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Unternehmensgeschichte des Dritten Reichs und Verantwortung der Historiker : Raubgold und Versicherungen, Arisierung und Zwangsarbeit / Gerald D. Feldman. - [Electronic ed.]. - Bonn, 1999. - 32 S. = 66 Kb, Text . - (Gesprächskreis Geschichte ; 23). - ISBN 3-86077-801-3
Electronic ed.: Bonn: FES Library, 1999

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT






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Vorbemerkung des Herausgebers

Am 10. Dezember 1998 hielt Herr Prof. Dr. Gerald D. Feldman von der University of California in Berkeley, zur Zeit Fellow der American Academy in Berlin, im Gesprächskreis Geschichte der Friedrich-Ebert-Stiftung einen vielbeachteten Vortrag, in dem er die Verantwortung des Historikers angesichts zur Zeit heftiger Diskussionen über die Verflechtung von Banken, Versicherungen und Industrieunternehmen in die Verbrechen des Dritten Reiches behandelte. Diesen Vortrag legen wir hiermit im Druck vor.

Es zeigt sich, wir groß die inneren und äußeren Blockaden sind, die lange Zeit die Befassung mit der Restitution jüdischer Vermögenswerte verhindert haben und erst ein halbes Jahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkrieges aufgelöst werden. Deutlich werden aber auch die Schwierigkeiten, die sich einer differenzierten historischen Aufklärung über die einzelnen, auch wirtschaftlichen Aspekte der Verfolgung insbesondere von Juden entgegenstellen; denn politisch-moralischer Wille allein reicht nicht aus, um den Opfern nationalsozialistischer Verfolgung Gerechtigkeit zukommen zu lassen.

Historiker sind keine Richter, sie können es auch nicht sein. Sie können und müssen aber rational begründete Argumente für einen verantwortungsvoll geführten öffentlichen Dialog sowie für Restitutionsverhandlungen und -prozesse bereitstellen.

Bonn, im Februar 1999
Dr. Dieter Dowe,
Leiter des Historischen Forschungszentrums der Friedrich-Ebert-Stiftung

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Gerald D. Feldman:
Unternehmensgeschichte des Dritten Reichs und Verantwortung der Historiker.
Raubgold und Versicherungen, Arisierung und Zwangsarbeit


Lassen Sie mich diesen Vortrag mit einer persönlichen Anekdote über ein kürzliches Zusammentreffen mit einem Berliner Taxifahrer beginnen. Vor einigen Monaten bat mich das State Department in Washington, an einem in Prag anberaumten Seminar über Versicherungsfragen teilzunehmen, versäumte aber, mir mitzuteilen, daß die Flüge Berlin-Prag von Tempelhof statt Tegel starteten. Als ich dies in Tegel bemerkte, stürzte ich mich ins nächste Taxi, das - passend zu meiner gegenwärtigen Tätigkeit - zum ehemaligen Zentralflughafen des Dritten Reichs raste. Der Fahrer war ein angenehmer, lebhafter Mensch mit großem Interesse an Geschichte und der festen Überzeugung, daß Taxifahrer und Friseure die beiden Gruppen seien, die über die Gedankengänge des Durchschnittsmenschen genau Bescheid wüßten. Nachdem ich seine Frage, was ich denn hier tue, gelassen beantwortet hatte, erklärte er, ohne zu zögern, daß die Leute, mit denen er sich in diesen Tagen unterhalte, in zunehmendem Maße echte Animositäten gegenüber den Juden zum Ausdruck brächten. Denn diese stellten sichtlich unerfüllbare Forderungen nach Wiedergutmachung für Dinge, die sich vor fünfzig und mehr Jahren ereigneten. Dabei hätten doch zahllose andere auch gelitten, zum Beispiel die im Jahre 1945 zwölf Millionen Heimatvertriebenen aus Gebieten, die jetzt zu Polen und Tschechien gehören, und außerdem litten zur Zeit immer noch viele andere mehr, so in den vormals kommunistischen Ländern, dem früheren Jugoslawien und, nicht zu vergessen, in Afrika, Asien usw. Warum müßten die Juden besondere Forderungen stellen, und warum stellten sie andauernd besondere Forderungen? Sie täten, als besäßen sie ein Monopol des Leidens, wo sie doch in Wirklichkeit über eine Heerschar aggressiver Anwälte und ein weltweites Netz von Organisationen verfügten, die sich alle um ihre Interessen kümmerten. Am Ende seien sie nur an einer Sache interessiert, an Geld.

Auf diese Weise hatte die List der historischen Vernunft wieder einmal zugeschlagen und gab mir auf dem Weg nach Prag Stoff zum Nachdenken. Hatten mir doch etliche Leute berichtet, sie befürchteten eine neue Welle von Antisemitismus, ausgelöst durch mehrfache Sammelklagen und andere Gerichtsverfahren in New York und anderswo, bei denen hohe Geldsummen gefordert würden. Auch aus der Schweiz vermehren sich Berichte über den zunehmenden Antisemitismus, der durch die Anschuldigungen gegen die Schweizer aufgrund ihres Verhaltens während des Zweiten Weltkriegs immer wieder neu entfacht wird. Sicher sind keine dieser Bemerkungen und Animositäten gegenüber Juden schrecklich neu, doch sollten uns die Reaktionen auf die gegenwärtigen Restitutionsansprüche, die in Verbindung mit den materiellen Verlusten im Holocaust erhoben werden, aufmerksam machen und zum Nachdenken veranlassen.

Für jemanden, der sich von Berufs wegen mit der historischen Erforschung dieser Probleme befaßt, müssen solche Reflexionen von der Erfahrung der materiellen Einbußen ausgehen, die den Juden vom nationalsozialistischen Regime systematisch, vorsätzlich und auf brutale Weise auferlegt wurden, wobei auch eine ansehnliche Zahl gewöhnlicher Deutscher mitmachte. Nehmen wir zum Beispiel den Fall eines Juristen aus Duisburg, den wir, um seinen Namen zu schützen, Dr. Jakob Rosenberg nennen. 1886 geboren, hatte sich Rosenberg 1913 als Anwalt und Notar etabliert. Er besaß eine gutgehende Kanzlei, seine Klienten kamen hauptsächlich aus Industrie und Handel, und er diente als Justitiar für die örtliche DANAT und die Dresdner Bank. In den frühen dreißiger Jahren verdiente er immerhin 35.000 RM allein mit seiner Notarskanzlei.

Mit einem Schreiben aus dem Jahre 1949 an die amerikanischen Militärbehörden in Deutschland forderte Rosenberg, der mittlerweile in Honduras ein kleines Geschäft betrieb, Schadensersatz in vielfacher Hinsicht. In der Hauptsache ging es ihm zunächst um den Verlust seines Berufs, aus dem er seit 1933 auf Dauer vertrieben wurde. Bis 1938 waren seine notariellen Einnahmen auf 7.775 RM gesunken, und nach 1938 erhielt er Berufsverbot. Da seine beruflichen Qualifikationen nicht auf andere Länder übertragbar waren, forderte er für den Verlust in dieser Kategorie Schadensersatz in Höhe von 500.000 RM. Wie bei vielen deutschen Juden, die aus beruflichen, persönlichen und emotionalen Gründen zögerten, Nazi-Deutschland zu verlassen, bewirkte der Pogrom vom 9./10. November 1938 und verschiedene andere NS-Maßnahmen auch bei Rosenberg eine entscheidende Kehrtwendung. Die Beweggründe dazu beschrieb er in seiner Schadensersatzforderung von 1949: "Am 10. November 1938 drangen auf Veranlassung der damaligen Regierung bzw. Partei einige Räuber gewaltsam in unsere Wohnung, zerstörten mutwillig die Möbel und vor allem alle erreichbaren Glas-, Porzellan- usw. Gegenstände, durchstachen mit scharfen Gegenständen die Bilder usw. Der uns dadurch zugefügte Schaden betrug mehr als 5.000 RM, zumal sich unter den völlig zerstörten Sachen eine wertvolle Porzellansammlung befand. Gemäß para. 14 der Verordnung vom 3.12.38 mußten wir alle unsere Wertgegenstände in Gold, Silber, Perlen, Edelmetallen abliefern. Wir lassen in der Anlage die beiden darüber ausgestellten Aufstellungen folgen. Die dort festgesetzten Preise entsprechen natürlich in keiner Weise auch nur im Entferntesten dem wahren Werte, sondern dienten nur dazu, dem gesetzlich angeordneten Raub ein Mäntelchen umzuhängen. So hatte ich einige Jahre zuvor für die Anschaffung der unter Nr. 9 aufgeführten Perlenkette selbst einen Betrag von 5.000 RM gezahlt und die Kette zu diesem Werte, solange es möglich war, bei Lloyds Bank in London versichert. Der Wert der vorerwähnten Gegenstände überstieg den von der Abnahmestelle ausgezahlten Betrag von nicht ganz 900 RM um mehr als 15.000 RM. In erster Linie verlangen wir aber anstelle Wertersatzes die Herausgabe der Gegenstände, soweit sie vorhanden sind."

Rosenberg forderte auch Entschädigung für den Rückkauf seiner umfassenden Lebensversicherungspolicen und die Veräußerung seiner Wertpapiere, die es ihm damals ermöglichten, die Reichsfluchtsteuer, die den Juden auferlegte Sühneabgabe für den 9. November und verschiedene andere örtliche Sondersteuern, die von Juden zwangsweise erhoben wurden, zu bestreiten. Rosenberg berechnete auch Preise für den erforderlichen Aufwand von Zeit, Arbeit und Geld, um mit seiner Familie emigrieren zu können, und für den staatlichen Raub seiner Güter, der mit der Auswanderung einherging. "Unter normalem Verlauf unseres Lebens", erklärte er, "wären wir nie auf den Gedanken gekommen, auszuwandern, zumal ich als Rechtsanwalt nirgendwo im Ausland eine Aussicht auf Erlangung der Berufsausübung hatte. Deshalb sind alle durch die Auswanderung entstandenen Aufwendungen erstattungspflichtig. Ich [...] kam im November 1938 im Verfolg der von der kochenden Volksseele angeblich verlangten Novemberaktion nach Dachau. Bei unserer Entlassung daselbst hielt der Lagerkommandant folgende Ansprache an uns: ‘Der Zweck >Eures< Hierseins war es, Euch zu zwingen, Deutschland so rasch wie möglich zu verlassen. Dieses Mal kommt Ihr noch lebend heraus. Wer aber ein zweites Mal hierherkommt, braucht nicht damit zu rechnen, daß er jemals lebend zurückkommt!’ Durch diese unter Todesdrohung erzwungene Auswanderung waren wir genötigt, Hals über Kopf alles irgendwie draußen nicht unbedingt Benötigte zu verkaufen oder, richtiger gesagt, zu verschleudern, teilweise auch herzuschenken, da sich nicht genügend Käufer fanden. So mußten wir Möbel, die Bibliothek meiner juristischen Bücher und die außerordentlich wertvolle kunstgeschichtliche Bibliothek meiner Frau fast verschenken, um sie überhaupt loszuwerden. Die, die damals Gegenstände irgendwelcher Art von Juden zu kaufen wagten, zahlten natürlich bei Weitem nicht die wahren Preise, sondern solche, die sich aus unserer Notlage und dem Überangebot ergaben. Teilweise zwang auch die damalige Gesetzgebung zu einem unnatürlich niedrigen Preis, indem angeordnet wurde, daß Gegenstände im Werte von über 1.000 RM nur mit besonderer Genehmigung verkäuflich sein sollten. Wir waren dadurch z. B. gezwungen, einen den ganzen Fußboden bedeckenden echten Teppich, der einen Wert von über 4.000 RM hatte, für etwas weniger als 1.000 RM zu verkaufen. Ähnlich ging es mit unserem aus Edelhölzern eigens für uns angefertigten Schlafzimmer. Aber auch die übrigen Zimmer, Wohneinrichtungsgegenstände, wie Lampen usw. konnten nur zu unglaublich niedrigen Preisen versilbert werden. Dadurch ist uns ein weiterer Schaden von mindestens 15.000 RM entstanden. Für die Beschaffung der Visen, die wir nach den verschiedensten Ländern versuchten, für zahlreiche Fahrten nach Hamburg, Bremen, Köln usw. zwecks Erlangung von Schiffspassage, Besprechungen mit dem hondurischen Konsul in Hamburg, für die Schiffspassagen selbst einschließlich Gepäckfracht, Anschaffung besonderer, für die Tropen benötigten Gegenstände, Kleidung usw. Und zwar für uns und unsere beiden minderjährigen Söhne im damaligen Alter von 11 und 14 Jahren haben wir außerordentliche Aufwendungen machen müssen, die den Betrag von 12.000 RM sicher übersteigen. Auch deren Ersatz wird verlangt."

Schließlich verlangte Rosenberg Ersatz für die 14.702 RM Reichsfluchtsteuer, die er am 29. März 1939 bezahlte, die zur Freigabe des Umzugsgutes entrichtete Summe von 3.550 RM, die Auswandererabgabe in Höhe von 1.501,50 RM sowie die von ihm als Judenvermögenssteuer aufgewendete Summe von 16.500 RM. Von den 24.128 RM, die ihm verblieben, durfte er lediglich 1.447,80 RM mitnehmen, in anderen Worten, 6% gemäß der Golddiskontbank. Er forderte jetzt, im Jahre 1949, die Rückgabe der so abgezogenen 22.680 RM.

Leider fehlt mir der Nachweis darüber, wieviel Rosenberg für seine Forderungen erstattet wurde. Es scheint, daß er sich - bei einer nochmaligen Antragstellung - unter dem Entschädigungsgesetz von 1953 gemeldet hatte und für seine Versicherungspolice bei der Allianz im Wert von mehr als 11.000 RM einen Betrag in Höhe von 105,67 DM rückerstattet bekam, das heißt, den Wert der Versicherungspolice, wenn sie fällig geworden wäre, minus die Prämien, die noch zu zahlen gewesen wären, sowie die bereits ausgezahlte Summe. Er und andere wie er erhielten damals 10% der RM-Summe, die aufgrund der Währungsreform ermittelt worden war. Für die restlichen Forderungen bekam er vermutlich eine Abfindung, die nach verschiedenen Formeln zur Handhabung verlustig gegangener Berufsmöglichkeiten und anderer materieller Verluste ausgearbeitet wurde. Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, daß er nichts im gleichen Wert wiederbekommen hat.

Es ist natürlich möglich, Rosenberg als einen Glücksmenschen zu betrachten. Er und seine Familie kamen mit dem Leben davon. Solches Gold, das er und seine Familienangehörigen in den Zähnen gehabt haben mögen, wurde nicht von ihren toten oder sterbenden Körpern weggerissen, um unter Aufsicht des höchst verläßlichen und völlig unbestechlichen SS-Offiziers Bruno Melmer an die Degussa zum Schmelzen weitergeleitet und schließlich als ein Teil der Goldbarren, mit deren Hilfe die deutschen Kriegsanstrengungen finanziert wurden, an die Reichsbank, andere deutsche, Schweizer und österreichische Banken sowie türkische Goldhändler transferiert zu werden. Rosenberg war ein kluger Anwalt, er wußte zu rechnen, und er holte wahrscheinlich das meiste heraus, was ihm auf Grund der der Entschädigungsgesetze rechtlich zustand.

Dieser Fall ist allerdings deshalb kennzeichnend, weil er uns daran erinnert, warum solche jüdischen Forderungen von besonderer Qualität sind und worum es dabei eigentlich geht. Erstens lag es nicht an den Juden, daß sie ausgesondert wurden. Die Aussonderung der Juden wurde angeordnet, um sie auf die Art und Weise, wie Rosenberg dies erleben mußte, zu verfolgen. Zweitens erinnert uns Rosenbergs Auflistung seiner Entschädigungsansprüche an die ganze Vielfalt seiner Verfolgungen sowohl im materiellen als auch immateriellen Sinne - was es bedeutete, ohne Mittel nach Honduras aufbrechen zu müssen, weggerissen zu werden von einem ausgefüllten Leben und einem Beruf, den man in Ehre, Ansehen und verdientem Wohlstand ausübte. Drittens könnte nur ein Simpel glauben, die von Rosenberg erlittenen materiellen und immateriellen Verluste ließen sich durch Bargeld ausgleichen. Dennoch ist der Versuch, einen solchen Geldwert festzusetzen, durchaus angemessen, zumindest was die den Opfern zugefügten materiellen Verluste betrifft. Die Verbrecher - um dies in unser Gedächtnis zurückzurufen - waren weder primitive Waldbewohner, noch mittelalterliche Kreuzritter, was auch immer sie gelegentlich phantasierten, wenn sie anläßlich öffentlicher Nazifestlichkeiten auf Pferden umherritten. Im Gegenteil, sie waren Mitglieder einer Industriegesellschaft mit langer, wenn auch manchmal problematischer Tradition von anerkannten Eigentumsrechten, einer erfahrenen Verwaltungsbürokratie und wirksamen Überwachungsinstitutionen. Die Entscheidung der Behörden, Vandalismus zu entfachen und diesen gutzuheißen, um dann in einen organisierten bürokratischen Diebstahl überzugehen, dem sich ein Teil der Bevölkerung anschloß, war ein krasser Verstoß nicht nur gegen alle Normen und Werte, mit denen diese Beamten aufwuchsen. Vielmehr verletzte ihr verbrecherisches Verhalten die Maßstäbe der meisten anderen Gesellschaften, mit denen sie Beziehungen pflegten.

Ohne die Bedeutung der Ideologie zu unterschätzen, ist gleichwohl die Erkenntnis wesentlich, daß das Regime und seine Vertreter - zusammen mit den Privatpersonen, die aus der Notsituation der Juden ihren eigenen Vorteil schlugen - versessen auf Diebstahl und maßlos begierig nach Geld waren. Göring sprach klar und deutlich über sein Vorhaben, jüdischen Besitz für seinen Vier-Jahres-Plan zu mobilisieren, ebenso wie er und das Regime diesen Besitz schließlich zur Kriegführung benutzten, um grandiose Eroberungs- und Kolonisierungsabsichten zu verwirklichen. In der Zeit der Massenmorde waren sie es, die - weit über die alten Gebräuche der Grabplünderei hinausgehend - die Idee umsetzten, die Nebenprodukte des Massenmordes, wie Goldzähne, Haar, Schuhe, alte Kleidung etc., zu verwerten, als käme dies der Verwertung von Kohlenebenprodukten gleich oder als handelte es sich darum, den Massenmord mit einem umweltbezogenen Ansatz zu verbinden.

Aus diesem Grund war und ist es für Juden von damals und heute in keiner Weise unangebracht, die gleichwertige Rückgabe wenigstens des materiellen Besitzes zu fordern. Ebenso angemessen ist es in der Tat für Roma und Sinti, die auch selektiert wurden, sowie für Zwangsarbeiter aller Nationalitäten und Volksgruppen, entsprechende Entschädigungs- und Restitutionsforderungen zu stellen, sofern diese nicht schon erfüllt worden sind. Ferner war und ist es durchaus richtig, solche Ansprüche gegenüber Firmen, ob deutsche oder nicht-deutsche, zu erheben, sofern sie sich in bewußter Absicht an diesen Ausbeutungsaktionen beteiligten oder sich hineinziehen ließen, um daraus Profite zu schlagen. Ebenso wie wir bislang feststellen konnten, daß sich eine große Zahl gewöhnlicher Deutscher sowie Nicht-Deutscher am Holocaust beteiligten, so sind wir nunmehr zu der Erkenntnis gelangt, daß Unternehmen in Deutschland, allerdings auch in den besetzten und neutralen Ländern, gleichermaßen in die finanziellen und wirtschaftlichen Untaten des nationalsozialistischen Regimes - oftmals wissentlich und willens - verstrickt waren. Während der letzten paar Jahre sind diese finanziellen Verpflichtungen eingefordert worden, und es gibt keinen Grund, diejenigen zu kritisieren, die daran mitwirkten, auch wenn die Art und Weise, wie die Entschädigungsansprüche gestellt worden sind, Fragen und Probleme nach sich ziehen.

Ein allseits anerkanntes Hauptproblem ist, daß diese Konten und Verträge schon seit geraumer Zeit bestehen, was zwangsläufig zu der Frage führt, warum die diesbezüglichen Forderungen nicht schon früher aufgerollt wurden und wie sich, über fünfzig Jahre nach dem Geschehen, die gegenwärtige Explosion von Forderungen und Rechtsfällen erklären läßt. Im einzelnen würde ich folgende Argumente erwägen, von denen das wichtigste und umfassendste sicherlich das Ende des Kalten Krieges betrifft. Mit dem Ende des Kalten Krieges entstand eine kritische Masse von Umständen, die es möglich machte, diese Themen auf die Tagesordnung zu setzen. Ursprünglich war es ja der Kalte Krieg, - eine Tatsache, die unbedingt im Auge behalten werden muß –, der sie davon abgesetzt hat. Unterstaatssekretär Stuart Eizenstat selbst, die Schlüsselfigur in der amerikanischen Regierung, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzt, hat das Scheitern der Versuche, viele der gestohlenen Güter und das Nazi-Vermögen von den neutralen und anderen Ländern zurückzuerlangen, folgendem Umstand zugeschrieben: "[W]ahrscheinlich [haben] die Politiker nach dem Krieg ihr Augenmerk vornehmlich auf einen drohenden kommunistischen Umsturz und einen Angriff auf ihre Länder und Westeuropa generell gerichtet und sich während des Kalten Krieges um die Eingliederung dieser Neutralen in die westliche Völkerfamilie bemüht." Der Kalte Krieg hat zusammen mit dem Primat des deutschen und westeuropäischen Wiederaufbaus nicht allein sämtliche Fragen, die derzeit zur Diskussion stehen, auf Eis gelegt; er diente auch als wirksame Schranke gegen den Versuch, sie in ihrer Wechselwirkung zu durchleuchten, sobald an dem Problem der Rolle der Wirtschaftsunternehmen im Nationalsozialimus gerührt wurde.

Nicht nur wurde das Gesamtproblem ideologisiert, sondern auch vornehmlich auf die Frage konzentriert, ob sich die Großunternehmen für Hitlers Machtantritt zu verantworten hatten oder nicht. Die Position, die im kommunistischen Lager und in vielen linksgerichteten Kreisen im Westen vertreten wurde, ist weithin bekannt. Das nationalsozialistische Regime und andere faschistische Regierungen galten als die Agenten der Kapitalistenklasse, infolgedessen diese für die Existenz solcher Regime sowie die Verbrechen, die diese begingen, unmittelbar für verantwortlich gehalten wurden. Hätte man sich von dieser Einstellung eine enorm hohe Produktion politisch-historischer Literatur erwarten können, die auf den reichhaltigen, in der ehemaligen Sowjetunion und DDR verfügbaren Archivquellen gründete, so war das Gegenteil der Fall. Die marxistisch-leninistische Interpretation wurde als die richtige akzeptiert, gleichwohl blieb die wissenschaftliche Forschung selbst aus vielerlei Gründen sehr beschränkt. So erhielten sogar Wissenschaftler im kommunistischen Lager niemals vollen Zugang zu den Materialien in ihren eigenen Archiven, und Forschungsschwerpunkte wurden aus Legitimationsgründen auf andere, vorwiegend ideologische, Fragen und Probleme der Arbeiterbewegung gesetzt. Im übrigen gab es nur vereinzelt kommunistische Historiker, die sich auf dem Gebiet der Wirtschaft, mit Sicherheit aber nicht auf dem der kapitalistischen Wirtschaft, auskannten.

Im Westen kam es zu einer grundsätzlichen Debatte über die Rolle der Großunternehmen bei der nationalsozialistischen Machtergreifung, doch die Art und Weise, wie die Fragen gestellt wurden, und die Fortdauer des Kalten Krieges ließen die Banken und Industriekonzerne lange zögern, ihre Archive zu öffnen. Während sie dies mehr und mehr für die Zeit vor 1933 taten, was ihnen schließlich eher zum Vorteil als zum Schaden gereichte, konnten sie sich vielfach nicht dazu entschließen, Einblick in die Akten der NS-Zeit zu gewähren. Sofern sie sich mit Geschichte beschäftigten, vertraten Generationen von Managern in deutschen Unternehmen bis vor kurzem den verständlichen und, wie auch gezeigt worden ist, historisch richtigen Standpunkt, daß die Unternehmer Hitler nicht an die Macht gebracht haben. Dies besagt freilich nicht, daß viele Unternehmer nicht auf wirksamste Weise dazu beitrugen, die Weimarer Republik zu untergraben. Außerdem versuchte so mancher von ihnen, sich als Opfer des Nationalsozialismus zu stilisieren, der sie angeblich dazu zwang, alles Mögliche zu tun, was sie nicht tun wollten und ansonsten nie getan hätten. Insofern sich die Unternehmer der einen oder der anderen nationalsozialistischen Maßnahme widersetzt haben mochten, betrachteten sich einige sogar tatsächlich als Widerstandskämpfer. Zur gleichen Zeit richteten westliche Historiker ihr Augenmerk vornehmlich auf das Problem, wer Hitler an die Macht brachte, eine Frage also, mit der leichter umzugehen war aufgrund der verfügbaren Archivquellen. Das Maß der Vernachlässigung der Finanz- und Wirtschaftsgeschichte des nationalsozialistischen Regimes und des Zweiten Weltkrieges läßt sich an der Tatsache zeigen, daß 75% des für Nazigold-Fragen einschlägigen Quellenmaterials im U.S. National Archive bereits 1982 zugänglich waren und daß bis zum Jahre 1989 insgesamt 90% und seit 1989 lediglich 10% dieses Materials deklassifiziert, also für die Forschung freigegeben worden ist. Kurzum, seit über einem Jahrzehnt stand eine große Menge Archivmaterial zur Verfügung, dem Historiker aber so gut wie keine Aufmerksamkeit schenkten.

Wie dem auch sei, aus dieser Perspektive wird leicht verständlich, von welch ausschlaggebender Bedeutung der Zerfall der UdSSR und der Fall der Mauer wurde sowohl für die historische Forschung wie für den Zugriff diese Fragen. Der ideologischen Debatte gaben die beiden Ereignisse den Todesstoß, denn die Hinterlassenschaft des Kommunismus, namentlich die wirtschaftliche Verwüstung und die in seinem Namen begangenen Verbrechen, verbietet es nahezu, den Kommunismus als moralische und politische Alternative zum Kapitalismus hinzustellen. Die Dichotomie Kapitalismus-Kommunismus ist schlichtweg uninteressant geworden und spielt eine sehr geringe Rolle in der gegenwärtigen Diskussion. Darüber hinaus hat diese noch den Vorteil, von altem Ballast, so dem Streit über die Rolle des "big business" bei Hitlers Machtergreifung oder der Interpretation von Unternehmern als Opfern der Nazis, befreit zu sein. Es waren nicht die Großunternehmer, die Hitler an die Macht brachten. Wie auch immer man ihre Rolle zwischen 1933 und 1945 einschätzt, wäre es aber geradezu absurd, sie nach unserem heutigen Kenntnisstand als Opfer zu begreifen. Zur gleichen Zeit hat der Niedergang des Kommunismus dazu gedient, die Archive sowohl in den früheren Ostblockstaaten wie vor allem in der ehemaligen DDR zu öffnen. Nicht nur sind inzwischen eine ungeheure Menge vorher nicht bekannter Quellen über die Nazizeit in den früheren DDR-Archiven zugänglich. Vielmehr kann auch das unentbehrliche historische Material über Banken, Versicherungsgesellschaften, Nazi-Treuhandgesellschaften, die SS und andere Einrichtungen im Moskauer Sonderarchiv, trotz vieler Schwierigkeiten und hoher Kosten, derzeit eingesehen und ausgewertet werden. Kurzum, der Zerfall des Kommunismus hat eine potentielle Informationslawine geschaffen.

Allerdings wurden die Schüsse, die die Lawine ins Rollen brachten, im Westen - mit Bezug auf die Schweizer - und nicht im Osten abgefeuert, obwohl der Zusammenbruch des Kommunismus sogar auch hier den Weg dazu ebnete. Erstens waren die jüdischen Überlebenden hinter dem Eisernen Vorhang, denen jegliche Entschädigungs- und Restitutionszahlungen und sogar die Forderung danach verweigert worden waren, nunmehr endlich in der Lage, einige echte Zugeständnisse zu erhalten. Die Bemühungen, etwas zugunsten solcher jüdischer Forderungen zu unternehmen, setzten gleichzeitig mit dem Zerfall der DDR ein. Zweitens war man sich allgemein bewußt, wie sehr die Zeit dränge, zumal es ja um die letzte Opfergeneration ging, von der viele Mitglieder in Armut und Vergessenheit lebten. Drittens war unter den Juden, besonders denen in den Vereinigten Staaten, das verzweifelte Gefühl entstanden, die Erinnerung müsse verewigt und – nicht weniger wichtig – es müsse für Gerechtigkeit gesorgt werden, ehe es zu spät ist. Mit seiner Forderung an die Schweizer, Licht in ihre namenlosen und nichtbeanspruchten Konten zu bringen, hatte der World Jewish Congress, wie gut bekannt ist, einen wesentlichen Anteil daran, den Ball ins Rollen zu bringen. Von nicht geringer Bedeutung war allerdings auch der von den Schweizern selbst geleistete Beitrag in dieser Sache, zum einen, weil sie unglaublich plump reagierten, und zum anderen, weil sie aufgrund ihrer Kriegsfunktion als Drehscheibe für Nazigold schnell ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten. Diese Verwundbarkeit der Schweizer war – nebenbei bemerkt – ganz außergewöhnlich, zumal Schweizer Bankinstitute 70% des Raubgoldes im Wert von 630 Millionen Dollar (das heißt, im Dollarwert von 1945), das die Deutschen seit Kriegsanfang, doch hauptsächlich nach 1942, gestohlen hatten, an sich nahmen. Jedenfalls wurde nun dank der Dynamik des amerikanischen Justiz- und politischen Systems, noch verstärkt durch die Mitwirkung der Medien, die Lawine vollends ausgelöst. Ich werde später darauf zurückkommen wegen der wichtigen Folgen für die Rolle, die Historikern wie mir in dieser Sache zufällt, möchte aber vorerst kurz die Bedingungen beschreiben, unter denen sich die neue historische Forschungsarbeit von Personen, die sich wie ich damit befassen, entwickelt hat.

Wie außergewöhnlich und sensationell die von den Schweizern ausgeübte Funktion im Zweiten Weltkrieg eigentlich war, läßt sich an der Tatsache messen, daß die Deutschen bei der sogenannten, in London stattfindenden Nazigold-Konferenz vom Dezember 1997 richtiggehend vernachlässigt und ignoriert wurden. Dies ist allein schon deshalb erstaunlich, weil das deutsche Verhalten, dank der Androhung einer Sammelklage gegen die Allianz und eine Anzahl schweizerischer und italienischer Versicherungsgesellschaften, im Frühjahr 1997 erneut und mit großer Intensität offengelegt worden war. Die den Schweizern gewidmete Aufmerksamkeit war freilich verständlich. Da sie unter den kriegführenden Mächten die einzig konvertible Währung besaßen, spielten die Schweizer eine schlechthin entscheidende Rolle in der deutschen Kriegswirtschaft, wobei aber die Deutschen gleicherweise maßgebend waren für die schweizerische Wirtschaft. Aus diesem Grund machten einige leitende Direktoren schweizerischer Versicherungen verzweifelte Anstrengungen, die Geschäftsbeziehungen mit der Reichsbank und ihren deutschen Kollegen aufrechtzuerhalten, sogar noch in den ersten Monaten des Jahres 1945.

Die Rolle der Schweizer Banken und Bankkonten hatte schon seit langem Verdacht erregt und Kritik ausgelöst. So schienen die auf Quellen basierenden Informationen hinsichtlich des Verhaltens der Banken gegenüber ihren jüdischen Klienten und deren Erben, die sich um die Rückerstattung ihrer Vermögen bemühten, jeglichen Verdacht zu bestätigen. Höchst sensationell und zugleich bedenklich war allerdings die mit ziemlicher Sicherheit noch nicht abgeschlossene Nazigold-Frage, über die in den US-Archiven Berge von Quellenmaterial Auskunft geben. Jetzt tauchte die schon im Jahre 1945 wohlbekannte Tatsache erneut auf, daß das NS-Regime seit Jahren bankrott gewesen war und seine lebensnotwendigsten Rohstoffe mit Gold bezahlte. Dieses Gold bestand aus dem sogenannten, von den Zentralbanken im besetzten Europa gestohlenen monetären Gold und dem sogenannten nicht-monetären Gold, namentlich dem Raubgold, das den Juden und anderen Opfern des Regimes entwendet worden war. Stammte die sensationellste Form des Raubgolds von den Zähnen der Ermordeten, so waren es vorwiegend die von den Juden nach 1938 und 1939 unter Zwang ausgelieferten Wertsachen und Edelmetalle, die die Masse des Raubgoldes ausmachten. Allerdings stellt Raubgold nur einen kleinen Teil dessen dar, was den Juden während der Nazijahre geraubt wurde. Gold lenkt unweigerlich die Aufmerksamkeit mehr auf sich als andere Dinge, eben weil es Gold ist, aber auch weil es auf so furchtbare Weise in Verbindung mit dem Holocaust steht. Jedenfalls führten das Problem Schweiz und die Gold-Frage zur Gründung einer Vielfalt von Kommissionen in den Vereinigten Staaten und in Deutschland – so die von Eizenstat geführte Interagency Commission, das Independent Committee of Distinguished Persons unter Leitung von Paul Volcker und die von Jean-François Bergier geleitete Schweizer Unabhängige Historikerkommission. Auch die zu erforschenden Themen vervielfachten sich und umfaßten nunmehr Versicherungen, Kunst, Kriegsindustrie und die Behandlung von Flüchtlingen. Gleichzeitig wurden immer mehr Länder wegen ihres Geschäftsverkehrs mit dem nationalsozialistischen Deutschland untersucht, so die Türkei, Schweden, Portugal, Spanien, um nur einige zu nennen. Von größter Tragweite war die Öffnung von immer mehr Archiven. Die Vereinigten Staaten zentralisierten ihre Finanz- und Wirtschaftsakten aus dem Zweiten Weltkrieg, während die Schweizer Firmen und Regierungsämter dazu verpflichtet wurden, ihre Akten der Bergier-Kommission zugänglich zu machen.

In Deutschland freilich konnten die Regierungsakten im großen und ganzen bereits eingesehen werden, und sie wurden auch in zunehmendem Maß ausgewertet. Bei privaten Firmenarchiven war es allerdings anders, obwohl die Deutschen - im Gegensatz zu den Schweizern - den Ruf haben, offener mit ihrer Vergangenheit umzugehen. Das glänzende Beispiel hierfür war die Deutsche Bank. Lange bevor sie unter Zwang stand, beauftragte sie eine Gruppe von Historikern, mich eingeschlossen, die Geschichte der Deutschen Bank anläßlich ihres 125. Gründungsjahres zu schreiben, wobei uns vollständiger und freier Zugang zu allem verfügbaren Material gewährt wurde. Nach meinem Dafürhalten setzt der im Jahre 1995 auf deutsch erschienene Band neue Maßstäbe für solche Untersuchungen.

In diesem Zusammenhang möchte ich zwei Bemerkungen machen zur kürzlich geäußerten Kritik, wir hätten es versäumt, uns mit der Raubgold-Frage zu beschäftigen, und hätten auch andere Probleme, die mittlerweile in den Mittelpunkt gerückt sind, nicht angesprochen. Erstens sollte das Buch nie das letzte Wort zur Geschichte der Deutschen Bank, sondern Ausgangspunkt für weitere wissenschaftliche Untersuchungen sein. Zweitens kam die Gold-Frage im Buch nicht zur Sprache, weil weder Harold James, der das entsprechende Kapitel schrieb, noch irgendeiner von uns sich der Tragweite dieser Frage voll bewußt war. Die Entdeckung im Jahre 1998, daß die Deutsche Bank sowie die Dresdner und die Privatbank Sponholz mit Gold, inzwischen als Raubgold identifiziert, gehandelt hatten, und die Suche nach weiteren Archivquellen zur Gold-Frage, die sich als ergiebig erwies, führten zur Gründung einer Sonderkommission von Historikern, der auch ich angehöre. Wir wurden mit einem Bericht über die Raubgold-Frage beauftragt - er ist auf der "web-site" des Beck Verlags zu lesen und erscheint 1999 als Buch - und sollten Forschungen über die Rolle der Deutschen Bank im Dritten Reich im Hinblick auf die Arisierung und andere Fragen intensiver vorantreiben. Auf unseren Bericht und dessen Inhalt wurde in einer Sammelklage gegen die Deutsche Bank Anfang November 1998 weitgehend Bezug genommen. Doch selbst wenn wir die im Jahre 1998 gefundenen Dokumente bereits vor 1995 zur Einsicht gehabt hätten, ist es sehr zweifelhaft, ob wir die Bedeutung des in den Bilanzen aufgeführten Goldes verstanden hätten. Aus der Perspektive der Geschichte der Bank betrachtet, sind es in der Tat die Bilanzen selber, die die wichtigsten Aspekte dieser Dokumente ausmachen. Wie schrecklich auch immer die Schlußfolgerungen sein mögen, die wir in Verbindung mit dem fraglichen Gold und vermutlichen Wissen der betreffenden Direktoren um die Herkunft des Goldes ziehen, so sind doch sicherlich die Arisierungen, an denen die Deutsche Bank mitwirkte und deretwegen jetzt Ermittlungen laufen, ein viel bedeutsamerer und schwerer wiegender Aspekt der Mitschuld der Bank an den Verbrechen des Regimes als die Gold-Transaktionen, die so viel Beachtung gefunden haben.

Dies ist freilich die Perspektive eines Historikers, aber eine Perspektive, die in letzter Zeit von großer öffentlicher Bedeutung geworden ist. Bis vor kurzem haben Historiker, die sich, wie das bei mir der Fall ist, für Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte interessieren, eine kleine und eher isolierte Gruppe innerhalb des Faches gebildet. Wie die meisten Intellektuellen neigen auch Geschichtswissenschaftler dazu, dem eigentlichen Objekt unseres Forschungsinteresses, nämlich dem Wirtschaftsunternehmen, skeptisch gegenüberzustehen und es mit geistiger Verachtung oder gar – wie es Linksintellektuelle tun – mit tiefem Mißtrauen zu betrachten. In den letzten Jahren ist jedoch eine seltsame Entwicklung eingetreten, insofern deutsche Großunternehmen und westeuropäische Regierungen - die Schweiz zum Beispiel – Historiker wie mich beauftragt haben, die Geschichte von Finanz- und Wirtschaftsunternehmen zu untersuchen, um deren Vergangenheit in den trostlosesten Jahren unseres Jahrhunderts, nämlich der nationalsozialistischen Zeit zwischen 1933 und 1945, offenkundig zu machen. Dies ist in der Tat eine revolutionäre Entwicklung sowohl in bezug auf die Großkonzerne als auch auf die Historiker. Früher war es die Gewohnheit unter Großunternehmen, anläßlich irgendeines runden oder halbrunden Jubiläumsdatums historische Darstellungen ihrer Firma in Auftrag zu geben, oft mit dem Ergebnis, daß der wichtigste Teil dieser Jubiläumsbände aus Abbildungen bestand. Zur gleichen Zeit hatten es die Historiker in diesen Jahren alles andere als einfach, die Firmen davon zu überzeugen, ihre Archive der Forschung zu öffnen, sogar wenn es sich um Bestände aus dem 19. Jahrhundert handelte, mit Sicherheit aber in bezug auf Quellen aus der NS-Zeit. Nun jedoch ist die Situation fast umgekehrt: Eine Firma nach der anderen öffnet den Historikern ihre Archive und stellt ihnen gleichzeitig sogar beachtliche Mittel und Hilfen zur Verfügung, um die Rolle und das Verhalten des zu untersuchenden Unternehmens in der NS-Zeit in allen Einzelheiten ans Licht zu bringen.

Die Gründe für dieses Entgegenkommen sind mittlerweile gut bekannt. Viele deutsche Wirtschaftsunternehmen stehen in den Vereinigten Staaten unter der Anklage, ihren Verpflichtungen gegenüber ehemaligen jüdischen Kunden und Klienten nicht nachzukommen - Verpflichtungen, die dadurch entstanden sind, daß sich Großunternehmen an dem durch das NS-Regime initiierten systematischen Raub an den Juden beteiligten, sich in die ungeheuerliche Kriminalität des Regimes verstrickten, indem sie mit der SS verhandelten und Fremdarbeiter als Sklaven ausbeuteten, sich immer noch weigern, die Opfer des Nationalsozialismus zu entschädigen oder nur zu geringfügigen Entschädigungen bereit sind für das Vermögen, das den Juden gestohlen, und für das Leid, das ihnen angetan wurde. Angeklagte Firmen sehen sich deshalb gezwungen, hoch-dotierte Rechtsanwälte zu ihrer Verteidigung und Wirtschaftsprüfer zur Überprüfung von Firmennachlässen einzustellen. Andere ziehen es vor, zu warten, bis sie unter Anklage stehen. Es sind freilich nicht nur rechtliche, sondern auch politische und moralische Probleme, mit denen sie konfrontiert werden. So müssen deutsche Firmen befürchten, daß die amerikanischen Aufsichtsbehörden ihnen das Recht entziehen, weiterhin in den Staaten Geschäfte zu machen, daß ihnen aufgrund von Boykott und einem ungünstigen öffentlichen Image Kunden verlorengehen und daß ihre eigenen Angestellten demoralisiert werden. Auch fürchten sie die Medien, die oftmals über neue Quellenfunde aus Archiven und anderen Stellen in sensationeller und schädigender Weise Bericht erstatten.

Historiker werden deshalb aus verschiedenen Gründen zu Rate gezogen. Oftmals weiß die Unternehmensleitung nur wenig über das Verhalten ihres Betriebs in der NS-Zeit, schon allein deshalb, weil dies bislang kaum untersucht worden ist. Aus dieser Sicht sind Unternehmer kaum oder gar nicht in der Lage, sich gegen die in den Gerichten und – insbesondere – den Medien erhobenen Anklagen zu verteidigen. Sie müssen die Vergangenheit ihrer Firmen ermitteln und offenlegen, und dies auf schnellstem Wege. Gleichzeitig aber erkennen sie, daß vielen der in Presse und Fernsehen verbreiteten Informationen der historische Kontext fehlt, mit der Folge, daß sie immer wieder einen Anstrich des Sensationellen erhalten. Die unter Beschuß geratenen Unternehmer stehen so vor der Wahl, entweder hinzunehmen, daß die Medien Informationen über sie verbreiten, die wie Hammerschläge auf ihre Köpfe niederprasseln, oder darauf zu bestehen, daß ihre Geschichte, wie schrecklich sie auch gewesen sein mag, nüchtern und kontextualisiert dargestellt wird. Zur Aufarbeitung ihrer Vergangenheit benötigen diese Unternehmer professionelle Hilfestellungen, die nur von Geschichtswissenschaftlern geleistet werden können, die etwas über die Wirtschaft und Wirtschaftsunternehmen verstehen und gute Kenntnisse sowohl über die Geschichte der NS-Zeit als auch die Bedingungen, unter denen die Firmen zwischen 1933 und 1945 operierten, besitzen. Die Alternative zu einem solchen Vorgehen wäre für die Unternehmensleitungen zu mauern, die Dinge in die Hände ihrer Rechtsanwälte zu legen und zu versuchen, durchzuhalten, bis das ganze Problem einfach verschwindet. Doch wäre eine solche Handlungsweise besonders in der jetzigen Atmosphäre sehr fragwürdig. Außerdem – und dies ist ein Faktor, der beachtet werden muß – ist die heutige Generation deutscher Wirtschaftsmanager eine andere als die Generation, die verstrickt war, und als deren Nachfolger. Die Vorstände heutiger Großunternehmen sind gut ausgebildete, intelligente Männer und Frauen mit besseren Kenntnissen über die deutsche Geschichte als ihre Vorgänger. Sie sind persönlich viel unbelasteter durch die Vergangenheit als diese und viel eher dazu bereit, sich ihr zu stellen. Insoweit sie sich nicht unnötig nervös machen lassen von den verständlicherweise nervösen Rechtsabteilungen, sind sie selbst daran interessiert, mehr über ihre Geschichte zu lernen. Der Eindruck, den diejenigen auf mich machen, mit denen ich in dieser Sache zusammenarbeite, ist der der Ehrlichkeit und Ehrbarkeit und ein aufrichtiges Bemühen, das Richtige zu tun.

Es braucht nicht eigens erwähnt zu werden, wie sehr es schmeichelt, daß zur Abwechslung einmal auch Historiker gebraucht werden und wie willkommen uns die Honorare für unsere Forschung sind. Freilich liegen sie nicht in der für Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Berater üblichen Höhe, aber immerhin höher als die, die wir für die Erstellung von Gutachten über Kollegen erhalten. Dies sind ungewohnte Umstände, an die man sich leicht gewöhnen kann, obschon sie – zum Teil bereits offenkundige – Gefahren in sich bergen. Auf der einen Seite werden wir von Kollegen, aus denen Neid oder Selbstgerechtigkeit spricht, kritisiert, auf der anderen von der Presse angegriffen, weil wir angeblich der Verlockung, das Geld zu scheffeln und bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen, anheimgefallen sind. Doch tauchen hier weitaus schwierigere und wichtigere Probleme auf. Zunächst ist es die Forschungsarbeit der Historiker selbst, die unmittelbare und ernsthafte Folgen nach sich ziehen kann. Das Problem ist nicht nur, daß unsere Forschungsergebnisse in den Anklagen gegen die Firmen, deren Geschichte wir schreiben, zitiert werden. Ein Großteil der laufenden Diskussionen über Entschädigungen an die Opfer des Nationalsozialismus hat eher mit moralischer als mit rechtlicher Haftbarkeit zu tun, das heißt, mit dem Preis, der ihnen abverlangt werden müßte für ihre Verstrickung im NS-Regime und ihre Mitwirkung an den Prozessen, die von der Verarmung der Juden durch Raub und Enteignung bis zu deren entsetzlichen Qualen durch Zwangsarbeit und zum eigentlichen Holocaust führten. Hier werden Historiker zumindest in mancher Hinsicht dazu aufgerufen, Richter zu sein, nicht in dem Sinn, daß sie direkt über die zu zahlenden Restitutionssummen entscheiden sollen. Sie sollen vielmehr ein Urteil darüber abgeben, was vor sich ging, um damit an eine Jury – die ebensogut die öffentliche Meinung wie Regierungsbehörden, Gerichte oder Firmen selbst sein kann – grundlegende Informationen zu liefern, auf deren Basis die Höhe der zu zahlenden Entschädigungen bestimmt werden kann. Gleichzeitig hegen die Firmen auch die verständliche Hoffnung, daß, wenn der geschichtswissenschaftliche Teil einmal abgeschlossen und der Umfang der Entschädigungen beschlossen ist, sie gewissermaßen alles hinter sich gebracht und so etwas ähnliches wie eine bewältigte Vergangenheit erreicht haben, mit der sie die Öffentlichkeit wieder konfrontieren können. Hier sei man an die Frau erinnert, die auf der Suche nach einem Ehepartner ein Inserat in die Zeitung setzte mit der Erklärung „Ich heirate keinen Mann mit einer unbewältigten Vergangenheit."

Allerdings sind Historiker weder Richter noch Psychiater, und die Aufforderung, eine solche Rolle anzunehmen, kann erhebliche Probleme nach sich ziehen. Zum Beispiel erwarten Firmen von Historikern, daß sie schnell produzieren, eine Erwartung, die sie nie in bezug auf Richter oder Psychiater hegen würden. Wenn Historiker Aufsätze und Bücher schreiben, dann sind diese nicht in der Art laufender Berichte oder Memoranden zum Tagesgeschäft verfaßt, wie sie von Abteilungsleitern erwartet werden. Wie wir überdies alle wissen, kann das Forschen recht langsam und zähflüssig vorangehen. Ähnlich verhält es sich mit der Interpretation. Das nationalsozialistische Deutschland war ein totalitärer Staat, in dem sich die Menschen weder in Schrift noch in Rede frei äußerten oder äußern konnten. Zu verstehen, was wirklich vor sich ging, erfordert deshalb große Geduld. Ferner sind die quellenkritischen Probleme auch mit dem Ende des Hitler-Staates noch nicht gelöst, zumal die Entnazifizierungszeit nicht gerade überwältigendes Verlangen erzeugt hat, die Wahrheit zu sagen. Die Fragestellungen von Historikern richten sich selten auf die Art von Anklagen, die in den Gerichten verhandelt werden, und die Antworten, die sich aus der historischen Forschung ergeben, können selten mit einem einfachen „schuldig" oder „unschuldig" etikettiert werden. Historiker sind keine Richter und können dies auch nicht sein. Sicherlich produzieren sie Urteile wie die Richter auch, die auf den zur Verfügung stehenden Beweisen aufbauen und einer Revision unterzogen werden können; doch sie betreiben keine Entscheidungsfindung, denn ihr oberstes Ziel ist nicht, über die Frage zu entscheiden, ob schuldig oder unschuldig, als vielmehr zu historisieren, in anderen Worten, die Frage von Schuld und Unschuld zu überschreiten und zu Erkenntnissen über das menschliche Verhalten in einem bestimmten Kontext zu kommen. Die Fragen, die Historiker sich stellen, sind von dieser Zielsetzung bestimmt. Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß das Vorgehen der Historiker auch auf moralischer Sensibilität und ethischen Werten gründen muß. Die Erklärung oder Darstellung der Habsucht eines Hermann Göring oder der Treuhandstelle Ost heißt noch nicht, daß damit Mitgefühl für sie oder gar "Verständnis" für ihr Verhalten dokumentiert wird. Hier geht es vielmehr um den Versuch, ihre Mentalität zu verstehen. Von daher wird es zeitweise notwendig, Distanz zu wahren, zumindest die bei diesem Thema unweigerlich auftretende Abscheu zu suspendieren. Es bringt einen nicht viel weiter, über die Kooperation der Unternehmer bei Görings Vierjahresplan zu moralisieren; weitaus wichtiger ist der Versuch, herauszufinden, ob sie diese Zusammenarbeit aus Begeisterung oder aus Notwendigkeit leisteten und auf welchen Vorstellungen ihre beruflichen Verpflichtungen beruhten. Keine Antwort wird exakt richtig sein, und wahrscheinlich konnten die Akteure selbst keine klare Antwort auf diese Fragen geben.

Auch die psychiatrische Metapher ist nur begrenzt nutzbar und darüber hinaus irreführend. Konzerne sind nicht Patienten, und Erkenntnisse über das Verhalten eines Konzerns und dessen Mitarbeiter in der NS-Zeit erklären noch nicht ihr Verhalten in der heutigen Zeit. Auch wenn Unternehmer in ihrer Gesamtheit und als Individuen etwas aus dem Verhalten ihrer Vorgänger gelernt haben und sich viel eher als diese der Gefahren bewußt sind, denen Unternehmen in verschiedenen politischen Kontexten ausgesetzt sind, so haben wir es trotzdem nicht mit einer Vergangenheit zu tun, die von den heutigen Unternehmern geschaffen worden ist. Die Metapher ist vor allem aber deshalb irreführend, weil sich Historiker mit politischen, finanziellen und moralischen Fragen auseinandersetzen, und auch wenn sie dies als Wissenschaftler tun, müssen sie Stellung beziehen. Was sind unsere Verpflichtungen gegenüber diesen Firmen, die unsere Klienten sind? Davon sind wohl die eindeutigsten, daß wir als Geschichtswissenschaftler vorgehen, unsere Unabhängigkeit so weit wie möglich wahren, über unser Untersuchungsobjekt so die Wahrheit schreiben, wie wir dies in anderer Hinsicht tun würden, unseren Prinzipien in der Darstellung unserer Forschungsergebnisse treu bleiben, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wie die Firmen, die Öffentlichkeit, die Opfer oder sonst wer unsere Ergebnisse betrachten.

Wir können allerdings nicht so tun, als ob wir im Elfenbeinturm lebten und eine andere als öffentliche Funktion im öffentlichen Kontext ausübten. Es ist naiv zu denken, daß wir völlig gleichgültig wirken können gegenüber verschiedenen Anklagen gegen Firmen und Konzerne in den Medien, an Gerichtshöfen und vor öffentlichen Körperschaften. Das amerikanische Rechts- und politische System wirkt auf Europäer eher fremd; darüber hinaus ist es den unter Beschuß geratenen Firmen und Konzernen ein geringer Trost, daß dem Präsidenten der Vereinigten Staaten eine weitaus unangenehmere Behandlung widerfährt. Auch das Gerichtsverfahren der Sammelklage ist in Deutschland unbekannt. Ähnlich ungewohnt ist das im amerikanischen Zivilrecht angewandte "adversarial" System, ein auf der Methode der Gegensätzlichkeit beruhendes Streitverfahren, das den Rechtsanwälten ermöglicht, breitgefächerte Anklagen vorzubringen, dem Beschuldigten alle Arten von Fehlverhalten zu unterstellen und sehr vage, ja sogar nichtplausible, Argumente zu präsentieren. Die Taktik des Klägers ist, alle Bereiche so weitgehend wie möglich offenzulegen und den Gegner zu zwingen, Informationen preiszugeben, um auf diese Weise den eigenen Anklagefall zu verbessern. Zum Hauptziel wird bei solchen Verfahren, den Angeklagten zu einem außergerichtlichen Vergleich anzuregen, auch wenn entsprechende Bedingungen ungünstig erscheinen, um auf diese Weise langwierige und kostspielige Gerichtsverfahren zu vermeiden.

Ein weiterer Unterschied zum deutschen System liegt darin, daß die amerikanischen, zumeist gewählten - und nicht, wie in Europa, ernannten - Bank- und Versicherungsaufsichtsbehörden zwangsläufig darauf aus sind, ihre Wählerschaft zufriedenzustellen. Damit soll freilich nicht gesagt werden, daß eine bedeutende Anzahl von ihnen sich nicht zutiefst erregt über die in den Anhörungen dargebotenen Berichte über Verfolgung und Unrecht oder nicht aufrichtig um eine angemessene Regelung der noch ausstehenden Fragen bemüht ist. Eine wichtige Rolle in diesen Verfahren fällt auch prominenten Politikern, wie Senator D'Amato mit seiner ehemals zahlreichen jüdischen Wählerschaft, zu. Amerikanische Politik ist sehr theatralisch, und die theatralische Atmosphäre, die diese Anhörungen, politischen Reden und Gerichtsprozesse umgibt und von der sogar die vom US State Department oder dem britischen Foreign Office organisierten großen internationalen Konferenzen nicht frei sind, kann einschüchternd und furchterregend wirken; manchmal ist sie auch schlichtweg ärgerlich. Schließlich gibt es noch die Medien mit ihrer Flut von Artikeln und Berichten, die oft unreflektiert, zuweilen direkt falsch und regelmäßig aus dem Kontext gerissen sind. Diese Angst machenden Bedingungen haben nicht nur ein beträchtliches Maß an Ressentiments hervorgerufen, sondern zum Teil auch das Aufflackern antisemitischer Gefühle bewirkt.

Angesichts dieser Umstände ist die Vorstellung schwer möglich, der gegenwärtige Drang nach Gerechtigkeit für die Holocaustopfer wäre auch ohne den von New York und Washington ausgehenden Druck entstanden. Das heißt jedoch nicht, daß Historiker in stiller Dankbarkeit für das somit geschaffene Arbeitsbeschaffungsprogramm einfach müßig dastehen sollen. Je mehr ich meiner eigenen Arbeit nachgehe, desto mehr komme ich zumindest für meinen Fall zu dem Schluß, daß die Historiker dem öffentlichen Diskurs nicht einfach ausweichen können und so den Vorwurf riskieren müssen, sich entweder gegenüber dem belasteten Unternehmen oder gegenüber den Klägern zu zuvorkommend zu verhalten. Die Schriftsätze mancher dieser Sammelklagen lassen gelegentlich bei mir das Gefühl entstehen, unsere schlechtesten Geschichtsstudenten hätten sich für das Jura-Studium entschieden. Absurd ist zum Beispiel das Argument, daß die in der sogenannten Reichskristallnacht zerstörten oder beschädigten - insgesamt 7.500 - Geschäfte deshalb arisiert wurden, weil ihnen Feuer- und Diebstahlversicherung versagt wurde, während das Gegenteil der Fall war. Eben weil diese Geschäfte Juden gehörten, wurde ihnen keine derartige Versicherung gewährt. Es ist Unsinn, die Banken deswegen für die Zwangsarbeit verantwortlich zu machen, weil sie in den Aufsichtsräten von Firmen saßen, die Zwangsarbeiter einsetzten. In der Tat werden in den Sammelklagen Aufsichtsrat und Vorstand und die Funktionen ihrer jeweiligen Mitglieder immer wieder verwechselt. Auch ist es eine Unsitte, Dokumente amerikanischer Besatzungsbehörden, die im Jahre 1945 um ein Verstehen der Geschehnisse im Dritten Reich rangen, so zu bewerten, als ob deren Ad-hoc-Entscheidungen grundlegende Tatbestände seien. Ähnlich verdienen die bewegenden Zeugnisse von Holocaust-Überlebenden bei öffentlichen Anhörungen unser Mitgefühl und Verständnis, doch stellen sie nicht immer die eigentlichen Beweise für die erhobenen Anklagen dar. Darüber hinaus - mein abschließender Punkt - liegt die Verantwortung bei uns Historikern, die in Presse und Medien vorkommenden Fehlinformationen zu berichtigen; diese können oft sehr ärgerlich sein, zumal Presse und Medien zum historischen Verständnis, statt es zu behindern, beisteuern sollten. Es irritiert zum Beispiel, wenn Amerikas führende Tageszeitung die Behauptung als Tatsache berichtet, ein neues Dokument sei gefunden worden, das die geheime Zusammenarbeit zwischen einer Firma und der Gestapo bei der Beschlagnahme eines jüdischen Besitzes belegt, obwohl das Dokument weder neu war noch in einem Archiv von den Leuten gefunden wurde, die behaupteten, es gefunden zu haben. Vielmehr publizierte es die angesprochene Firma in ihrer eigenen Jubiläumsschrift, um das Unrecht zu veranschaulichen, das den Juden zugefügt wurde.

Unter den gegenwärtigen Umständen ist die Vorstellung schwierig, wann und wie alle Entschädigungs- und Restitutionsfragen je zu Ende kommen sollen. Auch in dieser Hinsicht müssen Historiker einen Teil der öffentlichen Verantwortung auf sich nehmen. Ich bin oft gefragt worden, was ich als zufriedenstellende Lösung, ja selbst, was ich als gerechte Entschädigung empfände. Im großen und ganzen teile ich die Position meines Kollegen Christopher Kopper - ich glaube, sie ist auch die von Unterstaatssekretär Eizenstat sowie führenden Persönlichkeiten in der deutschen Regierung - , daß die betreffenden Firmen oder vielleicht Gruppen von Firmen in Verhandlungen mit prominenten jüdischen Organisationen zu irgendeiner Übereinkunft hinsichtlich der Wiedergutmachungsfragen kommen sollten. Solche Vereinbarungen müssen nicht nur auf einer kritischen Würdigung der gerechtfertigten und noch offenen Ansprüche beruhen, welche freilich direkt entschädigt werden sollten, sondern müssen sich auch nach den Kriterien menschlicher Gerechtigkeit und Vernunft bzw. "common sense" richten, denen ein aufgeklärtes historisches Urteil der Rolle der Unternehmen im Dritten Reich zugrunde liegt. Die Internationale Kommission unter Leitung des Staatssekretärs Lawrence Eagleburger, die sich mit diesen Versicherungsfragen befaßt, steht Modell für solche Bemühungen. Diese Fragen sollten abgeschlossen werden, wenn auch aus keinem anderen Grund als dem der Opfer selbst, denn dies ist der einzige Weg, ihre Leiden zu lindern, während sie noch am Leben sind. Ziehen sich die Gerichtsverfahren weiterhin in die Länge, wird dies nicht mehr der Fall sein können.

Gleichzeitig müssen solche Regelungen, sollten sie moralisches Gewicht besitzen, endgültig sein. Allerdings bedeutet dies, daß keine Regelung gerecht sein wird, die sich lediglich auf die Überprüfung von Handlungen beschränkt, für die eine Firma rechtlich belastbar oder nicht belastbar sein könnte. Hier sehen sich die Historiker vor eine große Verantwortung gestellt und müssen in ihrer Forschung und Darstellung ihrer Forschungsergebnisse äußerste Vorsicht walten lassen. Wir können nicht ohne jegliche Zweifel dokumentieren, daß Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank, vor allem Hermann Josef Abs, Kenntnis darüber hatten, daß sie mit Raubgold handelten, obwohl unsere historischen Beweise auf eine solche Kenntnis hindeuten. Wir sind allerdings dazu verpflichtet, diesen Verdacht zu äußern. Zur Zeit kann ich nicht nachweisen, daß die Direktoren der Allianz informiert waren über ihre Versicherungsverträge mit den SS- und Wehrmachtstellen in Verbindung mit dem Ghetto in Lodz und den Fabriken in den Konzentrationslagern; trotzdem scheint eine solche Interpretation aufgrund der Indizien durchaus angezeigt. Was ich indes dokumentieren kann, ist, daß es keine Sicherheit gab, wenn man mit der Regierung des Dritten Reichs nichts zu tun haben wollte, und daß umgekehrt Sicherheit darin lag, nicht Bescheid wissen zu wollen. Welchen Preis also sollen wir festsetzen für Wissen, welchen Preis für das Nicht-Wissen-Wollen? Die Beantwortung dieser Fragen liegt sicherlich nicht an mir, dem Historiker. Eher ist es Sache derer, die mich und meine Kollegen ersucht haben, ihre Geschichte zu schreiben, und Sache derer, die mit ihnen in Verhandlung treten.

Abschließend möchte ich die einfache Beobachtung anstellen, daß dies Fragen sind, die sich noch wiederholen werden. Ist die den Unternehmen obliegende soziale Verantwortung zu einem höchst aktuellen Problem geworden, so ist zu vermuten, daß künftig auch andere Fragen, zum Beispiel in bezug auf die Umwelt, an die Historiker herangetragen werden mit der Aufforderung, die einschlägige Geschichte zu untersuchen, Motive zu erhellen und vergangenes Verhalten in einem historischen Kontext zu orten. Unbestreitbar ist dies ein Bereich, in dem wir tätig sein sollen, doch ergibt sich daraus auch die Schlußfolgerung, daß wir unsere eigene soziale Verantwortung klar und deutlich vor Augen haben müssen. Dies bedeutet Respekt und Verständnis für Privatinteressen und eine vom Geist der Aufklärung bestimmte Sorge um den Ausgleich von individuellem Interesse und öffentlichem Erfordernis.


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