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TEILDOKUMENT:


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Dieter Wunder
Zusammenfassung der Diskussion


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I. Diskussion zum Vortrag von Prof. Dr. Loth

Die Offenheit der politischen Lage in den ersten Nachkriegsjahren und damit auch die Bestätigung oder Differenzierung der Thesen Prof. Loths standen im Mittelpunkt des Nachdenkens.

Wenn die Amerikaner faktisch die Teilung Deutschlands als erste konzipierten, so muss dies auf dem Hintergrund der Krise von Kapitalismus und Demokratie in der damaligen Zeit gesehen werden. Die Zukunft Europas erschien düster; welchen Weg Deutschland nehmen würde, war offen.

Die sowjetische Haltung war von Ambivalenzen gekennzeichnet, und erst 1949/50 waren die Weichen gestellt, so Prof. Helga Haftendorn. Der geographische Zuschnitt der SBZ – ohne Oberschlesien – spricht gegen eine präzise Vorstellung von der Teilung Deutschlands. Andererseits wurden unverrückbare Fakten geschaffen (Gruppe Ulbricht, Antifa-Politik, Kleinbauernpolitik, Berliner Blockade als Versuch der Eindeutigkeit). Prof. Franz Ansprenger ergänzte mit dem Hinweis auf seine persönlichen Einstellungen (Junge Union, dann Anhänger Heinemanns). Prag 1948 wie auch die Präsenz der Kommunisten in Frankreich und Italien wirkten als Gefährdungsmomente, andererseits wurde Österreich selbständig. Die reale Furcht vor einem Krieg in

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Europa bestimmte manchen, gegen eine Teilung Deutschlands Stellung zu nehmen.

Prof. Loth unterschied zwischen den Konzepten der sowjetischen Politik, die im wesentlichen nur in „Stalins Hinterkopf„ existierte - ausgearbeitete Konzepte fehlen -, und der sowjetischen Praxis, deren Akteure sich oft allein gelassen sahen und die daher widersprüchlich war; den Intentionen sei durch die Operationalisierung vielfach widersprochen worden.

Reinhard Hildebrandt warf die Frage auf, warum viele Westdeutsche ihre Verantwortung für die Teilung leugneten. Prof. Loth wies auf die guten Gründe für eine entschiedene Westpolitik hin, betonte zugleich aber, dass niemand sich leicht einen Solidaritätsbruch (gegenüber den Ostdeutschen) eingestehen wolle.

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II. Diskussion zum Vortrag von Prof. Dr. Sommer

Die Bewertung Adenauers und seiner Motive stand im Mittelpunkt. Da wurde die Berechtigung seiner Westbindung, auch von ehemaligen Gegnern, betont. Prof. Ansprenger hob hervor, dass Adenauer kein Militarist gewesen sei; primär sei wohl gewesen, dass er „auf Nummer Sicher„ ging, um die Gleichberechtigung sowie den Wiederaufbau zu erzielen. Seinem realistischen Blick hätten seine Gegner nur Mutmaßungen über alternative Möglichkeiten entgegenstellen können.

Prof. Sommer bestritt die historischen Verdienste Adenauers, insbesondere der Aussöhnung mit Frankreich, nicht; er betonte zudem, dass es zwischen Adenauer und Schumacher durchaus Gemeinsamkeiten in der Außenpolitik gegeben habe; die Magnettheorie sei Schumachers Erfindung gewesen, Schumacher habe sogar die strategische Offensivmöglichkeit gegenüber der Sowjetunion besitzen wollen. Adenauer sei kein Militarist gewe-

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sen, ihm habe das Militär nur als politisches Mittel gedient. Er habe Chancen für die Bundesrepublik nur im Verbund mit den westlichen Staaten gesehen. Dies sei auf Kosten der Ostdeutschen erfolgt – vorzuwerfen sei Adenauer, dass er dies den Wählern nicht gesagt habe. Inzwischen sei aus Gesprächen mit britischen Diplomaten bekannt, dass Adenauer Angst vor der Wiedervereinigung gehabt habe: denn das Volk sei dafür nicht reif.

Eine Nachfrage betraf Heinemanns Auffassung von der Brückenfunktion Deutschlands zwischen Ost und West. Prof. Sommer sah darin kein Nachleben traditioneller deutscher Außenpolitik, wohl aber die Berücksichtigung der besonderen Funktion Deutschlands; eine solche Brücke schaffe Durchlässigkeit und könne daher zusammenführen, habe aber keine eigene machtpolitische Aufgabe – jedenfalls interpretiere er Heinemann so. Im Übrigen sei Heinemann kein Pazifist gewesen; ohne Militär könne man keine Politik machen, so dachte er – allerdings komme es darauf an, dieses Militär nicht einzusetzen. Heinemanns Ablehnung der Atombewaffnung war moralisch begründet – Atomwaffen seien Vernichtungsmittel und daher nicht akzeptabel.

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III. Diskussion zum Vortrag Dr. Koch

Dr. Koch verdeutlichte, dass sich die unterschiedlichen Gruppierungen in der evangelischen Kirche nur schwer charakterisieren ließen. Wohl sei die lutherische Mehrheit als konservativ zu kennzeichnen, die Minderheit stark von Karl Barth beeinflusst: In ihr habe es wohl Reformierte wie Unierte, aber auch Lutheraner gegeben. Der starke Stellung Otto Dibelius’ dürfe nicht allein seiner Person zugeschrieben werden, es waren seine Anhänger, die ihn stark machten.

Zweifelsohne, so Dr. Koch, sei der Eintritt Heinemanns in die SPD ein Einschnitt für die Protestanten wie die SPD gewesen.

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Seither habe sich eine Entwicklung ergeben, die eine Mitgliedschaft von Christen in der SPD selbstverständlich gemacht habe.

Die Frage nach der legitimen politischen Aufgabe der evangelischen Kirche wie nach der Position Heinemanns dazu beantwortete Dr. Koch vorsichtig: Heinemann ging es um Grundorientierungen, die die Kirche zu leisten habe, nicht um eine Kirche, die früher Thron und Altar unterstützt habe, jetzt aber seine Außenpolitik. Der einzelne habe seine Position aus der Grundorientierung heraus zu entwickeln; natürlich hoffte Heinemann dabei auf die „Hilfe des Heiligen Geistes„. Eine Unterstützung seiner Position wäre ihm lieb gewesen, aber nur als Ergebnis des Handelns von einzelnen. Er, Dr. Koch, hätte sich schon deutlichere Worte der Kirche gewünscht. Zum Stuttgarter Kirchentag 1952 habe Adenauer ein Telegramm geschickt: ‚Vereint sind wir stark und werden schon den Osten überwinden’. „Hätten wir da nicht zurücktelefonieren müssen, zum Donnerwetter noch einmal, wir sind Protestanten und wollen nicht vereint stark sein, sondern wollen auf Jesus Christus und Gott vertrauen.„

Nachdenklich stimmte die Schlussbemerkung des ostdeutschen Diskussionsleiters Hans-Joachim Tschiche über die unterschiedliche Rolle der Kirchen in Ost- und Westdeutschland. Die ostdeutsche Kirche der kleinen Leute habe es offensichtlich leichter gehabt, sich kritisch zu äußern, als die westdeutsche Kirche einer satten Gesellschaft. Ihm sei in der Diskussion die Schwierigkeit aufgefallen, sich zu kirchlichen Themen zu äußern.

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IV. Schlussdiskussion

Die abschließenden Bemerkungen kreisten um zwei Aspekte.

Zum einen wurden die Vorgänge 1989/90 noch einmal reflektiert. Der Diskussionsleiter H. J. Tschiche erinnerte sich des Abzugs der russischen Truppen: ‚Da gehen sie davon wie die Verlierer, und ein westdeutscher Ministerpräsident sagt, wir werden euch als Freunde besuchen.’ Prof. K. L. Sommer machte darauf aufmerksam, dass die Vereinigung eigentlich entsprechend den Vorstellungen Adenauers abgelaufen sei, allerdings unter anderen internationalen Vorzeichen als in den 50er Jahren vorgestellt. Derart bilde sich ein falscher Mythos über die geschichtlich wirksamen Kräfte. Dr. Koch ergänzte: Solche Selbstgerechtigkeit hindere am Erkennen der tatsächlichen geschichtlichen Entwicklung. Prof. Loth differenzierte mit dem Hinweis, 1990 sei ein Mythos über den Erfolg einer Politik der Stärke bestätigt worden. Demgegenüber sei die Vielschichtigkeit der Vergangenheit, also die Offenheit der Situationen, zu betonen – womit das andere Thema der Abschlussrunde angeschlagen war, nämlich welche Einsichten der historische Rückblick uns heute bringe. Für Thomas Krämer, GHI (Gustav-Heinemann-Initiative), ist die Wiedervereinigung von 1990 bereits ‚passé’, ebenso die Kämpfe der 50er Jahre; ihn störe, dass das Ergebnis der Friedensbewegung der 80er Jahre in Westeuropa, das dazu beigetragen habe, der Sowjetunion die Angst vor dem Westen zu nehmen, nicht gewürdigt worden sei. Für die GHI wies Dieter Wunder auf die Intention dieser Veranstaltung hin: Es gehe nicht primär um Gustav Heinemanns Leistungen, sondern darum, dass der Gründungsmythos der Bundesrepublik in Frage gestellt werde und damit die Probleme des Vereinigungsprozesses seit 1989 besser als mit herrschenden Mustern erklärt werden könnten. Zudem gehe es um die Klärung der gegenwärtigen Lage Deutschlands. H. J. Tschiche hatte die Frage gestellt, welche Rolle der Bundesrepublik international eigentlich heute zukom-

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me; Dieter Wunder griff diesen Hinweis auf und fragte, auf dem Hintergrund des Kosovo-Krieges, nach den Handlungsmöglichkeiten der Bundesrepublik wie Europas in der heutigen Lage. K. L. Sommer bezweifelte, dass die Neugründung des Nationalstaates Deutschland hilfreich sei, die bessere Alternative wäre die staatliche Organisation eines gemeinsamen Europa. Prof. Loth zog aus der Geschichte auch die Folgerung, dass die heutige Situation sehr verschieden sei von der früheren; dazu gehöre es auch, dass das Gewicht militärischer Faktoren sinken werde, neue Sicherheitsstrukturen notwendig seien. K. L. Sommer sah sich in seiner Skepsis gegenüber der Nato, die heute keine Funktion mehr erfülle, bestätigt.

Dem Diskussionsleiter H. J. Tschiche ging es in seinen Schlussworten um zweierlei. Er wolle die historische Westsicht etwas relativieren; auch aus eigenem Erleben müsse er bestätigen, dass nicht Kohl die DDR geschluckt habe, sondern die Bürgerinnen und Bürger der DDR dies gewollt hätten. Zum andern sei es nützlich, selber einmal „auf der Seite der politischen Macht gewesen„ zu sein; dies mache „mildtätiger gegenüber denen, die politische Entscheidungen fällen.„

[Seite der Druckausg.: 77-80 = Hinweise auf weitere Hefte der Reihe "Gesprächskreis Geschichte" ]


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