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Teildokument zu: Die EU und ihre armen Nachbarn Ein Ring von halb reformierten Planwirtschaften und RentenökonomienIn den Ländern der Peripherie der erweiterten EU kann man
nur selten mit einer eindeutig entwicklungsorientierten Wirtschaftspolitik
rechnen, die in ein rechtsstaatliches und demokratisches System eingebettet
ist. Im Gegenteil: Viele Gesellschaften sind nach Jahren halbherziger Liberalisierung
von einer brüchigen Mischung marktwirtschaftlicher Strukturen und
klientelistischer Netzwerke gekennzeichnet. In Osteuropa versuchen Teile
der alten Nomenklatur und südlich des Mittelmeers die das Renteneinkommen
kontrollierenden Eliten ihre Macht zu erhalten, wobei sie formale Anstalten
zur Demokratisierung und Wirtschaftsreform machen. Die Länder Osteuropas sind durch Jahrzehnte der Planwirtschaft
und Parteidiktatur geprägt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, war
die Abkehr von diesem System nicht das Werk demokratischer Oppositionsbewegungen,
sondern die neuen Eliten strebten nach nationaler Unabhängigkeit oder
alte Eliten versuchten einfach durch Etikettenschwindel ihre Herrschaft
zu retten (so vor allem in vielen GUS-Republiken). Häufig sind sie
in lokale Konflikte mit ethnischem Hintergrund verwickelt. Die Ausnahmeländer
sind dank ihrer großen Reformfortschritte weitgehend diejenigen,
die in einer ersten Erweiterungsrunde der EU (und teilweise auch der NATO)
beitreten werden. Als östliche Nachbarn der erweiterten EU verbleiben
überwiegend Länder mit verspäteten Reformen. Die Teilliberalisierung und Privatisierung hat es oft Fraktionen
der alten Eliten ermöglicht, sich rasch zu bereichern und wichtige
Teile des Nationalvermögens unter ihre Kontrolle zu bringen. Selbst
in den wenigen Fällen, wo sie nicht den Staatsapparat ebenfalls kontrollieren,
sind Politik und Verwaltung kaum in der Lage, Rahmenbedingungen zu schaffen,
die Entwicklung und Modernisierung fördern. Statt dessen versorgen
sich die Netzwerke durch Zugriff auf die Banken und größeren
Unternehmen gegenseitig, ohne daß es zu wettbewerbsfähigem Wachstum
und einer umfassenden Modernisierung der Wirtschaft kommt. Soweit die Länder tatsächlich demokratisiert sind, kann die
enttäuschte Bevölkerung versuchen, Parteien an die Macht
zu wählen, die wirkliche Reformen versprechen. Aber auch diese Kräfte
stehen vor dem Dilemma, daß die Wähler nur bedingt zu länger
anhaltenden Opferperioden bereit sind und die neuen Eliten über ein
hohes Chaospotential zur Störung der wirtschaftlichen Entwicklung
verfügen. In den arabischen Mittelmeeranrainern gab es keinen dramatischen
Systemwechsel. Die traditionellen Eliten unternahmen bescheidene Liberalisierungsschritte,
als der Rückgang der Renten aus Öl, Transferzahlungen und anderen
Quellen die bisher damit erkaufte innere Stabilität untergrub und
außenwirtschaftliche Krisen auslöste. Die Strukturanpassung
machte ebenso unterschiedliche Fortschritte wie die Demokratisierung, die
auch durch die Angst vor der stärksten Oppositionskraft, dem politischen
Islam, gebremst wurde. Während Tunesien und Marokko ihre Wirtschaft
diversifizieren und ihre Fertigwarenexporte steigern konnten, leiden andere
Länder weiter unter der Abhängigkeit von traditionellen Einkommensquellen
und unter noch autoritäreren Regimen. Das reichste Land der Region, Israel, hat auch die relativ beste
Demokratie, die aber ihren arabischen Bürgern wichtige Rechte und
Chancen vorenthält. Der ungelöste Konflikt mit den Palästinensern
und den arabischen Nachbarn schränkt Israels wirtschaftliche Integrationsmöglichkeiten
ein und erhöht seine Abhängigkeit von ausländischer, vor
allem amerikanischer, Hilfe. Das einzig islamisch geprägte Mittelmeerland mit - wenn auch gebrochener
- demokratischer Tradition in der Region ist die Türkei. Ihre
ursprünglich stark staatlich gelenkte und auf Importsubstitution ausgerichtete
Wirtschaft hat sich im Zuge von Strukturanpassung und Westintegration schon
deutlich geöffnet und liberalisiert. Die fortdauernden Spannungen
mit Griechenland wegen der Ägäis und Zypern sowie das Kurdenproblem
erschweren eine Vertiefung der Beziehungen zur EU über die 1996 vereinbarte
Zollunion hinaus. Das Gesamtbild der EU-Nachbarschaft ist wenig ermutigend. In
kritischen Teilregionen wie dem Balkan, Kaukasus und Palästina/Israel
ist ohne sicheren Frieden kaum an weitere Demokratisierung und Modernisierung
zu denken. Die Eliten der meisten Nachbarländer sind - über rhetorische
Verlautbarungen hinaus - nicht von der Notwendigkeit politischer und wirtschaftlicher
Reformen überzeugt. Damit fehlt in den meisten Ländern die wichtigste
Voraussetzung für rasches Wachstum und Entwicklung, wie sie von erfolgreich
aufholenden Schwellenländern mit dem oben umrissenen policy mix erzielt
wurde. Die Opposition erscheint oft auch nicht als erfolgversprechende
Alternative, sondern gewinnt ihre Identität häufig aus fundamentalistischen
oder nationalistischen Überzeugungen. In vielen Ländern droht
die Gefahr, daß gesellschaftliche Gruppen, die unter der wirtschaftlichen
Liberalisierung und Strukturanpassung leiden (Beschäftigte im Staatssektor,
Transfereinkommensbezieher), sich diesen Kräften anschließen
und ihr Heil im "Heiligen Krieg" gegen die ökonomisch und
kulturell vermeintlich vom Westen dominierte "McWorld" suchen.
Sie sehen in der EU den Gegner und in jeder Öffnung eine Kapitulation
vor der Ausbeutung durch das reiche Zentrum. Wenn Länder in Europas Peripherie trotz allem diese Erfolgsstrategie
einschlagen wollen, welcher außenwirtschaftliche Rahmen wäre
dazu nötig oder zumindest förderlich ? Inwieweit kann und soll
die EU versuchen, ihre armen Nachbarn zu dieser Strategie zu ermuntern
? Welche Lehren kann die EU dabei aus den Erfolgen und Problemen der anderen
Räume in den Bereichen Handel, Kapitalströme, Migration und politische
Kooperation ziehen ? Die Vielfalt der europäischen Nachbarschaft legt nahe, unterschiedliche und auf die Probleme einzelner Ländern oder Teilregionen zugeschnittene Politiken zu verfolgen. Die EU selbst verfügt gegenwärtig über zwei bis drei Ansätze: das Barcelonamodell für den Süden und die Assoziierung plus PHARE sowie Handels- und Kooperationsabkommen plus TACIS für Osteuropa. Aber diese Differenzierung ist kaum sachlich zu begründen. Vor allem die Mittelmeerpolitik deckt mit dem gleichen Prinzip sehr unterschiedliche Länder ab. Andererseits ist die Einordnung der osteuropäischen Länder in Beitrittskandidaten der ersten Runde, Assoziierte mit Beitrittsanspruch und Rest relativ willkürlich und umstritten. Dagegen sprechen in anderen Bereichen wie z.B. Handel gute Gründe für ein einheitliches Liberalisierungskonzept. Brüsseler Handelspolitik: eine Pyramide mit Nabe und SpeichenDie EU-Außenhandelspolitik wird gern als Pyramide von Zollpräferenzen
beschrieben. An ihrer Spitze befinden sich die Mitgliedsstaaten, die den
Binnenmarkt bilden. Den nächstbesten Marktzugang haben Mitglieder
des Europäischen Wirtschaftsraums, der sich nach der EFTA-Erweiterung
auf Norwegen, Island und Liechtenstein beschränkt (die Schweiz entschied
sich in einem Referendum dagegen). Dann folgt die Türkei, mit der
der Handel zumindest im Endzustand des Ausbaus der Zollunion am stärksten
liberalisiert wäre. Auf der nächsten Ebene folgen die assoziierten
Länder Mittel- und Osteuropas, des Mittelmeerraums und die AKP-Staaten.
Die Handels- und Kooperationsabkommen mit den osteuropäischen Ländern
sehen ebenfalls Freihandel für Fertigwaren vor. Darunter gibt es weitere
spezielle Abkommen teils bilateraler, teils multilateraler Natur - letztere
mit anderen regionalen Integrationsräumen. Nicht assoziierte Entwicklungsländer
kommen in den Genuß des Allgemeinen Präferenzsystems (APS).
Andere Industrieländer unterliegen als WTO-Mitglieder der Meistbegünstigungsregelung.
Darunter verblieben früher nur die Planwirtschaften des Rates für
Gegenseitige Wirtschaftshilfe und nach dessen Ende gibt es kaum noch schlechter
gestellte Staaten mit Ausnahme einiger Länder, die weder der WTO angehören,
noch das APS in Anspruch nehmen können, z.B. reiche Ölexporteure. Die Höhe und das Gefälle dieser Präferenzpyramide haben
im Lauf der Jahre stark abgenommen. Die Liberalisierungsrunden im
Rahmen des GATT, zuletzt im Zuge der Uruguay-Runde, haben die durchschnittliche
Protektion soweit abgesenkt, daß nur wenig Raum für die Präferierung
von einzelnen Handelspartnern bleibt. Die Masse der Handelspartner befindet
sich auf einer weitgehend ähnlichen Präferenzstufe, nämlich
der der assoziierten Länder. Diesen gewährt die EU zollfreien
Zugang zu ihrem Markt bei industriellen Fertigwaren mit Ausnahme einiger
sensibler, besonderes regulierter Bereiche wie Textil und Stahl. Ebenfalls
geschützt ist der für viele Nachbarländer besonders wichtige
Agrarmarkt der EU. Zwar hat die EU in vielen Fällen eine asymmetrische
Marktöffnung gewährt, die es den ärmeren Handelspartnern
erlaubt, auch ihre Märkte für Industrieprodukte weiter zu schützen;
aber in zunehmenden Maße erwartet die EU von ihren Nachbarn freien
Marktzugang für ihre Fertigwarenexporte. Obendrein sehen viele der
Verträge für die EU Schutzklauseln vor, die sie im Bedarfsfall
gegen Exporte der Nachbarn anwenden kann. Die einzelnen Handelsregelungen bilden ein System, das gern als "hub
and spoke" (Nabe und Speichen = NUS) beschrieben wird (Wonnacott,
Enders, Baldwin). Die EU als Nabe verfügt über mehrere Speichen,
nämlich die Handelsabkommen mit den verschiedenen Partnern. Jeder
Partner hat dabei in der Regel nur eine Beziehung zur EU-Nabe, aber nicht
direkt zu anderen Speichen, wenn man von einigen regionalen Kooperationsregelungen
(CEFTA = Zentraleuropäische Freihandelszone, UMA = Union du Maghreb
Arabe) absieht. Dieses NUS-Modell kontrastiert mit der Alternative einer
großen Freihandelszone, der die EU und ihre Partner gleichberechtigt
angehören. Das NUS-Modell bevorzugt einerseits die Nabe zu Lasten der ärmeren
"Speichenpartner", andererseits vermindert es die Wachstumschancen
der Gesamtregion im Vergleich zur großen Freihandelszone. Unternehmen
aus der Nabe haben nämlich Zugang zu billigeren, weil zollfreien Inputs
aus der Gesamtregion sowie freien Absatz in diesem Gebiet, während
ihre Konkurrenten in den Speichen nur aus der Nabe günstig beziehen
können und auf den Speichenmärkten Zollschranken überwinden
müssen. Damit wird die Nabe auch attraktiver als die Speichenstandorte
für Investoren, insbesondere aus Drittländern. Insgesamt bietet
eine NUS-Region im Vergleich zu einer großen Freihandelszone geringere
"economies of scale", erhöht Transport- und Verwaltungskosten
und bietet mehr Anreize für protektionistische Praktiken. Diese Handelspolitik stellt sicher keine optimale Umgebung für
die nachholende Entwicklung der Nachbarn dar. Die latente Drohung des
immer wieder zuschlagenden Detailprotektionismus der EU und die Negativeffekte
des NUS-Systems verringern die Neigung einheimischer Unternehmer und ausländischer
Investoren zum Aufbau export-orientierter Produktion in den Nachbarländern.
Die Marktöffnungszwänge für die Nachbarn andererseits wirken
in eine ähnliche Richtung, vor allem für Investitionsprojekte
mit einer wenig steilen Lernkurve, die mit einer längeren Anpassungsphase
bis zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit rechnen müssen.
Nicht zufällig haben die meisten westlichen Automobilfirmen ihre Investitionsentscheidungen
in Mittel- und Osteuropa von der - vorübergehenden - Einführung
von Schutzzöllen abhängig gemacht. Einige Probleme könnten die Speichen-Länder selbst lösen,
indem sie autonom ihre Zölle gegenüber anderen Speichen-Anbietern
senken oder ganz abbauen. Damit wären ihre Unternehmen zumindest beim
Bezug von Inputs nicht mehr in einem Kostennachteil gegenüber denen
der Nabe. Andere Schritte müßte die EU übernehmen. Hier
wäre an eine Änderung der Ursprungsregelungen zu
denken, die in den bilateralen Abkommen angewandt werden. Würde die
weitgehende Akkumulation von Wertschöpfungskomponenten aus allen NUS-Mitgliedern
zugelassen, so wäre damit das NUS-System einer Freihandelszone anzugleichen.
Angesichts des im Verhältnis zum EU-Markt geringen Gewichts aller
Speichen-Märkte (nämlich etwa der italienische Markt) sollten
die Nachteile des NUS-Systems ebenso wie die Vorteile seiner Ablösung
durch eine Freihandelszone aber nicht überschätzt werden. Welche Anregungen bieten die ostasiatischen und nordamerikanischen
Erfahrungen im Bereich der Handelspolitik ? Geht man von den Erfahrungen der erfolgreichen "Tiger"-Ökonomien
aus, so sollte die EU ihren armen Nachbarn die Möglichkeit zu einer
Politik der "geschützten Exportförderung" einräumen,
also ihnen den Schutz ihrer Unternehmen gestatten. Es ist allerdings zweifelhaft,
ob dies Investition, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit in den Nachbarwirtschaften
fördern würde. Denn unter den Bedingungen klientelistischer Wirtschaftspolitik
nutzen Verwaltung und Unternehmen dann verfügbare Instrumente wie
Handelsbarrieren und Subventionen kaum dazu, die Betriebe zu einer raschen
Anpassung an Weltmarktbedingungen zu zwingen, sondern Anpassungsverweigerung
zu decken und Pfründe zu alimentieren. Außerdem könnte die EU darauf verzichten, die im Erfolgsfall
daraus resultierenden Exportoffensiven abzuwehren. Als Minimum wäre
ein Abbau des Schutzes sensibler Branchen innerhalb der EU einschließlich
der Landwirtschaft angezeigt, der allerdings sicher auf massiven politischen
Widerstand der betroffenen EU-Sektoren stoßen würde. Japan hat
bezeichnender Weise seine Märkte immer nur soweit geöffnet, wie
es nötig war, um Vorprodukte kostengünstig zu importieren. Mit
der Yen-Aufwertung zählten ab Mitte der 80er Jahre dazu aber nicht
nur - wie bis dahin - Rohstoffe, sondern auch arbeitsintensive Industrieprodukte,
die vor allem die im Zuge massiver Auslandsinvestitionen entstandenen japanischen
Tochterunternehmen in Südostasien herstellen. Allerdings stand der
US-Markt den südostasiatischen Ländern immer relativ weit offen. NAFTA hat handelspolitisch einiges zu bieten. Mexikos Exporte
in die USA wuchsen in den drei ersten NAFTA-Jahren um 83%, womit der Anteil
an den US-Importen von 6,8% auf 9,2% stieg. In mehreren Branchen überholte
Mexiko prominente Konkurrenten wie Taiwan, Brasilien und Korea in der Stahlbranche
oder Deutschland bei den Kraftfahrzeugen. Dabei diversifizierte Mexiko
seine Exportproduktpalette erheblich. Diese Exportleistungen basieren auch
auf den stark angestiegenen Direktinvestitionen, bei denen Mexiko dank
NAFTA zum zweitgrößten Empfänger unter den Entwicklungsländern
(nach China) aufstieg. Der mexikanische Erfolg ist aber wahrscheinlich nur zum kleineren Teil
unmittelbar den NAFTA-Handelsregelungen geschuldet, zum größeren
Teil beruht er auf deren Auswirkungen auf das Investitionsverhalten und
auf den Bestimmungen, die unmittelbar die Direktinvestitionen regeln. Handelspolitisch
schließt NAFTA den Agrarhandel weitgehend mit ein, setzt der Anwendung
von Schutzklauseln engere Grenzen und regelt auch technische Handelsbarrieren
sowie den Zugang zu öffentlichen Beschaffungsmärkten. Hinzu kommen
umfangreiche Vereinbarungen zum Schutz von Investoren, zum Handel mit Dienstleistungen,
zur Wettbewerbspolitik und zum Schutz geistigen Eigentums. Diese Regelungen
geben Investoren mehr Spielraum und vermindern Risiken. NAFTA verfügt
über ausführliche Bestimmungen zu Umwelt und Arbeitsbeziehungen,
die Gründe für protektionistische Forderungen seitens Umweltgruppen
und Gewerkschaften vermindern und deren Formen zugunsten institutionalisierter
Verhandlungslösungen verändern. Das NAFTA-Modell bietet somit eine Reihe von Anregungen, die
eine EU-Handelspolitik gegenüber den armen Nachbarn berücksichtigen
könnte. Allerdings gilt auch hier, daß der tatsächliche
Effekt stark von Anstrengungen in den Partnerländern abhängt.
Das enge NAFTA-Gerüst läßt den Regierungen weniger Spielraum,
Reformen zu unterlassen oder versprochene Maßnahmen nicht wirklich
umzusetzen, als die weicheren Verträge traditioneller Machart, wie
sie die EU mit ihren Nachbarn abgeschlossen hat. Bei Beitrittskandidaten
mag dies ausreichen, da sie zur Vorbereitung der Vollmitgliedschaft einem
noch erheblich härteren Reformdruck ausgesetzt sind. Für langfristig
außerhalb der EU verbleibende Länder wäre jedoch ein klarerer
vertraglicher Rahmen potentiell nützlicher. Der wohl weitreichendste Schritt wäre eine Ausdehnung des Europäischen Binnenmarkts auf die Nachbarländer unter zusätzlicher Einbeziehung der Landwirtschaft, womit noch die Integrationstiefe des EWR übertroffen würde. Die Nachbarn müßten sich dabei in vielen technischen und sonstigen Regulierungen (Normen, Sicherheits- und Gesundheitsstandards etc.) europäischen Mindestanforderungen unterwerfen. Andererseits müßte die EU im Sinne der gegenseitigen Anerkennung dann die Einfuhr von Erzeugnissen, die die (angepaßten bzw. harmonisierten) Vorschriften des Peripherielandes erfüllen, ohne Beschränkung zulassen. Wachstums- und Währungspolitik sind die beste HandelspolitikAuch eine EU-Handelspolitik, die die EU-Märkte weiter öffnet,
Exporteuren der Nachbarländer mehr Chancen und Sicherheit bietet,
hätte nur einen beschränkten Effekt auf die Entwicklung des tatsächlichen
Handelsvolumens. Denn die Zölle sind - von Ausnahmefällen abgesehen
- im Durchschnitt so gesunken, daß ihre weitere Senkung oder Aufhebung
die Wettbewerbsverhältnisse auf den einschlägigen Märkten
nur in einem Maße beeinflußt, das durch andere Einflußfaktoren
wie Wechselkurs, unterschiedliche Inflationsraten und/oder Produktivitätsdifferenzen
mehr als ausgeglichen wird. Betrachtet man die Entwicklung der Handelsströme zwischen der EU
und Mittel- und Osteuropa oder zwischen den USA und Mexiko, so wird deutlich,
daß die wichtigsten Bestimmungsgründe im Wachstum des
Volkseinkommens insgesamt und der Sparquote im besonderen sowie in der
Entwicklung des realen, also um die Inflationsdifferenz bereinigten, Wechselkurses
zu suchen sind. Handelspolitischer Problemdruck, aber auch politische Krisen
entstehen auf dem Hintergrund von Veränderungen der Handelsbilanz
oder der Lohnkostenrelationen, die durch diese Faktoren ausgelöst
werden. Für die Nachbarn wäre eine rasch expandierende EU-Nachfrage
die beste Wachstumsvoraussetzung. Leider zeichnet sich die EU seit
Beginn der 90er Jahre durch niedrige Wachstumsraten aus. Kritiker des Vertrages
von Maastricht machen die dort festgelegten Stabilitäts- und Konvergenzkriterien
verantwortlich, die die Mitgliedsstaaten zu einer sparsamen Haushaltspolitik
zwingen. Andere halten dem entgegen, daß Defizite von über 3%
des Bruttosozialprodukts Zeichen einer eher expansiven Fiskalpolitik sind
und das Defizit und die damit verbundene Neuverschuldung Kapital binde,
das dann nicht mehr für Investitionen, der Grundlage neuen Wachstums,
zur Verfügung stehe. Aber auch Anhänger einer solideren Haushaltspolitik können
sich eine mehr wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik in Gestalt einer
weniger restriktiven Geldpolitik vorstellen. Dabei erhoffen sich
die einen von staatlicher Sparsamkeit eine Entlastung der Kapitalmärkte
mit entsprechender Zinssenkung, die anderen wünschen eine Senkung
der Zinsen durch die Zentralbanken, um dadurch die Investitionen anzuregen,
aber auch die Zinslast der öffentlichen Haushalte zu vermindern. In
beiden Fällen gilt das Zinsniveau, das in Europa höher als in
Japan oder den USA liegt, als hauptverantwortlich für die europäische
Wachstumsschwäche. Die Politik der Deutschen Bundesbank verhindert in den Augen
vieler Beobachter eine solche Wachstumspolitik, um eine Geldwertstabilität
zu sichern, die vielleicht - dafür spricht die niedrige Inflation
in den USA und Japan - gar nicht bedroht ist. Andererseits würde es
schon ausreichen, wenn Europa wieder auf den Wachstumspfad zurückfände,
den es 1986-1990 eingeschlagen hatte, ohne daß die auch damals stabilitätsbedachte
Bundesbankpolitik gestört hätte. Die künftige Europäische
Zentralbank könnte dazu beitragen, das Wirtschaftswachstum in der
Währungsunion zu beschleunigen, da sie sich angesichts der geringeren
Bedeutung des Außenhandels für die Euro-Zone weniger um einem
Inflationsimport sorgen muß. Die relative Geschlossenheit der Euro-Zone verringert auch die Währungsturbulenzen,
die vor allem exportgeleitetes Wachstum immer wieder gestört haben.
Ein neuer europäischer Wachstumsprozeß könnte sich
auf währungspolitische Stabilität, solide Haushaltspolitik und
niedrige Zinsen stützen. Die Zentralbank hätte dann weder externe
noch interne Anlässe, das Wachstum im Interesse der Stabilität
abzuwürgen, wenn sich zusätzlich die Lohnpolitik maßvoll
am Produktivitätsfortschritt orientiert, wie sie es in den 90er Jahren
weitgehend tat. Unabhängig von dem für die Nachbarn vorteilhaften Wachstum in der EU selbst muß es aber um das Wachstum der Nachbarökonomien gehen. Der Handel mit der EU stellt für dieses Wachstum eine wichtige Voraussetzung dar, nicht nur als Absatz für Exporte, sondern auch durch die wachstumsbedingte Importnachfrage, deren Finanzierbarkeit das Wachstum beschränkt. In vielen Fällen schlittern Wirtschaften bei nachholender Entwicklung hier in einen krisenhaften Zyklus:
Dieses Muster war - mit sicher bedeutenden Variationen - in Mexiko 1994/5, in Tschechien und in Thailand 1996/7 zu beobachten. Besonders fatal an diesen Krisen ist ihr Ansteckungscharakter, der andere - an sich nicht betroffene Länder - in den kumulativen Vertrauensverfall der Märkte einbezieht, wie es z.B. 1994 in Lateinamerika oder 1997 in Südostasien der Fall war. Es ist im Interesse der Zentren wie der Peripherie, derartige Krisenzyklen
zu vermeiden oder wenigstens in ihren Ausschlägen zu begrenzen.
Denn die Krisen reduzieren nicht nur die Exporte aus dem Zentrum, sondern
destabilisieren auch die Kapitalmärkte, wenn Investitionen in der
Peripherie plötzlich notleidend werden. Außerdem bedrohen derartige
Krisen nicht nur die gewünschte Prosperität, sondern auch die
politische Stabilität in den Nachbarländern. Traditionell kümmert sich der Internationale Währungsfonds (IWF) um diese Probleme. Er überwacht die Wirtschaftspolitik seiner Mitgliedsstaaten und warnt vor krisenhaften Entwicklungen. Im Fall von Zahlungsbilanzkrisen stellt er Kredite bereit, die ab einer bestimmten Höhe an Auflagen zur Veränderung der Wirtschaftspolitik gebunden sind. Aber angesichts der gewaltigen Transaktionsvolumen auf den globalen Finanzmärkten sind seine Mittel zu beschränkt, um spekulative Angriffe auf Währungen abwehren zu können. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998 |