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Die EU und ihre armen Nachbarn : vom förderlichen Umgang der Zentren mit ihrer Peripherie / Michael Dauderstädt. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1997. - 20 S. = 92 Kb, Text . - (Reihe Eurokolleg ; 38). - ISBN 3-86077-666-5 Electronic ed.: Bonn: EDV-Stelle der FES, 1998 © Friedrich-Ebert-Stiftung
Zusammenfassung1. Europas Grenzen sind nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Systems neu zu definieren. Auch nach der nächsten Erweiterungsrunde wird rings um die EU eine Kette armer Nachbarländer verbleiben, die mit ihr durch Beitrittswünsche, Assoziierung, Zollunion, Handels- und Kooperationsabkommen oder Partnerschaftsverträge verbunden sind. Aus vielerlei Gründen auf beiden Seiten kommt eine baldige Vollmitgliedschaft dieser Länder nicht in Frage. Trotzdem kann ihr Schicksal der EU nicht gleichgültig sein, denn Europas Frieden, Sicherheit und Wohlstand hängen in besonderem Maße von der Entwicklung dieser Nachbarländer ab. 2. Die EU verfügt nur über schwache Instrumente, um die grundlegende sicherheitspolitische Dimension des Nachbarschaftverhältnisses zu beeinflussen. Aber die Sicherheit ist eng mit Stabilität, Demokratisierung und Wohlstand verknüpft. Denn reiche Nachbarn sind langfristig die besten Nachbarn. Wirtschaftlich verfügt die EU jedoch über erhebliche Kompetenzen und ein überwältigendes Gewicht im Vergleich zu ihrer Peripherie, deren gesamtes Volkseinkommen gerade dem Italiens entspricht. 3. Ein Vergleich mit Nordamerika (NAFTA) und Südostasien zeigt zwar, daß die asiatische Peripherie Japans (und mit ihr Japan) am schnellsten gewachsen ist. Aber die großen Unterschiede innerhalb der Ländergruppen belegen, daß letztlich nationale Anstrengungen über den Entwicklungserfolg entscheiden. Der erfolgreiche Policy-mix von Exportorientierung, Sparsamkeit, hoher Investitionsrate, relativ gerechter Einkommensverteilung und entwicklungsorientiertem Staatshandeln scheitert aber in den meisten armen Ländern an den Interessen reformfeindlicher Eliten. 4. Die Nachbarschaft der EU zeichnet sich durch Gesellschaften aus, in denen die Reformen in unterschiedlichen Phasen stecken. In den ehemals kommunistischen Ländern dominieren häufig nationalistische oder autoritäre Kräfte, die sich obendrein noch die Kontrolle über wichtige Teile des Nationalvermögens angeeignet haben - mit Ausnahme einiger schneller Reformer, die allerdings bald der EU beitreten dürften. In den arabischen Ländern ist die klassische Renten- und Klientelökonomie zwar weitgehend zusammengebrochen, aber nur oberflächlich demokratisiert und liberalisiert worden. 5. Die Brüsseler Handelspolitik bietet den Nachbarn keine optimalen Bedingungen für exportorientierte Entwicklung. Ihre Präferenzpyramide verflacht und das Naben-und-Speichen-System diverser Handelsabkommen bevorzugt das Zentrum. Im Gegensatz zu NAFTA fehlen präzise Regeln, die Exporteuren und Investoren Sicherheit bieten. Eine Ausdehnung des Europäischen Wirtschaftsraums unter Einschluß der Landwirtschaft käme den Nachbarn am meisten entgegen. Aber die Handelspolitik ist nur ein - wegen der weltweiten Liberalisierung aber zunehmend schwächerer Faktor - zur Stimulierung der Handelsströme. 6. Wichtiger für das Ausmaß des Handels sind Wachstumsraten und Währungsrelationen der beteiligten Volkswirtschaften. Ein schnelleres Wachstum in der EU selbst wäre die beste Unterstützung der Nachbarn. Deren Wachstumsprozeß scheitert manchmal bei relativem Erfolg (z.B. Mexiko, Tschechien, Thailand) unter dem Druck von Zahlungsbilanzkrisen, weil die Finanzmärkte auf wirtschaftspolitische Fehler zu spät und zu heftig reagieren. 7. Vor allem im Zuge der Europäischen Währungsunion könnte eine engere währungspolitische Kooperation derartigen Krisen vorbeugen und eine stetige Kapitalversorgung der Nachbarn erleichtern. Ihr wesentliches Ziel muß es sein, die Erwartungen der Investoren durch Information, Transparenz und Abstimmung der Politik zu stabilisieren. Damit verringert sie auch die weit verbreitete Kapitalflucht. Zusätzliche öffentliche Kredite an die Nachbarn sind dagegen angesichts ihrer problematischen Nebenwirkungen (Verschuldung, Aufwertung) eher mit Vorsicht zu betrachten. 8. Handelsliberalisierung, Nachfragesicherung und Wechselkursstabilisierung nutzen wenig, wenn das wettbewerbsfähige Angebot für den Export fehlt. Hier bietet sich ein Ansatz für eine Hilfestrategie, die auf die Qualifizierung von Standorten abzielt. Gesellschaftspolitische Kooperation sollte versuchen, die Oppositionskräfte gegen reformfeindliche Eliten zu stärken und die gesellschaftlichen Bedingungen für entwicklungsorientierte Politik zu schaffen. 9. Eine solche exportorientierte Entwicklungspolitik wäre die beste Vorbeugung gegen Migrationsbewegungen, die weder für die Herkunfts- noch für die Zielländer eindeutig positive Wirkungen haben. 10. Eine präventive Politik (Marktöffnung, Währungskooperation, Hilfe zur Standortqualifikation) mag stetige Kosten verursachen, kommt aber nicht unbedingt teurer als das als reaktives Krisenmangement beschönigte Durchwursteln. Sie stützt sich am besten auf ein Grundverständnis verantwortlicher Nachbarschaft und prinzipielle Offenheit der EU für alle Nachbarn, das leider gegenwärtig durch ethnische und kulturelle Vorurteile untergraben wird, die vor allem im Mittelmeer historisch nicht begründbare, neue Grenzen schaffen. Europas künstliche Grenzen zerfließenBis zum Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks schienen Europas Grenzen sicher bestimmt zu sein. Im Osten zählte der sowjetische Herrschaftsbereich kaum noch zu Europa, von dem es sich im politischen und wirtschaftlichen System grundlegend unterschied, weswegen die siegreiche demokratische Opposition ab 1989 auch die "Rückkehr nach Europa" forderte. Im Süden bildete das Mittelmeer eine geographische Begrenzung. Nur der Spezialfall Türkei störte das Bild: Obwohl überwiegend in Asien gelegen, ragt sie mit einem Teil ihres Staatsgebietes nach Europa. Obwohl soziokulturell fremd, ist sie ein NATO-Verbündeter, der - wenn auch mit Widerständen - versucht, sich zu einer europäisch-westlichen Demokratie zu entwickeln und dazu auch die ihm versprochene EU-Mitgliedschaft anstrebt. Innerhalb dieser Grenzen befanden sich nur demokratische Marktwirtschaften, die entweder der EU angehörten oder als EFTA-Mitglieder schon eng mit der EU verflochten oder auf dem Weg zum Beitritt waren. Mit den südlichen Mittelmeerländern war dieses Europa durch Assoziationsabkommen verbunden, die zwar bilateral abgeschlossen waren, aber einem einheitlichen Muster von asymmetrischer Handelsliberalisierung und Finanzprotokollen folgten. Im Osten verweigerten die Sowjetunion und der von ihr beherrschte Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe die Aufnahme von Beziehungen zur EU. Der Sturz des Kommunismus und die Transformation in Mittel- und Osteuropa öffneten diese Grenzen im Osten. Nach anfänglichem Zögern schloß die EU im Laufe der 90er Jahre mit zehn der neuen Demokratien Assoziationsabkommen. Diese sogenannten "Europaabkommen" sahen weitgehenden Freihandel (ohne Landwirtschaft), einen politischen Dialog und die Option einer EU-Vollmitgliedschaft vor. Daneben gewährte die EU Hilfen aus dem PHARE-Programm und durch die EIB. Seit 1995 haben die assoziierten Länder Beitrittsanträge gestellt, die 1997 von der EU-Kommission beurteilt werden, bevor die eigentlichen Verhandlungen beginnen. Mit den meisten übrigen Länder Mittel- und Osteuropas schloß die EU Handels- und Kooperationsabkommen, die ebenfalls Handelsliberalisierung mit Hilfe (TACIS-Programm) und Kooperation in verschiedenen Bereichen verbinden. Die deutsche Vereinigung und der EU-Beitritt der EFTA-Länder Österreich, Schweden und Finnland verstärkten die Hinwendung der EU nach Osten. Der besorgte Südwesten der Union forderte dagegen eine gleichgewichtige Aufmerksamkeit für die südlichen Nachbarn. Diesem Wunsch trug die EU mit der in Barcelona verabschiedeten neuen Euro-Mediterranen Partnerschaft Rechnung. Mit der Türkei vereinbarte die EU 1996 eine Zollunion, die die Türken als weiteren Schritt zur Vollmitgliedschaft ansehen, ohne daß die EU diese Sichtweise teilt. Griechenland erhielt für seine Zustimmung zur Zollunion die Zusage, daß die EU Beitrittsverhandlungen mit Zypern aufnimmt. Die gleichzeitig vorgesehenen Gespräche mit Malta wurden auf Wunsch der neuen Inselregierung 1996 vertagt. Noch ist aber gänzlich offen, welche Länder wann der EU beitreten. Zypern ist eine geteilte Insel, für deren Integration es zwar Konzepte, aber keinen Konsens gibt. Die Risiken einer Konfrontation mit der Türkei sind nicht zu übersehen. Für Mittel- und Osteuropa besteht zwar zwischen den Eliten der Beitrittsländer und denen der EU noch weitgehend Konsens für eine Vollmitgliedschaft zumindest der fortgeschrittensten Reformstaaten. Aber es hapert bei den konkreten Konzepten. Der Amsterdamer Gipfel hat die seitens der EU notwendigen Reformen, vor allem der Institutionen, nicht ausreichend vorangebracht. In Mittel- und Osteuropa stecken einige Kandidaten wie Bulgarien und Rumänien noch tief in der Transformationskrise. Selbst bei den Musterschülern wie Tschechien zeigt sich, daß die guten Noten in Teilbereichen wie der Beschäftigung durch Mogeln bei der Privatisierung und Umstrukturierung des Unternehmenssektors erzielt wurden. Jetzt werden schwache Produktivität, geringe Wettbewerbsfähigkeit und hohe Handelsbilanzdefizite deutlich. In der ersten Runde werden also sicher nicht alle zehn Kandidaten in
die EU aufgenommen. Die Beitrittsverhandlungen werden sich in die
Länge ziehen. Wenn die harten Interessenkonflikte zur Sprache kommen,
benötigen beide Seiten den festen politischen Willen für den
Beitritt, um die wirtschaftlichen und sozialen Kosten akzeptieren zu können.
Eine erfolgreiche NATO-Integration, die sicherheitspolitische Isolationsängste
behebt, könnte diesen politischen Willen schwächen. Rings um die EU verbleibt somit auch nach der nächsten Erweiterungsrunde eine Kette armer Nachbarländer, die mit ihr durch Beitrittswünsche, Assoziierung, Zollunion, Handels- und Kooperationsabkommen oder Partnerschaftsverträge verbunden sind. Aus vielerlei Gründen auf beiden Seiten kommt eine baldige Vollmitgliedschaft dieser Länder nicht in Frage. Trotzdem kann ihr Schicksal Europa nicht gleichgültig sein, denn Europas Frieden, Sicherheit und Wohlstand hängen in besonderem Maße von der Entwicklung dieser Nachbarländer ab. Der ideale Nachbar ist reich, demokratisch und friedfertigDie Interessen der EU gegenüber ihren Nachbarn sind vielfältig und widersprüchlich. Oft teilen die verschiedenen Mitgliedsstaaten, ganz zu schweigen von den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen in ihnen, nicht die gleichen Ziele. Die offizielle Position, wie sie in den Verlautbarungen der Unionsgremien Parlament, Rat und Kommission sowie in Verträgen und Erklärungen deutlich wird, unterstreicht Sicherheit, Frieden, Stabilität, Demokratie, Entwicklung und Wohlstand. Das schließt nicht aus, daß in konkreten Konfliktlagen andere Interessen, z.B. einzelner Produzenten in der EU, Vorrang haben. Von solchen Ausnahmen abgesehen, repräsentieren die diplomatischen Erklärungen weitgehend die wirklichen Interessen Europas an seinen Nachbarn. Sicherheit, Frieden, Stabilität, Demokratie und Wohlstand bedingen sich auch über weite Strecken gegenseitig. Demokratien bringen auf Dauer Stabilität und Frieden. Wohlstand fördert und erhält die Demokratie, während Armut und soziale Krisen sie schwächen. Im Gegensatz zu Stabilität ist aber Demokratie keine notwendige Bedingung für wirtschaftliche Entwicklung. Umgekehrt kann rasches Wachstum sozial, kulturell und politisch destabilisierend wirken. Der EU nutzen stabile und wohlhabende Nachbarn zwar grundsätzlich, denn sie schaffen weniger Probleme wie Migration, Kriminalität und Umweltverschmutzung. Wohlstand erlaubt auch eher, Konflikte durch Kompensation der Benachteiligten zu lösen. Andererseits sind arme und zerrüttete Länder im Konfliktfall letztlich weniger gefährlich. Europas Interesse an friedlichen und konfliktarmen Beziehungen zu seinen Nachbarn reibt sich allerdings mit den Konflikten, die diese Nachbarn untereinander oder auch mit EU-Mitgliedsstaaten haben wie etwa Griechenland und die Türkei, Israel und seine arabischen Nachbarn, Serbien, Bosnien und Kroatien. Doch die Sicherheitspolitik ist keine klassische Domäne der EU. Der Amsterdamer Gipfel hat die vorsichtigen Schritte zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) in Maastricht nur wenig weiter geführt. Sie bleibt überwiegend eine Angelegenheit der Nationalstaaten und spezifischer sicherheitspolitischer Organisationen wie UNO, OSZE, NATO und WEU. Dabei schwanken die Europäer zwischen kollektiven Sicherheitssystemen, die sich bis jetzt in Krisenlagen wenig bewährt haben, und Verteidigungsbündnissen, die die Sicherheit ihrer Alliierten nach außen garantieren. Die EU konzentriert sich zwangsläufig auf die außenwirtschaftlichen Beziehungen und auf einen Politikdialog, der in wachsendem Maße auch Fragen der Menschenrechte, der Demokratie und der Regierungsqualität anspricht. Die Nachbarn teilen die europäischen Zielvorstellungen weitgehend und haben entsprechende gemeinsame Erklärungen (Barcelona, Europäische Konvention der Menschenrechte und andere Abkommen) unterzeichnet. Sie mögen gelegentlich andere Dinge darunter verstehen. Vertreter des politischen Islam in Nordafrika oder autoritäre Nationalisten in Mittel- und Osteuropa haben andere Vorstellungen von Stabilität und Demokratie als die EU. Aber mit den meisten Nachbarn läßt sich auf der Ebene relativ abstrakter Oberziele ein Konsens finden. Schwieriger wird es bei Unterzielen oder konkreten Politiken. Obwohl die meisten armen Länder die Marktwirtschaft inzwischen als den besten und schnellsten Weg zu mehr Wohlstand sehen, würden nur wenige diese Ordnung noch vorziehen, wenn sie nicht den versprochenen Erfolg mit sich bringt. Auch die Europäer müssen die Nutzen von Frieden, Stabilität, Demokratie und Wohlstand in ihrer Nachbarschaft gegen die Kosten der Politiken abwägen, die zu ihrer Erreichung verfolgt werden sollen. Die EU wäre sicher nicht bereit, zur Entwicklung ihres Umfeldes proportional die Lasten auf sich zu nehmen, die Westdeutschland akzeptiert hat, um die Lebensverhältnisse in Ostdeutschland zu verbessern. Zu den Kosten zählen dabei nicht nur Staatsausgaben, sondern auch Anpassungskosten für die Wirtschaft im Zuge von Marktöffnung, die sozialen Folgen von Einwanderung usw.. Der Kosten-Nutzen-Vergleich fällt dabei der EU leichter als den Nachbarn. Denn für die EU sind die Nachbarn weniger wichtig als umgekehrt. Für die meisten Nachbarländer ist die EU der mit Abstand wichtigste Wirtschaftspartner, während umgekehrt einzelne Länder meist nur verschwindende Prozentsätze des EU-Außenhandels abwickeln und selbst die Peripherie als ganze nur etwa 15% der EU-Exporte bzw. -Importe ausmacht. Dieses Ungleichgewicht ergibt sich vor allem aus dem Unterschied der Volkseinkommen zwischen der reichen EU und den armen Nachbarländern. Alle Barcelona-Staaten (d.h. die Mittelmeerländer außerhalb der EU) und ganz Mittel- und Osteuropa (einschließlich der gesamten früheren Sowjetunion) zusammen haben etwa das BSP von Italien bei einer zehnmal größeren Bevölkerung. Aus diesen Proportionen wird klar, daß das Störpotential der Nachbarn weniger wirtschaftlicher als sozialer und politischer Natur ist. Umgekehrt ist jedoch das Interventionspotential der EU eher wirtschaftlich, schon weil dort ihre Kompetenzen größer sind als in der Sozial- oder Außenpolitik, die überwiegend nationalstaatlich bestimmt bleibt. Welche Außenwirtschaftspolitik der EU trüge - bei angemessenen und akzeptablen Kosten - am besten dazu bei, die wirtschaftliche Entwicklung der Nachbarn und damit deren Stabilität, Demokratisierung und Friedfertigkeit zu fördern? Wie andere arme Nachbarn reich wurdenAuf der Suche nach einer Antwort könnte ein Blick auf andere Wirtschaftsräume lohnen. Europas internationale Konkurrenten USA und Japan grenzen ebenfalls an arme Nachbarländer, die stark von ihren jeweiligen reichen Wirtschaftsvormächten abhängen. Aber die Beziehungsstrukturen und Wachstumserfolge unterscheiden sich erheblich:
Die Entwicklungsleistung der Nachbarregionen unterscheiden sich
ebenfalls beträchtlich. Land BSP/Kopf - Wachstum BSP/Kopf - Wachstum Nachbarn Japans Nachbarn der EU (ohne Osteuropa) Quelle: Weltbank: Weltentwicklungsberichte 1988 und 1996 Die Tabelle bestätigt, daß im Durchschnitt die südostasiatischen Länder erheblich rascher wuchsen als die beiden Vergleichsregionen. Mittelamerika und die europäische Peripherie liegen beide in ähnlichen Größenordnungen. Osteuropa läßt sich schlecht vergleichen, da die Daten in den planwirtschaftlichen Statistiken bis 1990 wenig vergleichbar sind und die meist negativen neueren Einkommensdaten (nicht aufgenommen außer für Ungarn) vor allem die Effekte der Transformationskrise abbilden. Arme Mitgliedsstaaten der EU zeigen im Durchschnitt bessere Resultate, ohne die ostasiatischen Werte zu erreichen (mit Ausnahme Irlands seit 1985). Die Unterschiede innerhalb der Ländergruppen sind aber ebenfalls beträchtlich. Unter den ostasiatischen Ländern fallen die Philippinen deutlich ab. In Mittelamerika spielen politische Turbulenzen und - im Fall Mexikos - der Ölpreis eine gewichtige Rolle. Die Veränderungen des Ölpreises sind auch für Wachstum und Krise in Algerien mitverantwortlich. Das Beispiel Griechenland zeigt, daß auch ein EU-Beitritt keine Garantie für Wachstum ist. Die Unterschiedlichkeit der nationalen Entwicklungen belegt, daß die internationalen Rahmenbedingungen und der auswärtige Einfluß durch Gewährung von Marktzugang, Hilfe oder Investitionen keine entscheidenden Variablen darstellen. Sie unterstützen Entwicklungsprozesse, die unter geeigneten inneren Bedingungen erfolgreich verlaufen, aber ohne diese inneren Voraussetzungen schaffen sie kein Wachstum - abgesehen vielleicht von reinen Rohstoffökonomien, deren Volkseinkommen ganz überwiegend dem Verkauf von Öl oder anderer Naturprodukte entspringt. Wettbewerbsstarke Ökonomien ziehen auch ohne Förderprogramme der Geberstaaten Kapitalinvestitionen an und gewinnen Absatzmärkte. Gemessen an der Entwicklung der jeweiligen Peripherie war der ostasiatische Raum mit Abstand der erfolgreichste. Auch Japan selbst hatte - mit Ausnahme der 90er Jahre - höhere Wachstumsraten als die EU oder die USA. Die Erfolge der ostasiatischen Tiger waren ebenfalls primär ihrer eigenen Politik und nicht der Japans zu verdanken. Geographie, Größe, Ressourcenausstattung, ganz zu schweigen von politischen und gesellschaftlichen Faktoren haben dazu geführt, daß die "Tiger" unterschiedliche Entwicklungsstrategien verfolgt haben. Trotzdem läßt sich aus ihren Erfahrungen ein Policy Mix destillieren, den zwar kein Land in dieser reinen und vollständigen Form angewandt hat, der aber am ehesten Chancen für eine nachholende Entwicklung und Modernisierung bietet. Diese erfolgreiche Entwicklungspolitik weist folgende Komponenten auf:
Die meisten armen Länder würden derartige Politiken nur nach erheblichen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen verfolgen. Unterentwicklung ist vor allem ein Produkt mächtiger Interessen, besonders der privilegierten Eliten und Staatsklassen, die von ihr profitieren. Politische und ökonomische Liberalisierung kann diese Vermachtung der Märkte aufbrechen, kann aber zunächst auch dazu führen, daß die alten Eliten nur die neuen Spielräume nutzen, um die letzten Schutzräume der ärmeren und schwächeren Bevölkerungsteile aufzubrechen. Demokratisierung schafft die Möglichkeit, Eliten zu kontrollieren und Wachstumsgewinne gleichmäßiger zu verteilen. Letztlich hängt die Regierungsqualität aber davon ab, wie sehr der politische Prozeß und die Verwaltung vor der Dominanz von Einzelinteressen geschützt werden können und dadurch in der Lage sind, Eigentumsrechte zu sichern und einen geregelten Wettbewerb zu organisieren. Aber auch eine entwicklungsorientierte Wirtschaftspolitik ist keine absolute Erfolgsgarantie. Die Probleme vieler Länder, wie die Mexikos 1994, einiger südostasiatischer Länder und Tschechiens 1997, zeigen, daß auch der Erfolg außenwirtschaftliche Probleme mit sich bringen kann, deren Lösung durch rein nationale Maßnahmen nur schwer möglich ist, auch wenn eine andere nationale Politik (z.B. rechtzeitige Abwertung) in der Lage gewesen wäre, die Krise zu vermeiden oder doch abzuschwächen. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998 |