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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[23.]
„Das Monokelkabinett"
Rede am 10.6.1932 in der Stuttgarter Liederhalle


STW Nr. 134 v. 11.6.1932

So unsicher die Regierung der Barone bei der Bestimmung des Wahltermins war und so sehr sie sich dabei mit dem parlamentarischen Kuhhandel verbunden zeigte, so sicher und eilig war sie mit der Auflösung des Reichstags.

Die Regierung von Papen hatte nicht den Mut, vor den Reichstag zu treten und ihr Programm kämpferisch durchzusetzen.

Sie will unbelastet den Staatsapparat für die Wahlen gebrauchen, will alle reaktionären Kräfte entfesseln und den Rundfunk für sich und Adolf Hitler einstellen. Die Nationalsozialisten sollten durch die überstürzte Auflösung geschont werden, um sie nicht in den Geruch der Tolerierung eines Kabinetts der Barone zu bringen. Aber vergeblich suchen die Nationalsozialisten vom Monokelkabinett Abstand zu halten. Ihr Jubelruf „Hitler beherrscht die Lage!", ihre kritiklose Zustimmung zur stockreaktionären Regierungserklärung und die Tatsache, daß nur durch die Berufung auf die Nationalsozialisten das Kabinett Brüning gestürzt und das Kabinett von Schleicher - von Papen ans Ruder kommen konnte, zeigt, daß die Nationalsozialisten die eigentliche Regierungspartei sind. Die Regierung Brüning ist von Kräften gestürzt worden, denen sie noch zu sozialistisch war, und dies unter Mithilfe und Beifall der Nationalsozialisten. Die sagten, sie seien Sozialisten und funktionieren nur als Knüppelgarde des Großbesitzes beim Raub des letzten Stückchens Brot. Sie wollen Revolutionäre sein und sind die Landsknechte der Gegenrevolution. Sie spielen sich als Führer auf und sind nur miserable kleine Parvenüs, die sich von Aristokraten und Geldsäcken mißbrauchen lassen.

Wir hätten das Kabinett von Schleicher - von Papen gern amtieren gesehen. Wir hätten gern einmal erlebt, wie man Wirtschaftskrise, Defizit, Arbeitslosigkeit und Elend so grimmig durch das Monokel anblitzt, daß sich diese Ungeheuer ängstlich verkriechen. Gern hätten wir gesehen, wie man Frankreich und Polen zur Räson bringt, und wie Diktatoren herrschen, aus deren Geist heraus der neue Außenminister vor einigen Monaten verächtlich den Reichstag eine Quatschbude nannte.

Monokelkabinett nannte die sonst so zurückhaltende englische Presse dieses Kabinett, das vom Ausland mit eisigem Hohn begrüßt wurde. Es sind die Typen, die sich einst im preußischen Dreiklassenparlament breit machten. Sie haben selbst die höchste Meinung von sich und sind mit der Demokratie böse, weil sie diese Meinung von ihnen nicht hat. Dabei wirken sie eigentlich mehr komisch durch ihre gänzliche Unfähigkeit, den Gang der modernen Geschichte zu begreifen. Diese Art preußischer Adel und der ihm durch affische Nachahmung hörigen Gesellschaftsschichten haben sich in den letzten 150 Jahren deutscher Geschichte immer blamiert, waren stets ein Hindernis für deutsche Freiheit und Einheit. Um sich innerpolitisch an der Macht zu halten, hat der Feudalismus den Militarismus gepredigt und mit der Industrie zusammen den Imperialismus vertreten.

Der Geist des preußischen Militarismus hat uns in die furchtbare Situation von 1914 geführt, hat die ganze Welt gegen uns vereint und bringt jetzt die ganze Welt von neuem gegen uns auf. Deutschland kommt wieder in eine furchtbare Selbstisolierung.

Die Jahrzehnte vor dem Kriege und das dumme und großspurige Verhalten gegenüber den Ideen des Friedens, der Abrüstung und der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit erleben heute ihre Wiederauferstehung in den Giftereien gegen den Völkerbund. Der Baron von Neurath hat 1926 erklärt, Gegner des Eintritts Deutschlands in den Völkerbund zu sein. Der deutsche Militarismus hat mit dem Stand der Rüstungen nichts zu tun. Militarismus ist eine Gesinnung, ist das Prinzip der Geltung der Gewalt. Militarismus war es, wenn im Kriege die Oberste Heeresleitung Politik machte und wenn der General von Schleicher jetzt seinen vorgesetzten Minister stürzen und ein neues Kabinett bilden konnte. Dieser Militarismus hat 1918 die größte politische und militärische Niederlage der Weltgeschichte herabbeschworen, um nach dem Versagen auf seinem ureigensten Gebiete feige davonzulaufen.

Auch die nationalen Phrasen von heute sind nur eine Klassenkampfwaffe der Oberschicht. Das Portemonnaie der besitzenden Klasse ist ihr heiligstes Gut.

Dem Volk erzählt man, daß es dann national sei, wenn es das tue, was seine Militärs und Industriellen, seine Großgrundbesitzer und Machtbrüller für richtig halten. Die ganze nationale Agitation, vor allem die nationalsozialistische, ist die schamloseste geistige Vergewaltigung unaufgeklärter Menschenherden, ist nichts weiter als Mobilisierung der menschlichen Dummheit. Der Kapitalismus, der als System versagt hat, versucht sich jetzt mit machtpolitischen Mitteln zu halten und alle öffentlichen Ausgaben wieder in privaten Profit zurückzuverwandeln. Der Klassengegner hat die Rolle der Demokratie und der Weimarer Verfassung als Klassenkampfwaffe der Arbeiter besser erkannt. Die Abschaffung der Demokratie ist das Klassenziel des Besitzes.

Jetzt erst ist die ganze Größe des kommunistischen Verbrechens mit der dummen Hetzerei gegen die Demokratie, mit dem Kampf gegen SPD und Gewerkschaften sichtbar. Wenn die KPD mit uns zusammen Demokratie und Sozialpolitik verteidigt hätte, dann wäre heute der Faschismus nicht die große Gefahr. (Stürmische Zustimmung) Nicht zu viel, sondern zu wenig Demokratie hatten wir in Deutschland.

Das System der Notverordnungen war zwangsläufig ein Ergebnis der mangelnden politischen Reife und Einigkeit des Volkes. Durch die Wahlen vom 14. September 1930 hat sich der Reichstag selbst ausgeschaltet und hat die Macht an den Reichspräsidenten abgegeben. Dadurch konnte die Atmosphäre der Intrigen und der Hintertreppenpolitik entstehen, konnten die Bürogeneräle und die feudalen Nichtskönner vom Deutschen Herrenklub, die Leute wie Dr. Meißner und Oldenburg-Januschau ihre verhängnisvollen Rollen spielen. Es ist ein frecher Schwindel, daß die Notverordnungen aufhören werden.

Man hat das wohl dem Reichspräsidenten eingeredet, aber nur deswegen, weil die letzte von Brüning geplante Notverordnung nicht die sozialreaktionären Erwartungen der Schwerindustrie erfüllte und endlich einmal den ostelbischen Junkerschmarotzern ans Leder ging. Jetzt aber verkündet das neue Kabinett eine verschlechterte Notverordnung Brünings.

Erbärmlich ist die Rolle der württembergischen Nationalsozialisten. Sie hatten großmäulig und vorlaut Protest gegen die geplante Notverordnung Brünings im württembergischen Landtag beantragt. Jetzt, wo das Kabinett der Barone herrscht und eine noch schlechtere Notverordnung bringt, haben sie ihren Antrag feige zurückgezogen und sich selbst entlarvt. Es handelt sich bei dem ganzen Regierungswechsel nur um den Versuch der Schwerindustrie, die sozialen Lasten abzuschieben und als eigenen Profit in die Tasche zu stecken, um das Bemühen der Großgrundbesitzer, ihr traditionelles Schmarotzerdasein weiterzuführen und schließlich um die Revolte aller Schuldner, die eine neue Inflation erhoffen. Es ist, kurz gesagt, der Aufstand aller Lebensuntüchtigen, aller Leute, die die Hilfe der Allgemeinheit und Privilegien brauchen, um die Existenzen, die mit den Knüppeln politischer Gewalt ein Dasein auf Kosten anderer erzwingen wollen. Darüber hilft auch die hochtrabende Phrase vom „Kabinett der nationalen Konzentration" nicht hinweg, das einen im Vergleich zu englischen und französischen Vorbildern sehr kümmerlichen und läppischen Versuch darstellt, das nicht Konzentration des Volkes, sondern Abstoßung und Niedertrampelung seiner Mehrheit bedeutet und die schlimmste Sünde an der Nation bedeutet. Bisher hat durch sein bloßes Auftreten dieses Kabinett das Volk schon an drei Stellen zerissen:

- die sinnlose Verschärfung des Klassenkampfes;

- eine niedrige und abstoßende Hetze der Konfessionen;

- und eine Erschütterung der Reichseinheit durch künstliche Hervorzerrung der Mainlinie durch die neuen Herren.

Das Adelskabinett und seine nationalsozialistischen Mameluken werfen das deutsche Volk geradezu in die Verhältnisse des Dreißigjährigen Krieges zurück. Das Kabinett ohne Arbeiter ist ein Kabinett gegen die Arbeiter und wird von uns dementsprechend behandelt. (Stürmischer Beifall) Die Methoden, mit denen das Kabinett von Schleicher - von Papen zustande kam, sind ein Beweis dafür, daß die Reaktion immer dumm ist.

Die Intriganten haben nicht einmal so geschickt operiert, daß noch Brüning nach Lausanne mußte, wie sie es doch haben wollten. Jetzt müssen sie selbst dorthin gehen und sich von der ganzen Welt die kalte Schulter zeigen lassen, eine Situation allerdings, die sie selbst hervorgerufen haben. Der neue Reichskanzler kann sich jetzt die Quittung für seine „ruhmreiche" Tätigkeit als deutscher Militärattaché im Weltkriege holen. Er, der mit der französischen Schwerindustrie durch Heirat verwandt ist, kann ja jetzt versuchen, bei der Linksregierung Herriot Verständnis für seine Pläne der deutschen Aufrüstung und eine Militärallianz mit der Spitze gegen Rußland zu finden; bei einem solchen Militärbündnis werden die deutschen Arbeiter nicht mitmachen. (Großer Beifall)

Die deutsche Wirtschaftspolitik und die deutsche Außenpolitik können nur von der Vereinigung der innerdeutschen Verhältnisse gefördert werden.

Es gibt keinen Aufstieg, bevor nicht Krieg und Bürgerkrieg, bevor nicht die braune Pest aus der Welt geschafft worden ist. Das Verbot der SA und SS [Dieses Verbot hatte am 16.4.1932 Reichsinnenminister Wilhelm Groener verfügt.] war der erste Schritt auf dem notwendigen Wege. Die Wiederaufhebung des Verbotes ist die schlimmste Versündigung an dem deutschen Volke. (Lebhafter Beifall) Hoffentlich haben die Länderregierungen den Mut, von sich aus von neuem die nationalsozialistischen Bürgerkriegshorden zu verbieten. Gründe gibt es wie der Sand am Meer. Wir richten an die württembergische Regierung die Aufforderung, ihrerseits für Ruhe und Ordnung durch rücksichtslose Auflösung der nationalsozialistischen Sturmabteilungen zu sorgen. (Stürmische Zustimmung) Wir wollen den Bürgerkrieg nicht, aber wir fürchten die Nationalsozialisten auch nicht in ihren neuen englischen Röcken. (Bravo!)

Es ist kein Zufall, daß die neue Regierung zuerst einen Husarenritt gegen Preußen gewagt hat, bei dem sie allerdings schmählich abgefahren ist. Der Zweck dieser verfassungswidrigen Einmischung, die auch zum Protest der drei süddeutschen Staatspräsidenten führte, ist der, die preußische Schutzpolizei unter das Kommando des Generals von Schleicher zu bringen.

Die Programmerklärung der neuen Regierung ist eine Herausforderung des Arbeitsvolkes. Es ist eine Zusammenstoppelung aller alten Ladenhüter aus der Agitation der Hitler und Hugenberg. Kein einziges klares Ziel, kein einziger Ausweg, alles breiisch und verschwommen. Nur der Haß gegen die Demokratie und Sozialpolitik sind echt.

Unter dem Beifall der Nationalsozialisten wird die deutsche Sozialpolitik als korrumpierende Erscheinung des Wohlfahrtsstaates beschimpft.

Die arbeitenden Menschen haben die soziale Versicherung aus eigenen Leistungen aufgebaut. Ein Wohlfahrtsstaat war die Republik nur für die Kreise, die von Hugenberg, Hitler, Papen und Schleicher vertreten werden, für Fürsten und Generäle, für Schwerindustrie und Großgrundbesitz, für Stahlhelm und braune Armee. Jetzt will man Schluß machen mit der sozialen Fürsorge und sozialen Versicherung, mit Tarifverträgen und kollektivem Arbeitsrecht, und die Nationalsozialisten billigen das ausdrücklich. In sozialer Hinsicht ist das Regierungsprogramm die Kriegserklärung an das schaffende Volk.

Ein Deutschland, wie es Papen und Hitler erträumen, wäre nicht mehr lebensfähig. Wir kämpfen für die Zukunft des ganzen Volkes, wenn wir auf die dreiste Provokation eine brutale Antwort geben. Uns treibt nicht Oppositionslust, uns treibt sozialer Gestaltungswille und der Wunsch, dem Volk zu helfen. Die Volksfeinde dürfen am 31. Juli nicht die Mehrheit bekommen. Die Sozialdemokratie muß das starke Bollwerk bleiben, muß noch stärker werden. Die Stunde der schlimmsten Not muß die Stunde der Wiedergeburt einer einigen Arbeiterklasse werden, die unter den Fahnen des Sozialismus und der Demokratie kämpft. Deutschland wird unser Deutschland sein, oder es wird gar nicht sein.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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