeamte, wenn sie nicht Spezialisten des organisierten Menschenhandels sind, wissen häufig nicht von der Existenz von Beratungsstellen. So bleiben etwa bei Razzien aufgegriffene ausländische Zwangsprostituierte unbetreut und erfahren nichts über ihre Rechte.

  3. Von der Europäischen Kommission über das Europaparlament bis hin zu Hilfsorganisationen werden die gleichen Forderungen erhoben: Wenn Frauen bereit sind, aus der Prostitution auszu-

    [Seite der Druck-Ausg.: 8]

    steigen und gegen das organisierte Verbrechen auszusagen, benötigen sie aktive Unterstützung. Das bedeutet: Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung während der gesamten Dauer eines Gerichtsverfahrens und noch darüber hinaus. Die Frauen brauchen sichere Wohnungen, psychologische Betreuung, Rechtsberatung und Dolmetscher, vor allem aber auch die Zusicherung von Vertraulichkeit, denn viele haben berechtigte Angst um ihre Familien in den Herkunftsländern.

  4. Die Händlerringe agieren international, Polizei und Strafverfolgungsbehörden aber in aller Regel national. Es fehlt an länderübergreifender Zusammenarbeit, oft auch an Wissen über diese Form der organisierten Kriminalität. Obwohl bei den Ermittlungsbehörden keine Illusionen über das Ausmaß dieser Verbrechen herrschen, kommt es nur selten zu Gerichtsverfahren und Verurteilungen.

  5. Es gibt zu wenig Übereinstimmung zwischen den Akteuren in den EU-Ländern über die Vorgehensweise. Für die Polizei auf lokaler und regionaler Ebene sind Frauen, die bei einer Razzia gefaßt werden, Kriminelle, die gegen Aufenthalts- und Arbeitsrecht verstoßen haben. Sie haben häufig keine Papiere, da ihnen diese von den Zuhältern abgenommen wurden. Die Frauen werden so schnell wie möglich abgeschoben und stehen dann als Zeuginnen nicht mehr zur Verfügung.

  6. Die Strafverfolgungsbehörden setzen sich zwar für großzügige Zeugenschutzprogramme ein, da sie nur mit Hilfe der Aussagen von Opfern an die Täterringe herankommen. In der Praxis wird allerdings darüber gestritten, wer die Kosten dafür übernehmen soll. Die Kommunen fühlen sich überfordert, denn solche Verfahren können sich über Jahre hinziehen. Derzeit gibt es Mittel für die Frauen, die in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen wurden oder eine Duldung haben. Sie erhalten Sozialhilfe nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und haben - wenn es solche in einer Kommune oder einem Bundesland gibt - einen Anspruch auf eine sichere Wohnung.

    [Seite der Druck-Ausg.: 9]

    [Bild der Druck-Ausg. fehlt in Online-Version]

  7. Das Europäische Parlament hat in einer Entschließung gefordert, den Frauenhandel vor allem aus der Perspektive der Opfer zu sehen. Dies müßte internationale Anstrengungen zum Schutz ausstiegswilliger Frauen zur Folge haben. Da es den einzelnen Mitgliedstaaten aber vor allem um die Bekämpfung illegaler Einwanderung geht, werden die Frauen marginalisiert, in den Untergrund abgedrängt.

  8. Europäische Programme zur grenzübergreifenden Information für Justiz, Polizeibeamte, Ausländerbehörden sowie Nichtregierungsorganisationen stecken noch in den Anfängen. Ähnliches gilt für verschiedene nationale Programme. Erfolgreich ist das aus EU-Mitteln finanzierte Programm STOP, das Erfahrungsaustausch über Ländergrenzen hinweg ermöglicht.

    [Seite der Druck-Ausg.: 10]

  9. So lange es beim Wohlstandsgefälle innerhalb Europas bleibt, so lange nicht die Ursachen der Prostitution bekämpft werden, wird sich an der Situation grundlegend nichts ändern. Das Geschäft, man spricht von Umsätzen von weit über zehn Milliarden Mark pro Jahr in den EU-Mitgliedstaaten, ist für die Täter risikoarm, so lange den Frauen keine andere Überlebensperspektiven aufgezeigt werden können.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

TOC Next Page