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Vorbemerkung des Herausgebers

Im Rahmen einer gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Bonn der Deutsch-Israelischen Gesellschaft durchgeführten Veranstaltungsreihe des Gesprächskreises Geschichte, die sich mit Judentum und jüdischer Kultur in Deutschland und Polen befasst, referierte am 17. Februar 2000 Herr Prof. Dr. Feliks Tych über das Thema „Deutsche, Juden, Polen: Der Holocaust und seine Spätfolgen".

Feliks Tych, seit Jahren als bedeutender Forscher auf dem Gebiet der Arbeiterbewegungsgeschichte tätig und auch im Westen früh durch seine Publikationen über Rosa Luxemburg und Leo Jogiches bekannt, hat lange vor dem Zerfall des Weltkommunismus in internationalen Gremien sein Land mit hoher Sachkenntnis und Integrität sowie ohne ideologische Scheuklappen repräsentiert und sich manchen Zumutungen der Vertreter von UdSSR und DDR entzogen. Nachdem er aus politischen Gründen vorzeitig in den Ruhestand getreten war, hat er sich 1996 für eine neue Aufgabe als Leiter des Jüdischen Historischen Instituts in Warschau gewinnen lassen. Gastprofessuren in Göttingen, Freiburg, Darmstadt und Berlin (Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin) demonstrieren seinen Ruf über die Grenzen seines Landes hinaus. Er war also der berufene Referent für ein Thema, das für Polen wie für die meisten west- und mitteleuropäischen Staaten nach wie vor von hoher Brisanz ist und, wie etwa die sogenannte „Wehrmachtsausstellung" in Deutschland gezeigt hat, die Gemüter entzweit.

Arno Lustiger, der kürzlich den neuen „Aufbau"-Preis verliehen bekommen hat, hat am 23. November 1999 in der gleichen Veranstaltungsreihe die vielfältigen Ausdifferenzierungen der einzigartigen schöpferischen jüdischen Kultur in Polen vorgetragen, die allesamt der Ausrottung durch die nationalsozialistischen Henker anheimfielen. Er hat dabei auch das Problem des polnischen Antisemitismus angesprochen, das Feliks Tych hier näher analysiert. Dabei ist Wert auf die Feststellung zu legen, dass eine Beschäftigung mit diesem Problem unter dem Gesichtswinkel einer gesamteuropäischen Geschichte erfolgen und in keiner Weise die deutsche Schuld relativieren oder verkleinern soll und darf.

Jahrhundertelang hatten Juden einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der polnischen Gesellschaft, zur Bereicherung von Wirt-

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schaft und Kultur geleistet, hatten sich auch an der Landesverteidigung aktiv beteiligt.

Dennoch hatte auch in Polen der Antisemitismus durchaus eine unrühmliche Tradition. Dies führte Lustiger zu der Formulierung: Die „Frage, ob Polen ein Paradies oder eine Hölle für Juden war, ist sehr schwierig zu beantworten."

Es liegt auf der Hand, daß die Verbrechen der Nazis an Juden und Nicht-Juden in Polen nicht im luftleeren Raum begangen wurden, dass sie unmittelbar vor den Augen einer nichtjüdischen polnischen Bevölkerung sich vollzogen. Ob diese und insbesondere die polnische Untergrundarmee in ihrer Mehrheit den verfolgten Juden unter der NS-Besatzung nicht stärker hätte helfen können, ist heute in Polen und Israel sehr umstritten.

Nach dem Kriege leben in Polen, das einst den höchsten jüdischen Bevölkerungsanteil auf der Welt aufwies, kaum noch Juden. Dennoch gibt es dort so etwas wie einen „Antisemitismus ohne Juden" - ein Phänomen, das in der einen oder anderen Variante auch in anderen Ländern anzutreffen war und ist.

In der sehr tiefgehenden Diskussion zu seinem Vortrag hob Feliks Tych hervor, es gebe mehrere polnische Wahrheiten über die hier behandelte Zeit. Und er gab seiner Hoffnung Ausdruck, daß sein Vortrag eine weitergehende Diskussion über die von ihm angesprochenen Fragen befruchten möge. Dem kann sich der Herausgeber nur anschließen.

Bonn, im März 2000

Prof. Dr. Dieter Dowe
Leiter des Historischen
Forschungszentrums


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