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TITELINFO


Europäische Agrarpolitik : Elemente für ihre Reform / von Reiner Luyken ; Christof Riegert. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1993. - 12 S. = 55 Kb, Text . - (Reihe Eurokolleg ; 24). - ISBN 3-86077-180-9
Electronic ed.: Bonn: FES-Library, 1999

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT





[Essentials]

  • Die reformierte Agrarpolitik bleibt die Achillesferse der Europäischen Gemeinschaft
  • Quoten als planwirtschaftliche Lenkungsinstrumente sind fehl am Platz in einer Marktwirtschaft
  • Nachhaltige Landwirtschaft und ökologische Marktwirtschaft
  • Von der Landwirtschaftspolitik zu einer ländlichen Politik


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Zusammenfassung

1. Die Reform der EG-Agrarpolitik im Mai 1992 stellte den bislang einschneidendsten Versuch dar, die chronischen Problemen der Landwirtschaft in den Griff zu bekommen. Die Wurzeln der europäischen Landwirtschaftspolitik reichen bis in das vorige Jahrhundert, in Deutschland bis in die Bismarckzeit zurück. Ihre aus dieser Kontinuität gewachsenen Strukturen lassen sich jedoch nicht so ohne weiteres aufbrechen.

2. Länder außerhalb der EG vermögen in der Reform nicht mehr als eine Revision dieser tiefverwurzelten Politikmuster zu erkennen. Die ihre Entwicklung hemmenden Handelsschranken bleiben bestehen. Die "Trutzburg EG" hat die Zugbrücke nicht heruntergelassen.

3. Die Reform fügt im wesentlichen den alten Steuerungsinstrumenten neue hinzu. Die Bürokratisierung reicht immer weiter in den landwirtschaftlichen Betrieb. Die Effektivität der Maßnahmen zum Abbau der Überschüsse ist fraglich.

4. Die Reform wirkt nur teilweise. Viele Sektoren werden kaum angetastet. Die südeuropäischen Länder der Gemeinschaft spüren negative Auswirkungen. Die Dominanz der nördlichen EG-Staaten in der Agrarpolitik verfestigt sich. Quotierung zementiert alte Strukturen.

5. Ökologische und marktwirtschaftliche Kritik an der Reform äußert sich in radikalen Änderungsvorschlägen: Abschaffung des Quoten- und Kompensationssystems, ein Ende der Flächenstillegungen, Dezentralisierung und Trennung der Agrarpolitik von sozialen, regionalen und umweltpolitischen Zielsetzungen.

6. Der Strukturwandel auf dem Land ist viel weiter fortgeschritten, als die jetzige Landwirtschaftspolitik anerkennt. Eine "Ländliche Politik" muß sich von den diskriminierenden Beschränkungen der alten Agrarpolitik lösen.

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Bananen vom Polarkreis

Der Brite Richard Body hatte eine Idee. Warum, fragte er sich, züchten wir eigentlich keine Bananen am Hang des Ben Nevis, des höchsten Bergs der Insel, weit oben im Norden des Landes. Dort Bananen zu züchten, wäre technisch kein Problem. Man müßte nur die Bodenqualität verbessern, gute Erde hinschaffen und sie kräftig mit Kunstdünger versetzen. Man müßte Gewächshäuser bauen, die den in dieser Region oft vorkommenden orkanartigen Stürmen standhielten, sowie spezifische Bananensorten züchten, die unter diesen Bedingungen gedeihen würden. Zum Stockpreis von 10 bis 20 Mark kämen sie dann in den Laden. Dann wäre nur noch ein kleiner Verwaltungsakt in Brüssel vonnöten, um ihren Verkauf sicherzustellen: Der Import von Billigbananen aus südlichen Ländern muß mit Importzöllen verteuert werden, um die heimischen Produkte wettbewerbsfähig zu machen.

Absurd? Der Unterhausabgeordnete Body illustrierte mit seinem Einfall Ende der siebziger Jahre die Auswüchse der europäischen Agrarpolitik. Zehn Jahre später überholte ihn die Wirklichkeit. In einer mit öffentlichen Geldern großzügig unterstützten Hydrokultur unweit des Ben Nevis reiften die ersten Bananen. Richard Body, selbst Bauer und Vertreter eines ländlichen Wahlkreises, stellte fest: "Landwirte tun so, als seien sie Geschäftsleute. Aber sie leben nicht von ihrem Geschäft, sondern auf Kosten der Gesellschaft. "

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Ein hoffnungsloser Fall ?

Die Agrarpolitik der Europäischen Gemeinschaft ist ein merkwürdiges Zwitterding—eine Marktwirtschaft ohne Markt und eine Planwirtschaft ohne Plan. Die Anbieter konkurrieren nicht miteinander, und die Verbraucher zahlen die Zeche. 1989 trug einer OECD-Berechnung zufolge jeder EG-Bürger mit 550 DM zur Wohlfahrt der Landwirte bei, das sind 2 200 DM für eine vierköpfige Familie. Die Subventionsmasse addiert sich für jeden der knapp 10 Millionen beschäftigten modernen Landwirte in Europa zu 18800 DM. Europaweit leistet der Agrarsektor nur noch einen geringen Beitrag zum Sozialprodukt. In der Bundesrepublik waren die Subventionen in Höhe von 25,1 Milliarden DM 1989 sogar höher als die Nettowertschöpfung in Marktpreisen von 22,1 Milliarden DM.

Seit Gründung der EG wurde in sämtlichen Wirtschaftszweigen, selbst strategisch wichtigen Industriezweigen wie Kohle und Stahl, radikal rationalisiert. Nur die Bauern beackern ihre Felder in einer vom Weltmarkt abgeschotteten und von Konkurrenzmechanismen nur wenig beeinträchtigten "Trutzburg". Gleichzeitig schritt die technische Entwicklung des Agrarsektors—vom Landmaschinenbau über die Agrochemie bis zur Gentechnologie—in schnellerem Tempo voran als die der Gesamtwirtschaft. Immer größere Uberschüsse türmen sich auf. Eine ganze Industrie von Lagerhallenbesitzern und Exporteuren lebt von ihrer Vermarktung; sie verschlingt 70 Prozent des Agrarhaushalts. Die Uberschüsse werden zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt geworfen. Seit Jahren stocken die Verhandlungen in der Uruguay-Runde des GATT-Abkommens wegen des Streits um das hochsubventionierte Dumping der Europäer, das immer wieder das internationale Preisgefüge für Agrarprodukte durcheinanderbringt.

Im Mai 1992 trat eine reformierte "Gemeinsame Agrarpolitik" in Kraft. Erstmals, so die Befürworter der Reform, würde die Landwirtschaft der Gemeinschaft nun ohne größere Schutzinstrumente der Konkurrenz des Weltmarktes ausgesetzt. Die Reform ermögliche dennoch eine organische Weiterentwicklung landwirtschaftlicher Betriebe, setze verläßliche Rahmendaten für die Zukunft und trage mit einem handfesten, praktikablen Instrumentarium dazu bei, die Uberschüsse abzubauen. Darüber hinaus berücksichtige die neue Marktordnung in Zukunft auch soziale und regionale Ungleichgewichte in der Gemeinschaft und leiste einen Beitrag zur Umweltpolitik.

Kaum ein halbes Jahr nach ihrer Einführung jedoch denkt man in Brüssel Über eine Reform der Reform nach. Im Bonner Landwirtschaftsministerium nennt man sie bescheiden einen "bedeutenden Schritt zumindest in das nächste Jahrzehnt". Die GATT-Verhandlungen sind weiterhin festgefahren. Landwirte und Bauernverbände stellen erleichtert fest, daß die Reform nicht so radikal ausfiel wie befürchtet. Die Wechselwirkung von Subventionswirtschaft und Überproduktion wird nun überlagert von einem unkalkulierbaren Gemisch von Interessenkonflikten, Lobbyistenmacht und verkrusteten Strukturen. Ist die Reform der europäischen Agrarpolitik ein hoffnungsloser Fall?

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Vom Getreidezoll zum Getreideberg

In Deutschland zeigte die Agrarlobby am 14. Mai 1879 zum ersten Mal ihren Muskel. Die Agrarier setzten im Reichstag mit der Drohung, die Eisenzölle zu Fall zu bringen, einen Roggenzoll von einer Mark pro Doppelzentner durch. Der Getreidezoll trat am 1. Januar 1880 in Kraft. Seither gehört die Steuerung des Marktes von Agrarprodukten zum Credo der Landwirtschaftspolitik. In der Nazizeit erreichte der obrigkeitsstaatliche Interventionismus in den "Erzeugerschlachten" des Reichsernährungsstandes einen weiteren Höhepunkt. Die ihm zugrundeliegende Ideologie—die Bodenständigkeit des Bauernstandes als Grundlage der Landesversorgung—bestimmte freilich auch von ihren Anfängen an die europäische Agrarpolitik. Bodenständigkeit widerspricht jedoch der Mobilität und Flexibilität eines modernen Kapitalismus. Eine Politik der Sicherstellung der Landesversorgung durch heimische Produktion geht zwangsläufig auf Kosten von Agrarexporteuren in anderen Teilen der Welt.

Die bisherige Agrarpolitik führte zu einer gnadenlosen "Erzeugungsschlacht". Die Marktordnungen gaben standardisierte Kriterien vor, die die Landwirte zur Produktion nach industriellen Vorgaben zwangen. Die Landwirtschaft sollte Rohstoffe liefern, die einheitlich, in gleicher Qualität und zu großen Mengen von der Nahrungsmittelindustrie und vom Handel abgenommen werden können. Diese Politik war, was die Förderung der absoluten Produktion und die Steigerung der Produktivität angeht, ein Triumph des Menschen über die Natur. Die Weizenerträge im Europa der Sechs haben sich von 18 Doppelzentnern pro Hektar im Jahr 1950 auf heute über 56 Doppelzentner mehr als verdreifacht. Die EG erzeugt derzeit 23 Prozent mehr Weizen, 24 Prozent mehr Zucker und 48 Prozent mehr Milch, als alle Europäer gemeinsam verbrauchen.

In der Vergangenheit zeigte sich häufig, daß Agrarmärkte mit übertriebenen Preisschwankungen auf Verknappung oder Überangebot reagieren. Die positive Seite der Marktordnungspolitik war der von den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft inspirierte Versuch, den Bauern stabile Märkte zu verschaffen. Die Gemeinschaft nahm ihnen Getreide, Milchprodukte, Rindfleisch, Zucker und Wein zu festgelegten Mindestpreisen ab, wenn die Marktpreise unter dieses Niveau absackten. Solange Überproduktion nicht die Norm war, hatte diese Politik Erfolg. Viele Agrargüter—Geflügel, Kartoffeln, Schweinefleisch—werden bis heute außerhalb des Mindestpreisprinzips produziert, ohne daß Marktpreisschwankungen den Produzenten untragbare Schwierigkeiten aufgebürdet hätten. Durch moderne Möglichkeiten der Lagerhaltung und des Transports haben sie sich üblichen Marktmechanismen angeglichen. Auch die in den angelsächsischen Ländern entwickelten "Future Markets" (z.B. werden Ernten verkauft, bevor sie eingebracht werden) gewähren Produzenten eine zumindest auf die nächste Ernte kalkulierbare Preisvorgabe.

Die nachträglich erfundenen Mechanismen, das Wachstum der EG-Überschüsse zu bremsen, griffen immer nur vorübergehend—so das "Stabilisatorenkonzept", das die Mindestpreise für das folgende Jahr kürzte, wenn die Gesamterntemenge des Jahres eine bestimmte Schwelle überschritt; die "Mitverantwortungsabgabe", die einer zusätzlichen Kürzung der Mindestpreise gleichkommt; die freiwillige Stillegung von Getreideäckern. 25 Mio. Tonnen Getreide, 900000 Tonnen Rindfleisch und 320000 Tonnen Milchprodukte liegen heute in den Interventionslagern der Gemeinschaft. Die Lagerbestände stellen einen Wert von 2,2 Milliarden ECUs (rund 4,4 Milliarden DM) dar. Die Ausgaben für die Agrarpolitik haben sich zwischen 1982 und 1992 von 17 Milliarden auf 35 Milliarden ECUs (rund 71 Milliarden DM) mehr als verdoppelt.

Ein knappes Drittel des EG-Agrarbudgets geht für die "Erstattungen" weg, durch die Differenzen zwischen den Mindestpreisen und den viel niedrigeren Weltmarktpreisen ausgeglichen werden, so daß ein Export möglich wird. Die "Erstattungen" institutionalisieren Dumping als Prinzip des internationalen Warenaustauschs. Umgekehrt wird das innereuropäische Preisniveau auch aller nicht als Grundnahrungsmittel eingestuften Agrarprodukte durch Importquoten, Schutzzölle und verdeckte Handelsbeschränkungen—Handelsklassen, Gütenormierungen etc.—künstlich hochgehalten. Außenschutz und Dumping pervertieren die Ideale der europäischen Gründerväter.

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Die Reform der Europäischen Agrarpolitik

Die im Mai 1992 verabschiedete Reform sieht folgendes vor:

  • Eine drastische Senkung des Getreidepreises, die durch Direktzahlung von Einkommensausgleichen an die Landwirte kompensiert wird.
  • Der Getreidepreis fungiert als zentrales Steuerungsinstrument, weil er sich, so die Theorie, über reduzierte Futtermittelpreise (Futterweizen und -Gerste, Mais) auf die Rinderzucht und Milchwirtschaft überträgt.
  • Der erhoffte Effekt ist eine Reduzierung des überhöhten europäischen Preisniveaus landwirtschaftlicher Produkte.

Die Reform wurde 1993 eingeleitet und soll 1996 voll in Kraft treten.

Aber auch alte Prinzipien bleiben erhalten:

  • die "Gemeinschaftspräferenz", die Grundlage des Außenschutzes durch Zolle und Abgaben;
  • die "finanzielle Solidarität", sprich, Ausgleichszahlungen aus dem gemeinschaftlich finanzierten Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds (EAGFL), kurz: Europäischer Agrarfonds;
  • die "Einheit des Marktes", die dem freien Warenverkehr förderliche, aber wegen ihres Nivellierungsdruckes umstrittene Vereinheitlichung von Handelsklassen und Qualitätsvorschriften.

Das Beiwerk der Reform sind die "flankierenden Maßnahmen" und "Bündel weiterer Beihilfen" zur sozialen, umweltpolitischen und regionalen Absicherung:

  • Ein Vorruhestandsprogramm, um den landwirtschaftlichen Strukturwandel zu beschleunigen;
  • eine stärkere Unterstützung von Aufforstungsprogrammen und umweltschonenden Bewirtschaftungsmethoden;
  • eine regionale Differenzierung der Errechnungsgrundlage für Ausgleichszahlungen.


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Draußen vor der Tür

Polen, der östliche Nachbar der Europäischen Gemeinschaft, setzte 1989 eine tatsächlich radikale Agrarreform in Gang. In den vier Jahrzehnten der Planwirtschaft stand das Prinzip "billige Nahrungsmittel für die Bevölkerung" obenan. Agrarsubventionen verschlangen 1988 28,3 Prozent des Staatshaushalts; sie machten 56,9 Prozent des Marktwertes aller Lebensmittel aus. Eine höhere Bezuschussung der Landwirtschaft gab es nur in Japan und der Schweiz. 1989 wurden den polnischen Bauern entsprechend den Reformvorschlägen von IWF und Weltbank übergangslos sämtliche Subventionen gestrichen—ein in den Marktwirtschaften des Westens unvorstellbarer Vorgang. Die Folgen der Radikalkur waren katastrophal. Innerhalb von zwei Jahren versechsfachte sich die Verschuldung der Betriebe. Geldmangel führte zu einer Reduzierung des Stickstoffdüngereinsatzes von 180 kg auf 70 kg pro Hektar und des Pestizidverbrauchs von 3 kg auf 200 Gramm (!) pro Hektar. Die Produktion brach um 30 Prozent ein.

Es ist eine bittere Ironie, daß von der EG propagierte Zielvorstellungen—Produktionseinschränkungen und verringerter Pestizid- und Düngereinsatz—in einem Land Wirklichkeit wurden, in dem 30 Prozent der Bevölkerung und 80 Prozent der Arbeitslosen an Nahrungsmangel leiden. Das größte Manko der polnischen Landwirtschaft sind freilich die fehlenden Absatzmöglichkeiten. Die "Festung Europa" bleibt dem Nachbarn verschlossen. Die Polen wollen mit Produkten auf den europäischen Markt, die hier im Überfluß vorhanden sind. Sie haben einen Vorteil—einen Preisvorteil durch niedrige Lohnkosten. Die Einfuhrbeschränkungen der EG verbieten ihnen jedoch, ihr marktwirtschaftliches Grundrecht im internationalen Austausch wahrzunehmen. Daran hat die Reform der Gemeinschaftspolitik nichts geändert.

Daraus resultiert eine düstere Alternative: ein zunehmender Bevölkerungs-Wanderungsdruck aus dem Osten. Wenn billige Arbeitskräfte nicht durch ihre Produkte ein Einkommen erzielen können, kommen sie in persona.

Man kann es auch der Türkei kaum verübeln, wenn dort in der "Reform" nur eine "Revision" alter Politikmuster gesehen wird. Bis in die siebziger Jahre hinein war das Land—wenn auch auf bescheidenem Niveau—landwirtschaftlicher Selbstversorger. Die Liberalisierung des Welthandels fiel mit immer größeren Mengen von der EG zu Dumpingpreisen angebotener Agrarprodukte zusammen. Die vom europäischen Steuerzahler subventionierte Billigware zerstörte die Rentabilität türkischer Bauernhöfe. 10 Mio. Rinder sollen z.B. seither geschlachtet worden sein. Die Türkei ist heute auf Lebensmittelimporte angewiesen. Eine Revision der Exportpraktiken der EG ist weiterhin fraglich, denn die Uberschüsse werden nicht verschwinden.

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Der gläserne Bauer

Die Direktzahlungen aus dem Europäischen Agrarfonds, die nach der Reform Einkommensverluste europäischer Bauern durch die allmählich sinkenden Garantiepreise für Getreide ausgleichen werden, sind für Betriebe über 90 Tonnen Jahresproduktion an die— durch die Stillegungsprämie zusätzlich honorierte—Stillegung von 15 Prozent der Anbaufläche geknüpft. Diese Prozentzahl ist ein willkürliches Verhandlungsergebnis. Der Landwirt sucht nach Auswegen. Er legt unproduktive Felder brach und intensiviert die Nutzung der besten Flächen. Niemand glaubt, daß die 15 Prozent Stillegung auch nur annähernd zu 15 Prozent Produktionsrückgang führen werden. Realistische Schätzungen liegen zwischen 5 bis 10 Prozent. Der normale Produktivitätsgewinn—etwa im Weizenanbau durch verbesserte Züchtungen und verbesserte Pflege— beträgt 1 Prozent jährlich. In spätestens fünf Jahren wird die Erntemenge wieder den heutigen Stand erreichen.

Die Überwachung der 15-Prozent-Regel droht zu einem bürokratischen Alptraum zu werden. Die Schreckensbilder vom "gläsernen Landwirt" und "einem Aufpasser pro Bauer" gehen um. Die Verwaltungskosten der Agrarpolitik werden jetzt schon auf 2 Milliarden ECUs (ca. 4 Milliarden DM) im Jahr geschätzt: Sie könnten sich verdoppeln, denn der Mogelei sind Tür und Tor geöffnet. Die manipulative Aufsplitterung von Betrieben in fiktive 90-Tonnen-Einheiten zur Ausnutzung der Sonderbehandlung von Kleinbauern bietet sich an. Jeder aufgedeckte Betrug wird unweigerlich den gesamten Bauernstand in Mißkredit bringen.

Unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten lassen sich Kompensationszahlungen für Stilllegungen ohnehin kaum verantworten. Es sind Zahlungen für eine nicht erbrachte Leistung— das völlige Gegenteil aller in einer Leistungsgesellschaft anerkannten Prinzipien. Niemand zahlt den Bäcker für Semmeln, die er heute nicht backt, weil er gestern zuviel gebacken hat. Politisch ist eine derart absurde Sonderregelung auf Dauer nicht haltbar, nicht nur aus Gründen gesamtgesellschaftlicher Gleichbehandlung. Tatsächlich verhindert sie sogar eine Anpassung der Betriebe an geänderte Marktbedingungen und bremst den unbedingt notwendigen Strukturwandel der Landwirtschaft. Der innovative Landwirt, der sich mit alternativen Produkten—sei es biologischer Landbau oder auf spezialisierte Verbraucherwünsche ausgerichtete Produktion—Marktnischen sucht, steht als relativer Verlierer da.

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Verstimmung im Süden

Die Getreidereform ist derart an den Problemen der reichen nördlichen EG-Länder festgemacht, daß sie auch innerhalb der EG als Skandal empfunden wird. Ihre "nichtproduktivistische Logik" ist in einem landwirtschaftlich unterentwickelten Land wie Portugal fehl am Platz: der entwickeltste Teil einer ohnehin defizitären Agrarwirtschaft in den "Nordstaaten" muß—wenn auch geringe—Flächen in Stillegung geben; der weniger entwickelte Teil im Süden Europas fürchtet, ohne Produktionsanreize auf Dauer zu diesem Status verdammt zu werden. Die Dominanz der nördlichen EG-Staaten wäre damit verewigt.

Die Hauptprodukte des Südens—Wein, Oliven, Gemüse, Obst—wurden bislang als zweitrangige Produkte von der Reform links liegen gelassen, nur die Tabaksubventionen stehen zur Diskussion. Um sie entspinnt sich allerdings in erster Linie eine Auseinandersetzung zwischen dem Umweltausschuß und dem Landwirtschaftsausschuß des Europäischen Parlaments. Die Volksgesundheit steht gegen die Uberlebensinteressen der Tabakbauern in Italien und Griechenland. Die Kommission rechtfertigt ihre Unterstützung mit sozioökonomischen Argumenten—typisch für die Konfusion von Mitteln und Zielsetzung der Reform. Die gemeinsame Agrarpolitik wird sich in Zukunft nicht allein auf die Regulierung der Agrarmärkte beschränken, formulieren ihre Befürworter: die im Agrarsektor herrschenden Probleme verlangten, daß sie weitere Politikbereiche wie Umwelt-, Sozial- und Regionalpolitik in sich aufnähme. Kritiker behaupten, daß die Konfusion von Politikzielen Ungereimtheiten geradezu heraufbeschwörten. Sozioökonomische Überlegungen müßten von der Landwirtschaftspolitik abgekoppelt werden.

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Befriedigung im Norden

Tatsächlich ist die sozial- und regionalpolitische Komponente nichts Neues. So werden etwa Schafzüchter in benachteiligten Randgebieten seit Jahren mit großzügigen Mutterschafprämien bei der Stange gehalten. Landwirtschaftlich sind die Zahlungen kaum zu rechtfertigen, sie tragen—ganz im Gegenteil —zu einer katastrophalen Verwahrlosung des Bodens bei. Eine Fahrt durch den Nordwesten Schottlands sollte jedem Befürworter dieser oft sozial begründeten Agrarsubventionen zu denken geben. Die Weiden sind meistenteils von Sauergras überwuchert, die Felder sind seit Jahren nicht mehr gedüngt oder gekalkt worden, Drainagen und Feldzäune verfallen, freilaufende Schafe fressen das ganze Land kahl. Die Heide stirbt, kein Baum und kein Strauch wächst dort mehr. Die Verwahrlosung entspricht einer durch Subventionismus pervertierten "ökonomischen Vernunft". Jede Investition in das Land wäre hinausgeschmissenes Geld, solange sich das Einkommen in erster Linie an der Zahl der Mutterschafe und nicht an der Qualität des Produkts—der Lämmer—bemißt. Jeder Anreiz, sich einen Nischenmarkt zu suchen—etwa für ökologisch aufgezogene Lämmer—, wird erstickt. In der Folge sieht sich die EG genötigt, die resultierenden ökologischen und wirtschaftlichen Fehlentwicklungen durch Regionalentwicklungsprogramme zu korrigieren—vergeblich. Der einzige Beitrag der "benachteiligten" Schafzüchter zur Volkswirtschaft bleiben minderwertige Lämmer in einem übervollen Markt, die nur Käufer finden, weil Neuseeland und Australien ausgesperrt sind. Die reformierte Agrarpolitik ändert nichts an dieser sinnwidrigen Produktionsweise. Höhere Zuschüsse und inkonsequente Mengenbeschränkungen der Herden zementieren den Status quo gegen alle umweltpolitische Vernunft. Die Konfusion von Zielsetzungen und Auswirkungen ist grotesk.

Wie in der Schafzucht setzte sich die Macht der Verbände auch im Milch- und Rindfleischsektor durch. Die Überproduktion wurde nur zögerlich angetastet. Für die Rinderhaltung wurden zwar Bestandsbegrenzungen eingeführt, gleichzeitig aber Anreize zu einer Produktion geschaffen, die Verbraucherwünschen zuwiderläuft. Subventionen werden nun in zwei Raten—für 10 und für 22 Monate alte Rinder—gezahlt, um den Viehumschlag zu verlangsamen. Jungochsen gehen üblicherweise mit 18 Monaten in den Schlachthof. Der Bauer wird nun um der zweiten Rate willen bis zum 22. Monat weitermästen—und dafür einen niedrigeren Kilopreis in Kauf nehmen. Die zunehmend durch den Bedarf der Supermarkte bestimmte Nachfrage zielt aber immer mehr auf ein niedrigeres Schlachtgewicht.

Die in der Milchwirtschaft schon 1984 eingeführten Quoten werden jetzt durch mengenbeschränkende Maßnahmen für alle wichtigen Agrargüter ergänzt. Diese "Quotierung durch die Hintertür" ist vielleicht der nachhaltigste Effekt der Reform. Tatsächlich ermöglichen sie dem Landwirt langfristige Planung und Investitionen mit gesicherten Parametern. Bei Ökonomen linker wie rechter und auch ökologischer Orientierung stößt diese Tendenz allerdings auf Widerwillen.

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Quoten: Die bequeme Zwangsjacke

Quoten, sagen sie, seien ein Instrument planwirtschaftlicher Lenkung, das in einer Marktwirtschaft eigentlich nichts zu suchen hat. Der Quotenbesitzer darf sich freilich glücklich schätzen. Derartige Mengenbeschränkungen entpuppen sich in aller Regel weniger als Beschränkung denn als Privileg. Quoten sind neugeschaffene Vermögenswerte. Verzerrungen etwa in der Milchwirtschaft sind eklatant. In den meisten Fällen sind Milchquoten heute mehr wert als die Kühe, die die Milch geben. Oft besteht der Wert eines Hofes nur noch aus seinen Quoten.

Gleichzeitig wird Jungbauern der Neuanfang fast unmöglich gemacht. Die Quoten sind Anrechtsscheine auf Kompensationszahlungen für die Zukunft—und deshalb immer schwerer zu erwerben. Ohne Quoten ist ein Wirtschaften kaum mehr möglich. Neuem Blut und neuen Ideen wird der Zugang zur Landwirtschaft zunehmend versperrt, sie verkrustet und überaltert. Die Stellung der Bauernverbände als "Zitadellen des Status quo" wird noch einmal verstärkt. Die Aufrechterhaltung der mit den Quoten verknüpften Privilegien wird unausweichlich ein vorrangiges Politikziel.

Zudem verfestigen Quoten Produktionsstrukturen, die ohnehin nie im Einklang mit der Nachfrage standen. So orientiert sich auch in der Neuordnung der Reform die Mengenbeschränkung für Rinder- und Schafherden am Spitzenjahr 1991. Im strikten Sinne handelt es sich dabei nicht um Quoten, die offiziellen Dokumente drücken sich um diesen Begriff. Doch in der Praxis zeichnen sich bereits Parallelen zur Milchwirtschaft ab. Im Vorfeld des Quotenhandels reagieren Immobilienmärkte für Agrarland mit regionalen Preisschwankungen. Der Preisverfall von Weideland ohne Viehanrechte wird auf 30 Prozent geschätzt. Quotenspekulanten versuchen, ein Preisniveau für die Anrechte zu etablieren.

Die mit den Anrechten verknüpften Kompensationszahlungen sind auf drei Jahre hinaus festgeschrieben. Danach werden die rituellen Nachtsitzungen der Landwirtschaftsminister, bei denen man bislang um Mindestpreise feilschte, möglicherweise bei der Festsetzung neuer Kompensationen fröhliche Urständ feiern. Einmal etabliert, lassen sich über Mengenbeschränkungen abgesicherte Ausgleichszahlungen kaum mehr beseitigen. Kein Politiker wird es wagen, die Landwirte dem Markt zu überlassen.

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"Nachhaltige Landwirtschaft"

Das europäische Agrarsystem führte dazu, daß die meisten Landwirte ihre Produktion auf die von den Marktordnungen regulierten Erzeugnisse konzentrierten. Die Produktion orientierte sich in erster Linie an der Menge, nicht an Qualität und Nebenwirkungen. Der gedankenlos gesteigerte Einsatz von Stickstoffdünger und Pestiziden verursachte enorme—möglicherweise irreparable—Schäden an der Natur. Zwischen 1969 und 1990 verdreifachte sich der Stickstoffeinsatz in der Bundesrepublik von 43 auf 130 kg pro Hektar. Etwa drei Kilogramm Pestizide werden jährlich auf jedem Hektar Ackerfläche verspritzt. Überall in der Gemeinschaft steigt der Nitratgehalt im Grundwasser. Der von der EG festgelegte Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter kann in vielen Mitgliedsstaaten nicht mehr eingehalten werden. In Frankreich beträgt die Zunahme von Nitrat jedes Jahr zwischen 1 und 4 Milligramm pro Liter. In Dänemark hat sich der durchschnittliche Nitratgehalt des Wassers innerhalb von dreißig Jahren verdreifacht. In Deutschland konsumieren 2 Mio. Menschen Wasser, das nicht der EG-Norm entspricht.

Auch die Rückstände von Pestiziden, krebserregende Mittel wie Atrazin und Simazin, finden sich zunehmend im Grundwasser. Die Flora und Fauna leidet unter einer schleichenden Vergiftung. Von 581 untersuchten Pflanzen sind 397 Arten durch die intensive Landbewirtschaftung bedroht. Auf einer Tagung im holländischen Wageningen verfaßten im September 1991 zwei Dutzend Agrarwissenschaftler aus ganz Europa Thesen für eine Politikumkehr in Richtung auf eine "nachhaltige Landwirtschaft". Eine solche Bewirtschaftungsform, forderten sie, müsse Umweltbelastungen vermeiden, die Qualität der Produkte verbessern und ebenso das Ziel verfolgen, die Produktion mengenmäßig zu reduzieren, bis ein ausreichender Selbstversorgungsgrad an landwirtschaftlichen Produkten erreicht sei.

Das "Wageninger Memorandum" hält daran fest, daß Märkte für landwirtschaftliche Produkte staatliche Interventionen erfordern - allerdings anders geartete als die gegenwärtigen:

  • Die Erzeugerpreise sollten auf den Produktionskosten von gutgeführten, umweltverträglich produzierenden Betrieben von angemessener Größe in den Hauptanbaugebieten basieren. Direkte Einkommenszahlungen könnten unter gewissen Bedingungen für spezifische Ziele (Umwelt, Soziales etc.) eingesetzt werden.
  • Der Export landwirtschaftlicher Produkte zu Preisen unterhalb des Inlandspreisniveaus sollte nicht weiter subventioniert werden.
  • Handelsklassen und Qualitätsvorschriften müßten den Verbraucher über die Qualitätsunterschiede von Produkten und Produktionsmethoden aufklären und gefährliche Rückstände deklarieren.

Die praktikabelste und politisch unbedenklichste Forderung des ökologisch orientierten Kreises von Wageningen zielt auf eine Verringerung des Inputs durch Abgaben auf Erzeugnisse aus der Intensivproduktion und durch die Besteuerung von Mineraldünger, Pestiziden und Diesel (gegenwärtig ist landwirtschaftlicher Diesel sogar subventioniert). Die Verteuerung der Betriebsmittel, wird argumentiert, führe nicht nur zu relativ günstigeren Kostenkalkulationen für extensive Bewirtschaftungsformen. Langfristig sei ein Innovationsschub zu erwarten, etwa in Richtung auf neue, an geringeren Dünger- und Energieeinsatz angepaßte Züchtungen—vergleichbar der durch die Verteuerung des Benzins ausgelösten Entwicklung sparsamerer Automotoren.

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Ökologie und Manchestertum

Erstaunlicherweise herrscht zwischen den ökologischen Kritikern der Agrarpolitik und den Verfechtern einer freien Marktwirtschaft für Landwirte große Einmütigkeit. Beide sehen in der bürokratischen Gängelung des Bauern durch Brüssel und in der Abschottung Europas vom Weltmarkt die Wurzeln des Übels. Auch die Politikziele der Freimärktler finden im wesentlichen die Unterstützung der Ökologen:

- Abschaffung der Quoten.

Quoten verhindern, so argumentieren beide, den unbedingt nötigen Strukturwandel landwirtschaftlicher Betriebe. Auch eine "nachhaltige Landwirtschaft" müsse mit einer Zunahme der Betriebsgrößen einhergehen, um eine effizientere Nutzung der verfügbaren Arbeitskräfte zu gewährleisten. Da Quoten sich an historischen Vorgaben orientieren, laufen sie den Erfordernissen einer ökologisch orientierten Marktwirtschaft diametral entgegen.

Die Erfahrungen der Ökolandwirtschaft werden als Beispiel einer rein marktwirtschaftlichen Nutzung des Bodens angeführt, die nachfrageorientiert produziert. Tatsächlich legen Ökobauern—sie bewirtschaften etwa 1 Prozent der Agrarfläche - als die einzigen Landwirte in realen Marktwirtschaften übliches unternehmerisches Verhalten an den Tag. Sie suchen sich ihre Chancen am Markt, produzieren entsprechend den Präferenzen der Konsumenten und setzen sich in der Konkurrenz durch—oder gehen pleite. Keine staatlichen Maßnahmen schirmen sie von Angebots- und Preisschwankungen oder Fluktuationen des Weltmarkts ab. In einer nachfrageorientierten, auf bestmögliche Bodennutzung zielenden Landwirtschaft sind Quoten überflüssig—sofern der Begriff "bestmögliche Nutzung" ökologische Aspekte beinhaltet.

- Abschaffung von Ausgleichszahlungen.

Sie seien Teil eines interventionistischen Systems, argumentieren die Ökologen, das den innovativen Kräften der Marktwirtschaft, der Vielfalt und Differenziertheit der Verbraucherwünsche sowie den ökologischen Erfordernissen der Agrarlandschaft und den organischen Kreislaufzusammenhängen der Produktion kaum einen Spielraum läßt. Die Freimärktler stimmen zu: Kompensationszahlungen seien nur als Übergangslosung zulässig, um Bauern bei der Umstellung auf neue Gegebenheiten zu helfen. Auf keinen Fall dürften sie von Dauer sein.

Die immensen Kosten der Agrarpolitik werden durch die Reform nicht verringert, sondern zumindest vorübergehend sogar erhöht—wegen der Ausgleichszahlungen. Der Stein des Anstoßes ist nicht beseitigt. Wie die Quoten verführen sie Landwirte dazu, an unsinniger Produktion festzuhalten. Auf Seiten der Ökolandwirte werden sie zudem als ungerecht empfunden: Es könne doch nicht angehen, wird argumentiert, daß diejenigen, die bisher durch intensive Produktion den Markt und die Umwelt belastet haben, belohnt werden, und diejenigen, die schon immer umwelt- und marktgerecht produziert haben, leer ausgehen. Die Kleinerzeugerregel der Reform diskriminiere obendrein die Biobauern mit ihren niedrigen Hektarerträgen.

Gegenvorschläge laufen darauf hinaus, die Kompensationen in verzinsliche Pfandbriefe mit einer limitierten Lebensdauer von möglicherweise zehn Jahren zu verwandeln—genug für den einzelnen Landwirt, sich entweder den Marktbedingungen anzupassen oder auszusteigen.

- Klare Trennung von Zielsetzungen.

Die von den Bauernverbänden geforderte Umschichtung der Kompensation auf umweltbezogene Zahlungen birgt die Gefahr, daß die alten Subventionen unter neuem Namen weitergeführt werden. Umweltzahlungen, auch hier sind Ökologen und Marktwirtschaftler sich einig, müssen immer leistungsbezogen sein. Es genügt nicht, die Aufrechterhaltung des Status quo—etwa die Reinhaltung des Trinkwassers—zu belohnen. Das käme einer Umdrehung des Verursacherprinzips gleich. Umweltleistungen müssen aktiv erwirtschaftet werden.

Dasselbe gilt für sozial- und regionalpolitisch gerechtfertigte Zahlungen. Landwirtschaftliche Subventionen dürfen nicht als Vehikel für andere Zielsetzungen herhalten—und umgekehrt. Die Verwirrung von Mitteln und Zielvorstellungen, Streitobjekt der Vergangenheit, müsse ein Ende haben.

- Abschaffung der Stillegung.

Langfristig sind Flächenstillegungen ein ineffektives Mittel zur Produktionseinschränkung. Sie haben, speziell in Randgebieten, negative Auswirkungen auf die Umwelt und verzögern strukturelle Veränderung und Extensivierung.

Dezentralisierung der Agrarpolitik.

Die Rolle der Europäischen Kommission müsse sich darauf beschränken, so die Freimärktler, Grundsätze und Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Umsetzung der Richtlinien solle man den Mitgliedsstaaten, und innerhalb der Mitgliedsstaaten den kleinstmöglichen Entscheidungsträgern überlassen. Richtig, sagen die Ökologen: Nur regionale Maßnahmen können eine nachhaltige Landwirtschaft in die Charakteristiken einer spezifischen Region einbetten. Tatsächlich sind die regionalen Unterschiede in der Gemeinschaft viel zu groß, als daß man ihnen mit stromlinienförmigen Vorschriften gerecht werden könnte. Die durchschnittlichen Betriebsgrößen schwanken zwischen 4 ha in Griechenland und 69,7 ha in Großbritannien. Die Getreideerträge bewegen sich zwischen 15 Doppelzentnern pro Hektar in Portugal und 69 Doppelzentnern in Holland.

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Ein Jein zur Flächendeckung

Die Reform, behaupten ihre Befürworter, stelle ein uneingeschränktes "Ja" zur flächendekkenden Landwirtschaft in der EG dar; damit sei eine grundlegende Entscheidung für die Zukunft getroffen.

Die Landwirtschaft steht an einem Scheideweg. Heute schon kommen 80 Prozent aller Agrargüter aus 20 Prozent der Betriebe. In vier Anbaugebieten wird über die Hälfte der Getreideernte der Gemeinschaft eingebracht. Spaltet sich die Landwirtschaft in der EG in zwei Bereiche?

  • Auf der einen Seite Intensivanbaugebiete wie die holländischen Polder, das Pariser Becken, die Kölner Ebene oder das englische East Anglia, die allein die gesamte Gemeinschaft mit Lebensmitteln versorgen;
  • auf der anderen Seite die "benachteiligten" Regionen, in denen die Bauern als bestellte Naturbeamte und Heimatpfleger ein staatlich garantiertes Auskommen finden, oder die Regionen ohne dauernde Transferzahlungen, die dem Elend und der Brache anheimfallen.

Das Bekenntnis zur Flächendeckung gehört zur Landwirtschaftsdiskussion wie das Amen zur Kirche. Nach dem Amen verdächtigt jeder den anderen der Scheinheiligkeit. Ein "Ja" zum freien Markt und zur Öffnung der Grenzen bedeute ein "Nein" zur Flächendeckung, sagen die einen. Die künstliche Verknappung und Quotierung der Agrargüter, behaupten andere, bedinge den Rückzug der Landwirtschaft auf die besten Standorte. Die andauernde Subventionierung der Agrarproduktion in benachteiligten Gebieten wird gemeinhin als notwendige Voraussetzung der Flächendeckung in diesen Gegenden erachtet. Tatsächlich verhindert sie jedoch die Umstellung landwirtschaftlicher Betriebe auf diversifizierte Produktion im Non-food-Bereich, von Luxuswollproduktion bis zu erneuerbaren Brennstoffen, die diesen Gebieten langfristig eine gesündere Wirtschaftsbasis geben könnten. Möglicherweise ist die Diskussion um die Flächendeckung jedoch ein Streit von gestern. Selbst in entlegenen Randgebieten des Nordens der EG erbringt die Landwirtschaft heute nur mehr einen Bruchteil des erwirtschafteten Einkommens. Nur 10 Prozent der Bevölkerung sind in der EG landwirtschaftlich tätig; in den nördlichen EG-Ländern sind es weniger als 4 Prozent. Ein Großteil der ehemals landwirtschaftlichen Arbeitsplätze ist industrialisiert, im Landmaschinenbau, in der Agrochemie, im Lager- und Transportwesen, im Primärenergiebereich (einer Kalkulation des britischen Rowett Research Institute zufolge verschlingt die Produktion und Vermarktung der Lebensmittel 26 Prozent des nationalen Energieverbrauchs). Der Umbruch der Produktionsweise geht Hand in Hand mit einem schleichenden Umbruch der Landnutzung.

Weiden und Nutzwälder weichen Naturparks, Kartoffeläcker verwandeln sich in Golfplätze, Stillegungsflächen finden als Querfeldeinstrecken für Reiter neue Verwendung. Das Bauerndorf als Altersruhesitz—"exurbs" nennen die Amerikaner das Phänomen—ist an der Tagesordnung. Die "Suburbanisation", die Vervorstädterung im weiten Umkreis der Städte schreitet auch in Europa rapide voran. Ehemalige Landwirte verschaffen sich durch Grundstücksverkäufe das Kapital für den Einstieg in Tourismus, Freizeitindustrie und Dienstleistungsgewerbe. In noch vor einem Jahrzehnt ländlichen Gebieten arbeiten heute Börsenmakler und Medienleute mit Telefax, Computer und Mobiltelefon. Landwirtschaft ist de facto nur noch ein Teilaspekt der Landnutzung in der postindustriellen Welt. Das Land lebt nicht mehr vom Bauernstand.

Die "benachteiligten" Gebiete profitieren mehr als fruchtbare "Weizenwüsten" vom Umbruch der Landnutzung. Die landbesitzende Minderheit—der Bauernstand—profitiert vom Umbruch der Landnutzung mehr als die kein Land besitzende Mehrheit der ländlichen Bevölkerung. Die Subventionierung der Landwirte im Namen der Flächendeckung verursacht soziale Spannungen und vertieft die Kluft zwischen Landlosen und Landbesitzenden.

Das traditionelle—weithin mystifizierte—Bild des bäuerlichen Familienbetriebs ist im Schwinden. Vor allem die Einbeziehung der ehemaligen DDR in die Gemeinschaft verlieh dem Strukturverständnis—und damit dem sozialen Umbruch—Schubkraft. Die anfänglichen Bekenntnisse zu einer Renaissance des Klein- und Mittelbetriebes im Osten sind heute weitgehend verstummt, sie sind betriebswirtschaftlichem Realismus gewichen. In Thüringen werden ganze 16,4 Prozent der Fläche von Einzelbauern in Höfen von immerhin 110 ha Durchschnittsgröße bewirtschaftet. Der große Rest sind eingetragene GmbH und Kooperativen mit 1600 bis 2000 ha Land. Im Bonner Landwirtschaftsministerium spricht man von 400 bis 500 ha Betriebsgröße als "nicht ungewöhnlichen Familienbetrieb" der Zukunft. Die in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPGs) geschaffenen Strukturen werden in modifizierter Form weiterleben.

Ein Strukturwandel wird auch von Vertretern der Ökolandwirtschaft gutgeheißen. Rationellere Betriebseinheiten sind auch in den "benachteiligten" Gebieten überlebensfähig, wenn sie sich spezialisieren, Nischenmärkte bedienen und diversifizieren. Elemente der Agrarreform, die den Strukturwandel bremsen, werden außerhalb der Interessenverbände einhellig abgelehnt.

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"Ländliche Politik" statt Landwirtschaftspolitik

Landwirtschaftspolitik ist nicht das geeignete Instrument, um den Umbruch in der Landnutzung positiv zu beeinflussen. Die Subventionspolitik schüttet nach dem Gießkannenprinzip 60 Prozent des EG-Haushalts über eine privilegierte—landbesitzende—Minderheit. Sie ist ein Spielball der Lobby und ihrer eigenen Interessen.

Die gegenwärtige Landwirtschaftspolitik ist auch außenpolitisch kaum tragbar. Die Lobby erzwingt die weitere Abschottung des europäischen Agrarmarktes. Politisch ist es jedoch nicht vertretbar, den Nachbarn im Osten und den Ländern der Dritten Welt das Recht auf freien Warenaustausch zu verweigern. Die Verweigerung dieses Rechts führt unausweichlich zu internationalen Konflikten.

Die Alternative zur Landwirtschaftspolitik ist eine "Ländliche Politik",—oder, im Fachjargon: Politik des ländlichen Raumes—die sich regionaler Entwicklungsprobleme und ländlicher Umwelt- und Sozialfragen annimmt. Sie muß auch der Diskriminierung der ländlichen Bevölkerung, die keinen Grund und Boden besitzt, ein Ende machen. Von anderen EG-Fonds getragene "Integrierte Entwicklungsprogramme" für Randgebiete sind Schritte in diese Richtung. Vom Land losgelöste Maßnahmen wie Beihilfen zur Diversifizierung, der Aufbau ländlicher Telekommunikation zum ESDN-Standard (Electronic Switching Data Network) oder öffentlicher Wohnungsbau haben meist durchschlagendere Erfolge bei der Wiederbelebung des Dorfes gezeitigt als die Subventionierung diskreditierter Produktionsmechanismen.

Ländliche Politik darf dem Bauern als "Sachwalter der Natur" keine Sonderstellung einräumen. Als Landwirt ist er ein Rohstoffproduzent' der für ökonomische Folgen und ökologische Schäden seiner Produktionsweise verantwortlich ist. Die von Interessenverbänden geforderten Umweltkompensationen sind nur als Zahlungen für real erwirtschaftete Leistungen vorstellbar. Sicher ist es in seinem ureigensten Interesse, wenn der Bauer sich vom Subventions-Empfänger zum frei wirtschaftenden Unternehmer wandelt.

"Wozu", fragte sich der schrullige Unterhausabgeordnete und Landwirt Richard Body schon in den siebziger Jahren, "brauchen wir eigentlich ein Landwirtschaftsministerium? Wir haben ja auch kein Metzger- und Gemüsehändlerministerium!"


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