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ANHANG: DOKUMENTE
[von Kurt Schumacher]



[18.]
Heraus aus der Isolierung! Deutschlands Lebensnotwendigkeit:
Verständigung mit Frankreich!


EV Nr. 213 v. 12.9.1931.

Laval [Pierre Laval (1883-1945), französischer Politiker, bis 1919 Sozialist, dann parteilos. 1931/32, 1935/36 und April 1942-45 Ministerpräsident. Als Hauptkollaborateur mit Deutschland von französ. Behörden verurteilt und hingerichtet.] und Briand [Aristide Briand (1862-1932), französischer Sozialist. 1906-32 mehrfach Minister, u.a. für Justiz und Äußeres, mehrfacher Ministerpräsident (zuerst 1909-11, zuletzt 1929). 1925 zusammen mit Gustav Stresemann Friedensobelpreis.] sollen nach Berlin kommen. Darob große Entrüstung im Rechtslager. Nationalsozialisten und Stahlhelm kündigen Radaudemonstrationen an und Hugenbergs Deutschnationale vermögen sich aus diesen Bindungen nicht zu lösen. Sie schreien nach Verschärfung des Kurses in der Außenpolitik, fordern wieder einmal Zerreißungen des Versailler Vertrags und des Youngplans, toben über die Zurückziehung des Zollunionsplans durch Deutschland und Oesterreich und wollen wieder einmal „siegreich Frankreich schlagen".

Das deutsch-österreichische Zollunionsprojekt hat mit einer Niederlage geendet. Aber nicht die Tatsache der Niederlage ist das Schlimmste, sondern die politischen und mehr noch die wirtschaftlichen Wirkungen, die dieser Plan ausgelöst hat, solange er noch schwebte. Keine Kritik ist scharf genug. Nur sind gerade die lautesten Kritiker, die jetzt den Kopf des Reichsaußenministers Curtius [Julius Curtius (1877-1948). 1920-32 MdR (DVP, zuletzt Dt. Staatspartei). Jan. 1926-Nov. 1929 Reichswirtschaftsminister, nach dem Tode Stresemanns vom 3.10.1929 bis 3.10.1931 Reichsaußenminister. Vgl. H. Auerbach: Curtius, in: Benz/Graml (Hg.), Biographisches Lexikon, S. 56.] verlangen, am wenigsten dazu berufen. Es waren die Nationalisten, die die Zollunion zwischen Deutschland und Oesterreich gefordert haben. Es ist die nationalistische Politik, die in Genf zusammenbrach. Die Kritiker kritisieren ihr eigene Politik.

Jetzt, wo die neue deutsche Außenpolitik wieder einmal am Ende ihres Lateins steht, ist das Schicksal Deutschlands so schwierig, daß gar nicht mehr die außenpolitische Situation als solche im Vordergrund steht. Alles ist in erster Linie auf seine wirtschaftlichen Wirkungen hin zu werten. Die deutsche Reichsregierung hat nicht die Kraft, die Schrumpfung der Wirtschaft und damit die Zerstörung des inneren Marktes, die permanente Ruinierung des Etats und die Vergrößerung des sozialen Elends aufzuhalten. Sie ist klassenmäßig so stark an die Besitzinteressen angebunden, daß sie das Steuer nicht herumzuwerfen vermag. Je schwächer aber die deutsche Regierung gegenüber der kapitalistischen Interessenpolitik ist, desto dringender benötigen wir die große ausländische Finanzhilfe. Ende Februar ist zudem die Stillhalteaktion der ausländischen Geldgeber zu Ende. Bis dahin muß die Verständigung mit Frankreich perfekt sein, denn nur mit Frankreich zusammen sind die anderen Geldgeber, vor allem die Vereinigten Staaten Nordamerikas, gewillt, Hilfe im Großen zu leisten.

Die gesamte deutsche Politik, sowohl die Innen- wie die Außenpolitik, bedeutet eine außerordenliche Schwächung der kreditmäßigen Grundlagen der deutschen Wirtschaft. Der Mangel an offener Stellungnahme und Entschiedenheit gegenüber den reaktionären Mächten hat die psychologische Situation der Unsicherheit, der Vertrauenslosigkeit im Innern geschaffen. Die Art, wie der bankrotte deutsche Kapitalismus auf Kosten der Allgemeinheit poussiert wird, bleibt dem deutschen Volk und der Welt unverständlich. Der Kanzler, dessen Wille zum Bürgerblock den 14. September mit all seinen Folgen der Wirtschaftszersetzung heraufbeschworen hat und der darum mitschuldig ist an der Kreditnot, hat bis heute noch nie die Erklärung abgegeben, nicht mit Hitler und Hugenberg regieren zu wollen.

Auch außenpolitisch sind es nicht nur Hitler, Hugenberg und Seldte, die die neue politische Isolierung Deutschlands und den Mangel an Zutrauen zu seiner wirtschaftlichen Zukunft geschaffen haben. Der offizielle Kurs der deutschen Außenpolitik seit dem Tode Stresemanns hat Pleite gemacht. Unter dem Druck Hitlers und der Initiative des Konkurrenten Hugenberg sind die Leute, wie Treviranus und der Kreis um das Reichspräsidentenpalais mobil geworden. Sie haben Parolen geschustert, die an läppischer Torheit mit jedem Kommunistenschlagwort wetteifern. „Aktive Außenpolitik" nannten sie die kindischen Versuche, eine Revisionskampagne auf der Grundlage einzuleiten, daß die Kraftlosen nach den Dummen suchten, die ihnen die Kastanien aus dem Feuer holen sollten. „Neue Dynamik" wurde hochtrabend der Versuch genannt, die Welt in Unordnung zu bringen. Der zögernde Curtius konnte nicht widerstehen. Auch der zurückhaltende Kanzler hat die „Ritte gen Ostland" geduldet und sogar der Reichsinnenminister Wirth bewies durch das Verbot des Remarquefilms, wie stark diese gefährlichen Strömungen waren. In Genf focht man stets an der Seite von Litwinow [Maksim Litwinow (1876-1951), sowjetischer Politiker. 1921-30 stellv. Volkskommissar, 1930-39 Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten. 1941-43 Botschafter in Washington.] und Grandi [Dino Grandi (1895-1988), italienischer Politiker, einer der Mitbegründer der faschistischen Bewegung und Gegenspieler Mussolinis. 1929-32 Außenminister.] . Man hat nie eine Verständigung mit Frankreich gesucht, man ist ihr eher ausgewichen. Jede Form der Aktivität richtete sich entweder gegen Frankreich oder gegen einen seiner Bundesgenossen. Die Zollunion mit Oesterreich hat dann den Stein ins Rollen gebracht. Sie führte die wirtschaftliche Katastrophe herauf. Die innerpolitische Unsicherheit verstärkte die Kapitalflucht. Die „aktive Außenpolitik" brachte die Kreditkündigungen, die Bankkrachs und die Insolvenz der deutschen Wirtschaft. Ohne die neue Außenpolitik wäre diese Wirtschaftskatastophe nicht eingetreten.

Man hat außenpolitisch eine Lotterie gespielt, in der es nur Nieten gab. Kein einziger der Aktivposten, den man in seine Rechnung eingestellt hatte, hat sich bewährt. Niemand hatte Zutrauen zu dem Bundesgenossen Deutchland gehabt, dessen Außenpolitik ein Rätsel blieb, der jede Logik und politische Linie fehlte und deren krampfhafte nationale Forschheit peinliche Erinnerungen heraufbeschwor. Das Ungarn Horthys und Bethlens, einst gepriesen aus dem dunklen Gefühl nationalistischer und halbfaschistischer innerer Wahlverwandtschaft, als Träger aktiver Revisionspolitik, ist dem französischen Golde erlegen und ausgeschieden. Das Italien Mussolinis hat in Genf aktiv an der Seite von Frankreich gegen die Zollunion mitgestritten. Rußland, der große Alliierte, den man immer in Reserve zu haben glaubte, hat mit Frankreich einen militärischen Nichtangriffspakt geschlossen, dem ein russisch-polnischer Vertrag der gleichen Art folgen muß. Ein lehrreiches Kapitel für Deutschland, denn Rußlands Grenzen sind durch Polen stärker beeinträchtigt als die Deutschlands. Sie alle haben durch ihr Einschwenken das Primat der wirtschaftlichen Notwendigkeiten in der Außenpolitik anerkannt, das ausgerechnet Deutchland allein nicht wahrhaben wollte. Und dann kam zu allem Versagen auch noch das Pech: das England der Labourregierung existiert nicht mehr. Deutschland hat allen Grund, über ihr Verschwinden zu trauern, denn entgegen den Traditionen der englischen Außenpolitik hat sich die Arbeiterregierung aus dem Gedanken internationaler Solidarität heraus für die deutsch-französische Aussöhnung stark gemacht und der Erhaltung der Demokratie in Europa die größte Aufmerksamkeit gezollt. Jetzt werden die englischen Sorgen wieder mehr dem Imperium in Asien und Afrika und dem Verhältnis zu Amerika gehören. Das wiederum geht wirtschafts- und kreditpolitisch in seinen Beziehungen zu Deutschland mit den Franzosen Hand in Hand. Die Illusionen über das „blutverwandte Angelsachsentum" sind zerplatzt.

Nun bleibt der einzige Weg: Verständigung mit Frankreich! Aber diese Verständigung mit Frankreich ist nicht möglich ohne die Verständigung mit seinen Verbündeten, vor allem mit Polen. Der deutsche Nationalismus, die Konkurrenzängste der ostelbischen Großgrundbesitzer und die Reichswehr werden einige Pflöcke zurückstecken müssen. Wir müssen uns mit Frankreich und seinen Verbündeten politisch und wirtschaftlich einigen. Wohl herrscht in Paris eine Rechtsregierung und ist Briand durch deutsche Schuld um Einfluß gebracht worden, was die Einigung erschwert. Aber neue Gefahren stehen vor den Toren. Was soll aus der Wirtschaft Deutschlands, ja Europas werden, wenn in England akive Schutzzollpolitik gemacht wird und sich selbst Labour zu dem Gedanken der Finanzzölle bekehrt? Wie soll sich Europas Wirtschaft erhalten, wenn nicht ein europäisches Wirtschaftsgebiet entsteht? Wie soll Deutschland ohne die französisch-amerikanische Kredithilfe bestehen? Was wird nach dem Aufhören der Stillhalteaktion?

Jetzt hilft kein Maulspitzen, jetzt muß gepfiffen werden! Das Geld Frankreichs ist das Geld der kleinen französischen Sparer, die Frieden und vor allem Sicherheit wollen. Die Hilfe ist darum an politische Voraussetzungen geknüpft. Nationaler Phrasenschwall schafft das alles nicht aus der Welt. Das aufgeblasene Gerede vom deutschen Prestige, den Redensarten von der Souveränität und der Unsinn von der „nationalen Autarkie", alles ist gleich dumm und gefährlich.

Die Verständigung mit Frankreich kommt ja doch! Es fragt sich nur wann. Dieses Wann bestimmt auch das Wie. Je eher, desto besser für die Erholung der deutschen Wirtschaft und des deutschen Volkes. Diese Verständigung wird freilich Deutschland nicht nur die große Finanzhilfe, sondern auch die große Zinsenlast bringen. Dann wird Deutschland alles das tun müssen, was zu tun sich seine bürgerliche Klassenregierung zum Unglück für das Volk bis heute noch weigert, weil sie meint, um eine Beeinträchtigung der kapitalistischen Interessen doch noch herumkommen zu können. All die Dinge, die man Planwirtschaft oder Staatskapitalismus oder so ähnlich nennt, werden realisiert werden, im Politischen wie im Wirtschaftlichen. Der Kollektivismus marschiert!


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | August 2000

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