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[Seite der Druckausg.: 13]


Wolfgang Clement
Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen

Ansprache bei der Gedenkveranstaltung
der Friedrich-Ebert-Stiftung
aus Anlass des 100. Geburtstags von
Erich Ollenhauer
am 27. März 2001 in Bonn


I.

Wir wollen heute an Erich Ollenhauer erinnern, der auf den Tag vor 100 Jahren in Magdeburg geboren wurde und dessen Grabstätte auf dem Bonner Südfriedhof wir gerade besucht haben.

Ich überbringe die Grüße des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und ihres Vorsitzenden Gerhard Schröder, der heute leider nicht hier bei uns sein kann.

Mein besonderer Gruß gilt den Söhnen Erich Ollenhauers, Peter Ollenhauer und Hermann Ollenhauer und seiner Frau.

Fritz Heine, einer der engsten Weggefährten Erich Ollenhauers, kann heute leider nicht bei uns sein.

Ich grüße die Frauen und Männer der Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten. Sie sind heute zur Friedrich-Ebert-Stiftung nach Bonn gekommen, um ihrem alten Weg- und Kampfgefährten die Reverenz zu erweisen.

Danken möchte ich Holger Börner und der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sie setzen mit dieser Gedenkveranstaltung einen würdigen Rahmen, um an Erich Ollenhauer zu erinnern, an sein Wirken und Wollen in den Reihen der deutschen Arbeiterbewegung.

[Seite der Druckausg.: 14]


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[Seite der Druckausg.: 15]

Wir ehren heute einen Mann, der sich mit all seiner Kraft dafür eingesetzt hat, die Vision von einem Leben in Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität für alle Menschen Wirklichkeit werden zu lassen.

Erich Ollenhauer hat fast vier Jahrzehnte lang der Sache der sozialen Demokratie gedient und sich so um die Demokratie in Deutschland verdient gemacht.

II.

Zeiten des Glücks, so heißt es bei Hegel, seien leere Blätter in der Geschichte. Im Leben Erich Ollenhauers waren solche Zeiten tatsächlich eher die Ausnahme.

Er war 1918, mit 17 Jahren, in die SPD eingetreten, und er war fest davon überzeugt, dass die Zukunft dem demokratischen Sozialismus gehöre.

Gemessen daran war das, was alsbald danach kam, für ihn eine Kette von Enttäuschungen im Kleinen und von bitteren Niederlagen im Großen: der ideologische Streit und die Spaltung der Arbeiterbewegung, ihr Scheitern bei der Verteidigung der Weimarer Republik und dann Unterdrückung, Verfolgung und Exil in den Jahren der Nazi-Diktatur.

Doch Erich Ollenhauer resignierte nicht. Nicht 1933, als die Nationalsozialisten ihn und seine Familie ins Exil zwangen und ihn wenig später ausbürgerten. Auch nicht in den Kriegsjahren, als ihm in London endgültig klar wurde, dass nicht das deutsche Volk selber, wie er es lange Zeit gehofft hatte, sondern nur die Waffen der Alliierten der Barbarei in Deutschland und Europa ein Ende setzen würden.

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All das konnte Erich Ollenhauer in der Gewissheit nicht erschüttern, dass kein Verbot, keine Diktatur die Sozialdemokratische Partei vernichten könne.

Er glaubte fest an ihre bleibende Kraft und an den Auftrag der SPD, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in Demokratie zu verwirklichen. Und weil er daran glaubte, war er trotz aller Enttäuschungen und trotz aller Anfechtungen sein Leben lang ein ausgeglichener, ein zufriedener und wohl auch ein glücklicher Mensch.

Er lebte in und für seine Partei, in ihren Reihen fühlte er sich aufgehoben - so sehr, dass es von ihm kaum persönliche Zeugnisse gibt, weil ihm seine Person so gar nicht wichtig war.

III.

Doch wer in seinen Schriften und Reden nachliest, der bekommt mehr als eine Ahnung davon, was Erich Ollenhauer bewegte. Besonders deutlich wird das in der Rede, die er bei der Trauerfeier für Hans Vogel - nach dem Tod von Otto Wels der Führer der Exil-SPD - in London hielt.

Mit Fritz Heine und Erwin Schoettle war Erich Ollenhauer im Herbst 1945 in der britischen Besatzungszone bei Kurt Schumacher auf der Konferenz in Wennigsen. Dort erreichte sie die Nachricht, dass Hans Vogel in London gestorben sei. Zurück in London hielt Erich Ollenhauer die Trauerrede.

Er sprach über Hans Vogel, über seinen Glauben an Deutschland, über seine Treue zur sozialdemokratischen Bewegung und über sein Exil, über die zwölf Jahre, in denen Hans Vogel in Prag, Paris und London lebte, doch mit seinen Gedanken, mit seinem Willen und mit seiner Sehnsucht in Deutschland war.

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Erich Ollenhauer sprach in bewegten und bewegenden Worten von einem glücklichen Leben, und daraus wird wohl auch deutlich, was ihm selber Halt und Orientierung gab: „Es gibt für uns keine höhere Erfüllung in der kurzen Zeitspanne, die uns in dieser Welt zugemessen ist, als Arbeit, in der wir über uns selbst hinauswachsen können im Dienst einer großen menschlichen Aufgabe."

Und er sprach davon, dass sich für Hans Vogel nicht mehr erfüllen könne, was seinem Leben nach zwölf Jahren Exil wieder Sinn geben sollte: Von den Freunden aus Deutschland gerufen und dort gebraucht zu werden.

Aus derselben Überzeugung hat Erich Ollenhauer seiner Partei gedient, wohin sie ihn auch rief und vor welche Aufgaben sie ihn auch stellte:

als Sekretär ihres Jugendverbandes seit 1920 und als Sekretär der Sozialistischen Jugendinternationale seit 1921;
als Mitglied ihres Vorstandes 1933 und dann zwölf Jahre lang im Exil-Vorstand in Prag, Paris und London;
als Stellvertreter Kurt Schumachers seit 1946 und als sein Nachfolger im Amt des Vorsitzenden seit 1952;
als Führer der Opposition im Deutschen Bundestag und schließlich – wenige Monate vor seinem Tod – als Präsident der Sozialistischen Internationale.

In all diesen Funktionen ist Erich Ollenhauer dem Grundsatz treu geblieben, dass Dienen und Führen ein und dasselbe sind, jedenfalls darin, die Sache wichtiger zu nehmen als die Person.

Und er hat seine Arbeit getan mit jener lebensbejahenden Heiterkeit, von der Rosa Luxemburg einmal gesagt hat, sie zeichne die aus, die wissen, dass sie ihre Pflicht tun.

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Von heute aus gesehen war Erich Ollenhauer der letzte Vorsitzende der SPD, dem seine Partei Lebensinhalt und Vaterhaus zugleich war, wie es Otto Bauer einmal über die Generation von Sozialdemokraten gesagt hat, der Erich Ollenhauer angehörte.

Sein persönlicher Lebensweg war nahezu deckungsgleich mit dem politischen, organisatorischen und programmatischen Weg, den die SPD in den vier Jahrzehnten von der Weimarer Republik bis zum Godesberger Programm genommen hat.

IV.

Von Fritz Heine ist überliefert, dass sich Otto Wels kurz vor seinem Tod im Pariser Exil Erich Ollenhauer zu seinem Nachfolger gewünscht habe.

Niemals, so Wels, solle ein Mann die Partei führen, der nicht aus der Arbeiterschaft hervorgegangen sei. Und auf Ollenhauer bezogen, fügte er hinzu: „Der Junge muss aber noch viel lernen, viel lesen – und weniger Skatspielen. Aber er hat das Zeug zu führen." Skatspielen – das war offenbar die einzige Leidenschaft, die sich dieser ansonsten so ruhige und nüchterne Mann gönnte.

Erich Ollenhauer war der Sohn eines Maurers und einer Lohnbüglerin. Er wurde in eine Familie hineingeboren, die zur Gründergeneration der Magdeburger SPD gehörte. Für die Familie Ollenhauer waren Partei, Gewerkschaft, Genossenschaft und Arbeiterkulturbewegung eine Einheit und auch eine Gesinnungsgemeinschaft, in der sie sich aufgehoben fühlten. „Dem Erich", so seine Schwester Hilde im Rückblick auf die gemeinsamen Jugendjahre, „ist der Sozialismus wie die Margarine aufs tägliche Brot gestrichen worden."

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Otto Wels hatte Recht: Erich Ollenhauer war ein Sozialdemokrat „mit Stallgeruch", und er war ein Mann der Organisation, der entschieden für Organisationstreue, Disziplin und Geschlossenheit eintrat und der als Sekretär der Sozialistischen Jugendinternationale über beste Kontakte zu den europäischen Bruderparteien verfügte. Das sollte sich vor allem in den Jahren des Exils bewähren, als er zur „rechten Hand" von Otto Wels wurde.

Er war kein mitreißender Redner, kein Volkstribun, gewiss auch kein Parteitheoretiker, aber ein politischer Kopf, der ein sicheres Gespür dafür hatte, dass Organisationsfragen immer auch Machtfragen sind.

Nach den Abspaltungen der Linkssozialisten von der SPD suchte er - je länger die Emigration andauerte, desto intensiver - nach Wegen, um die organisatorische Einheit der demokratischen Sozialisten im Exil wieder herzustellen. Während des Krieges in London sollte er damit Erfolg haben.

Die Entkrampfung im Verhältnis der einst so verfeindeten Gruppen betrieb Ollenhauer mit großer Energie, mit taktischem Geschick und mit der ihm eigenen Kunst, das Notwendige auch möglich zu machen. Auf seine Initiative hin schlossen sich SAP, Neu Beginnen, der Internationale Sozialistische Kampfbund und der Exil-Vorstand der SPD zur „Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien" zusammen. Die Kommunisten gehörten nicht dazu. Trotz aller Einheitsfrontangebote machte er ihnen keine Konzession. Jedes Zusammenspiel „mit Moskau" war Erich Ollenhauer gleichbedeutend mit Unterwerfung, und seit dem Spanischen Bürgerkrieg erwartete er von dieser Seite nichts anderes als nackte Gewaltherrschaft.

Dass es zwischen Moskau, der KPD und später dann der SED auf der einen und den demokratischen Sozialisten auf der ande-

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ren Seite eine unüberwindbare Scheidelinie gab und geben musste, an dieser Überzeugung hielt Erich Ollenhauer bis zuletzt fest, und darin ließ er sich durch nichts und durch niemanden beirren.

Erich Ollenhauers Ziel war die politische Einheit der demokratischen Arbeiterbewegung. Sie galt ihm als Voraussetzung für jede weitere Diskussion über den künftigen Weg der SPD und damit auch über die Zukunft Deutschlands.

Im Londoner Exil wurde Erich Ollenhauer respektiert wegen seines unermüdlichen Fleißes und wegen seines Talents, auch gegensätzliche Kräfte und Gedanken zusammen zu fassen.

Ihm wuchs aber auch darum Autorität zu, weil er der Union eine programmatische Plattform gab, auf der man endlich die quälenden, weil fruchtlosen Debatten im Exil hinter sich lassen und den Weg in die Zukunft einer neuen Partei weisen konnte.

Für diese neue Partei forderte er „die Öffnung hin zu neuen Schichten der Bevölkerung", die Bereitschaft, „jegliche doktrinäre Enge zu überwinden", und die Toleranz „gegenüber weltanschaulichen, religiösen oder anderen philosophischen Motivierungen." Zugegeben, das klang noch sehr abstrakt und theoretisch. Aber was Erich Ollenhauer in London als Auftrag für die neue SPD in Deutschland formulierte, das war nicht mehr und nicht weniger als die Grundidee des Godesberger Programms.

Die Art und Weise, wie er in London die Auseinandersetzungen mit den Linkssozialisten beendete, die Union organisatorisch zusammenführte und ihr eine programmatische Grundlage gab, war eine bedeutende praktisch-politische wie intellektuelle Leistung, und – so wird man von heute aus urteilen können – sie war auch das Gesellenstück eines künftigen Parteivorsitzenden.

[Seite der Druckausg.: 21]

V.

Erich Ollenhauers Londoner Plädoyer für die Öffnung der SPD hin zur Volkspartei eilte der Wirklichkeit im Nachkriegsdeutschland weit voraus. Dafür gab es gute Gründe. Allem voran die tagespolitischen Aufgaben, die anstanden: Wiederaufbau der Parteiorganisation, die Überwindung der materiellen Not, der Aufbau staatlicher Strukturen und einer funktionstüchtigen Verwaltung und nicht zuletzt Wahlkämpfe in den Kommunen, in den Ländern und im Bund.

Für eine programmatische Neuausrichtung der SPD, die die Partei fester in Gesellschaft und Staat verankern sollte, blieb da wenig Zeit, zumal ja zunächst auch nicht klar war, was aus Deutschland werden würde.

Aber das ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite standen die Beharrungskräfte einer Parteiorganisation, die nahezu ungebrochen an die Strukturen und an das Selbstverständnis der Weimarer SPD anknüpfte.

Für viele Sozialdemokraten in Deutschland war Widerstand auch zu einem Wartestand geworden, aus dem heraus Tradition und Gesinnung gegen die Anmaßungen der nationalsozialistischen Diktatur bewahrt werden konnten. Ihr Selbstverständnis blieb geprägt von einem Traditionalismus, der bis in die Symbole hineinreichte, von einem Organisationsstolz, der ja auch Erich Ollenhauer bestimmte, und von einer milieugebundenen Eigenwelt, die ihren Mitgliedern Halt und Selbstbewusstsein gab.

All das machte die SPD aber zugleich schwer beweglich, sie wirkte doktrinär, und es setzte ihrem politischen Handlungsspielraum enge Grenzen. Diese Zwiespältigkeit von Milieu und Heimat, von Tradition und Bindung lebte auch nach 1945 wieder auf. Sie behinderte den Neuanfang, die überfällige Öffnung

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zur Gesellschaft. Jene Kräfte, die die SPD nach innen integrierten, isolierten sie zugleich nach außen. Das setzte sich nach 1945 so fort, wie es 1933 aufgehört hatte. Erich Ollenhauer bekam das am eigenen Leib zu spüren.

Zweimal trat er nach Kurt Schumachers Tod in den fünfziger Jahren als Kanzlerkandidat der SPD gegen Konrad Adenauer an. Jedes Mal blieb Adenauer Kanzler und die SPD im 30-Prozent-Turm förmlich eingemauert. Erst dieser Schock machte die SPD bereit zur programmatischen Neugestaltung. Mit „Godesberg" wurde sie 1959 zu einer modernen Volkspartei, die sich Gesellschaft und Staat gegenüber öffnete.

Godesberg konnte zum Markstein programmatischer Erneuerung werden, weil mit diesem Programm die ererbte moralische Substanz der Arbeiterbewegung und des demokratischen Sozialismus neu ins Bewusstsein gehoben wurde. Und vor allem auch, weil sich die SPD mit Godesberg von jedwedem geschichtlichen Determinismus abkehrte, damit den Marxismus beiseite schob und sich so zur Gesellschaft hin öffnete.

Ich bin sicher, die Trias der drei in Godesberg postulierten Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität wird auch im 21. Jahrhundert Bestand haben.

Erich Ollenhauer hat den Befürwortern von „Godesberg" in der SPD Rückhalt und Flankenschutz gegeben, vor allem den beiden intellektuellen Vätern des Programms, Willi Eichler und Heinrich Deist. Das war für die Durchsetzung des Godesberger Programms entscheidend.

Denn die Kräfte in der SPD, die Godesberg gegenüber skeptisch waren, die sogenannten Traditionalisten, hatten 1958/59 ja immer noch die Mehrheit in der Partei. Sie ließen sich nur mühsam von einem Programm überzeugen, in dem Vieles ausgelassen

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und abgeändert wurde, was seit Jahrzehnten gültig gewesen war. Erich Ollenhauer war für sie Garant dafür, dass man doch immer noch in ein und derselben sozialdemokratischen Partei war.

VI.

Heute ist es nicht mehr leicht zu vermitteln, was die Arbeit und das Wesen von Erich Ollenhauer geprägt hat. Vieles scheint wie versunken, für junge Menschen zumal.

Die großen Hoffnungen jener Zeit und auch die große Furcht, die sie prägte, wirken wie eine fast abgeschlossene Vergangenheit. Der erbitterte Kampf extremer Ideologien, in dem die Demokratie über Jahrzehnte nur mit äußerster Anstrengung ihren Platz behaupten und zurückerobern konnte, ist Vergangenheit.

Erich Ollenhauer war Politiker in einer Zeit, in der Politik buchstäblich eine Frage von Leben und Tod sein konnte. Vor diesem Hintergrund ist er ein außerordentlich „ziviler" Politiker gewesen und geblieben, der aller Radikalisierung widerstanden und seine humane Orientierung nicht verloren hat.

Männern wie Erich Ollenhauer verdanken wir, dass wir in Deutschland nach dem Krieg überhaupt noch über moralisches Kapital verfügten, auf dem und mit dem eine demokratische, auf innere und äußere Entspannung gerichtete Gesellschaft entstehen konnte.

Erich Ollenhauer verkörperte Tugenden, die die Sozialdemokratische Partei groß gemacht haben, die sie befähigten, Rückschläge und Tiefen zu überwinden und ihre Kraft in den Dienst des ganzen Volkes zu stellen.

[Seite der Druckausg.: 24]

Wenn in jüngster Zeit Angela Merkel, die Vorsitzende der CDU, der deutschen Sozialdemokratie ein „gestörtes Verhältnis zur Nation" glaubt vorwerfen zu dürfen, sogar ein „historisches Versagen der SPD", dann muss man ihr empfehlen, Erich Ollenhauer nachzulesen oder auch Kurt Schumacher oder Fritz Erler oder Carlo Schmid oder Willy Brandt oder Herbert Wehner oder Hans-Jochen Vogel oder Helmut Schmidt.

Sie würde dann finden, dass jemand wie Erich Ollenhauer bis zu seinem Tod die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit nicht als ein Fernziel der nächsten Generation, sondern als Gegenwartsaufgabe der Politik erstrebt hat.

Sie würde dann auch feststellen, dass das Niveau jener Debatten Welten entfernt liegt von dem unsäglichen Hin und Her geheuchelter Empörung und gespielter Entrüstung unserer Tage über die Frage, ob es die erste Pflicht der Deutschen ist, stolz auf ihr Land zu sein.

Schumacher, Ollenhauer und Brandt waren deutsche Patrioten, die stolz sein konnten auf das, was sie zum Aufbau unseres demokratischen Gemeinwesens nach dem Krieg beigetragen haben.

Vielleicht führt solches Studium dann auch bei Frau Merkel zu der Einsicht – und die trauen wir ihr zu! -, dass Führer einer Oppositionspartei mitunter der Versuchung erliegen, es mit der historischen Wahrheit nicht so genau zu nehmen.

Wer dieser Versuchung widerstehen kann, der mag zum Staatsmann werden – so wie Erich Ollenhauer, der nie ein Staatsamt inne hatte.

[Seite der Druckausg.: 25]

VII.

Erich Ollenhauer war ein demokratischer Sozialist und ein deutscher Patriot. Als er zu Grabe getragen wurde, stand die SPD nicht weit entfernt von der Schwelle zur Regierungsverantwortung. Seitdem sind mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder drei Sozialdemokraten zu Kanzlern dieser Republik gewählt worden. Sie konnten aufbauen auf dem, was Männer wie Erich Ollenhauer auf den Weg gebracht haben.

Der Weg, den Erich Ollenhauer gegangen ist, war ein gerader Weg; der Weg eines aufrechten, ausgeglichenen, beispielgebenden Mannes; der Weg eines Mannes der Freiheit und des Friedens, des Ausgleichs nach innen und nach außen, aber auch des nimmermüden Ringens um gesellschaftliche Erneuerung.

Dieser Weg füllt viele Seiten im Hauptbuch der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Sie nachzulesen, ist aller Mühe wert.

Wir werden Erich Ollenhauer in ehrender Erinnerung behalten.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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