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Pulverfaß ohne Boden : Neuordnung und Wiederaufbau in Südosteuropa / [Michael Dauderstädt]. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1999. - 20 S. = 74 Kb, Text . - (Politikinformation Osteuropa ; 81)
Electronic ed.: Bonn: EDV and Library of the FES, 1999

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT






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Zusammenfassung:

Das vorliegende Papier untersucht Ansätze zur Neuordnung und zum Wiederaufbau im Kosovo und in Südosteuropa. Jede Politik der Förderung der wirtschaftlichen Gesundung und des Wiederaufbaus setzt aber zunächst eine politische Struktur voraus, die als handlungsfähiger Partner der westlichen Seite (Staaten, internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen) dienen kann.
Eine handlungsfähige politische Struktur (Rechtsstaat, Demokratie, good governance) ist auch die zentrale Voraussetzung eines von einheimischen Investoren geleiteten Entwicklungs- und Aufbauprozesses. Jede ausländische Hilfe, die nicht zuerst diese Bedingungen schafft, sondern Kredite und Zuschüsse in korrupte Systeme kippt, verlängert nur die Leiden und die Unterentwicklung Südosteuropas.
Die Hoffnungen auf regionale Kooperation dürfen nicht zu hoch gesteckt werden. Realistischer ist es, die EU-Fixierung der Eliten als Hebel für konsequente Reformpolitik zu nutzen und parallel die sozialen Folgen abzufedern.

Die internationalen Geber unterliegen statutorischen Zwängen und spezifischen Interessen, die eine gezielte Hilfe, vor allem für den Kosovo selbst, erschweren.

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1 Politische Strukturen nach dem Krieg

Der von Jugoslawien akzeptierte 10-Punkte-Plan der G8 sieht folgende Grundprinzipien einer politischen Ordnung im Kosovo vor:

  • Substantielle Autonomie für den Kosovo mit einer Übergangsverwaltung unter UN-Aufsicht (Punkt 5)
  • Fortbestand einer souveränen Bundesrepublik Jugoslawien in den bisherigen Grenzen, d.h. territoriale Integrität (Punkt 8)
  • Stabilitätspakt für Südosteuropa mit breiter internationaler Beteiligung zur Förderung der Demokratie und wirtschaftlichen Wohlstand sowie Stabilität und regionale Zusammenarbeit (Punkt 9).

Der Kosovo ist demnach zwar kein eigenes Völkerrechtssubjekt, sondern bleibt Teil Jugoslawiens. Aber seine internen politischen und verwaltungsmäßigen Strukturen sind erst noch aufzubauen. Die serbische Staatsmacht soll sich im Kosovo auf eine Präsenz an den Grenzen und einigen serbischen Kulturstätten beschränken. Die UCK soll „entmilitarisiert" werden (Punkt 8), womit sie bestenfalls als Teil einer Polizeistruktur im Kosovo dienen könnte. Der Kosovo soll weiter ein ethnisch gemischtes Gebiet bleiben. Die im Kosovo lebenden Serben wurden zum Bleiben aufgefordert.

Beim Aufbau der Staatsstrukturen im Kosovo durch die UN-Übergangsverwaltung sind zunächst die allgemeinen rechtlichen/verfassungsmäßigen Grundlagen zu entwickeln, die wohl nur partiell die der bisherigen jugoslawischen Rechtsordnung sein können. Die Abweichung davon muß von der formal souveränen jugoslawischen Staatsmacht akzeptiert werden. Konflikte darum sind abzusehen. Sie werden die Etablierung einer sicheren Rechtsordnung verzögern und erschweren. Ihre Legitimität wird voraussichtlich länger von mindestens einer Seite angezweifelt werden.

Zuerst müssen die Vertriebenen zurückkehren, um den Kosovo wieder mit seiner ursprünglichen Bevölkerung zu versehen. Angesichts der – leider zu unterstellenden - systematischen Zerstörung der Einwohnermeldeunterlagen und Eigentumsbelege (Kataster) durch die Serben wird diese Rückkehr schon mit zahlreichen Konflikten und Rechtsstreitigkeiten verbunden sein. Es ist davon auszugehen, daß auch vor der Vertreibung nicht alle Eigentums- und Nutzungsrechte unstrittig waren und die Streitparteien die neue Lage für eine Entscheidung oder Änderung in ihrem jeweiligen Sinne nutzen werden. Diese Konflikte sind insbesondere und mit zusätzlicher Härte zwischen Serben und Albanern zu erwarten.

Nach der Rückkehr und vorläufigen Wiederansiedlung der Vertriebenen sollen Wahlen stattfinden, die von unten über die lokale und kommunale Ebene bis zur Regionalebene des Kosovo eine politische Struktur aufbauen. Sie muß Legislative, Judikative und Exekutive umfassen. Dabei sind Schutzregeln für die serbische Minderheit vorzusehen, wenn man sie wirklich langfristig im Kosovo halten will. Die UCK, die weiter einen selbständigen Kosovo anstreben wird, wird als Polizei kaum das Vertrauen der serbischen Minderheit finden. Es ist im Gegenteil anzunehmen, daß trotz entsprechender Anstrengungen der Übergangsverwaltung die serbische Minderheit den Kosovo räumen wird.

Die Erfahrung in Bosnien hat außerdem gezeigt, daß die Übergangsverwaltung über umfangreiche zivile und militärisch-polizeiliche Kompetenzen verfügen muß, um Blockierungen durch verschiedene ethnische und politische Fraktionen zu durchbrechen. Mit einer solchen Fraktionierung ist auch im Kosovo zu rechnen, und zwar nicht nur zwischen Serben und Albanern. Die Kosovo-Albaner können eventuell keine demokratische Regierung bilden. Sie waren und sind zerstritten. Neben der Fraktion um den „Präsidenten" Rugova, der einen gewaltfreien Weg zur Unabhängigkeit befürwortete, gibt es noch die Exilgruppe in Deutschland um den von Rugova zum „Premierminister" ernannten Bujar Bukoshi, der inzwischen ein Vermögen an „Steuern" von Albanern eingesammelt hat und die von Hashim Thaci geführte UCK. Diese Fraktionen haben sich mit albanischen Kräften verbündet, die dort in politischer Gegnerschaft stehen (Rugova mit dem Oppositionellen Berisha, die UCK mit der Regierungspartei), was die Fortsetzung der Konfliktkonstellation erleichtert.

Auch das wirtschaftliche Verhältnis des Kosovo zu Jugoslawien muß definiert werden. Welche Währung gilt im Kosovo ? Bleibt es bei der jugoslawischen Währung, so drohen Risiken durch eine schlechte Geldpolitik in Belgrad. Wird eine eigene Währung eingeführt, so müssen auch die entsprechenden geld- und währungspolitischen Institutionen geschaffen werden. Auch beim Außenhandel ist zu klären, ob jugoslawische Bestimmungen gelten oder ob der Kosovo eine eigene Handelspolitik verfolgen kann.

Solange all diese und weitere, noch nicht absehbare Probleme der politischen Ordnung noch nicht gelöst sind, wird ein autonomer wirtschaftlicher Aufbau kaum vorangehen. Der Kosovo wird von internationaler Hilfe und den bescheidenen wirtschaftlichen Leistungen abhängen, die teils zur Subsistenz, teils in Mafia-ähnlichen Zusammenhängen erbracht werden. Dabei wird das Zusammenspiel von anwesenden Ausländern (Militärs und Zivile) und lokaler Bevölkerung eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer Pseudowirtschaft spielen. Sollten schlecht bezahlte Truppen aus armen Ländern einen größeren Teil des UN-Kontingents ausmachen, so ist mit erheblichen Schwarzmarkt und kriminellen Aktivitäten zu rechnen.

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2 Die Kosten der Kriegsfolgen

Der Krieg hat die regionale Wirtschaft schwer belastet. Im Kosovo selbst haben die Serben massive Zerstörungen, vor allem bei Wohnhäusern angerichtet. Sowohl im Kosovo als auch im übrigen Jugoslawien hat die NATO wichtige Teile der Infrastruktur (Brücken, Telekommunikation, Fernsehen) und der Industrie (Raffinerien, Automobilindustrie etc.) zerstört. In den Nachbarländern hat es - von vereinzelten Kriegsschäden (z.B. in Sofia) abgesehen - vor allem indirekte wirtschaftliche Kosten durch den Zusammenbruch des Handels, durch aufwendigere Transportwege (Donau gesperrt) und durch die auf Investoren abschreckende allgemeine Verunsicherung gegeben. Hinzu kommen als direkte Folgen die Kosten der Flüchtlingsaufnahme.

Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds haben dazu erste Schätzungen für die sechs Länder Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Jugoslawien und Rumänien vorgelegt, die allerdings nicht die Kriegsschäden in Jugoslawien einschließen, deren Beseitigung ohnehin länger als 1999 dauern wird: Mit dem Abschluß der Kampfhandlungen im Juni 1999 dürften sich die tatsächlichen Kosten zwischen den beiden Szenarien A und B bewegen.

Tabelle: Zusätzlicher externer Finanzierungsbedarf der
sechs meist betroffenen Länder im Jahr 1999 (in Millionen U.S. Dollars)

Szenario A
"Längerer militärischer Konflikt"

Szenario B
"Schnelle Krisenlösung"

Flüchtlingskosten

311

139

Zahlungsbilanzlücke

1515

668

Gesamter
Finanzbedarf

1826

807

In Prozent des BIP

2,5

1,1

Nachrichtlich:
Haushaltslücke

652

308

In Prozent des BIP

0,9

0,4

Quelle: IMF und World Bank „The Economic Consequences of the Kosovo Crisis: A Preliminary Assessment of External Financing Needs and the Role of the Fund and the World Bank in the International Response" Washington 1999.

Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche hat in einer Studie ähnliche Zahlen errechnet. Danach sinkt die Wachstumsrate 1999 um fünf (Bosnien und Mazedonien) bis zwei Prozentpunkte (Albanien). Auch Kroatien muß mit einer Rezession rechnen. Defizite in der Leistungsbilanz und im Staatshaushalt nehmen drastisch zu. [ Vgl. Vladimir Gligorov und Niclas Sundström „The Costs of the Kosovo Crisis" WIIW Current Analyses and Country Profiles, Nr. 12, April 1999, Wien (zitiert nach FAZ v. 21.4.1999)] Die EU-Kommisssion schätzt die Aufbaukosten auf 30 Milliarden USD ohne den humanitären und militärischen Teil, der sich über mehrere Jahre nach den bosnischen Erfahrungen auf zusätzlich 100 Milliarden USD belaufen könnte. [ Vgl. FAZ v. 19.5.1999]

Die Wiederaufbaukosten in Jugoslawien dürften sich zusätzlich mindestens im zweistelligen Milliardenbereich bewegen. Für Bosnien hatte die Weltbank seinerzeit etwa 5 Milliarden USD veranschlagt. In Jugoslawien dürften angesichts der größeren Fläche und Einwohnerzahl sowie angesichts der doppelten Zerstörung durch die Serben im Kosovo und durch die NATO in Gesamtjugoslawien die Kosten bei mindestens dem vierfachen, also bei ca. 20 Milliarden USD liegen.

Jugoslawische Quellen geben die Schäden noch höher an. Der Sprecher des Außenministeriums, Nebosja Vujovic, spricht von 200 Milliarden USD, der entlassene Vizepremier Vuk Draskovic nannte 40 Milliarden USD. Allein in der Voivodina gibt der dortige Präsident Bosko Perosevic die Schäden mit über 3 Milliarden USD an. Insgesamt wurde bisher ca. 50 Brücken, 5 Flughäfen, 21 Bahnhöfe und 40 Industrieanlagen zerstört oder schwer beschädigt. [ Vgl. Dimitrije Boarov (Novi Sad) „The Damage from Defiance" auf der website des Institute for War and Peace www.iwpr.net.]

Dazu kommen die volkswirtschaftlichen Verluste, die denen der Nachbarstaaten ähneln, aber deutlich höher ausfallen. Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche rechnet mit 25% Schrumpfung des realen Wachstums. Dazu kommt eine massive Inflationsgefahr, wenn der Krieg aus der Notenpresse finanziert wird. [ Vgl. WIIW (Gligorov/Sundström), a.a.O. (FN 1)] Viele Einwohner werden auswandern wollen. Schon jetzt verlassen vor allem wehrfähige Männer (z.B. Ungarn aus der Voivodina) das Land, um nicht zur Armee eingezogen zu werden.

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3 Die wirtschaftliche Wiederbelebung hängt von Demokratie und Rechtsstaat ab

Die betroffene Region gehört zu den ärmsten Europas (siehe folgende Tabelle). Das gesamte BSP der Region liegt mit etwa 160 Milliarden DM leicht über dem Polens und in der Größenordnung von Hamburg plus Bremen.

Tabelle: Bevölkerung und Einkommen

Land

Bevölkerung
in Millionen

BIP
in Mio DM

BSP/Kopf in DM

(gerundet)

Albanien

3,2

4480

1400

Bulgarien

8,3

18260

2200

Jugoslawien

10,5

28350

2700

Mazedonien

2,0

7200

3600

Rumänien

22,5

60750

2700

BiH

4,1

5740

1400

Kroatien

4,5

32400

7200

Summe

55,1

157180

2853

Quelle: Vladimir Gligorov „Trade and Investment in the Balkans" in Eurobalkans Nr.33 Winter 98/99; eigene Berechnungen

Die Region hat die Folgen der Transformation noch lange nicht überwunden (siehe die beiden ersten Spalten zum BSP und zur Beschäftigung). Außer in Bulgarien ist die Handels- und Zahlungsbilanz in allen Ländern defizitär. Die ausländischen Investitionen sind relativ gering.

Tabelle: Wirtschaftslage der Region im Jahre 1997

Land

BSP
1989=100

Beschäf-
tigung

1989=100

Inflation
Prozent
gegenüber Vorjahr

Waren-exporte
Mio USD

Waren-importe
Mio USD

Zahlungs-bilanz
Mio USD

FDI
Mio USD

Albanien

25,7

76,9

33,1

141

620

-271

48

Bulgarien

52,6

73,3

1082,6

4914

4886

416

489

Jugoslawien

44,2

83,6

23,2

2376

4801

k.A.

k.A.

Mazedonien

45,0

66,8

3,6

1180

1754

-275

16

Rumänien

55,8

82,4

154,9

8431

11280

-2338

1215

BiH

7,0

31,2

11,8

109

1555

k.A.

k.A.

Kroatien

54,8

73,9

3,7

4171

9104

-2434

388

Quelle: UN-ECE: Economic Survey of Europe 1998, WIIW

Für die Nachbarländer dürfte mit einer sicheren Friedensregelung der größte Beitrag zum Wiederaufschwung gegeben sein. Eine solche Regelung würde - wenn sie glaubhaft ist - die Investoren beruhigen und den grenzüberschreitenden Handel und Verkehr wieder erleichtern und beleben. Für Jugoslawien eröffnet eine Friedensregelung dann Chancen, die über die Abwesenheit von Bombardements hinaus gehen, wenn sie mit einer Aufhebung des Handelsboykotts verbunden ist.

In allen Ländern, insbesondere aber in Jugoslawien und im Kosovo, hängt die mittelfristige wirtschaftliche Entwicklung von folgenden Bedingungen ab, die man nicht in erster Linie aus der Sicht ausländischer, sondern einheimischer Investoren/Unternehmer sehen sollte, ohne deren Engagement keine ausländische Hilfe Sinn hat:

  • Rechtsstaat: Gesicherte Eigentumsrechte sind eine Grundvoraussetzung für Investitionen und unternehmerische Tätigkeit, die über mafiöse Aktionen hinausgeht. Dabei müssen nicht nur gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, sondern eine funktionsfähige, nicht korrupte Verwaltung und Justiz. Jede auf ethnischen oder anderen Klientelbeziehungen basierende Staatsordnung schränkt die Chancen auf wirtschaftliche Entwicklung auf die wenigen Unternehmen der begünstigten Elite ein, die sich erfahrungsgemäß durch rent-seeking und Kurzfristigkeit auszeichnen. Wahrscheinlich würden der Kosovo und/oder Jugoslawien eine neue Verfassung, zahlreiche Durchführungsgesetze und entsprechend ausgebildete und ggf. international überwachte Polizei- und Justizstrukturen brauchen.
  • Demokratie: Eine offene, demokratische Gesellschaft bietet die besten Voraussetzungen für eine Kontrolle der oben genannten Rechtsstruktur, da in einem System der Gewaltenteilung, der zeitlichen Begrenzung von Regierungsgewalt und der regelmäßigen freien Wahlen Privilegien leichter aufzubrechen sind. Dies gilt insbesondere für den Schutz ethnischer Minderheiten und Garantien ihrer Mitsprache und Mitbestimmung. Sie kann jedoch auch zu nicht handlungsfähigen oder für den Westen nicht akzeptablen Mehrheitsverhältnissen und/oder Regierungen führen. Dabei kann sich Demokratie nicht - wie schon im bisherigen Serbien - auf formale Prozeduren und Regeln beschränken, die von den realen Machtverhältnissen permanent unterlaufen werden. Sie bedarf einer Fundierung in einer lebendigen und starken demokratischen Zivilgesellschaft, die wahrscheinlich durch langjährige Bildungsarbeit zu unterstützen ist.
  • Währung: Eine sichere Währung ist eine notwendige Bedingung für wirtschaftliche Entwicklung. Existiert sie nicht oder gilt sie als schwach, so halten die Einwohner ihre Vermögen in Fremdwährungen und/oder im Ausland. Da Investoren Geld investieren, um damit mehr Geld zu verdienen, ist bei einer schwachen Währung dieses Ziel nur in wenigen Projekten mit hoher kurzfristiger Rendite zu erreichen. Diese Vorhaben tragen in der Regel mehr riskanten und spekulativen (häufig kriminellen) Charakter und wenig zur langfristigen Entwicklung bei.
  • Wirtschaftspolitik: Eine starke Währung sollte daher leicht unterbewertet sein. Das erlaubt niedrige Zinsen im Inland, die wiederum die Investitionen erleichtern. Staat und Sozialpartner müssen durch eine zurückhaltende Haushaltspolitik und eine der Produktivität angepaßte Lohnpolitik Inflationsdruck vermeiden. Außenwirtschaftlich ist das Handelsbilanzdefizit - u.a. durch Exportförderung - gering zu halten, um Abwertungsdruck zu vermeiden. Die Sparquote sollte hoch liegen, um die notwendigen Investitionen für Wiederaufbau und Entwicklung zu ermöglichen. Die Wettbewerbspolitik muß sicher stellen, daß ausreichend Konkurrenz besteht, ohne daß der Einstieg in neue Märkte völlig entmutigt wird.
  • Infrastruktur: Investitionen brauchen komplementäre Infrastruktur, die teils vom Staat, aber auch privat bereit gestellt werden kann. Vor allem der Außenhandel braucht eine geeignete Verkehrsinfrastruktur. Im Kosovo und in Jugoslawien ist die zerstörte Infrastruktur erst einmal wiederaufzubauen.
  • Erziehung: Ein zweiter wichtiger komplementärer Produktionsfaktor sind gut ausgebildete und motivierte Arbeitskräfte. Investitionen in Erziehung und Ausbildung sind von zentraler Bedeutung.

Solange es zu keiner Aussöhnung zwischen den Volksgruppen im Kosovo kommt, werden die innerstaatlichen Konflikte den Aufbau und das Funktionieren von Demokratie und Rechtsstaat behindern oder ganz blockieren. Es besteht die Gefahr, daß die Wirtschaftspolitik und die staatlichen Investitionen Volksgruppen und deren Siedlungsgebiete bevorzugen, statt wachstums- und wohlstandsoptimierend eingesetzt zu werden.

Für Jugoslawien ist unter Milosevic schon wegen der Verletzung der internen Entwicklungsbedingungen - ganz zu schweigen von der geringeren ausländischen Bereitschaft zur Kooperation - kaum ein Aufschwung vorstellbar. Der Forderung der jugoslawischen Opposition (Djindjic und Djukanovic) kommt daher besondere Bedeutung zu. [ Vgl. Zoran Djindjic und Milo Djukanovic „Jugoslawien nach dem Krieg", Podgorica, 20.4.1999, im Anhang] Ohne klare Trennung der Machtverhältnisse droht jede Hilfe für den Kosovo in den Händen der jugoslawischen Regierung zu enden.

Wenn die Übergangsverwaltung zivile und militärische Kompetenzen in ausreichendem Umfang erhält und im Sinne einer good governance einsetzt, könnten damit die besten Wachstumsvoraussetzungen im Kosovo erzielt werden. Es bleibt aber das Problem des Verhältnisses zur Bundesrepublik Jugoslawien. Da sie die Souveränität behält, stellen sich bei wichtigen Fragen schwierige Abstimmungsprobleme, vor allem bei der Auslandshilfe (vgl. unten).

In jedem Fall muß die Priorität des Wiederaufbaus und der wirtschaftlichen Entwicklung bei den Eigenanstrengungen der Region liegen. Von außen kann nur flankierend und unterstützend eingegriffen werden (siehe unten). Die Hauptlast bleibt vor Ort. Allerdings könnte der Westen Belastungen entfernen, die er im Moment ausübt. Dazu zählen neben protektionistischen Maßnahmen im Handelsbereich bei agrarischen und sensiblen Industriegütern vor allem die Auslandsschulden (vgl. Tabelle). Ein Schuldenerlaß wäre eine direktere Hilfe als neue Kredite und Transfers.

Tabelle: Auslandsverschuldung im Juni 1998

Land

Schulden (brutto)
Millionen USD

Schulden zum BIP
(in %)

Albanien

750

25

Bulgarien

9974

95

Jugoslawien

k.A.

k.A.

Mazedonien

1196

37

Rumänien

8908

18

BiH

k.A.

k.A.

Kroatien

7267

36

Quelle: UN-ECE: Economic Survey of Europe, 1998, Nr. 3, S. 126f.

Während Jugoslawien ein relativ großes und auch schon entwickeltes Land war und ist, handelt es sich im Kosovo um ein kleines und immer noch agrarisch geprägtes Gebiet. Die Zerstörungen sind mit Bombenschäden bei der Infrastruktur in Jugoslawien insgesamt und der zusätzlichen Zerstörung albanischer Dörfer im Kosovo ebenfalls unterschiedlich ausgefallen. Die Aufbau- und Entwicklungsstrategien müssen also unterschiedlich formuliert werden:

  • Ein demokratisches Jugoslawien verfügt im Prinzip über viele Ressourcen, um den Aufbau selbst voranzutreiben. Es muß allerdings für bestimmte Einrichtungen (Fernsehen, Raffinerien, Automobilproduktion, etc.) moderne Technik importieren. Dazu muß es entweder seine Exporte deutlich steigern oder Kapital importieren (ggf. Hilfe). Für die Entwicklung insgesamt ist der oben erwähnte policy-mix angezeigt.
  • Der Kosovo befindet sich in einer schwierigeren Lage. Die Entwicklung wird aus politischen und wirtschaftlichen Gründen stärker von äußerer Hilfe abhängen. Dabei ist besonderer Wert auf Viabilisierung des ländlichen Sektor zu legen, um ein gewisses Muß an Eigenversorgung herzustellen. Dazu ist einmal die Subsistenzwirtschaft als Basis wiederzubeleben [ Vgl. dazu Werner Kamppeter „ Wirtschaftlicher Aufbau im Kosovo" FES-internes Papier, Mai 1999] , aber auch die Modernisierung der Landwirtschaft einzuleiten.


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4 Regionale Kooperation ohne große Hoffnungen

Der Wiederaufbau, die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch die Stabilisierung Jugoslawiens und des Kosovo sind untrennbar mit der regionalen Entwicklung verknüpft. Ein zerstörtes, verarmtes und instabiles Jugoslawien gefährdet alle Nachbarländer und hemmt ihre Entwicklung. Die davon ausgehenden „weichen" Gefahren wie Kriminalität, Drogenhandel, Terrorismus, illegale Migration bedrohen nicht nur Südost-, sondern auch Mittel- und Westeuropa. Wirtschaftlich braucht die Region die Verkehrswege und profitiert von den Märkten und dem Potential Jugoslawiens. Umgekehrt braucht Jugoslawien den Zugang, die Märkte und das Angebot der Nachbarländer. Jeder wirtschaftliche Aufschwung kann in einem regionalen Verbund zusätzliche Dynamik entfalten.

Eine engere regionale Kooperation wäre auf mehreren Gebieten vorstellbar:

  • Infrastruktur: Sowohl für den regionalen Verkehr und Güteraustausch als auch für die Anbindung der einzelnen Länder an den europäischen Markt muß die Infrastruktur wieder aufgebaut, geöffnet und modernisiert werden. Dies ist auch weitgehend im Interesse der EU (dagegen sprechen lediglich verstärkte spill-over Risiken von lokalen Problemen).
  • Handel: Eine Liberalisierung des regionalen Handels würde die Profitabilität der wettbewerbsfähigen regionalen Unternehmen erhöhen, allerdings eventuell um den Preis schärferer Konkurrenz und dadurch ausgelöster Probleme und Bankrotte schwächerer Unternehmen. Der größere Markt würde auch ausländische Investoren stärker anreizen. Der Abbau bürokratischer Handelshemmnisse ist aber zu flankieren durch gezielte Handelsförderung (z.B. ein System der Handelsfinanzierung und -versicherung).
  • Finanzen: Eine Zahlungsunion unter den beteiligten Regionalwirtschaften könnte sowohl den Handel fördern als auch Zahlungsbilanzbeschränkungen aufweichen. Freier Kapitalverkehr ist dagegen wohl kaum eine realistische Perspektive der nahen Zukunft, es sei denn die Region optiert gleich für eine Währungsunion auf Euro-Basis. Dagegen sprechen aber die sehr unterschiedlichen Inflationsraten (siehe Tabelle oben).
  • Freizügigkeit: Sie würde den ohnehin multiethnischen Charakter der Region unterstreichen und den von den Ethnopolitikern (vor allem den „ethnischen Säuberern") geforderten Zusammenhang zwischen ethnischer Zugehörigkeit und Wohnort aufbrechen.

All dem stehen politische und wirtschaftliche Hemmnisse entgegen. Das gegenseitige Mißtrauen ist groß. Außerhalb des ehemaligen Jugoslawien sind die regionalen Handelsströme marginal. Die Handelsbeziehungen konzentrieren sich auf die reichen EU-Länder mit ihren großen Märkten und ihrem qualitativ hochwertigem, oft noch subventionierten Angebot. Wie schon in Ostmitteleuropa setzen alle Länder mehr auf die Integration mit der EU als auf die regionale Kooperation. [ Vgl. Michael Dauderstädt „Foreign Trade Options for Central and Eastern Europe" in intereconomics 1, Vol. 29 (1994), S.18 ff.]

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5 Internationale Einbettung

Die regionale Lösung erhält mehr Stabilität durch eine internationale Flankierung. Politisch müßte vor allem Jugoslawien wieder stärker eingebunden werden. Diese ist zwar erst nach einem Sturz von Milosevic denkbar, dann aber sollte man alsbald eine erneute Aufnahme (bzw. Aufhebung der Suspendierung) in die OSZE ins Auge fassen. Auch ein Beitritt zum Europarat wäre dann möglich und wünschenswert, wenn die entsprechenden Bedingungen erfüllt werden.

Ein (Wieder-)Beitritt Jugoslawiens zum IWF, zur Weltbank und zur Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) ist eine notwendige Bedingung für die Arbeit dieser Institutionen in Jugoslawien und damit auch im Kosovo, so lange dieser Teil Jugoslawiens bleibt. Auch die Hilfe für Montenegro und Voivodina hängt von dieser Bedingung ab. Es gibt zwar Präzedenzfälle für Hilfe an abhängige oder besetzte Gebiete (Palästina, Namibia), aber sie sind unter vielen Gesichtspunkten sub-optimal. Selbst für Jugoslawien sind eine Reihe schwieriger Fragen zu lösen, die noch mit den Altschulden zusammenhängen. Unter Umständen sind hier großzügige Vorabkredite (wie im Fall Bosniens) oder ein Schuldenerlaß nötig, um überhaupt weitere Ausleihungen zu ermöglichen. Die im ersten Fall implizierte Überschuldung stellt einen starken Anreiz für Jugoslawien dar, auf einen Beitritt zu den internationalen Finanzinstitutionen zu verzichten.

Die Erweiterung der Zentraleuropäischen Freihandelszone CEFTA um Kroatien, Mazedonien, Albanien und Jugoslawien wäre ein weiterer, sicher schwierigerer Schritt. Aber nach dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens sowie den Vorkontakten zu Kroatien dürfte er nicht unüberwindlich sein. Das Entwicklungsgefälle ist zwar zwischen Slowenien oder Ungarn einerseits und Albanien riesig, aber immer noch deutlich geringer als zur EU selbst. Bisher ist der regionale Handel gering im Vergleich zum Handel mit der EU. Darin spiegeln sich die Marktgröße und die Einkommensunterschiede wider. Es liegt aber auch an mangelnden handelsunterstützenden Strukturen. Eine Ausnahme bilden die bis vor kurzem engen Handelsbeziehungen zwischen Serbien und Mazedonien.

Exkurs: Beziehungen zur EU

Folgende Alternativen wurden in letzter Zeit diskutiert:

  • Beschleunigung des Beitrittsprozesses für Bulgarien und Rumänien durch Aufnahme der Verhandlungen, also Aufrücken dieser beiden Länder in die „erste Runde" der Beitrittskandidaten, mit denen schon Verhandlungen geführt werden.
  • Assoziierung von Albanien und Mazedonien durch Abschluß von Europaabkommen oder ähnliche Abkommen, die mehr bieten als die Handels- und Kooperationsabkommen (wie sie im GUS-Bereich üblich sind), aber weniger als die Europaabkommen.
  • Schaffung eines neuen Typs von EU-Mitgliedschaft, die nicht alle Rechte und Pflichten umfaßt, die aber nicht nur auf Staaten, sondern auch auf Regionen angewandt werden könnte (CEPS-Vorschlag [ Centre for European Policy Studies „A System for Post-War South-East Europe" Shadow Green Paper (preliminary draft), Brüssel, 9. April 1999] ).

Der Vorteil all dieser Ansätze läge in der politischen Beruhigung und Stärkung pro-westlicher und pro-europäischer Eliten und Bevölkerungsgruppen, die ohnehin in die EU wollen und nun für die Nachteile der Kriegssituation mit Aussichten auf einen früheren Beitritt entschädigt werden (sollen).Die EU würde damit ein deutliches Zeichen setzen, daß Südosteuropa zum Integrationsraum der EU gehört. Sie würde den notwendigen schmerzhaften Reformen eine klare Perspektive geben.

Der Nachteil läge in der Gefahr, daß die EU letztlich diese Erwartungen lange enttäuschen und durch Verzögerungen frustrieren wird. Die EU-Kommission und der Rat haben mit guten Gründen 1997 Bulgarien und Rumänien nicht in die erste Runde aufgenommen. Durch den Krieg haben sich weder die politischen noch die wirtschaftlichen Bedingungen verbessert. Die Beitrittsverhandlungen würden diese Probleme klar zutage treten lassen. Ein Beitritt könnte nur unter umfangreichen Ausnahmeregelungen und mit langen Übergangsfristen stattfinden. Wenn man die EU-interne Debatte (z.B. beim EU-Gipfel in Berlin) verfolgt, kann man sich kaum vorstellen, daß die EU die Entschlossenheit aufbringt, die umfangreichen zusätzlichen Belastungen zu schultern, die damit verbunden wären. Auch für die Beitrittskandidaten wäre eine Vollmitgliedschaft mit erheblichen Verpflichtungen und Kosten verbunden, die sie voraussichtlich in ihrem gegenwärtigen Entwicklungsstadium überfordern.

Ähnliches gilt - wenn auch in erheblich geringerem Maße - für die Assoziierung. Die EU kann Mazedonien und Albanien keine Assoziierung zweiten Grades (ohne Beitrittsperspektive) anbieten, wenn sie sie nicht diskriminieren und damit mehr verärgern als einbinden will. Die notwendige Beitrittsperspektive wird aber eher theoretisch und langfristig sein und ebenfalls Anlaß zu falschen Erwartungen geben. Die Regelungen des Assoziierungsvertrages, insbesondere der Handelsteil, üben einen unter Umständen schwer zu verkraftenden Anpassungs- und Konkurrenzdruck auf die lokalen Ökonomien aus.

Eine Teil-Mitgliedschaft würde diese Probleme partiell vermeiden. Sie stellt die pro-europäischen Eliten Südosteuropas vor das Problem, ob sie einen Warteraum betreten sollen, von dem sie nicht wissen, wann sie ihn je verlassen. Es würde sich auch die Frage stellen, welchen anderen Ländern diese Option offen steht (z.B. Türkei, Belarus, Ukraine, Marokko, Tunesien ...). EU-seitig hat man dieses Instrument bei der Osterweiterung öfter diskutiert und verworfen. Es würde auch eine Änderung des Amsterdamer Vertrages erfordern. Ebenso spannend wie problematisch ist die Idee von CEPS, Regionen, also z.B. dem Kosovo, eine Art EU-Mitgliedschaft anzubieten. Sie wirft sofort die Frage auf, wie dies funktionieren soll, wenn der die Region umfassende Nationalstaat nicht (Teil-)Mitglied wird.

Eng mit einer engeren Anbindung an die EU ist die Überlegung verbunden, sich der Euro-Zone anzuschließen. Bis 2002 bliebe dies auf eine Wechselkursanbindung beschränkt, die allerdings die nationale Geld- und Währungspolitik weitgehend dominieren würde. Danach könnten die Länder - eventuell sogar einseitig, besser jedoch in Abstimmung mit der EZB - den Euro als Währung übernehmen. Schon heute spielt die DM eine wichtige Rolle als Zahlungsmittel in der Region. Eine Währungsreform mit Übernahme des Euro würde eine gesunde monetäre Basis für den Wirtschaftsaufschwung geben. Sie verhindert allerdings eine Unterbewertungsstrategie, sondern setzt als funktionellen Ersatz eine hohe Preis- und Einkommensdisziplin voraus.

Eine weitgehende einseitige Marktöffnung der EU und ihrer assoziierten Länder würde die Exportchancen der südosteuropäischen Länder erheblich verbessern. Sie würde auch einen starken Anreiz für ausländische Investoren bieten, der allerdings auch von Investoren außerhalb der EU genutzt würde. Angesichts des starken EU-Protektionismus in sensiblen Bereichen (Rind- und Lammfleisch 87%, Getreide 67%, Milchprodukte 57%, Kleidung 12%) [ Vgl. Patrick Messerlin „Measuring the Costs of Protection in Europe" Institute for International Economics, Washington 1999 zitiert im Economist v. 22.5.99, S.104] würde eine Marktöffnung gegenüber Südosteuropa eine überraschende handelspolitische Wende darstellen. Sie würde bei präferentiellem Zugang aber auch die Exportposition der Region spürbar stärken.

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6 Aufbauhilfe: Demokratie und Entwicklung statt Kredite

Die EU-Kommission hatte schon im Vorlauf des Bonner Treffens vom 27.Mai 1999 erste Zahlen zur Aufbauhilfe genannt. Sie belaufen sich auf sechs Milliarden USD jährlich. Bei einem geschätzten BIP der Region (siehe oben 2.2.) von ca. 160 Milliarden DM oder ca. 90 Milliarden USD wären das zwischen 6% und 7% des BIP der Empfängerländer. Dazu könnten noch humanitäre Hilfe und die spill-over-Effekte der Stationierungskosten einer internationalen Friedenstruppe kommen, die zusammen etwa 20 Milliarden jährlich verausgaben [ Vgl. FAZ v. 19.5.1999] , wovon ein Teil auf die lokalen Märkte drängt. Das verweist auf erhebliche, zu erwartende Absorptionsprobleme. Die Hilfe droht wieder ihrer eigenen Logik zu folgen statt die Bedingungen im Empfängerland zu berücksichtigen.

Jede Aufbauhilfe muß von der Grunderfahrung der gesamten Hilfepraxis ausgehen: Ohne vernünftige, entwicklungsorientierte Politik im Empfängerland ist alle Hilfe vergebens. Nur wenn eigene Anstrengungen die Grundlagen für erfolgreiche Entwicklung schaffen, können zusätzliche Maßnahmen von außen den Prozeß beschleunigen.

Die zweite Lehre aus der Entwicklungszusammenarbeit ist, daß die Geberinteressen vielfältig und widersprüchlich sind und folglich nur selten Entwicklung fördern. Auch in Südosteuropa werden unterschiedliche Ziele der Geber miteinander in Konflikt treten:

  • Politische Ziele: Das politische Oberziel besteht in der Stabilisierung der Region im Sinne einer pro-westlichen Orientierung. Das impliziert die Stärkung und enge Kooperation mit entsprechenden Eliten. Es wird schwer fallen, ihnen die Unterstützung zu entziehen, wenn sie entwicklungsfeindliche Politiken verfolgen, wenn dadurch eine Machtübernahme von weniger erwünschten Gruppen droht. Konkret im Kosovo soll eine Rückkehr der Flüchtlinge ermöglicht werden. Dazu muß eine sichere Umgebung gewährleistet sein.
  • Entwicklungsziele: Das Oberziel der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Region ist zwar konsensfähig, aber konfliktträchtig. So kann es zu Interessenkonflikten innerhalb der Empfängerländer kommen, da jede Entwicklung mit Strukturwandel und Modernisierung einhergeht, die Gefühle und Werte verletzen und schmerzhafte Umverteilungen und Anpassungen erfordern. Weitere Konflikte drohen zwischen den Ländern der Region und letztlich auch zwischen Gebern und Empfängern, wenn die erfolgreiche Entwicklung der Empfänger beginnt, Interessen der Geber zu gefährden. So wird die notwendige Förderung einer exportorientierten Entwicklung im Kosovo Konkurrenzängste bei anderen Ländern auslösen.
  • Eigeninteressen der Geber: Die einzelnen Geber wollen ihre spezifischen politischen, wirtschaftlichen und institutionellen Interessen durchsetzen. Sie bevorzugen bestimmt Partner (z.B. Frankreich Rumänien). Sie wollen ihre eigene Wirtschaft als Lieferant zum Zuge bringen. Die eigenen Institutionen sollen mit ihrem bekannten (wenn auch vielleicht nicht bewährten) Instrumentarium zum Einsatz kommen, z.B. die Weltbank mit Krediten.

Entsprechend schwierig ist es, durch Verbindung der Hilfe mit Auflagen (Konditionalität) die politischen oder die Entwicklungsziele zu erreichen. [ Eine Kritik des Konditionalitätsansatzes findet sich in: Andreas Wittkowsky „Warten auf good governance ? Das Dilemma der westlichen Hilfe für langsame Transformationsländer", DIE Berlin, 1999] Ein Lösungsansatz ist, auf Konditionalität zu verzichten und auf Selektivität zu setzen, d.h. Hilfe nur an Länder zu geben, die eine angemessene Politik verfolgen. Aber auch dieser Ansatz wird unter den Interessenkonflikten leiden.

So zeichnet sich folgende Gemengelage ab, die die Hilfe prägen wird:

  • Die großen internationalen Finanzinstitutionen (IWF, Weltbank, EBRD) vergeben ganz überwiegend Kredite im Rahmen ihrer üblichen Programme. Sie erleichtern damit die Kapitalversorgung der Empfänger zu relativ günstigen Zinssätzen, erhöhen damit aber auch deren Verschuldung. Empfänger können nur Mitgliedsstaaten sein. Dazu zählen z.Z. nicht mehr Jugoslawien und auch nicht der Kosovo. Während der IWF nur Zahlungsbilanzhilfen geben kann, konzentrieren sich die Weltbank und EBRD auf Kredite für Infrastrukturprojekte und Unternehmen. All diese Ansätze sind kaum zur Durchsetzung politischer Ziele geeignet, sondern können bestenfalls Staatskassen (auf Pump) füllen und damit Mittel für andere, eventuell politisch gewünschte Verwendungen freisetzen.

Tabelle: Kumulierte IWF und Weltbank Kredite (abzüglich Rückzahlungen)
in der Region (in Millionen USD) bis 1996/7

Land

Weltbank

IWF

Albanien

137

54

Bulgarien

453

586

Mazedonien

203

68

Rumänien

1009

651

Quelle: Weltbank, zit. nach Wittkowsky, a.a.O., S. 4

  • Die EU bildet den politischen Orientierungspunkt für die Transformation der Region. Das langfristige Beitrittsangebot motiviert die Eliten und verleiht den Reformen eine Perspektive. Leider füllt die EU in der Regel diese politischen Visionen selten praktisch aus. Ihre Handelspolitik bleibt protektionistisch [ Vgl. Patrick Messerlin, a.a.O.] , ihre Hilfe meist ineffizient. Die EU gewährt zwar nicht rückzahlbare Leistungen und ist flexibler in der Auswahl der Projekte. Aber auch bei ihr dominieren Mittelabflußzwänge und die Interessen der Mitgliedsstaaten (siehe nächsten Punkt). Der Europäische Rechnungshof hat in vielen Fällen die Mittelvergabepraxis der EU kritisiert. Die Region gehört schon zu den bevorzugten Empfängern bisheriger EU-Hilfe durch das PHARE-Programm. Wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich, erhielten Albanien, Mazedonien und Bulgarien die meiste Hilfe im Verhältnis zum Volkseinkommen. Die bisherige Entwicklung spricht nicht unbedingt für die Effizienz der Hilfe.
  • Tabelle: EU-Hilfen für die Region (PHARE) 1991-97

Land

EU-Hilfe, Betrag
(in Millionen ECU)
und <Ranking>

Betrag/Kopf
in ECU
und <Ranking>

Betrag/BIP
in Prozent
und <Ranking>

Albanien

439 <6>

137,2 <1>

16,3 <1>

Bulgarien

593 <5>

70,6 <4>

6,3 <3>

Mazedonien

137

68,5 <5>

7,0 <2>

Rumänien

826 <3>

36,4

2,3

Quelle: Wittkowsky, a.a.O., S.9

  • Die bilateralen Geber denken vor allem an einen entsprechenden Rückfluß von Lieferaufträgen an ihre eigene Wirtschaft, sowohl bei den bilateralen Mitteln wie bei den multilateralen. Die deutsche Wirtschaft bietet dabei durchaus gute technische Voraussetzungen, vor allem in den Bereichen der Energie-, Telekommunikations- und Verkehrsinfrastruktur. Angesicht des scharfen Preiswettbewerbs und der Ausschreibungsverfahren bei multilateral verwalteten Projekten wird sie an einer starken bilateralen Komponente interessiert sein, um die Chancen für Aufträge zu verbessern. [ Vgl. Peter Danylow „Der Kosovokonflikt und seine wirtschaftlichen Folgen. Eckpunkte eines Wiederaufbauprogramms für Südosteuropa", Köln 1999]

Dabei ist noch offen, wer die Empfänger der Hilfe überhaupt sein können. Zwar ist klar, daß vor allem die Kosovo-Albaner und andere von Vertreibung und Kriegsfolgen betroffene Südosteuropäer als natürliche Personen Nutznießer der Hilfe sein sollen. Aber es ist offen, welche juristischen Personen, also Staaten, Organisationen, Institutionen die Partner der Geber sein können. Da der Kosovo Teil Jugoslawiens bleibt, müßten die Verhandlungen für zwischenstaatliche (bi- und multilaterale) Hilfe letztlich mit der Regierung in Belgrad geführt werden. Auf diesem Hintergrund ist besonders wichtig, daß Nicht-Regierungsorganisationen maßgeblich an der Hilfe beteiligt sind, um die Zielgruppen direkt zu erreichen.

Diese Interessen und institutionellen Vorgaben behindern zwar eine zielgerichtete Aufbauhilfe, geben aber den Rahmen ab, in dem sich pragmatische Vorschläge bewegen können und müssen. Dabei sollten aber einige absehbare Fehler [ Der folgende Text stammt von Werner Kamppeter „ Wirtschaftlicher Aufbau im Kosovo" FES-internes Papier, Mai 1999] vermieden werden:

  • Das Transferproblem: Der Wiederaufbau ist nicht ohne Unterstützung von außen möglich. Im Verhältnis zum BIP des Kosovo werden die Transfers von privaten und öffentlichen Geldern, insbesondere während der ersten Jahre, enorm sein (10% des BSP und darüber; vgl. oben). Dem Finanztransfer entspricht ein ebenso großer Transfer von Waren und Dienstleistungen aus dem Ausland: Wie sollen neu oder erst wieder aufzubauende Unternehmen angesichts der desolaten infrastrukturellen Voraussetzungen gegen diese Importe konkurrieren können? Mit anderen Worten: Die Transfers können den wirtschaftlichen Wiederaufbau behindern, da die Nachfrageimpulse in erster Linie Unternehmen in den transferierenden Ländern zugute kommen und da die Transfers zu einer Überbewertung der Währung der Empfängerländer (im Kosovo weiter jugoslawische Dinare ?) führen, die ausländischen Unternehmen markante Wettbewerbsvorteile einräumt.
  • Entwicklung einer Rentenökonomie (rent seeking): Die Kanalisierung der ausländischen Transfers erfordert wirkungsvolle Instanzen, die die Verteilung dieser Mittel durchführen und kontrollieren. Die Gefahr ist groß, daß die Mittel von wirtschaftlichen oder politischen Gruppen monopolisiert und ganz anders verwendet werden, als dies von den ausländischen Gebern und den Entwicklungsstrategen im Lande intendiert ist – mit kontraproduktiven Folgen für Wirtschaft, Staat, Politik und Gesellschaft (Beispiel Rußland). Strömen Mittel in einer im Vergleich zum BSP spürbaren Größenordnung ins Land, orientieren sich die Eliten auf die Verteilung dieses Renteneinkommens, statt produktiv und investiv am Markt zu operieren. Da Staat und Rechtsordnung kaum noch existent und die Eliten zerstritten sind, wird es schwierig sein, diese Gefahren zu vermeiden.

Diese Gefahren werden durch die oben erwähnten politischen, institutionellen und wirtschaftlichen Interessen auf der Geberseite verstärkt, die von dieser Hilfe profitieren wollen und deshalb versuchen, auf die Struktur dieser Programme, die Empfängerseite und die Modalitäten der Vergabe der Mittel bestimmenden Einfluß auszuüben.

Wichtig ist, daß die ausländische Hilfe lokale Wirtschaftskreisläufe in Gang setzt, statt sofort wieder als Importnachfrage ins Ausland zu verschwinden. Dazu wäre eine regionale Integration wichtig, die regionale Anbieter gegenüber Weltmarktanbietern (OECD) präferiert, wenn schon kein lokaler Anbieter aus dem Kosovo oder Jugoslawien verfügbar ist. Um lokale Kreisläufe zu beleben und die Hilfe unter minimalen Umwegen direkt an die Zielgruppen zu bringen, sind innovative Hilfeformen notwendig. Dazu zwei Beispiele, die an anderer Stelle ausführlicher behandelt wurden:

  • Wiederbelebung der Subsistenzökonomie: Ein großer Teil der albanischen Kosovowirtschaft besteht aus agrarischer Eigenproduktion, nachdem die Albaner - schon seit 1989 - aus dem öffentlichen Sektor und den staatseigenen Unternehmen durch die Serben verdrängt und vertrieben wurden. Sie muß durch gezielte Unterstützung (Zulieferung von inputs) wieder belebt werden. [ Siehe dazu ausführlicher Kamppeter a.a.O.]
  • Aus Vertriebenen Investoren machen: Der Wiederaufbau von Wohnungen sollte direkt von den Bewohnern/Eigentümern durchgeführt werden. Dabei ist einerseits die Eigentums- und Entschädigungsfrage rasch zu klären, andererseits sind die Vertriebenen aus der Rolle von Bittstellern in die von Investoren zu bringen. Ein Wohnungsfonds könnte dazu dienen, die Neuinvestoren mit Kapital zu versorgen. [ Siehe dazu Michael Dauderstädt „Aufbauhilfe für ex-Jugoslawien und politische Konditionalität. Ein Diskussionsvorschlag für neue Hilfeformen" FES Bonn1996; siehe Anhang 2]

Die - politisch leider wenig realistische - Strategie der Geber müßte kurzfristig altruistischer sein, um langfristig den Nutzen einer stabilen und prosperierenden Region zu erzielen:

  • Die Hilfe müßte stärker im obigen Sinne eingesetzt und an politische Konditionen gebunden werden. Sie müßte zusätzlich auf die Förderung und ggf. längere Finanzierung staatlicher Strukturen der Verwaltung und des Rechtsstaates abzielen, die die richtigen Rahmenbedingungen für Eigenanstrengungen setzen, statt Infrastrukturprojekte auf Kredit zu bauen, was zwar die eigenen Exporte fördert, aber bei den Empfängern die Verschuldung erhöht. Angesichts der Armut der Region könnte man z.B. mit fünf Milliarden Euro/Jahr einen substantiellen Teil der Verwaltung und Justiz unterhalten.
  • Die Handelspolitik müßte den europäischen Markt öffnen, aber den Ländern einen Schutz junger Industrien zubilligen.
  • Politisch müßte allen Ländern der EU-Beitritt prinzipiell offen stehen - allerdings nach Erfüllung harter und klarer Bedingungen (Kopenhagen).

Michael Dauderstädt

Dieses Papier entstand im Rahmen der Arbeitsgruppe Südosteuropa der Analyseeinheit „Internationale Politik"

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7 Anhänge


Anhang 1: Vorschläge der jugoslawischen Opposition (Milo Djukanovic, Präsident von Montenegro, und Zoran Djindjic, Präsident der Demokratischen Partei)

JUGOSLAWIEN NACH DEM KRIEG

Den tragischen Ereignissen im vergangenen Kriegsmonat zum Trotz bleibt unser politisches, zivilisatorisches und menschliches Ziel, die Integration Jugoslawiens in Europa und seine volle Mitgliedschaft in der EU. Wir sind überzeugt, daß wir nur auf diesem Weg unsere Probleme lösen können. Dieser Weg ist zugleich die einzige Möglichkeit, eine langfristige Befriedung und Stabilität in der ganzen Region zu etablieren.

Nur mit einem demokratischen und stabilen Jugoslawien ist die Stabilität auf dem Balkan gesichert. Die Stabilität Jugoslawiens ist heute nicht mehr nur von regionalem, sondern auch europäischem und internationalem Interesse. Die demokratischen Kräfte in Jugoslawien sind bereit, sich diesem Ziel zu widmen. Der Erfolg einer solchen Unternehmung ist heute aber mehr denn je von der eindeutigen und lang anhaltenden Unterstützung der internationalen Gemeinschaft abhängig.

Grundlegende Voraussetzungen für die Zukunftspläne für unser Land sind

  • die sofortige Beendung des Krieges
  • die Rückkehr der Flüchtlinge
  • eine vernünftige politische Lösung für das Kosovo.

In jeder dieser drei Phasen ist die Anwesenheit der internationalen Gemeinschaft und ihre aktive Rolle notwendig.

Für einen dauernden Frieden in der Region wird viel mehr als die Lösung der Kosovo-Krise notwendig sein: ein allumfassendes Programm für den wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau, entschlossen unterstützt von der internationalen Gemeinschaft.

Mit der militärischen Einmischung in das Kosovo-Problem hat die internationale Gemeinschaft nolens volens neue Probleme verursacht und damit die Verantwortung für die Lösung dieser Probleme übernommen. Direkte Kriegsfolgen sind eine zerstörte Infrastruktur und Wirtschaft und ein zerstörtes politisches Leben. Es ist schwierig, sich einen Wiederaufbau nur aus den eigenen Mitteln des Landes vorzustellen.

Bedeutung Jugoslawiens für die Region

Der Stabilität der Balkanregion, in der Jugoslawien das entscheidende Glied ist, kommt heute international Priorität zu. Jugoslawien hat aus folgenden Gründen eine außerordentliche Bedeutung für die Region:

  • Größe des Landes und geographische Lage;
  • weitere potentielle Krisenherde in der Zukunft im Landesinneren;
  • die wichtige Rolle Jugoslawiens für die Stabilität der Anrainerstaaten, vor allem Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Albanien;
  • die Abhängigkeit der Glaubwürdigkeit der internationalen Gemeinschaft von der Lösung des jugoslawischen Problems;
  • der Einfluß der Balkankrise auf die politischen Verhältnisse in Rußland.

Eine neue Strategie für Jugoslawien

Die bisherige Strategie für Jugoslawien war eine Strategie des Krisenmanagements. Mit einer solchen Strategie wurde nur an den Folgen und nicht an den Ursachen der Krise kuriert. Eine neue, in die Zukunft blickende Strategie muß erarbeitet werden. Deren grundlegende Voraussetzungen sind:

  • Herstellung demokratischer politischer Strukturen;
  • schneller wirtschaftlicher Wiederaufbau;
  • intensive regionale Kooperation.

Eine Herstellung demokratischer politischer Strukturen ist für uns nur durch politische Veränderungen in Serbien und Jugoslawien denkbar. Die Voraussetzungen für erfolgreiche politische Veränderungen sind:

  • Konsolidierung der demokratischen Kräfte in Serbien (versammelt um die Allianz für Veränderungen) und eine enge Kooperation mit der demokratischen Regierung Montenegros.
  • Schaffung der Möglichkeiten für freie Wahlen in Serbien und Jugoslawien.
  • Konkrete und klare Garantien der internationalen Gemeinschaft, daß sie, sollten die demokratischen Kräfte gewinnen, bei dem wirtschaftlichen Wiederaufbau und dem Prozeß der Integration Jugoslawiens in die Europäische Gemeinschaft helfen wird.
  • Etablierung einer Sonderkommission der OSZE für die Überwachung und Begleitung der politischen Transformation in Jugoslawien. Diese Kommission soll von angesehenen europäischen Politikern geleitet werden, wie etwa Gonzalez, Koschnik, Vranitzki.

Ein schneller wirtschaftlicher Wiederaufbau ist nur mit einer Art Marshallplan für die ganze Region möglich. Die speziellen Gremien der Internationalen Gemeinschaft (vor allem die USA und die EU) sollen konkrete Pläne für die Entwicklung und den Wiederaufbau der Region erarbeiten, sie sollen Beträge und Quellen für die finanzielle Hilfe festlegen und sie sollen den Plan durchführen und leiten.

Eine intensive regionale Kooperation soll mit der Etablierung einer regelmäßigen Balkankonferenz beginnen. Bei dieser Konferenz sollten die Wege der gewaltfreien Konfliktlösung, die Art und Dynamik der Demilitarisierung der Region und die Intensität der wirtschaftlichen Kooperation diskutiert werden.

Erster Schritt

Was soll zuerst getan werden?

Es ist notwendig, sofort, noch vor der Beendung des Krieges, klar und laut den Plan für den allumfassenden, demokratischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau anzukündigen. Es soll betont werden, daß dieser Plan den offiziellen und verpflichtenden Standpunkt der internationalen Gemeinschaft gegenüber der jugoslawischen Krise darstellt. Eine solche Haltung würde Hoffnung wecken und einen Ausweg aus der Hoffnungslosigkeit aufzeigen. Nur wenn wir unserem Land eine Zukunft zeigen, wird es in der Lage sein, seine tragische Gegenwart zu überwinden.

Milo Djukanovic, Präsident von Montenegro

Zoran Djindjic, Präsident der Demokratischen Partei

Podgorica, 20. April 1999

Anhang 2: Aus Vertriebenen umworbene Investoren machen

Ziel: Entschädigung der Vertriebenen und Integration der Flüchtlinge und Neuansiedlung in dem Teil ex-Jugoslawiens, in dem sie leben wollen; Rückkehr aus dem Ausland oder anderen Fluchtgebieten, aber nicht unbedingt an den alten Wohnort.

Millionen Menschen sind aus ihren ursprünglichen Wohnungen geflohen. Viele dieser Flüchtlinge und Vertriebenen wollen nicht mehr in ihre alte Heimat zurück, da das soziale und kulturelle Umfeld zerstört wurde. Zwar sollten alle ein Recht auf Rückkehr haben, aber keine Regelung sollte davon ausgehen, daß dieses Recht immer in Anspruch genommen wird. Aus den Erfahrungen der anderen Transformationsländer ist außerdem zu lernen, daß es für die rasche Wiederbelebung der Investitionen - vor allem im Bausektor - notwendig ist, Eigentumsfragen sofort zu klären, also Entschädigung der Rückerstattung vorzuziehen. Da viele Häuser beschädigt oder zerstört sind, sollten Renovierung und Neubau eine hohe politische und allokative Priorität genießen.

Ziel des hier vorgeschlagenen Hilfemodells sollte sein:

  • Rasche Ansiedlung von Vertriebenen
  • Motivierung der Aufnahmeorte, Vertriebene aufzunehmen und - u.a. durch Respektierung ihrer Rechte - deren Verbleib zu fördern
  • Wiederaufbau zu günstigen Bedingungen durch direkte Kontrolle der Baumaßnahmen durch Betroffene (statt Großaufträge durch korruptionsanfällige Bürokratien)

Alle seit 1997 von ihren Eigentümern bewohnten und inzwischen verlassenen Wohnungen (auch Grundstücke), seien sie beschädigt oder unbeschädigt, neu bewohnt von anderswo Vertriebenen oder leer, werden enteignet und einem lokalen Fonds überschrieben, wenn die Eigentümer nicht innerhalb einer kurzen Frist nach Friedensschluß wieder davon Besitz nehmen. Dies entsprach in vielen Fällen schon der Praxis bei Vertreibungen.

Die westlichen Geber richten einen Wiederaufbau- und Wohnungserwerbsfonds (WWF) ein. Der WWF sollte aus Krediten der Weltbank, der EBRD und der EIB sowie bilateraler Geber (insbesondere der jetzigen außerjugoslawischen Aufenthaltsländer von Flüchtlingen) gespeist werden. Jeder Vertriebene kann einen Kredit beantragen, um eine Wohnung zu erwerben und ggf. wiederaufzubauen oder ein Grundstück zu renovieren. Der Antrag kann direkt beim WWF oder bei den lokalen Fonds gestellt werden. Die Mittel erhält aber in jedem Fall der verkaufende lokale Fonds vom WWF in Raten.

Mit der ratenweisen Ausschüttung sollen mehrere Ziele erreicht werden:

  • Der Mittelabfluß soll dem ohnehin über einen längeren Zeitraum gestreckten Fortschritt bei Baumaßnahmen angepaßt werden.
  • Fliehen die gerade angesiedelten Vertriebenen erneut, da die lokale Gemeinde ihre Rechte nicht respektiert, so verliert der lokale Fonds auch die Zahlungen, die an die kreditnehmenden Neusiedler gebunden sind.




Die lokalen Fonds müssen außerdem die Entschädigungen an die ursprünglichen, vertriebenen Eigentümer, die nicht zurückkehren, leisten. Die Höhe der Entschädigung darf nicht stark vom Verkaufspreis desselben Objekts an Neueigentümer abweichen, es sei denn, es liegen starke Zerstörungen vor. In diesem Fall wird der Verkaufspreis niedriger ausfallen. Diese Entschädigungen sind gegen Neukredite zu verrechnen, d.h. Vertriebene, die Entschädigungen erhalten, bekommen entsprechend geringere Kredite. Es wäre möglich, den WWF als Clearingstelle zwischen den lokalen Fonds zu nutzen, um die gegenseitigen Entschädigungsforderungen und -zahlungen aufzurechnen.

Die Kreditnehmer/Neusiedler zahlen den Kredit an die lokalen Fonds zurück, die ihrerseits dann an den WWF zurückzahlen. Die Schuldnerbeziehung besteht aber prinzipiell zwischen WWF und Einzelkreditnehmer. Der lokale Fonds sollte aber den Kredit gegenüber dem WWF garantieren. Er selbst kann zu diesem Zweck einen Eigentumsvorbehalt gegenüber dem Einzelkreditnehmer geltend machen.

Mit diesem Modell soll erreicht werden, daß

  • die lokalen Staatsorgane ein Interesse daran entwickeln, Vertriebene zur Ansiedlung bei sich zu bewegen und auch zu halten (da die Masse des einfließenden Geldes von der Anzahl der Neusiedler abhängt, die allein Kreditnehmer sind);
  • die Hilfe effizient eingesetzt wird, da die Einzelkreditnehmer (und keine Bürokratien) ihre Verwendung kontrollieren und den Wiederaufbau sparsam durchführen.

Das Modell gibt in der obigen Form noch keine direkten Anreize zur ethnischen Mischung bzw. Rückkehr zur früheren ethnischen Zusammensetzung. Denn die lokalen Fonds können durch ihre Verkaufsentscheidung die ethnische Zusammensetzung kontrollieren. Man könnte solche Anreize aber auf zwei Wegen einbauen:

  • Die Kreditsummen für jeden einzelnen Kreditnehmer wird zum gleichen Prozentsatz ausgezahlt, den die Quote der vertriebenen Minderheit am ursprünglichen Stand erreicht.
  • Die lokalen Fonds könnten komplementäre Kredite für den Wiederaufbau der Infrastruktur erhalten, die nach dem gleichen Schlüssel ausgezahlt werden (d.h. eine serbisch dominierte Gemeinde mit früher 80% Albanern, in die nur 20% zurückkehren, erhält nur 25% der maximalen Kreditsumme).

Es ist aber fraglich, ob eine solche Umkehr der ethnischen Säuberungen ein sinnvolles Ziel sein kann.


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