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Binnenmarkt und Währungsunion erfordern Angleichung der Unternehmens- und Kapitalbesteuerung / Friedrich-Ebert-Stiftung, Abteilung Außenpolitikforschung, Arbeitsgruppe Europäische Integration. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1997. - 9 S. : graph. Darst. = 30 Kb, Text & Image files . - (Arbeitspapier / Arbeitsgruppe Europäische Integration, Analyseeinheit Internationale Politik, Friedrich-Ebert-Stiftu ; 4)
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2000

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




I. Warum ist eine Steuerharmonisierung notwendig?

Europäischer Binnenmarkt und freier Kapitalverkehr zwischen den EU-Ländern erleichtern es Unternehmen und Kapitalbesitzern, Einkommen und Gewinne dort anfallen zu lassen, wo die Steuersätze am niedrigsten sind. Unternehmen und Kapitalbesitzer haben diese Möglichkeiten in den letzten Jahren in wachsendem Maße genutzt. Die Währungsunion wird diese Entwicklung verstärken.

Diese Entwicklung ist sozialpolitisch, wirtschaftspolitisch und europapolitisch äußerst problematisch:

  • Die Verschiebung von Kapital und Gewinnen in Länder mit niedrigen Steuersätzen hat wesentlich dazu beigetragen, daß die steuerliche Belastung von Kapital und selbständiger Arbeit in den letzten 15 Jahren innerhalb der EU dramatisch gesunken ist (von 44% auf 35%). Zugleich ist die steuerliche Belastung der Arbeitseinkommen stetig angestiegen (von 38% auf 41%).

    Das ist sozialpolitisch inakzeptabel und widerspricht dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit.

  • Unternehmen und Kapitalbesitzer profitieren zwar von den Vorteilen ihres „Heimatlandes" (z.B. gut ausgebaute Infrastruktur, qualifizierte Arbeitskräfte, soziale Stabilität), ohne die sie ihre Gewinne nicht gemacht hätten; gleichzeitig schwächen sie aber diesen Standort dadurch, daß sie der öffentlichen Hand Steuern vorenthalten, die gebraucht werden, um die Attraktivität des Standorts aufrechtzuerhalten.

    Das ist nicht nur sozialpolitisch, sondern auch wirtschaftspolitisch inakzeptabel.

  • „Steuerdumping" ist europapolitisch schädlich, weil es die EU-interne Solidarität enorm belastet, wenn Länder vom Binnenmarkt profitieren, indem sie sich durch Steuervergünstigungen Einkommen verschaffen, an deren Entstehung sie nicht beteiligt waren.

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II. Was ist zu tun?

Vier Maßnahmen sind vorrangig zu treffen:

  1. Beseitigung der Steueroasen für Zinseinkommen

    Vor Beginn der Währungsunion sollte der Ministerrat über den seit 1989 vorliegenden Kommissionsvorschlag für die Harmonisierung der Steuern auf Zinseinkommen beschließen. Die Einführung eines EU-weiten Mindeststeuersatzes von 15% auf Zinseinkommen sollte ein annehmbarer Kompromiß sein.

  2. Festsetzung von Mindeststeuersätzen für die Körperschaftssteuer

    Um Gewinnverlagerungen innerhalb der EU entgegenzuwirken, sollte der Rat eine Richtlinie für die Einführung von Mindestsätzen für die Körperschaftssteuer und die Angleichung der Bemessungsgrundlagen erlassen.

    Die EU-Kommission sollte hierfür vor Ende 1998 entsprechende Vorschläge vorlegen.

  3. Schaffung eines EU-weiten Informations- und Kontrollsystems

    Um Steuerhinterziehung und -umgehung zu bekämpfen, muß ein EU-weites Informations- und Kontrollsystem errichtet werden. Die Kommission sollte hierzu entsprechende Vorschläge vor Ende 1998 vorlegen.

  4. Vermeidung unfairer Standortkonkurrenz

    Der Steuernachlaß-, Subventions- und Abschreibungswettbewerb zwischen Standorten innerhalb der EU muß gemeinsamen Regeln unterworfen werden. Die Kommission sollte darauf achten, daß die von ihr im Namen des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft genehmigten strukturellen Maßnahmen nicht die Schaffung oder Erweiterung von Steueroasen zur Folge haben. Derartige Maßnahmen sollten nicht als Beihilfe genehmigt werden.

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III. Wie kann dies erreicht werden?

  1. Soll die Verwirklichung dieser Vorschläge nicht am Einstimmigkeitsprinzip scheitern, ist es notwendig, über die Einführung von Mindestsätzen für Kapitalsteuern mit qualifizierter Mehrheit entscheiden zu können.

    DieVetomacht einzelner verhindert die Beseitigung von Steueroasen und die Angleichung der steuerlichen Behandlung von Unternehmen. Durch das Einstimmigkeitsprinzip wird Steuerhoheit zur Illusion und der steuerliche Unterbietungswettlauf zur Realität. Für Mitgliedstaaten, die an kooperativen Lösungen interessiert sind, bedeutet die Einführung von Mehrheitsentscheidungen daher keinen Souveränitätsverlust, sondern im Gegenteil einen Souveränitätsgewinn.

    Durch Vertragsänderung ist deshalb sicherzustellen, daß Beschlüsse über die Besteuerung von Kapitaleinkommen mit qualifizierter Mehrheit gefällt werden können.

  2. Auch ohne eine Änderung des Vertrags können und sollten Kommission und Mitgliedstaaten auf Grundlage der Artikel 92, 93 und 101 EG-Vertrag eine Harmonisierung der Kapitalsteuern herbeiführen. Kommt eine Einigung im Ministerrat nicht zustande, kann dieser nach Art. 101 mit qualifizierter Mehrheit beschließen. Eine teilweise Harmonisierung der Kapitalsteuern auf diesem Wege ist möglich. Zögerliche Regierungen würden durch ein entschiedenes Vorgehen der Kommission unter Handlungsdruck gesetzt werden.

  3. Um die negativen Folgen des Steuerdumpings zu bekämpfen, wären steuerharmonisierende Lösungen optimalerweise nicht nur EU-weit, sondern weltweit anzustreben. Die im Rahmen der OECD und der G-7 laufenden Verhandlungen sollten daher von der EU und ihren Mitgliedstaaten vorangetrieben werden. Auf den Abschluß dieser Verhandlungen kann und muß jedoch nicht gewartet werden, und EU-weite Regelungen würden diese Verhandlungen zudem vereinfachen und beschleunigen.

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Analytischer Anhang


Inhaltsverzeichnis


1. Steuer-Dumping und seine Verteilungswirkungen

Der größte Teil der Einkommen aus Arbeit unterliegt über Lohnsteuerabzugsverfahren dem direkten, zumeist automatisch wirksam werdenden Zugriff des Fiskus. Da die Lohnabhängigen geographisch gebunden sind, sind ihre Möglichkeiten, sich diesem Zugriff zu entziehen, sehr eingeschränkt. Gleiches gilt für die Konsumenten und die von ihnen zu entrichtenden Verbrauchssteuern (Mehrwertsteuer, Tabak-, Alkoholsteuer etc.), da die Kosten von Käufen in Nachbarländern mit der geographischen und kulturellen Distanz zunehmen und mögliche Steuerersparnisse schnell übersteigen.

Hingegen ist es mit der weltweit und im Rahmen des Binnenmarktes vorangetriebenen Liberalisierung der Kapitalmärkte und bei den heutigen Informations- und Kommunikationstechnologien für Kapitalanleger erheblich einfacher geworden, ihr Kapital und dessen Erträge am Fiskus vorbeizuschleusen. Unterschiede nationaler Gesetzgebung, Steueroasen und andere bewußt geschaffene Anreizstrukturen für Kapitalanleger erlauben es zumindest den besser Informierten unter ihnen, ihre Steuerlast zu minimieren.

Auf ähnliche Weise können Unternehmen, die der Körperschaftssteuer unterliegen, über „Briefkastenfirmen" und finanztechnische Arrangements die Gewinne dort anfallen lassen, wo die niedrigsten Steuern fällig sind.

Besonders kleinere Länder können mit geringem gesetzgeberisch-regulativem und admininistrativem Aufwand und unter dem Schutz nationaler Souveränität steuerlich an Einkommen partizipieren, die außerhalb ihrer Grenzen entstehen. Die Staaten kämpfen mit niedrigen Steuersätzen, minimalistischen Definitionen von Unternehmereinkommen und laschen Kontrollen um ein möglichst großes Stück des fiskalischen Kuchens. Umgekehrt spielen Unternehmen und große Kapitalanleger Staaten gegeneinander aus. Dieser steuerliche Unterbietungswettlauf führt zu immer niedriger werdenden Steuern auf die mobilen Faktoren – Finanzkapital und Unternehmenskapital.

Und nicht nur das: Zum Steuertarifwettbewerb gesellt sich dessen Zwillingsbruder, der Subventions-, Steuernachlaß- und Abschreibungswettbewerb, den Gemeinden, Länder und Staaten zur Erhaltung und Neuansiedlung von Arbeitsplätzen betreiben.

Unter diesen Bedingungen ist es kein Wunder, daß sich die Steuerlast zuungunsten der relativ unbeweglichen Lohnabhängigen und Konsumenten verschoben hat, während der Beitrag des Finanzkapitals und der Unternehmen zur Finanzierung der staatlichen Aufgaben relativ und sogar absolut zurückgegangen ist. Die folgenden Schaubilder 1 und 2 belegen diese Entwicklung.

Schaubild 1
Steuersätze auf den Faktor Arbeit und andere Faktoren
EU, 1980-1994

Quelle: Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Die Steuern in der EU, Bericht über die Entwicklung der Steuersysteme, KOM (96) 546 endg., 22.10.1996, S. 3

Die hier wiedergegebenen kalkulatorischen Steuersätze (Steuereinnahmen geteilt durch die Bemessungsgrundlage) zeigen, daß die steuerliche Belastung des Faktors Arbeit zwischen 1980 und 1994 im EU-Durchschnitt von 37,7% auf 40,5% gestiegen, während die der anderen Faktoren (Kapital, selbständige Arbeit, Energie, natürliche Ressourcen) von 44,1% auf 35,2% gesunken ist.

Am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland sollen die o.g. Entwicklungen noch genauer belegt werden.

Schaubild 2
Entwicklung des Aufkommens der wichtigsten Steuerarten
Westdeutschland, 1960-1996, zu Preisen von 1980

Quelle: Bundesbank, Monatsberichte, diverse Hefte; OECD, National Accounts, 1960-94

Schaubild 2 zeigt die Entwicklung des Aufkommens der wichtigsten Steuerarten seit Ende der siebziger Jahre. Der Kontrast zwischen Lohn- und Mehrwertsteuer auf der einen und der Körperschafts- und Kapitalertragssteuer auf der anderen Seite verdeutlicht das Ausmaß der Verschiebung der Steuerlast auf Arbeitseinkommen und Konsumenten: Der Steuerertrag aus Kapitaleinkommen stagniert auch in absoluten Zahlen auf niedrigem Niveau; [Fn 1: Der Economist (5.4.97) schätzt, daß Luxemburg dem deutschen Finanzminister jährlich Steuerausfälle von rund 20 Mrd. DM beschert. Das entspricht etwa der Hälfte der jährlichen Neuverschuldung des Bundes der letzten Jahre.]
hingegen hat sich das Lohnsteueraufkommen in weniger als dreißig Jahren vervierfacht. Zudem hat sich das Mehrwertsteueraufkommen zwischen 1990 und 1995 in etwa verdoppelt. [Fn 2: Dabei ist natürlich die deutsche Einigung zu brücksichtigen. Gleichwohl springt die ungleiche Verteilung der Steuerlast ins Auge.], [Fn 3: Lag der Anteil der Körperschaftssteuer am Steueraufkommen 1970 und 1980 noch bei 6,3%, liegt er 1995 bei spärlichen 2,4%. Umgekehrt nimmt der Anteil der Lohnsteuer am Einkommensteueraufkommen von 60% Ende der 70er Jahre auf 80% Mitte der 90er Jahre zu.]


2. Steuerharmonisierung ist sinnvoll und notwendig

Der steuerliche Unterbietungswettlauf innerhalb der EU ist eine der Hauptursachen für die Verschiebung der Steuerlast von Kapitaleigentümern zu den Beschäftigten und Verbrauchern. Das hat mehrere negative Folgen:

  • Die steuerliche Mehrbelastung der abhängig Beschäftigten – zumal wenn sie, wie in Deutschland, mit einer kräftigen Steigerung der Sozialversicherungsbeiträge einhergeht – erhöht die Arbeitskosten und damit tendenziell auch die Arbeitslosigkeit.

  • Der steuerliche Unterbietungswettlauf bewirkt, daß Finanzanlagen im Vergleich zu realwirtschaftlichen Investitionen an Attraktivität gewinnen – zum Schaden von Investitionen, Wachstum und Beschäftigung.


Schaubild 3
Nettoinvestitionen und langfristige Finanzanlagen westdeutscher Produktionsunternehmen
1960-1995, in Prozent des Bruttoinlandsprodukt

Anm.: gleitende 3-Jahresdurchschnitte; ab 1993 Gesamtdeutschland
Quelle: Bundesbank, Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung, Nov. 1994, Juni 1996; OECD, National Accounts, 1996


Schaubild 3 zeigt, daß die längerfristigen Geldvermögensanlagen (Termingelder und Spareinlagen mit vereinbarter Kündigungsfrist, festverzinsliche Wertpapiere, Aktien und sonstige Forderungen), die in früheren Jahren nur einen kleinen Teil der Vermögensbildung der Produktionsunternehmen ausmachten, seit Anfang der 80er Jahre enorme Zuwächse verzeichnen und ihren antizyklischen Charakter zunehmend verlieren: Früher wurden Wertpapiere in konjunkturell schlechten Zeiten erworben, um überschüssiges Kapital anzulegen. Heute investieren Produktionsunternehmen einen wachsenden Teil ihres Kapitals an den Finanzmärkten.

Schaubild 4
Nettoinvestitionen westdeutscher Produktionsunternehmen und Arbeitslosigkeit
1960-1995

Anm.: gleitende 3-Jahresdurchschnitte; ab 1993 Gesamtdeutschland
Quelle: Bundesbank, Gesamtwirtschaftliche Finanzierungsrechnung, Nov. 1994, Juni 1996; OECD, National Accounts, 1996; Bundesanstalt für Arbeit.



Die Attraktivität von Finanzinvestitionen ist sicherlich nicht die alleinige Ursache der geringen Nettoinvestitionen. [Fn 4: Die Verschiebung der Steuerlast auf Konsumenten und Lohneinkommen ist eine der wichtigsten Ursachen der läh menden Entwicklung der Nachfrage und damit sicherlich eine der wichtigsten Ursachen für das niedrige Investi tions niveau und die geringen Wachstumsraten von Wirtschaft und Beschäftigung : „ Geschont werden die privaten Kapital- und Immobilienerträge - Erträge also, die an Empfänger mit relativ geringer Ausgabebereitschaft gehen. Die Masseneinkommen der in der Regel ausgabefreundlicheren Arbeitnehmer dagegen trifft die volle Tarifstrenge. Die Ausgaben des Staates können solche Kaufkraftabschöpfung nicht kompensieren, gehen sie doch zum erheblichen Teil als Gehalt und Schuldzins wiederum an Empfänger mit durchschnittlich höherem Einkommen und geringerer Konsumquote ." (Jochen Mitschke, Fluch der knappen Kassen, Die Zeit, 7.2.1997, S. 23)] Ohne Zweifel stehen aber die geringen Nettoinvestitionen in einem ursächlichen Zusammenhang mit Beschäftigung und Wachstum. Schaubild 4 zeigt, wie eng Nettoinvestitionen und Arbeitslosigkeit miteinander zusammenhängen.

  • Die Verschiebung der Steuerlast auf Arbeitnehmer ist sozial ungerecht und widerspricht dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit.

  • Die für die Einführung der Währungsunion vorangetriebene Konsolidierung der öffentlichen Haushalte geht zu Lasten einkommensschwächerer Bevölkerungsschichten und der Beschäftigung, weil kurzfristig in erster Linie bei den Sozialausgaben und öffentlichen Investitionen gespart wird.

  • Die Entlastung der Kapitaleinkommen und der höheren Einkommen [Fn 5: Die Entlastung der höheren Einkommen kommt in der drastischen Verringerung des Aufkommens der veran lagten Einkommensteuer zum Ausdruck: Zwischen 1980 und 1990 schrumpfte ihr Aufkommen real um 23%; zwi schen 1990 und 1996 nochmals um 74% (Daten: Deutsche Bundesbank, Monatsberichte, April 1997). Hier dürften vor allem die vom Finanzminister gewährten Abschreibungsmöglichkeiten zu Buche schlagen. ] hat daneben nicht nur zu Steuerausfällen, sondern auch zu einer abnehmenden Progression der Einnahmenstruktur der öffentlichen Haushalte geführt: In der Vergangenheit lagen die Wachstumsraten des Steueraufkommens vor allem wegen der Progression der Einkommensteuer deutlich über denen des nominalen Wirtschaftswachstums. Heutzutage bleiben sie meist hinter den sowieso niedrigen Wachstums- und Inflationsraten zurück. Die abnehmende Progression der Einnahmenstruktur erschwert die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.

  • Kapitalerträge weisen angesichts des völlig liberalisierten Kapitalverkehrs bzw. des Binnenmarkts die größte Mobilität auf. Auf der Suche nach den höchsten Netto-Renditen werden Finanzvermögen vor allem in jene EU-Staaten (bzw. in deren Steueroasen) verschoben, die es Steuer-Ausländern ermöglichen, de facto jeglicher Steuerpflicht auf Kapitalerträge zu entgehen. International agierende Großunternehmen sind strategisch am ehesten in der Lage, auf diese Weise ihre Steuerlast zu minimieren. [Fn 6: Siemens erwirtschaftete 1995 einen Bruttogewinn von 2,6 Mrd. DM - die in Deutschland steuerfrei blieben! (Thomas Hanke, Flucht in die Oasen, Die Zeit, 28.3.1997, S. 25)] Die klein- und mittelständischen Unternehmen dürften im Vergleich über deutlich bescheidenere Möglichkeiten der Steuervermeidung verfügen. Im Ergebnis werden die Gewinne von klein- und mittelständischen Unternehmen steuerlich stärker belastet als die der Großunternehmen. Dadurch wird auch der Wettbewerb zwischen ihnen verzerrt. [Fn 7: Die in diesem Abschnitt angesprochenen Probleme werden durchaus auch von offizieller Seite gesehen: „ Die Globalisierung der nationalen Volkswirtschaften birgt das Problem eines zunehmend schädlichen Wettbewerbs der Steuersysteme in sich. Im Kommuniqué des Gipfels von Lyon heißt es, steuerliche Regelungen, die darauf angelegt sind, finanzielle oder andere geographisch mobile Aktivitäten anzuziehen, können zu schädlicher Konkurrenz zwi schen Staaten im Steuerwesen führen, die das Risiko einer Verzerrung von Handel und Investitionen birgt und die nationalen Steuerbemessungsgrundlagen aushöhlen. Schädlicher Steuerwettbewerb unterminiert auch die Gerechtig keit und Neutralität der Steuersysteme ." Erklärung der G7-Finanzminister und Notenbankgouverneure, Washington, D.C., 27.4.1997 (Bundesministerium der Finanzen, inoffizielle Übersetzung).]


3. Anforderungen an ein Steuersystem

Grundsätzlich sollte jedes Steuersystem dem Anspruch der „Neutralität" genügen, d.h., die effektive Besteuerung aller Einkommen soll unabhängig davon sein, wie sie geschaffen wurden. Die Durchsetzbarkeit dieses Steuerprinzips hängt vor allem davon ab, wie mobil die Steuerbemessungsgrundlage ist, sowie vom Spielraum bei der Einkommensfeststellung und -verwendung.

Am wirksamsten ist die Besteuerung von Arbeit und Konsum, weil sich Beschäftigte (insbesondere wenn die Lohnsteuer direkt abgezogen wird) und Verbraucher der Steuerpflicht kaum entziehen können.

Spareinlagen und festverzinsliche Wertpapiere effektiv zu besteuern, ist weitaus schwieriger, weil es unter den gegenwärtigen Bedingungen relativ einfach ist, die Erträge in einem Land anfallen zu lassen, wo man kaum oder gar nicht besteuert wird. Dividenden und Unternehmensgewinne sind zwar vergleichsweise weniger mobil; häufig entgehen sie jedoch der Besteuerung, weil die Spielräume bei der Einkommensfeststellung groß sind und entsprechend genutzt werden. Dabei sind die Unterschiede in der Gesetzgebung und ihrer Durchsetzung zwischen den EU-Ländern beträchtlich und deshalb eine Einladung, Strategien zur Steuerminimierung zu entwickeln.

Um die beschriebenen Mißstände zu beseitigen, sollte folgendes geschehen:

  • Die Harmonisierung der Besteuerung von Kapitalerträgen von Finanzanlagen und die Einführung von Mindestsätzen.

  • Die Einführung von Mindestsätzen bei der Körperschaftssteuer, die Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen (einheitliche Definition des Einkommensbegriffs) und Abschaffung von Ausnahmeregelungen.

  • Die Schaffung effektiver Kooperations-, d.h. Informations- und Kontrollsysteme zwischen den Finanzbehörden der EU-Mitgliedstaaten.

Die Verwirklichung dieser Forderungen bedeutete die Abschaffung von Steueroasen und speziellen Steuerregimen, die etwa die mittlerweile in mehreren Mitgliedsländern prosperierenden Finanzgesellschaften zulassen. Sie hätte auch zur Folge, daß die Praxis der Kommission, im Namen des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts die Schaffung von Steueroasen zu genehmigen (z.B. Dublin, Triest, Madeira und Brüssel) bzw. derartige Maßnahmen nicht als Beihilfe zu qualifizieren, geändert werden müßte. Zudem müßten für die im Rahmen der regionalen Wirtschaftsförderung und des „Standortwettbewerbs" übliche Gewährung von Steuervergünstigungen klarere und strengere Regeln festgelegt werden. Nicht zuletzt sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, ihre Rechte bezüglich der Anwendung der Beihilferegeln besser als bisher wahrzunehmen. So könnten sie gegen die Genehmigung von Steueroasen durch die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof klagen.


4. Die Notwendigkeit des Mehrheitsentscheidungen in Steuerfragen

Im Bereich der Steuerpolitik ist es einzelnen Mitgliedstaaten (insbesondere Ländern mit einer kleinen binnenwirtschaftlichen Basis) möglich, an Einkommen teilzuhaben, an deren Entstehung sie nicht beteiligt waren (free-rider-Position). Mit ihrem Vetorecht können sie eine Änderung dieses Zustands blockieren. Um Fortschritte bei der Steuerharmonisierung zu erzielen, sollte deshalb das im EUV vorgesehene Einstimmigkeitsprinzip aufgehoben werden.

„Flexible" Lösungen in dem Sinne, daß einzelne Staatengruppen innerhalb ihrer Jurisdiktion mit harmonisierten Lösungen vorausgehen, sind abzulehnen. Denn im Unterschied etwa zur Geld- und Währungspolitik, wo das Prinzip „verschiedene Geschwindigkeiten" sinnvoll anwendbar ist, würden im Bereich der Steuerharmonisierung die Marktkräfte erstens die Ziele der „Vorhut" tendenziell unterminieren und zweitens bei den außenstehenden Mitgliedstaaten weniger einen Anpassungsdruck in Richtung der harmonisierten Lösung als vielmehr eine Stabilisierung ihrer free-rider-Position erzeugen. Mit anderen Worten: Eine Harmonisierung der Kapitalsteuern in einigen Mitgliedsländern würde die Vorteile von Steueroasen in anderen Länder noch verstärken. Daher sind jedenfalls EU-weite Lösungen anzustreben.

Ohnehin ist die mit dem Einstimmigkeitsprinzip verbunden geglaubte Souveränität der Mitgliedstaaten in der Steuerpolitik eine Illusion. Denn bei Steuerlösungen, zu deren Realisierung Mitgliedstaaten einerseits auf die Kooperation anderer Mitgliedstaaten angewiesen sind (z. B. wirksame Kapitalertrags- und Energiebesteuerung) und andererseits free-rider-Positionen möglich sind, verhindert das Einstimmigkeitsprinzip die effektive Umsetzung der von einer Mehrheit der Mitgliedstaaten gewünschten Lösung. In diesem Sinn bedeutet die Einführung von Mehrheitsentscheidungen für Mitgliedstaaten, die an kooperativen Lösungen interessiert sind, keinen Souveränitätsverlust, sondern umgekehrt einen Souveränitätsgewinn.

Zudem steigt die Notwendigkeit einer Steuerharmonisierung mit der Schaffung einer Währungsunion. Denn durch den Wegfall des Abwertungsinstruments und die Einebnung von Zinsdifferentialen innerhalb der Euro-Zone wächst die Bedeutung von Unterschieden bei der Besteuerung von Kapitalerträgen und Unternehmensgewinnen.

Auch die geplante Einführung des Euro und die beabsichtigte Osterweiterung lassen es deshalb sinnvoll erscheinen, das Prinzip der Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit noch im Rahmen der laufenden Regierungskonferenz im EUV zu verankern. Rasche Fortschritte im Steuerbereich würden auch sicherstellen, daß künftige Mitgliedstaaten im Zuge ihres EU-Beitritts bereits die harmonisierten steuerlichen Regeln übernehmen müßten. Damit wäre für faire Wettbewerbsbedingungen in einem erweiterten Binnenmarkt gesorgt.


5. Die Kommission und die Mitgliedstaaten können nach Art. 92, 93 und 101 EGV gegen unfairen Steuerwettbewerb und Steueroasen vorgehen

Die Kommission kann im Rahmen der Beihilfedisziplin (Artikel 92,93 EGV) die Schaffung von Steueroasen durch Mitgliedstaaten verbieten. Bisher hat sie derartige Maßnahmen aus Gründen des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts („Kohäsion") genehmigt.

Soweit bestehende Steuerregelungen nicht als Beihilfe im Sinne des Artikels 92 EGV anzusehen sind, können Kommission und Mitgliedstaaten schon heute unter den bestehenden Vorschriften des Artikels 101 EGV tätig werden. Nach Artikel 101 EGV kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, die die Wettbewerbsbedingungen verfälschen und Verzerrungen hervorrufen, durch den Erlaß entsprechender Richtlinien korrigieren.

Die Kommission sollte deshalb im Rahmen der Regierungskonferenz und der Arbeitsgruppe der Finanzminister zum Steuerwettbewerb (Monti-Gruppe) klarmachen, daß sie sowohl die Beihilferegeln strenger anwenden als auch Vorschläge nach Artikel 101 EGV vorlegen wird, und zwar insbesondere dann, wenn es auf der Regierungskonferenz nicht gelingt, die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen im revidierten Vertrag zu verankern.


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