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Teildokument zu: Modell Neuseeland?


1. Krise und Reformnotwendigkeit

Seit dem zweiten Weltkrieg fiel Neuseeland in der Rangliste der reichsten Länder immer weiter zurück - vom dritten Platz 1955 auf den 16. Rang 1984. Diese relative Schwäche ging aber bis zur Ölkrise von 1973 noch mit einer insgesamt befriedigenden Entwicklung (mäßiges Wachstum, kaum Arbeitslosigkeit, keine großen Ungleichgewichte) einher, obwohl auch in dieser Zeit Neuseeland schon eine hoch regulierte und geschützte Wirtschaft aufwies. Die anschließende Periode von 1973 bis 1984 brachte jedoch eine massive Zuspitzung der Krise. Das Wachstum ging stark zurück, die Inflation erreichte zweistellige Höhen, die Arbeitslosigkeit wuchs auf von unter 1% (bis 1977) auf 5% (1984), die Defizite im Staatshaushalt und in der Zahlungsbilanz erreichten kaum mehr finanzierbare Ausmaße.
Äußere Schocks lösten die Krise aus: die Ölkrise und der zunehmende Verlust des britischen Markts für die existentiellen Agrarexporte nach dem EU-Beitritt Großbritanniens 1973. Aber diese Schocks enthüllten nur die innere Schwäche und Anpassungsunfähigkeit der neuseeländischen Wirtschaft. Die Wirtschaft litt schon lange unter einer sehr niedrigen Produktivität, die für das schwache Wachstum trotz hoher Investitionen verantwortlich war. Offensichtlich konnte die regulierte und geschützte Wirtschaft ihr Kapital nicht effizient einsetzen.
Die Wirtschaftspolitik der neuseeländischen Regierungen verschärfte die Krise erheblich. Die 1972 gewählte Labourregierung verlor 1975 angesichts der Rezession die Macht. Die sie ablösende Regierung der konservativen National Party unter Premierminister Muldoon, die mit abnehmenden Mehrheiten bis 1984 regierte, setzte auf eine keynesianisch inspirierte, interventionistische Politik schuldenfinanzierter Großprojekte zur Wiederherstellung von Wachstum und Beschäftigung. Diese Projekte stießen auch auf den Widerstand von Gruppen, die die Interessen der Maori-Bevölkerung und des Umweltschutzes vertraten. Die Regierung Muldoon behielt dabei den Protektionismus bei, der die neuseeländische Wirtschaft relativ isoliert hatte. Diese Strategie führte zu immer höheren Schulden, Importen und Preissteigerungen, ohne die erstrebten Wirkungen zu erzielen. Zuletzt versuchte Muldoon, der gleichzeitig auch Finanzminister war, mit Lohn- und Preiskontrollen die Inflation in den Griff zu kriegen.
Am Vorabend der Wahlen von 1984 steckte das Land in einer Sackgasse: Das Zahlungsbilanzdefizit hatte 10% des BSP erreicht; die Währung mußte immer wieder abgewertet werden; das Haushaltsdefizit betrug über 8% des BSP; die Staatsschulden waren auf über 60% des BSP angewachsen, davon etwa ein Drittel Auslandsschulden; die Arbeitslosigkeit war auf 5% gestiegen; die Inflation war nur künstlich unter 1o% gedrückt. Die bisherige Politik hatte versagt und war an ihre Grenzen gekommen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | März 1998

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