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Trauerfeier für Fritz Heine (1904 - 2002) in der Friedrich-Ebert-Stiftung : Bonn am 15. Mai 2002 / [hrsg. von Dieter Dowe] - [Electronic ed.] - Bonn, 2002 - 32 S. : Ill. = 41 KB, Text & Image files - ISBN 3-89892-087-9
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2002.

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT


[Seite der Druckausg.: 1 – 4 = Titelseiten]
[Seite der Druckausg.: 5]


Foto auf Seite 5 der Broschüre

[Seite der Druckausg.: 6-7]

Lebenslauf

FRITZ HEINE

1904

geboren am 6. Dezember in Hannover

1922

Eintritt in die SPD

1925

Beginn eines Volontariats beim SPD-Parteivorstand

1929

Technischer Leiter der Werbeabteilung

1933

Emigration nach Prag

1933-36

Koordinator der sozialdemokratischen Widerstandsaktivitäten im Reich

1938

Umzug nach Paris

1939

Kooptierung in den SPD-Parteivorstand

1940

Flucht nach Marseille, wo Heine als Fluchthelfer tätig ist

1941

Flucht über Lissabon nach London

1942-45

Mitarbeit beim Political Intelligence Department (PID)

1946

Rückkehr nach Deutschland und Wahl in den geschäftsführenden SPD-Parteivorstand (bis 1958)

1958

Ernennung zum Direktor der "Konzentration GmbH"

1961

Heirat mit seiner langjährigen Lebensgefährtin Marianne Schreiber

1971-90

Mitglied des Vorstandes der Friedrich-Ebert-Stiftung

1974

Ausscheiden aus der "Konzentration GmbH"

1981

Ausscheiden als Treuhänder des SPD-Vermögens

1987

Verleihung der höchsten Auszeichnung, die Israel an Nichtjuden vergibt: "Gerechter der Völker"

1990

Ehrenmitglied des Vorstandes der Friedrich-Ebert-Stiftung

1990

Verleihung des Großen Verdienstkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland

2001

Ehrenbürger der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg

2001

Verleihung des Sterns zum Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland

2002

gestorben am 5. Mai in Zülpich


[Seite der Druckausg.: 8]


Foto auf Seite 8 der Broschüre

    Musikalische Eröffnung: Manfred Leverkus, 1. Violine; Ulrike Küßner, 2. Violine; Elke Weinmann, Viola; Volker Mettig, Cello

[Seite der Druckausg.: 9 = Inhaltsverzeichnis ]

Inhalt

Ansprachen

Holger Börner
Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung

Dr. h.c. Annemarie Renger
Präsidentin des Deutschen Bundestages a.D.

Staatsminister a.D. Dr. Diether Posser

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[Seite der Druckausg.: 10]


Foto auf Seite 10 der Broschüre

[Seite der Druckausg.: 11]

Holger Börner

Vorsitzender
der Friedrich-Ebert-Stiftung

Liebe Angehörige der Familie Heine,
meine Damen und Herren,
liebe Freunde,

wir sind zusammengekommen, um Fritz Heines zu gedenken, der nicht mehr unter uns ist.

Am Abend des 5. Mai 2002 ist er im Alter von 97 Jahren verstorben.

Mit ihm ist eine der letzten Persönlichkeiten der alten deutschen Arbeiterbewegung von uns gegangen.

Wir alle spüren: Dies ist ein Einschnitt – für die sozialdemokratische Bewegung, aber auch für unsere Stiftung.

Wir verlieren mit ihm einen treuen Freund und Weggefährten.

Seit der Stiftungsgründung im Jahre 1925 hat er die Stiftung begleitet: Gemeinsam mit Alfred Nau und Willi Eichler hat er sie nach dem Krieg wiederbegründet, über Jahrzehnte als Vorstandsmitglied gewirkt und seit 1990 als Ehrenmitglied.

In dieser Stunde des Abschieds wird uns allen noch einmal deutlich wie selten zuvor, was er für uns bedeutete, wie er unsere Arbeit beeinflusst, mitgestaltet und gefördert hat über Jahrzehnte hinweg.

Am besten kann man es so ausdrücken: Fritz Heine hat unserer Stiftung gedient.

Ich glaube, dass dies ein treffender Ausdruck für seine Grundhaltung war, mit der er sich eingebracht hat.

Dienen, selbstlos wirken und sich den Menschen zuwenden – das ist heute immer seltener geworden.

[Seite der Druckausg.: 12]

Fritz Heine sah sich den Sachaufgaben verpflichtet – seine Person selbst aber wollte er nie im Vordergrund sehen.

Er wollte nicht nach außen wirken, sich profilieren und vordrängen, sondern sich einfach nur in den Dienst der sozialdemokratischen Idee stellen. Ihr widmete er sich mit all seinen Kräften und ohne Vorbehalte.

Dafür lebte er, dem blieb er treu bis zu seinem Tod.

Unerschütterlich war seine Haltung während der Nazidiktatur. Er ging mit dem Parteivorstand ins Exil, nach Prag, Paris und London. Von dort aus beteiligte er sich am Widerstand gegen das Hitlerregime.

Unvergessen ist seine Hilfe in Marseille für viele von den Nazis politisch und rassisch Verfolgte, denen er so das Leben retten konnte.

Er wurde von Yad Vashem als "Gerechter der Völker" ausgezeichnet – für einen Deutschen außergewöhnlich.

Fritz Heine dachte an seine eigene Sicherheit immer zuallerletzt: Statt ins damals sichere Amerika auszureisen, entschied er sich für die Weiterführung des politischen Kampfes von England aus.

Er gehörte zu den Menschen, die in schwerer Zeit für ein "anderes Deutschland" standen. Für unser Land erwarb er so moralisches Kapital, das andere verbrecherisch verspielt hatten.

Männer wie er trugen entscheidend dazu bei, dass ein demokratisches Deutschland entstehen konnte.

Dazu gehörten für Fritz Heine und andere auch Idee und Auftrag unserer Stiftung.

Aus der bitteren Erfahrung des Scheiterns der Weimarer Republik und des verbrecherischen Nazi-Regimes setzten sie sich zum Ziel, einen wirksamen Beitrag zu leisten zur politischen Kultur im demokratischen Staat durch Erziehung zu Toleranz, freiheitlicher Gesinnung und Demokratie.

[Seite der Druckausg.: 13]

Fritz Heine verstand dies als dauerhafte Aufgabe, weil jede Generation für die Demokratie neu gewonnen werden müsse.

Viele neue Stiftungsaufgaben kamen im Laufe der Jahrzehnte hinzu, vor allem auch die Entwicklungszusammenarbeit, die Solidarität mit den Ländern des Südens, später der Transformationsprozess in Osteuropa.

Fritz Heine hat sich über eine lange Zeitspanne im Vorstand unserer Stiftung mit ganzer Kraft für diese Aufgaben eingesetzt – unaufdringlich, aber nachdrücklich und beharrlich.

Vor allem hat er sich mit den finanziellen Rahmenbedingungen der Stiftungsarbeit befasst und so wesentlich zu dem beigetragen, was der Stiftung heute möglich ist.

Sein besonderes Augenmerk galt dabei immer wieder Menschen in Not, Verfolgung und Emigration.

Politik braucht Vorbilder – er gehörte dazu. Das, was er sagte und meinte, das lebte er auch.

Sein Rat und das Beispiel, das er gab – sie werden der Stiftung fehlen. Aber wir werden in seinem Sinne weiter wirken. Er hat sich um unsere Stiftung in außergewöhnlicher Weise verdient gemacht.

[Seite der Druckausg.: 14]

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Foto auf Seite 14 der Broschüre

[Seite der Druckausg.: 15]

Dr. h.c. Annemarie Renger

Präsidentin des Deutschen
Bundestages a.D.

Verehrte Trauergemeinde,

Fast ein Jahrhundert hat Fritz Heine sein Leben der Politik, dem Aufstieg seiner Sozialdemokratischen Partei, gewidmet. In dieser Stunde des Abschieds gibt es nun keine gleichaltrigen Freunde mehr, die sein Leben und sein Wirken aus seiner langen Lebenszeit heraus beurteilen und bewerten können. Aber diejenigen, die Fritz Heine beim Neubeginn deutscher und sozialdemokratischer Politik begleitet haben, wissen, wieviel Anteil Fritz und seine Freunde, die aus der Emigration nach Deutschland zurückgekommen sind, an der Erneuerung und Festigung der Demokratie in Deutschland hatten.

Ich denke daran, wie damals, im Oktober 1945, einige Emigranten aus London an der Konferenz in Wennigsen teilgenommen haben – der berühmten Konferenz, die sehr schnell zeigte, dass es zwei Entwicklungen der Sozialdemokratischen Partei in Deutschland gab. Die einen kamen aus dem Westen, waren in der Emigration gewesen, die anderen hatte das Schicksal unter die sowjetische Besatzungsmacht verschlagen. Beides wirkte sich erheblich aus.

Diejenigen, die aus der Emigration gekommen waren, Erich Ollenhauer, Fritze Heine, Erwin Schoettle, Friedrich Stampfer und Willi Eichler, um nur einige Namen zu nennen, waren sich ganz schnell einig mit dem führenden Kopf der Sozialdemokratischen Partei im Westen, mit Kurt Schumacher. Und es war unglaublich erstaunlich, in welcher Weise diese Männer – Herta Gotthelf war noch nicht dabei – übereinstimmende Auffassungen darüber gehabt haben, was zu tun war, um Deutschland in

[Seite der Druckausg.: 16]

ein demokratisch zu ordnendes Europa einzubringen. Auch in der Abwehr kommunistischer Machtansprüche gab es keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen. Auch nicht darüber, dass die alten Gräben zwischen der SPD und den abgespaltenen Parteien und Gruppierungen unter den neuen Bedingungen einzuebnen waren.

Aus dem Nichts heraus, ohne größere finanzielle Mittel, in einem geistig und politisch zerstrittenen Land, das eine neue demokratische Orientierung brauchte, musste etwas Neues geschaffen werden, das den Älteren ein Umdenken abverlangte und den Jungen Zuversicht in die Zukunft bieten musste.

Und es waren die Emigranten, die für all die Emigranten gesprochen haben, die nach 1933 flüchten konnten oder mussten und von draußen versucht haben, sozialdemokratische Politik weiterzuführen, den Verhältnissen anzupassen, die Weltöffentlichkeit über die Verbrechen der Nazis zu informieren, und die sofort, als sie gerufen wurden, kamen, um Eindrücke von draußen nach drinnen weiterzugeben. Sie stießen bei denen, die hier geblieben waren, die in den Konzentrationslagern gewesen waren, auf dasselbe Interesse und auf dieselbe Sprache.

Ich hatte das große Glück, nur etwas später, im Oktober 1945, an der Seite von Kurt Schumacher stehen zu können und dieses unmittelbar zu erleben.

Es war ein Gefühl: "Wir sind wieder zu Hause", als sie im Februar 1946 vor dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei wieder hier waren. Und sie waren nun wirklich zu Hause. Sie haben die ganze Zeit dafür gekämpft, dieses Deutschland zu erneuern und es wieder in die große Familie der internationalen Demokratie und der internationalen Sozialdemokratie einzuführen.

Fritz Heine hat an dieser Aufgabe entscheidend mitgewirkt. An der Seite von Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer hat Fritz Heine mit seiner Kenntnis der internationalen Zusammen—

[Seite der Druckausg.: 17]

hänge und Personen und seinen Fähigkeiten auf dem Gebiet der öffentlichen Meinungsbildung und einer unabhängigen Presse sehr viel zur Demokratisierung beigetragen.

Es war ein Aufbau, bei dem sie mit dem ganzen Herzen dabei waren. Es war eine Zeit, wo keiner an sich dachte, sondern nur daran, Deutschland, das in der Nazizeit doch wirklich deformiert worden war und Schlimmeres, wieder einzuführen in die große Demokratie, für die sie ja gekämpft hatten.

Das Unglaubliche war: Die Sozialdemokratische Partei, die sich bis 1933 zerstritten hatte – es war kaum zu begreifen, um welche Nuancen man sich gestritten hatte –, hat sich zusammengefunden, ob das der ISK war, die SAP war, das Neu beginnen war.

Es war eine große Familie der Sozialdemokraten. Diese Partei, die Grundlage für die Demokratie in unserem Lande war vor 1933, sollte es nach 1945 wieder sein. Und Fritz Heine stand dabei an vorderster Stelle neben Kurt Schumacher und Erich Ollenhauer, ihnen menschlich eng verbunden.

So wie Fritz Heine nach 1933 Kurierdienste aufgenommen hatte und an den Stationen Prag, Paris, Marseille, London sich in größter Gefahr befindenden Freunden geholfen hatte, sich in Sicherheit zu bringen nach Amerika und in andere aufnahmebereite Länder, so stellte er sich nach 1945 ganz in den Dienst des Wiederaufbaus der Parteiorganisation, der Presselandschaft, der Kommunikations- und Informationspolitik. Seine internationalen Verbindungen waren für diese Arbeit ein hervorragendes Fundament.

Fritz gehörte also in die Reihe der wichtigsten Figuren in der Frühzeit der SPD mit Erich Ollenhauer, Waldemar von Knoeringen, Willi Eichler und er hatte Verbindungen zu den wichtigen Persönlichkeiten in Skandinavien wie auch in anderen Teilen der Welt.

[Seite der Druckausg.: 18]

Welche Lebensspanne umfasste Fritz Heines Leben, von 1904 bis 2002, und was für ein erfülltes Leben war es, und wie bescheiden, offen und hilfsbereit war er bis zu seinem Tod!

Bis zuletzt waren wir, Irene Thomas und ich, des öfteren – natürlich nicht oft genug – bei ihm in seinem Haus in der Eifel. Er war bis zuletzt bei klarem Verstand. Er hatte Zahlen im Kopf, die wir nicht beherrschten. Es war ein Genuss, wenn man ihm einen Brief schrieb. Man bekam prompt eine Antwort – nicht von jedem bekommt man eine Antwort. Heute schon gar nicht. Und diese Briefe hatten Substanz. Es gab immer eine kluge Überlegung, eine erhellende Meinung, eine Hilfe für eine konkrete Situation. Wo haben wir das heute noch, dass wir so eng beieinander sind, wie damals mit unseren Freunden, die Deutschland zusammen wiederaufbauen und neu bauen wollten.

Die Männer und Frauen, und Herta Gotthelf habe ich schon einmal anklingen lassen, haben auch für die Emigration überall gesprochen. Denn es waren viele, die nichts anderes im Sinn hatten, als nach Deutschland zurückzukommen und zu helfen. Viele sind gekommen, aber nicht alle konnten kommen. Ich möchte das ausdrücklich betonen, dass es kein Auseinanderleben gegeben hat zwischen denen, die draußen gewesen, und denen, die drinnen geblieben waren. Sie alle wollten nur alles besser machen, als es gewesen war, sie wollten die Fehler, die die Sozialdemokratie bzw. die Reichstagsfraktion in der Weimarer Republik gemacht hatte, natürlich nicht wiederholen.

Meine Damen und Herren, viele von Ihnen haben das ja vielleicht mitverfolgen können. Es wurden doch wieder Fehler gemacht. Es wurden dann natürlich personelle Fragen gestellt, und die betrafen auch Fritz Heine. Dieser Fritz Heine hatte die Aufgabe, seine Partei in Deutschland und weltweit publizistisch zu vertreten und Interesse für sie zu wecken, und seine internationalen Erfahrungen haben dazu beigetragen, dass er überall auch Ansprechpartner hatte.

[Seite der Druckausg.: 19]

Das wäre ohne die Erfahrungen Fritz Heines und der übrigen Emigranten gar nicht so einfach gewesen. Denn die in Deutschland Gebliebenen hatten nur sehr eingeschränkt die internationale Politik beobachten und erst recht keine internationalen Verbindungen pflegen können, hielten sie sich doch bis 1945 im Untergrund, saßen in den Konzentrationslagern und in den Gefängnissen, steckten im berühmt-berüchtigten Bataillon 999. Man hatte nur noch wenig Überblick über die großen internationalen Entwicklungen, und die alten Sozialdemokraten, aus einer Familie, aus der ich komme, wo trafen sie sich, meine Damen und Herren? Auf den Friedhöfen. Wieder war einer weg von der alten Garde! Das war am unauffälligsten, sich da zu treffen. Aber all diese Probleme im Kopf zu haben und daraus nicht nur die alte, sondern eine neue Sozialdemokratische Partei zu bauen, dazu hat Fritz Heine mit hervorragenden Leistungen beigetragen.

Es blieb natürlich nicht aus, dass die Partei sich veränderte, dass die Gesellschaft sich veränderte seit dem großartigen ersten Nachkriegsparteitag von 1946 in Hannover, bei dem der linke Labour-Abgeordnete Fenner Brockway geradezu hingerissen war von Kurt Schumacher und der neuen Sozialdemokratischen Partei. Die Verhältnisse waren aber nicht so, wie wir uns das gedacht haben. Wir haben uns mit unseren Vorstellungen gegen die Konservativen nicht durchsetzen können, und auch die Besatzungsmächte haben nicht auf unserer Seite gestanden, wie wir erhofft haben. Das hat mit dazu geführt, dass wir nicht an die Regierung kamen, sondern in die Opposition gingen, und dass die Bundesrepublik sich anders entwickelte, als wir ursprünglich intendiert hatten. Wir wissen, Politik ist ein hartes Geschäft. Nur der Sieger gilt etwas – meistens nur für kurze Zeit –, für den Verlierer sucht man einen Sündenbock.

Das Jahr 1958 verlangte nach einer Neuorganisation und Veränderung des Parteivorstandes bzw. Ablösung des Ge-

[Seite der Druckausg.: 20]

schäftsführenden Vorstandes durch ein Präsidium und nach neuen Zuständigkeiten. Der alte Vorstand existierte nicht mehr und Fritz Heine wurde nicht mehr in dieses neue Gremium hineingewählt. Er selbst sagte später, dass er darüber sehr betroffen war.

Der Parteitag 1958 in Stuttgart war der Parteitag, auf dem ein Neubeginn versucht wurde. Ein Parteitag, der denen, die den Anfang gemacht hatten nach 1945, vielleicht nicht gerecht geworden ist in der Beurteilung der zu bewältigenden Schwierigkeiten. Aber die alte Garde um Erich Ollenhauer und Fritz Heine musste sich damit abfinden, dass neue, nachwachsende, jüngere Sozialdemokraten, nicht alle waren jünger, aber neu im Geschäft der Führung der Partei, andere Vorstellungen hatten.

Auch wenn die Abwahl aus dem Parteivorstand dem Fritz weh getan hat, hat er doch nicht aufgegeben. In der Leitung der "Konzentration" hat er sein Bestes getan. Das ist hier schon erwähnt worden. Darüber hinaus war er zwar im lauten öffentlichen Leben nicht mehr gegenwärtig, aber sehr wirkungsvoll hinter den Kulissen. Und vor allem war er für seine politischen Freunde immer noch und allezeit da.

Er war einfach ein lebendiger Mensch, der nie aufgegeben hat, an seiner Schreibmaschine sitzend, dort in dem Haus in Münstereifel, das er sich mit Marianne erarbeitet und erworben hatte, mit dem Bücherregal durch das ganze Zimmer, wo er immer wieder sofort up to date war, einfach bis zuletzt. Ich freue mich eigentlich, dass es so ein erfülltes Leben gegeben hat, und ich bin wie Sie alle dankbar dafür:

Wir haben Fritz Heine sehr für sein Lebenswerk, das er absolut der Partei und unserem Land gewidmet hat, zu danken. Er hat dazu beigetragen, dass in frühester Zeit zusammen mit Kurt Schumacher und anderen Sozialdemokraten die SPD für nationale Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Politik eingetreten ist.

[Seite der Druckausg.: 21]

Die SPD, die die Wiedervereinigung Deutschlands als dauerhaftes Friedenselement in Mitteleuropa begriffen hatte und bis heute das weitere Zusammenwachsen zwischen West und Ost als ihre Aufgabe sieht, braucht Menschen, braucht Europäer wie Fritz Heine, braucht Personen, die der Sache dienen.

Ich freue mich auch darüber, wie man Fritz Heine zum Schluss geehrt hat, das hat auch ihm gefallen. Und ich darf einen Brief vorlesen, den er mir am 22. Januar 2002 geschrieben hat:

    Liebe Annemarie,

    mit Überraschung und sehr großer Freude empfing ich einen längeren Brief von Holger Börner.
    Seine Mitteilung, dass auf Deine Anregung hin von der [Friedrich-Ebert-]Stiftung beschlossen wurde, einen Solidaritätsfonds (mit meinem Namen) zu gründen, und dass sie diesen Fonds aus ihren eigenen Mitteln mit einem Startkapital von DM 100.000,- ausgestattet hat.
    Das hat mich ganz außerordentlich berührt. Mir fehlen die Worte und die Möglichkeiten auszudrücken, wie sehr mich diese Anregung und diese Entscheidung berührt hat.
    Ich muss mich zumindest zunächst darauf beschränken, Dir für diese Anregung und der Stiftung für ihre Entscheidung ganz, ganz herzlich zu danken.
    Sehr hoffe ich, dass Deine Idee erheblich dazu beiträgt, dass jungen Menschen geholfen wird. Wir wissen, wie groß vie-

    [Seite der Druckausg.: 22]

    lerorts die Not ist. Deine Idee wird helfen, in manchen "Fällen" effektive Hilfe zu bringen.

    Sehr, sehr herzlich!
    Dein
    Fr. Heine

Ich meine, das war ein schöner Abschluss seines aufopferungsreichen, seines erfüllten Lebens. Wir sollten seiner so gedenken, dass er bis zum Schluss gerne gelebt, gerne gearbeitet hat und dass für ihn diese Partei seine politische Heimat bis zum Schluss war.


[Seite der Druckausg.: 23]

Noch zu Fritz Heines Lebzeiten hat die Friedrich-Ebert-Stiftung einen Fritz-Heine-Fonds im Solidaritätsfonds für ausländische Studierende in Not, Verfolgung und Emigration eingerichtet.

Spenden zum Gedenken an Fritz Heine werden erbeten auf das Konto Nr. 1010606211, SEB-Bank Bonn (BLZ 380 10 11).


[Seite der Druckausg.: 24]

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Foto auf Seite 24 der Broschüre

[Seite der Druckausg.: 25]

Dr. Diether Posser

Staatsminister a.D.

Verehrte Familie Heine, liebe Freunde,

mit Fritz Heine verliert die deutsche Sozialdemokratie einen Mann, der ihr über fast acht Jahrzehnte die Treue gehalten hat. 1922 trat der damals 18-jährige Fritz Heine in die SPD ein.

Schon früh stellte er seine Fähigkeiten ganz der politischen Arbeit zur Verfügung. Seinen Beruf als gelernter Versicherungskaufmann hat er nur kurze Zeit ausgeübt. 1925 begann er ein Volontariat beim Parteivorstand in Berlin, 1929 wurde er technischer Leiter der Werbeabteilung.

Für Fritz Heine war das damals mehr als Beruf. Es war seine Berufung.

Zeit seines Lebens blieb er den sozialdemokratischen Idealen Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität verpflichtet. Sein Lebenswerk ist geprägt durch den unermüdlichen Einsatz für die Durchsetzung dieser Werte, gerade auch in Zeiten, in denen Standhaftigkeit eine ganz besondere – und eine besonders seltene – Tugend war.

Fritz Heine war stets ein standhafter und wehrhafter Mensch. Er verkörperte in besonderem Maße, worauf wir Sozialdemokraten mit Blick auf unsere Geschichte immer wieder verweisen und stolz sein können:

Stolz darauf, einer menschenverachtenden Diktatur widerstanden zu haben, die alles daran setzte, Meinungsvielfalt gleichzuschalten und den politischen Gegner zu vernichten.

Fritz Heine war ein Widerständler, der still und ohne viel Aufhebens, aber mit großer Wirkung seiner Überzeugung folgte.

Er hat immer seiner Partei gedient, wohin sie ihn auch rief und vor welche Aufgaben sie ihn auch stellte.

[Seite der Druckausg.: 26]


Foto auf Seite 26 der Broschüre

    Die Vertreterin des Präsidiums der SPD, die Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier und der Geschäftsführer der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft Gerd Walter



Für seine Jahre im Exil hieß das für ihn:

  • Organisationsarbeit unter schwersten Bedingungen in Prag, Paris, Marseille, Lissabon und London;

  • Kontakthalten zu den verstreuten Widerstandsgruppen im Dritten Reich und, solange es ging, auch Reisen nach Deutschland mit falschen Papieren und mit dem ständigen Risiko, jederzeit von der Gestapo verhaften werden zu können und sein Leben zu verlieren.

  • Vorbereitung und Durchführung von Aktionen wie beispielsweise die Kampagne zur Verleihung des Friedensnobelpreises an Carl von Ossietzky, die Fritz Heine über seine

[Seite der Druckausg.: 27]

    Kontakte zu den Quäkern in England und zu Willy Brandt in Skandinavien unterstützte.

  • Und ich erinnere an sein mutiges Ausharren in Marseille. Dort half er vor allem jenen Flüchtlingen, die sonst als Juden überhaupt keine Chance mehr gehabt hätten, sich dem Zugriff der Verfolger zu entziehen.
    Ausgezeichnet wurde er dafür als "Gerechter der Völker" (Yad Vashem). Dies ist wie ein Nobelpreis für bewiesene Menschlichkeit unter eigener Lebensgefahr.

Sozialdemokratischer Widerstand gegen das Nazi-Regime:

  • Das war der Versuch, persönliche Verbindungen aufrecht zu erhalten und, soweit es möglich war, mit anderen Gruppen in Deutschland und im Exil in Kontakt zu bleiben.

  • Es war der Versuch, dem allgegenwärtigen Propagandaapparat des Regimes politische Aufklärung entgegen zu halten und Informationen über die tatsächliche Situation in den Betrieben zu sammeln und sie auch in den sogenannten SoPaDe-Berichten in Deutschland zu verbreiten.

  • Und es war letztlich auch der Versuch, Vorbereitungen für eine Zeit "danach" zu treffen, auch wenn viele eine Hoffnung, aber kaum jemand eine genaue Vorstellung darüber hatte, wie diese Zeit danach einmal aussehen könnte.

So wurde der sozialdemokratische Widerstand auch zu einer Art "Wartestand", aus dem heraus Tradition und Gesinnung gegen die Anmaßungen der nationalsozialistischen Diktatur bewahrt werden konnten.

Fritz Heine hat in dieser Zeit mit seinem persönlichen Einsatz bewiesen, dass dieser Widerstand vielleicht machtlos, aber in keinem Fall zwecklos war.

[Seite der Druckausg.: 28]

Fritz Heine war ein Mann der Tat. Das zeigte sich gerade in den Jahren des Widerstandes und des Exils. Wo immer es ihm möglich war, drängte er zur Aktion. Ungezählte Flugblätter und Spendenaufrufe gingen auf seine Initiative zurück. Wenn die Nachrichten aus Deutschland besonders niederdrückend ausgefallen waren, richtete er die Bedrückten auf. Von ihm ging Ermutigung und Zuversicht aus.

Fritz Heine war kein Mann, der aufgab. "Der Fritz", so schrieb Erich Ollenhauer 1942 in einem Brief an Fritz Stampfer, "kämpft noch immer für verstärkte Aktivitäten. Er glaubt, dass sich auch aus Magermilch Butter machen lässt, wenn man nur genug strampelt."

Fritz Heine stand gerade auch in der Zeit der Diktatur für die Grundlagen der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, für eine Welt, die geprägt war von Tradition und Milieu, von Pflichtbewusstsein und Disziplin, von Organisationstreue und auch von Organisationsstolz, die ihn äußere Anfechtungen bestehen ließen.

Aus dieser Überzeugung heraus hat Fritz Heine stets seiner Partei, der SPD, gedient, wo immer sie ihn brauchte. Dienen und Führen waren für ihn untrennbar miteinander verbunden.

Im Londoner Exil begann er, zusammen mit Erich Ollenhauer, Konzepte für eine neue SPD zu erarbeiten, für ein Nachkriegsdeutschland, für eine Zeit "danach", die sie ersehnten.

Programmatische Vorstellungen zu entwickeln, nach vorn zu blicken, das, wusste Heine, war nicht zuletzt nötig, um die organisatorische Spaltung der verschiedenen Exilgruppen zu überwinden und wieder etwas zu schaffen, das sie zusammenhalten konnte.

Mit ihren bereits im Exil formulierten Gedanken haben Erich Ollenhauer und Fritz Heine eine programmatische Debatte angestoßen, welche die Sozialdemokratie in der Nachkriegszeit später zum Godesberger Programm führte. Sich Gesellschaft und

[Seite der Druckausg.: 29]

Staat gegenüber zu öffnen, diese Notwendigkeit hat auch Fritz Heine unterstützt. Skeptischer war er jedoch bei der Orientierung zur Marktwirtschaft, sie hielt er – zumindest in den fünfziger Jahren – noch für einen großen Fehler.

Gemeinsam mit Erich Ollenhauer hat er manches von und für Godesberg vorbereitet, aber richtig ist auch, dass er wie wenige Andere im geschäftsführenden Vorstand ein Traditionalist war und die sogenannte "alte SPD" verkörperte.

Als verantwortlicher Wahlkampfleiter stand er, von Niederlage zu Niederlage mehr, in der öffentlichen und parteiinternen Kritik.

Oppositionsarbeit war für ihn immer Kampf um die Sache der Arbeiterbewegung. Und so zögerte Heine oft nicht, auf einen groben Klotz einen noch gröberen Keil zu setzen. Die Wähler honorierten das nicht, gegen Adenauer und eine damals modern erscheinende Volkspartei wie die CDU war so nicht anzukommen.

Heine wusste, dass er als Pressechef der damaligen SPD eine schwierige Aufgabe übernommen hatte und die Ideen und Ideale, für die er stand, zum damaligen Zeitpunkt schwer zu vermitteln waren. Er wusste auch, dass Erich Ollenhauer "keine Zugnummer" war, wie er sich später einmal einem Journalisten gegenüber äußerte.

Doch für Heine waren Treue, Loyalität und Disziplin wichtiger als die eigene Karriere. Hinzu kam, dass er mit der Kritik, die er auf sich zog, seinem Vorsitzenden den Rücken frei halten konnte.

Nach der Bundestagswahl von 1957 – mit ihrem für seine Partei abermals enttäuschenden Ergebnis – musste Heine als Pressechef ausscheiden. Fortan wartete eine nicht weniger schwierige Aufgabe auf ihn: die Rettung des sozialdemokratischen Presse-Imperiums als Chef der "Konzentration GmbH".

[Seite der Druckausg.: 30]

Wie immer man heute dazu stehen mag, dennoch gilt, was Kurt Eisner bereits 1914 erkannt hatte: Eine Zeitung, mit der man Geld verdienen will, lässt sich nicht auf die, wie er es formulierte, "Erfüllung einer Parteipflicht" gründen.

Und Eisner sollte Recht behalten: In den 16 Jahren als Direktor der "Konzentration GmbH" musste Fritz Heine eingestehen, dass ein parteigebundenes Presseimperium nicht zu halten war. Eine sozialdemokratische Zeitung nach der anderen wurde verkauft oder stellte ihr Erscheinen ein. Auch das Traditionsorgan, der "Vorwärts", war darunter, dem sich Fritz Heine fast 30 Jahre lang als Herausgeber besonders verbunden fühlte.

Ich weiß: Viele der Älteren denken an diese Zeit mit Wehmut zurück. Und doch muss man aus heutiger Sicht einräumen, dass dies eine Entwicklung gewesen ist, die nicht aufzuhalten war.

Fritz Heine hat sich mit bemerkenswertem Eifer und ganzem Einsatz – auch unter schwierigsten Bedingungen – für die sozialdemokratischen Grundwerte eingesetzt. Bis zuletzt war er Mitglied des Seniorenrates der SPD und stand seiner Partei mit Tatkraft zur Seite. Ich erinnere mich gerne an einen Zeitraum von Jahrzehnten, dass wir bei Parteiratssitzungen, damals beide Gäste, neben einander saßen, er als Mitglied des Seniorenrates der SPD, ich als Vorsitzender der Bundesschiedskommission; von daher haben wir auch ein persönlich gutes, sehr gutes Verhältnis zueinander gefunden. Er war bei aller Überzeugung, dass die Sozialdemokraten den richtigen politischen Weg mit dem richtigen politischen Programm hätten, jemand, der dafür sorgte, dass auch Fernstehende gewonnen werden konnten für die SPD. Einer seiner großen Verdienste ist z.B., wenig bekannt, dass er derjenige war, der damals die Bemühungen unterstützte, mit großem persönlichen Einsatz, dass die Gesamtdeutsche Volkspartei, die besonders dem Gedanken der Wiedervereinigung Deutschlands verbunden war, Kontakte zur SPD bekam. Er sorgte persönlich dafür, dass Gustav Heinemann, auch das ein

[Seite der Druckausg.: 31]

Stück Parteigeschichte, 1958 auf einer Landesliste abgesichert wurde; denn die nordrhein-westfälische SPD hatte Heinemann nicht auf einen Listenplatz der nordrhein-westfälischen Liste setzen wollen, mit der Begründung: Er sei gegen die Sozialisierung des Ruhr-Bergbaus. Weil er sagte, es habe keinen Sinn, dass die staatliche Gemeinschaft sich mit einer auslaufenden Energie identifiziere, was die Staatskasse zuviel koste, womit er, wie wir alle wissen, schließlich Recht hatte. Aber das verübelten ihm die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten und Fritz Heine sorgte dafür, dass er Nr. 2 auf der niedersächsischen Landesliste war und als solcher 1958 erstmalig in den Deutschen Bundestag einziehen konnte. So war Fritz Heine.

Fritz Heine hat gezeigt, dass es sich immer lohnt, auch schwierige Wege zu gehen. Das ist die Erfahrung, die wir aus dem Lebenswerk von Fritz Heine gewinnen können.

Fritz Heine hat ein Leben geführt, das von außen betrachtet von tiefen Brüchen geprägt ist. Aber es war zugleich ein Leben von ganz ungewöhnlicher innerer Konsequenz und Konsistenz.

Im Mittelpunkt seines Lebens stand das Engagement für die Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Solidarität. Sie bilden die ideellen Grundlagen der Sozialdemokratie und waren für ihn stets Richtschnur für sein Denken und Handeln.

Wir verdanken Menschen wie ihm, dass wir es in Deutschland nach dem Krieg schaffen konnten, eine demokratische und auf innere und äußere Entspannung bedachte Gesellschaft aufzubauen.

Für sein Lebenswerk wurde Fritz Heine erst vor wenigen Wochen vom Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, mit dem "Großen Verdienstkreuz mit Stern" des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Im letzten Jahr wurde Fritz Heine von der Universität Oldenburg zum Ehrenbürger ernannt.

[Seite der Druckausg.: 32]

Fritz Heine stand für wesentliche Tugenden, die die Sozialdemokratie groß gemacht haben. Wir verlieren mit ihm einen treuen, bewährten Weggefährten und einen mutigen Kämpfer.

Er hat uns gelehrt, Rückschläge zu überwinden. Sein Mut und sein zielstrebiger Einsatz sollten uns stets Vorbild sein. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands wird Fritz Heine ein ehrendes Gedenken bewahren.


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