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TEILDOKUMENT:

[Seite der Druckausg.: 23 = Inhaltsverzeichnis des Anhanges]




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August Bebel

Die Notwendigkeit der Gründung einer allgemeinen Parteibibliothek


Diejenigen Genossen, welche je einmal in die Lage gekommen sind, Studien machen zu können, werden auch häufig die Schwierigkeit empfunden haben, sich die dazu nötigen Werke und Schriften zu beschaffen. Selbst derjenige, dem größere Bibliotheken zur Benutzung offenstanden, wird oft das nicht gefunden haben, was er suchte, weil diese Bibliotheken meist nach ganz anderer Richtung ihre Vervollständigung suchen. Dabei wird die unsere Genossen wesentlich interessierende Literatur von Tag zu Tag größer, so daß schon heute nur noch sehr wenige in der Lage sind, sie zu verfolgen, noch wenigere, sie sich anzuschaffen.

Auch stellt sich namentlich in bezug auf die Beschaffung der älteren sozialistischen und volkswirtschaftlichen Literatur dem einzelnen ein nicht zu überwindendes Hindernis entgegen, einmal wegen des Preises, dann wegen der Seltenheit und des Unbekanntseins vieler Schriften. Auch schreckt mancher davor zurück, sich für teures Geld ein Werk anzuschaffen, das er nur einmal für einen bestimmten Zweck braucht und sonst nie wieder. Mit jedem Jahre wird die Sammlung all dieses Materials immer schwieriger, und es wird darum hohe Zeit, daß eine Stätte geschaffen werde, wo die ganze einschlägige Literatur in möglichster Vollständigkeit gesammelt und allen, welche Zeit und Gelegenheit zu größeren Studien haben, unter bestimmten Bedingungen zugänglich gemacht wird. Es ist. z.B. heute kaum noch möglich, ein vollständiges Exemplar der ersten Jahrgänge des „Social-Demokrat" oder des Hamburger „Nordstern" zu erlangen oder andere in den ersten Jahren der Bewegung erschienene Blätter und Broschüren zu bekommen, und jedes Jahr, das weiter verfließt, macht deren Erlangung immer unmöglicher.

Genauso verhält es sich mit der alten sozialistischen Literatur. Wer z.B. besitzt von uns Weitlings Schriften oder Karl Grüns Werk über die sozialistische Bewegung in Frankreich und Belgien? Wie viele oder, besser gesagt, wie wenige von uns haben diese überhaupt je gesehen und gelesen, und wie hiermit, so steht es mit der sehr reichhaltigen sozialistischen und kommunistischen Literatur Frankreichs aus den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren dieses Jahrhunderts. Ohne Lorenz Steins Werk über die Entwicklung des Sozialismus und Kommunismus in Frankreich würde die bezügliche Literatur uns Jüngeren nur dem Namen nach bekannt sein, und selbst dieses Werk ist meines Wissens vergriffen. Wir haben also wirklich gar keine Zeit mehr zu verlieren und müssen mit der Sammlung bald vorgehen. - Welchen Wert eine

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solche Sammlung auch für den künftigen Kulturhistoriker haben muß, braucht nur angedeutet zu werden.

Soll das Werk ganz gelingen, so darf es nicht auf den guten Willen und die Mittel einzelner angewiesen sein, die Gesamtheit der Partei muß dafür eintreten und jeder sich für verpflichtet halten, seinen Teil zum Gelingen beizutragen.

In erster Linie ist dafür zu sorgen, daß das Unternehmen eine sichere Grundlage hat und sein Bestand nicht von dem guten Willen gewisser Behörden abhängig gemacht werden kann. Es muß also irgend jemandes Eigentum sein, und da dies einzelnen zu übertragen große Bedenken hat, so empfiehlt es sich, es einer bereits bestehenden staatlich anerkannten Korporation, z.B. einer Genossenschaft, zu übertragen oder für diesen Zweck eine solche zu gründen. Leipzig schlage ich als Sitz der Bibliothek vor, und zwar, weil neben dem mehr nebensächlichen Umstand, daß es Erscheinungsort des Zentralorgans der Partei ist, es anerkanntermaßen den Sitz des deutschen Buchhandels bildet und zahlreiche Antiquariate hat, also die Beschaffung der bezüglichen Literatur vereinfacht und erleichtert.

Der Inhalt der Bibliothek darf sich natürlich nicht einseitig bloß auf die sozialistische und volkswirtschaftliche Literatur beschränken, es müßten insbesondere auch Geschichte und Kulturgeschichte, Statistik, Naturwissenschaften, Gesundheitslehre, Technik und Agronomie einen ausgedehnten Platz darin finden, ebenso einige wirklich gute philosophische Werke. Denn darüber besteht ja bei keinem unter uns ein Zweifel, daß für das volle und ganze Verständnis der Neubildung der Gesellschaft auf sozialistischer Grundlage die Kenntnis der Forschungen und Entdeckungen in den genannten Wissenszweigen notwendig ist.

Die Bibliothek müßte ferner enthalten eine Sammlung der bedeutendsten in- und ausländischen Parteizeitungen und -zeitschriften, die am Schlusse jedes Jahrgangs zu binden wären; ferner die wichtigsten statistischen Zeitschriften und solche regelmäßig erscheinenden Publikationen, welche sich mit den Fortschritten der Naturwissenschaften und der Technik beschäftigen.

Die Verhandlungen des Reichstags und der wichtigsten Landtage dürften ebenfalls nicht fehlen.

Es ist kein Zweifel, daß ein solches Unternehmen erhebliche Mittel und großen Kostenaufwand erheischt, aber ich bin der Ansicht, daß, wenn einmal angefangen werden soll, auch von vornherein etwas Tüchtiges geschaffen werden muß. Daß die Partei das Notwendige leisten kann, wenn sie will, daran zweifle ich nicht. Es wären Räumlichkeiten zu mieten, welche auf eine längere Reihe von Jahren genügen; es müßte ein Bibliothekar ernannt werden, der gleich von Anfang an eine monatlich fixierte Entschädigung erhielte, da voraussichtlich es an Arbeit nicht fehlen wird und eine von vornherein festgestellte gewissenhafte Ordnung Lebensbedingung des Instituts ist.

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Um die Geldausgaben nach Möglichkeit zu vermindern, müßten die Parteiblätter, welche zur Aufbewahrung gelangen, wie sämtliche Parteischriften und Broschüren von den Verlegern gratis geliefert werden. Zweifellos würden auch alle Parteigenossen, welche Doppelexemplare älterer bezüglicher Schriften und Werke im Besitz haben, bereit sein, ein Exemplar an die Bibliothek abzugeben. Auch dürfte der Fall eintreten, daß mancher seine Privatbibliothek für den Fall seines Ablebens der Parteibibliothek vermacht. Bekanntermaßen werden Bücher, wenn sie zur Auktion gelangen, meist weit unter ihrem Werte verkauft und in alle Winde zerstreut.

Die notwendigen Barmittel wären durch freiwillige Sammlungen aufzubringen, und wäre über diese wie über alle eingehenden Schriften etc. regelmäßig im „Vorwärts" Quittung zu veröffentlichen.

Damit ferner bei Neuanschaffungen nicht einseitig und lückenhaft verfahren würde, wäre eine Bibliothekskommission zu bilden, welche aus dem Bibliothekar und zwei oder vier vom Aufsichtsrat der Genossenschaft zu ernennenden Beiräten bestünde. Diese Kommission hätte in wöchentlich einmal abzuhaltenden Sitzungen nach Maßgabe der vorhandenen Mittel über Neuanschaffungen wie über die innere Organisation der Bibliothek zu beschließen.

Das Reglement für die Benutzung der Bibliothek hätte der Aufsichtsrat der Genossenschaft im Verein mit der Bibliothekskommission festzustellen. Es dürfte sich dabei empfehlen, um nach keiner Seite Benachteiligungen herbeizuführen, daß die am Ort oder dessen nächster Umgebung wohnenden Benutzer ein entsprechendes Lesegeld zahlen müßten, während bei Sendungen innerhalb der ersten Postzone das ganze Porto, bei weiteren Entfernungen die Hälfte zu tragen wäre. Doch soll dies nur ein unmaßgeblicher Vorschlag sein. Dagegen wäre festzuhalten, daß bei der Verleihung gefangene Genossen vor freien bevorzugt würden, und dürften für erstere keinerlei Kosten entstehen, diese hätte vielmehr der Bibliotheksfonds zu tragen.

Ich unterbreite diese Vorschläge der sachgemäßen Prüfung aller Genossen und wünsche, daß insbesondere das Zentralwahlkomitee in Hamburg recht bald Schritte zu ihrer Verwirklichung tun möchte.


Aus: Vorwärts (Leipzig), Nr. 21 vom 20. Februar 1878

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Willy Brandt

Ansprache anläßlich der Grundsteinlegung des Archivs der sozialen Demokratie, 12. Dezember 1967


In der Frühzeit der deutschen Arbeiterbewegung schrieb der Königsberger Demokrat Johann Jacobi, die Gründung des kleinsten Arbeitervereins werde für den künftigen Kulturhistoriker von größerem Werte sein als die Erinnerung an manche großen Schlachten. Und wenn wir heute beobachten, wie sich allenthalben das Interesse der sozialgeschichtlichen Forschung der Geschichte der Arbeiterbewegung zugewandt hat, so scheint sich diese Voraussage durchaus bestätigt zu haben.

Dabei steht hinter diesen Forschungen kein Parteiinteresse, sondern die Erkenntnis, daß deutsche Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert nicht mehr dargestellt werden kann, wenn nicht die überragende Rolle, die die Arbeiterbewegung gespielt hat, entsprechend mit berücksichtigt wird.

Aus kleinsten Anfängen heraus hat sich diese Bewegung schon im 19. Jahrhundert zu einem Faktor entwickelt, der speziell die deutsche Innenpolitik stark beeinflußte. Was zunächst der Ausdruck des Protestes einer unter unwürdigen sozialen Verhältnissen lebenden, politisch bevormundeten Klasse war, hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu einer politischen Kraft entwickelt, ohne die das Ringen um Demokratie in unserem Staat nicht vorstellbar ist. In entscheidenden Augenblicken deutscher Geschichte waren Demokratie und Humanität in erster Linie bei den Kräften aufgehoben, die aus der Arbeiterbewegung hervorgegangen waren.

Dabei geht es nicht nur um die Sozialdemokratie, die die politische Vertretung breiter Schichten der Arbeiterschaft blieb, auch als sie sich an weitere, an demokratischer Ordnung und sozialem Ausgleich interessierte Bevölkerungskreise wandte.

Es geht ebenso um die Gewerkschaftsbewegung, die Genossenschaften und um andere Einrichtungen der Selbsthilfe, die auf der Grundlage der Solidarität durch ihre Arbeit dazu beigetragen haben, die Mißstände und Mißverhältnisse der frühindustriellen Gesellschaft abzubauen und Wege zum demokratischen, sozialen Rechtsstaat zu ebnen.

Im übrigen hieße es offene Türen einrennen, wollte man im einzelnen aufführen, wann und wie das Schicksal unseres Volkes - sei es in der Weimarer

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Republik, vor allem an ihrem Anfang, sei es in den jetzt 22 Jahren nach der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - von der Arbeiterbewegung geprägt worden ist.

In einem anderen aktuellen Sinne ist die Arbeit an der Geschichte der Arbeiterbewegung eine Aufgabe, die gerade der Geschichtsforschung in der Bundesrepublik Deutschland gestellt ist. In Ostberlin wird der Anspruch auf die gültige Darstellung und Interpretation der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung erhoben. Dort versucht man mit allen Mitteln, sich als legitime Erben der Tradition der Arbeiterbewegung zu beweisen. Es ist nicht damit getan, diesen Anspruch zurückzuweisen, sondern es muß auch wissenschaftlich deutlich gemacht werden, wie sehr etwa die konkreten Erscheinungsformen eines SED-Regimes von dem verschieden sind, was Ursprung, Ziel und Anliegen der Arbeiterbewegung war.

In der Regierung der großen Koalition sind wir ständig bemüht, alle sich bietenden Möglichkeiten aufzugreifen, um zu den Ländern Ost- und Südeuropas ein gutes Verhältnis herzustellen. Aber das bedeutet nicht, daß wir einer willkürlichen und einseitigen Interpretation der Geschichte der Arbeiterbewegung zustimmen können. Vielmehr werden wir gerade heute auf die moralischen Werte und politischen Ideale hinweisen müssen, die an der Wiege der deutschen Arbeiterbewegung standen. Der aufreibende Kampf für die Emanzipation des vierten Standes, für die Demokratisierung von Staat und Gesellschaft wurde geführt mit den Zielen Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in einer Gesellschaft, die die Entfaltung jedes Menschen gewährleistet - nicht für die Ersetzung einer Form der Unterdrückung durch eine andere.

Die Dokumente, Briefe, Broschüren, Zeitungen und Zeitschriften, die in dem „Archiv der sozialen Demokratie", zu dessen Grundsteinlegung wir uns heute versammelt haben, aufbewahrt und jedem Interessierten zugänglich gemacht werden sollen, geben davon Zeugnis. Sie machen deutlich, daß der deutsche Sozialismus in seiner heutigen Ausprägung in der Tradition einer Bewegung steht, die durch ihre humanitären und freiheitlichen Triebkräfte gekennzeichnet ist.

Mit der Gründung des „Archivs der sozialen Demokratie" widmen wir uns einer Aufgabe, die seit jeher als wichtig angesehen wurde. Schon im Jahre 1878, unmittelbar vor Inkrafttreten des Sozialistengesetzes, hat August Bebel dazu aufgerufen, die Zeugnisse der noch jungen Arbeiterbewegung zu sammeln, damit die frühen, oft nur in geringer Auflage erschienenen Publikationen nicht verloren gehen sollten. Darüber hinaus sah er es für das Selbstver-

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ständnis der Arbeiterbewegung als notwendig an, daß sie sich ihrer Anfänge und Entwicklungen immer vergewissern könne.

Bebels Vorstoß führte dazu, daß das erste Archiv im Schweizer Exil eingerichtet wurde. In der Folgezeit hat sich diese Sammlung beim Vorstand der SPD zum bedeutendsten Archiv der Arbeiterbewegung überhaupt entwickelt, bis es unter dem Zwang der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf verschlungenen Wegen nach Amsterdam gelangt ist, wo es zum wertvollsten Besitz des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte wurde.

Inzwischen sind Jahre vergangen, in denen die Arbeiterbewegung und die von ihr ausgehenden politischen Kräfte, vor allem in Deutschland, einer grundlegenden Wandlung unterworfen waren. Dabei geht es um gesellschaftliche Umschichtungen, die nicht zuletzt unter dem Einfluß des Wirkens dieser Bewegung sich vollzogen haben. Was aus dieser Zeit an Dokumenten und Quellen gesammelt worden ist und seinen Platz in diesem neuen Gebäude finden soll, wird dem Historiker diese Veränderungen in ihren geschichtlichen Zusammenhängen und inneren Notwendigkeiten eindringlich vor Augen führen.

Wenn wir heute den Grundstein für ein „Archiv der sozialen Demokratie" legen, so drückt sich in dem Namen ebenfalls aus, daß jenes große Emanzipationsstreben, das als Arbeiterbewegung in die Geschichte eingegangen ist und dort bereits unübersehbare Zeichen seines Wirkens hinterlassen hat, sein ursprüngliches Anliegen erweitert hat und heute zur politischen Heimat all derer geworden ist, denen der demokratische Sozialismus die Gewähr dafür bietet, daß die Aufgaben von heute und morgen im Geiste demokratischer und sozialer Verantwortung angepackt werden.

Das „Archiv der sozialen Demokratie" soll auch der politischen Bildung und der Festigung des demokratischen Bewußtseins in unserem Volke dienen. Seit ihren Anfängen hat sich die Arbeiterbewegung um politische Aufklärung gekümmert und ist sie um den Abbau von Vorurteilen bemüht gewesen. Die Geschichte der Arbeiterbewegung und des demokratischen Sozialismus ist auch die Geschichte der permanenten Absage an die Verlockungen totalitärer Ansprüche und Ideologien, die Geschichte eines redlichen Ringens um die Durchsetzung politischer und sozialer Vorstellungen. Für die Auseinandersetzung mit extremistischen Gruppen und für das Gespräch mit der jungen Generation hat dieser Hinweis seine besondere Bedeutung.

Wenn wir das „Archiv der sozialen Demokratie" in die Obhut der Friedrich-Ebert-Stiftung geben, so wissen wir, daß diese bewährte Institution es

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nicht bei der bloßen Aufbewahrung des Materials bewenden lassen wird. Ihr Ziel wird es sein, die Quellen weiterhin, wo es nur möglich ist, zu sammeln, sie sachgemäß zu archivieren, sie in wissenschaftlichen Arbeiten auszuwerten und die gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen in politische Bildungsarbeit - nicht nur in Deutschland, sondern auch international, wie es einer seit Jahren erfolgreichen Arbeit entspricht.

Die Arbeiterbewegung kann auf eine lange Tradition ihrer eigenen Geschichtsschreibung zurückblicken. Seit geraumer Zeit hat auch die offizielle Historiographie sich diesem Themenkreis zugewandt. Es ist mein Wunsch, daß die Einrichtung des „Archivs der sozialen Demokratie" bei der Friedrich-Ebert-Stiftung dazu beitragen wird, die Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung als eine Aufgabe der Gegenwart und der Zukunft noch mehr als bisher bewußt zu machen.

Als wesentliche Quellen wird dieses „Archiv der sozialen Demokratie" die Unterlagen des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands als Leihgabe erhalten. Einen entsprechenden Beschluß hat der Vorstand meiner Partei noch unter unserem Freunde Erich Ollenhauer gefaßt. Ich bin froh, daß wir nun in der Lage sind, dieses von Erich Ollenhauer geförderte Vorhaben in die Tat umsetzen zu können.

Von dieser Stelle aus möchte ich an alle Organisationen, Institutionen, Mitarbeiter und Mitglieder der deutschen Arbeiterbewegung die Bitte richten, die in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen, die für die Erforschung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung von Wichtigkeit sind, dem „Archiv der sozialen Demokratie" der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Verfügung zu stellen. Durch gemeinsame Mitarbeit werden in kurzer Zeit in diesem Archiv alle historisch relevanten Auskünfte zusammengefaßt sein - auch über die kleinsten Arbeitervereine, wie es Johann Jacobi einst anregte.

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„Möge das Haus, das dieser Grundstein tragen wird,



Hammerschlag

ein Zentrum lebendiger Forschung werden,





Hammerschlag

aus dem die demokratische Bildung in alle Schichten des deutschen Volkes getragen



Hammerschlag

und die Verständigung zwischen allen Völkern der Erde gefördert wird."





Aus: SPD-pressemitteilungen und informationen Nr. 592/67, 12.12.1967

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Willy Brandt

Festrede zur Eröffnung des Archivs der sozialen Demokratie,
6. Juni 1969


Vor anderthalb Jahren, im Dezember 1967, sprach ich anläßlich der Grundsteinlegung dieses Hauses über die wissenschaftliche und staatspolitische Bedeutung des „Archiv der sozialen Demokratie". Ich versuchte damals zu sagen, weshalb die Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung eine wichtige Aufgabe der Gegenwart ist.

Lassen Sie mich heute zur Einweihung des fertiggestellten Hauses, an die damals geäußerten Gedanken anknüpfen und die historisch wie politisch bedeutsamen Vorzeichen erläutern, unter denen das „Archiv der sozialen Demokratie" an die Öffentlichkeit tritt.

Dieses Archiv, für dessen Errichtung ich mich als Vorsitzender der So-
zialdemokratischen Partei Deutschlands nachdrücklich eingesetzt habe, versteht sich zunächst als Sammelstelle von Quellenmaterial zur Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Es soll darüber hinaus Forschungen anregen und selber betreiben. Seine Bemühungen sind damit Teil der sozialgeschichtlichen Forschung in unserem Lande.

Ich hoffe, daß sich nicht nur die in Betracht kommenden Organisationen, sondern auch viele einzelne entschließen werden, dem „Archiv der sozialen Demokratie" Dokumente und Materialien zu übergeben, die für die Geschichte der Arbeiterbewegung Bedeutung haben. Jedenfalls möchte ich von dieser Stelle aus recht herzlich darum bitten.

Der Friedrich-Ebert-Stiftung und den Mitarbeitern dieses Archivs wünsche ich - über die Genugtuung hinaus, die aus der Pflege guter Tradition erwächst - möglichst viel politisch-pädagogischen und wissenschaftlichen Erfolg.

Gerade in der deutschen Wissenschaft hat sich während der zurückliegenden anderthalb Jahrzehnte die Beschäftigung mit der Sozialgeschichte stärker durchgesetzt. Lange Zeit hindurch verschüttete oder außer acht gelassene Ansätze kamen zum Durchbruch. Das traditionelle Bild von der deutschen Geschichte wurde nicht unwesentlich korrigiert.

Dabei hatte es die sozialpolitische Forschung, die gesellschaftliche Gruppen, Tendenzen, Kämpfe und Bewegungen analysiert, nicht leicht gegenüber einer mächtigen geschichtswissenschaftlichen Tradition, die sich ganz überwiegend als Interpretin der Staatspolitik verstand. Manches, was den „klassischen" Richtungen der Historiker zugerechnet wird, ließ bis in die jüngere Vergangenheit nur wenig Raum für eine realistische Beurteilung der Gesellschaft. Und oft war es nur ein kleiner Schritt von der Verherrlichung

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der herrschenden Mächte bis zur Verdammung und zur Anklage der Staatsfeindlichkeit gegen die Kräfte, die um Demokratie und soziale Erneuerung bemüht waren.

Allerdings will ich ein selbstkritisches Wort gleich hinzufügen: Es ist ja nicht nur so, daß die Geschichte der Arbeiterbewegung von der etablierten Geschichtswissenschaft lange Zeit vernachlässigt worden ist. Es ist auch so, daß die Arbeiterbewegung die kritische Pflege ihres historischen Erbes, die Selbstdarstellung und deren rechtes Zuordnen durchweg selbst vernachlässigt hat. Es gibt nicht nur rührende, sondern auch bemerkenswerte Ausnahmen. Aber von einer durchgängigen Unterentwicklung auf diesem Gebiet kann ich auch die Partei nicht freisprechen, deren Vorsitzender ich bin.

Daß wir dies erkannten, hat uns ja gerade darauf drängen lassen, daß dieses „Archiv der sozialen Demokratie" Wirklichkeit würde. Es soll dafür sorgen, daß stolze Seiten und gute Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte weder ausgespart noch falsch gezeichnet werden. Es soll, um ein bekanntes Wort abzuwandeln, auch dazu beitragen, daß die Wirklichkeit nicht nur unterschiedlich interpretiert, sondern daß sie verändert wird - verändert in Richtung auf die zunehmende Verwirklichung der sozialen Demokratie.

Wieviel ist beispielsweise von den gewissermaßen klassischen Historikern über den „Primat der Außenpolitik" geschrieben worden. Natürlich war das nicht alles falsch. Aber vielfach stellte es sich so dar, als seien die Entfaltung staatlicher Macht nach außen und der Kampf um nationale Einflußsphären bestimmend für die innerstaatliche Ordnung.

Nun, ich weiß als Außenminister noch besser als vorher und erlebe noch stärker als andere, wie entscheidend weltpolitische und außenpolitische Entwicklungen auch in unseren Tagen auf das innerstaatliche Leben und auf das gesellschaftliche Geschehen einwirken. Ich meine dies nicht nur in dem sehr allgemeinen Sinne, daß die Bewahrung des Friedens und die Schaffung einer stabilen Friedensordnung zur zentralen Aufgabe geworden sind. Auch nicht nur in dem Sinne, daß die Organisierung Europas weithin über das Schicksal unseres Volkes und unserer Nachbarländer entscheiden wird.

Aber wir wissen doch auch alle und müssen uns jeden Tag daran erinnern, wie sehr eine gute, möglichst vorbildliche Ordnung im Innern den Rang und die Rolle mitbestimmt, die ein Volk in der Welt spielt. Und wir erleben alle Tage, daß ein demokratischer Staat keine überzeugende Außenpolitik treiben kann, der die innenpolitische Deckung fehlt.

Ich könnte ein langes Lied davon singen, wie sehr außenpolitische, friedenspolitische Bemühungen durch Unverstand und Quertreibereien im eigenen Land beeinträchtigt werden. Aber ich bin nicht hierher gekommen, um zu jammern. Wenn ich schon ein aktuelles Wort sage, dann dies: Ich lasse mich auf keinen Fall von dem als richtig erkannten Weg abbringen, sondern ich

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werde kämpfen, um die erforderliche stärkere innenpolitische Absicherung einer nach vorn gerichteten deutschen Außenpolitik zu erreichen.

Wir wollen uns auch daran erinnern, welche Chancen sich nach dem Ersten Weltkrieg boten und wie sie vertan wurden. Wir alle wissen von dem verhängnisvollen Fortwirken obrigkeitsstaatlicher, nationalistischer, reaktionärer Tendenzen während der Weimarer Republik, vom Gewicht des konservativen Antidemokratismus, der schließlich zum Rückfall in die Barbarei und in die Massenzerstörung führte. Wir alle wissen von dem bitteren, zermürbenden Kampf, den die stärkste freiheitliche Kraft in diesem Lande, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, in jenen Jahren und während des Dritten Reiches führte. Und diese Erfahrungen lehren uns: Vor Rückfällen nicht nur in die braune, sondern auch in die schwarz-weiß-rote Vergangenheit muß man auf der Hut sein; gegen diese Bedrohung unseres Volkes muß man Front machen.

Ich sage dies als ein Mann, der zuversichtlich ist, der aber auch seine Sorgen nicht unausgesprochen lassen darf. Wer Augen hat zu sehen und Ohren zu hören, der weiß, wie stark die Versuchung mancher Kräfte in diesem Staat ist, unserem Volk eine nationalistisch-konservative Brille aufzusetzen, schlechte Gefühle auszubeuten, eingebildete Welten als Wirklichkeit auszugeben, unserem Volk einen Krebsgang zuzumuten.

Ich vertraue demgegenüber auf den gesunden Sinn unseres Volkes, auf seine teuer genug erkauften Erfahrungen. Ich vertraue darauf, daß mir viele zustimmen, wenn ich immer wieder sage: Ein guter Deutscher kann kein Nationalist sein. Wer Deutschland liebt, darf den Verstand nicht auf Urlaub schicken, sondern muß sich um Weltoffenheit und Fortschritt bemühen und muß mithelfen am Vaterland der Liebe und Gerechtigkeit, von dem schon August Bebel sprach.

Seit über hundert Jahren geht nun in unserem Land der Kampf um soziale Demokratie. Das heißt, um eine demokratische Ordnung, die jedem ein Höchstmaß an persönlicher Freiheit und Mitgestaltung gibt. Das heißt hundertjähriger Kampf gegen Gewaltherrschaft, Terror und Nationalismus. Das heißt hundertjähriger Kampf für Gerechtigkeit, die sich immer wieder neu zu bewähren hat in der Unterstützung der Schwächeren gegenüber solchen Gruppen und Kräften, die ihr Eigeninteresse im Auge haben. Das heißt hundertjähriger Kampf gegen Großmannssucht und Gruppenegoismus. Die Ereignisse der letzten Jahrzehnte, besonders das Ende des Zweiten Weltkrieges, und die Auflösung des eurozentrischen Staatensystems und Machtdenkens haben zu einer grundsätzlichen Neubesinnung der Geschichtswissenschaft beigetragen: Die Sozialgeschichte, die Darstellung gesellschaftspolitischer Auseinandersetzungen, ist stärker in den Vordergrund des Interesses gerückt. Geschichte wird durchweg nicht mehr verstanden als eine Aneinanderreihung

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von Schlachten und Kabinettskriegen, in Gang gesetzt von kleinen Eliten und großen Männern, die - wie manche meinten - allein Geschichte machen.

Nein, es gibt eine viel umfassendere Schau, eine immer genauere Analyse konkreter Bedingungen und gesellschaftlicher Triebkräfte. Freilich ist die Gefahr des Ökonomismus damit noch nicht gebannt. Der Mensch ist komplizierter, als ihn manche Theoretiker sehen wollten, und er ist in seinen Strukturen weniger wandelbar, als viele gehofft haben. Aber als gesellschaftspolitisches Wesen ist er fähig, sein Leben im eigenen Land und in der Welt so zu gestalten, daß er den Feind in sich selbst unter Kontrolle bringt und vielleicht sogar besiegt.

Die Arbeiterbewegung im allgemeinen und die deutsche Sozialdemokratie im besonderen haben einen langen Weg hinter sich, auf dem sie immer wieder die Frage nach dem eigenen Standort, nach den eigenen Aufgaben zu stellen hatten. Wer vorwärtsweisende Kraft im Ringen um soziale Demokratie ist, bleibt stets gezwungen zur kritischen, auch selbstkritischen Verarbeitung der gesamtgesellschaftlichen Notwendigkeiten, die sich im technisch-industriellen Zeitalter in immer größerer Zahl ergeben. Die Auseinandersetzung mit Kräften, die sich der gesellschaftlichen Weiterentwicklung entgegenstemmen, bleibt gleichfalls eine permanente Aufgabe.

An diese Stelle gehört auch ein Wort über die Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und sozialer Demokratie. Die Geschichtsschreibung der Kommunisten über die Entwicklung der Arbeiterbewegung ist gefälscht. Unter der Parole der „Parteilichkeit" werden Politik und Erfolge der Sozialdemokraten in einem schwarzen Bild gemalt, das seinesgleichen sucht. Wir haben also auch auf dem Gebiet der Geschichtsforschung festzustellen, daß die Sozialdemokraten von ihren Gegnern auf der rechten wie auf der sogenannten linken Seite verteufelt werden.

Bruno Kreisky hat kürzlich zu Recht festgestellt, daß es sich im Grunde nicht lohne, sich mit den trivialen kommunistischen Argumenten auseinanderzusetzen. Dennoch sind wir angesichts der Entwicklung in der kommunistischen Welt verpflichtet, uns mit dem Kommunismus weitaus intensiver und systematischer zu beschäftigen, als dies bisher der Fall war. Nur so werden wir instandgesetzt, eine Politik der Verständigung und des Friedens zu betreiben, die ohne Illusionen und auf der Grundlage der Gegebenheiten wirken kann, Schritt für Schritt gefährliche Gegensätze abzubauen. Über die prinzipiellen Unterschiede, die es zwischen dem Kommunismus und dem, was die Kommunisten höhnisch „Sozialdemokratismus" nennen, hinaus gibt, sind wir im Sinne der uns gestellten Aufgaben in dieser Welt verpflichtet, alle Tendenzen zu beobachten und zu analysieren, die sich in der kommunistischen Welt bemerkbar machen.

Für den Historiker vom Fach und aus Neigung tauchen immer wieder neue Probleme auf: Welch erregende Aufgabe wird es schon bald für junge Wis-

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senschaftler sein, mit dem Wissen um die europäischen Freiheitskämpfe des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts die Geschichte der sozialen Bewegung in der Dritten Welt zu schreiben! Im historisch-kritischen Vergleich können sich gewiß neue Erkenntnisse für die Erforschung gesellschaftlicher Zusammenhänge ergeben.

Das Ringen um die Verwirklichung einer sozialen Demokratie ist ja nicht nur entscheidend für das politische Geschehen bei uns in Deutschland und in Europa. Die internationale Verflechtung bietet große, unausgeschöpfte Möglichkeiten. Das Material dieses Hauses sollte - gemeinsam mit Wissenschaftlern aus West und Ost - auch nicht allein unter historischen Gesichtspunkten ausgewertet werden. Es muß den jungen, in die Zukunft weisenden Zweigen der Sozialwissenschaften zur Verfügung stehen.

Als Außenminister füge ich hinzu: Ich glaube, wir sollten im Rahmen unserer auswärtigen Kulturpolitik und unserer Entwicklungspolitik noch weitaus mehr tun als bisher, um den jungen Staaten, die daran interessiert sind, jene gesellschaftspolitischen Erfahrungen zur Verfügung zu stellen, die ihnen den politischen und wirtschaftlichen Übergang aus den kolonialen Strukturen zur Eigenständigkeit erleichtern.

Ich denke hierbei an die Förderung der einheimischen Führungsschichten für solche Lebensbereiche, in denen unsere Erfahrungen relevant sind oder sogar Modellcharakter haben können. Die kulturpolitische Aufgabe wird in der vor uns liegenden Zeit noch wichtiger. Die Friedrich-Ebert-Stiftung - das möchte ich bei dieser Gelegenheit sagen - hat seit der Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit nach dem Kriege auf diesem Gebiet gute und zum Teil sogar vorbildliche Arbeit geleistet. Diese Arbeit beginnt in der Dritten Welt ihre Früchte zu tragen und wird - wie ich wiederholt feststellen konnte - in unseren jungen Partnerstaaten weithin anerkannt.

Das „Archiv der sozialen Demokratie" beginnt nun mit der Sammlung und fachgerechten Ordnung von Dokumenten, Büchern, Zeitungen und Zeitschriften, die der sozialgeschichtlichen Forschung, speziell der Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung, dienen. Dies soll solide, seriös, wissenschaftlich fundiert geschehen. Mit falschem Neutralismus und mißverstandenem Objektivismus hat das nichts zu tun. Jeder weiß, was ich damit sagen will. Die Friedrich-Ebert-Stiftung ist keine Parteieinrichtung. Ihrer Nähe zur Sozialdemokratie braucht sie sich jedoch nicht zu schämen. Jeder weiß, wo wir stehen und was wir unseres Volkes wegen noch vor uns haben.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | September 1999

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