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Veranstaltungsimpressionen

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"Frauen sind unpolitisch." (Prof. Dr. Martin Greiffenhagen) "Aber zu sagen, wir verzichten darauf, Macht auszuüben, ist eine Chimäre, ist eine bloße Illusion." (Gabriele Behler) "Wenn man in einer Region leben will, wenn man sich dort entwickeln will, weil man sich dort einfach wohlfühlt, dann sind die Leute auch bereit, über Alternativen in der Region nachzudenken und daran mitzuarbeiten." (Harald Schartau) Das sind nur Auszüge einer Diskussion, die aber trefflich dokumentieren, wie abwechslungsreich im Düsseldorfer Hotel Nikko debattiert, formuliert und auch gestritten wurde.

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"Macht und Moral - Zur Bedeutung von Werten für eine zukunftsorientierte Politik", diesem Thema wollte die Friedrich-Ebert-Stiftung in der Reihe "Impulse aus Nordrhein-Westfalen" nachforschen. Mit Gabriele Behler, stellvertretende Vorsitzende der NRW SPD, Prof. Dr. Martin Greiffenhagen, Universität Stuttgart, Herr Augustinus o. Praem., Heinrich Graf Henckel von Donnersmarck, Leiter des Katholischen Büros von Nordrhein-Westfalen, Prof. Dr. Hans Mommsen, Universität Bochum, Harald Schartau, Leiter des IG-Metall-Bezirks Dortmund, und Dr.-Ing. h.c. Klaus Steilmann, Unternehmer, Bochum, Mitglied des Club of Rome, hatte die Ebert-Stiftung hochkarätige Diskutanten gewonnen. Esprit, Schlagfertigkeit, ausgereifte Standpunkte und rhetorische Feinheiten prägten den Diskurs. Und so konnten über 200 Teilnehmer eine ebenso spannende wie konträre Diskussion erleben.

Einführung bot eine Menge
Streit-Stoff für die Diskussion

"Ich weiß, daß ich mit diesen Überlegungen zum weiblichen Verständnis von Politik das Thema Macht und Moral in neue Unsicherheiten gesteuert habe. Das war Absicht." Mit einem Augenzwinkern beendete Prof. Dr. Martin Greiffenhagen seine Einführung ins Thema. Der Einordnung des Themas in den historischen Kontext hatte er eine ganze Reihe von Einschätzungen folgen lassen, die eine Menge Streit-Stoff für das anschließende Gespräch bieten sollten. Das galt insbesondere für die Ausführungen des Stuttgarter Wissenschaftlers zu der Frage "ob es so etwas gibt wie eine spezifisch weibliche politische Kultur mit eigenen Werten, Denk- und Verhaltensstrukturen".

"Frauen sind unpolitisch" - diese brisante These unterfütterte Greiffenhagen anhand der Ergebnisse verschiedener Untersuchungen ausführlich. Gleichzeitig verwies er auf den Einzug weiblichen Führungsstils in der Wirtschaft, die größere Resistenz von Frauen gegen Radikalismus und Gewalt. Er faßte zusammen: "Alle Merkmale die-

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ses spezifisch-weiblichen Politikstils kommen nach Ansicht vieler Frauenforscherinnen dem demokratischen Ideal wesentlich näher als männliche Politikformen."

Diskussion lebte auch von
der klugen Gesprächsführung

Greiffenhagen nutzte diesen Vorlauf zur Provokation: "Es gibt Ambivalenzen des weiblichen Stils. Eine wachsende Moralisierung bzw. Emotionalisierung der Politik hat auch bedenkliche Seiten. Ebenso enthält die größere Konflikt- bzw. Wettbewerbsscheu von Frauen problematische Züge. Schließlich birgt die Betroffenheitskultur von Frauen und ihr bevorzugtes vor-Ort-Engagement in einer weltweit verzweigten Politik Gefahren von Naivität und Einäugigkeit."

Damit hatte der Wissenschaftler ein Fundament gegossen, auf dem die Meinungen aufeinanderprallen konnten, es sich trefflich debattieren ließ. Werte, Erziehung, Macht, Moral - zwischen diesen Polen bewegte sich dann auch das Gespräch, klug strukturiert und geführt mit einem feinen Gespür für Zwischentöne von Susanne Gelhard. Die ZDF-Journalistin gab den Diskutanten die Themen Wirtschaft, Kirche, Frauen und Politik als Oberkapitel vor, die dann jeweils in bezug zu Macht und Moral gesetzt wurden.

Konsenstruktur für Klaus Steilmann
viel wichtiger als Streitkultur

Mit Werten und deren Wert setzte sich zunächst Klaus Steilmann kritisch auseinander. Der Textil-Unternehmer aus Bochum äußerte die Befürchtung, "daß in allen Bereichen das Säulendenken eigentlich das größte Problem für ein Kontextdenken in der Gesellschaft ist." Steilmann, Mitglied des Club of Rome, fuhr fort: "Ich stelle mir einfach die Frage, warum es uns nicht gelingt, daß Einheit und Zusammen-

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halt, Wahrheit und Erkenntnisdrang, Rechtschaffenheit und Loyalität, Recht, Ordnung und Disziplin, Schönheit und Ästhetik, Liebe sowie Treue, Nützlichkeit sowie Machbarkeit, Gemeinwohl geht vor Eigennutz bei uns so drin sind, daß wir alle diese Themen eigentlich in der Form, wie wir sie heute versuchen miteinander zu diskutieren, gar nicht erst diskutieren brauchen." Streit sei für ihn etwas Negatives. Streitkultur würde viel weniger benötigt als Konsensdiskussionen und eine Konsensstruktur. Der Mode-Fabrikant wörtlich: "Ich glaube, daß wir Vorbilder und Leitbilder brauchen, daß wir eine Glaubwürdigkeit darstellen müssen, und daß an dieser Glaubwürdigkeit sich Menschen ausrichten können. Ich glaube, wir brauchen Fachautorität und Charisma. Ich glaube, wir brauchen Humanautorität. Ich glaube, wir brauchen Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit, Objektivität, Entschlußkraft und Motivationskraft. Wir brauchen Menschen, die positiv und visionär denken."

Endlich starken Abstand von
Staat und staatlichem Anspruch erreicht

Widerspruch formulierte Professor Dr. Hans Mommsen, der "eine Rückwärtsorientierung in den Mentalitäten" befürchtete, "die im weitesten Sinne - ich will Ihnen das nicht unterstellen - zu einer Erneuerung neokonservativer Denkhaltungen führt." Der Bochumer Wissenschaftler nutzte andere Ansätze bei der Beurteilung von Streitkultur. Endlich sei die westdeutsche und vielleicht auch bald die ostdeutsche Bevölkerung soweit, daß sie sich nicht mit einfachen ideologischen Schlagworten politisch manipulieren ließe. Endlich habe sie einen sehr starken Abstand von Staat und staatlichem Anspruch erreicht. Mommsen weiter: "Ich glaube nicht, daß der Überschuß an Anspruchsdenken, der nun durch die Wirtschaftswundermentalität entstanden ist, für die gegenwärtige Masse der Arbeitnehmer noch gilt. Ich bin überzeugt, daß die bereit sind, wenn auch keine Lohnkürzungen, so doch keine Lohnzuwächse zu akzeptieren. Ich bin überzeugt, daß die Masse der Bevölkerung bestimmte

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strukturelle Schwächen sieht und bereit wäre, daran mitzuwirken, und daß insofern auch die Klage der mangelnden Bereitschaft, etwas zu leisten, mit der Realität dieser Gesellschaft nicht unbedingt etwas zu tun hat. Wohl aber haben wir das Problem der Zweidrittel-Gesellschaft mit allen ihren Problemen, nämlich einem beträchtlichen Anteil der Bevölkerung, der unter die Armutsgrenze rutscht." Steilmanns Schlußfolgerungen stimmte er zu: "Es fehlt in der Tat an Glaubwürdigkeit, an Vision, an der Hoffnung auf eine sich verbessernde entwickelnde Gesellschaft."

Moral muß im Alltag verankert sein -
und sie darf dabei auch lächeln

"Natürlich sitzt ein Wissenschaftler sehr oft in seinem Kämmerlein und hat nicht unbedingt immer den Bezug zur Realität." Von diesem Steilmann-Urteil, Antwort auf eine Mommsen-Äußerung, fühlte sich auch Prof. Greiffenhagen betroffen. Der konterte mit historischen Fakten: "Herr Steilmann, wir haben keine Wahl. Wir haben das 1932 probiert mit der konservativen Revolution, mit einem Sprung hinein in eine Vergangenheit, die es gar nicht gegeben hat, und es gibt bei uns eine ganze Reihe von Leuten, die meinen, man müsse Geschichte konstruieren, um die Zukunft zu gewinnen. Das ist keine Alternative. Aber mit einer neuerlichen Runde konservativer revolutionärer Werte wie Pflicht- und Opfer-Nation und -Gemeinschaft können wir überhaupt nichts gewinnen, sondern nur verlieren." Ein Teilnehmer aus dem Publikum ergänzte: "Ich finde darüber hinaus, daß wir bedenken sollten, daß moralische und ethische Postulate auch etwas mit schönem Leben zu tun haben dürfen. Wenn wir als Asketen hervorträten und immer nur mahnen und drohen würden, würden wir die Jugend schon gar nicht bekommen und uns selber auch nicht. Moral muß im Alltag verankert sein, sie muß den Konflikt kennen und bewältigen, und sie darf auch dabei ein bißchen lächeln."

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Katholiken in Deutschland haben
die Pille besser angenommen als Protestanten

Herr Augustinus o. Praem, Heinrich Graf Henckel von Donnersmarck, besser bekannt als Pater Augustinus, lenkte das Gespräch auf den Blickwinkel der Kirche. Die "über zwei Zentner lebende Lobby", wie sich der Geistliche humorvoll selbst charakterisierte, stellte am Beispiel Wahlhirtenbrief den - vermeintlichen - Einfluß der Institution Kirche dar. "Dieser Wahlhirtenbrief wird auf Ersuchen der Bischöfe im sonntäglichen Gottesdienst vorgelesen. Damit erreichen wir im Landesdurchschnitt etwa 16 % der Katholiken, mehr gehen nämlich am Sonntag normalerweise gar nicht mehr in die Kirche. Und der letzte Wahlhirtenbrief, der ist nicht einmal im Kölner Dom vorgelesen worden. Wenn das schon am grünen Holz der Bischofskirche des Erzbischofs von Köln passiert, daß der Wahlhirtenbrief einfach der Predigt oder sonst irgendeiner Verlautbarung geopfert und nicht verlesen wird, dann können Sie sich vorstellen, wieviel Gläubige wir wirklich noch erreichen." Er fügte das Beispiel Empfängnisverhütung hinzu: "Die Katholiken in Deutschland haben die Pille sehr viel besser rezipiert als die Protestanten. Unsere Geburtenzahlen sind sehr viel drastischer heruntergegangen als die aller anderen vergleichbaren Denominationen oder Größenordnungen. Und Sie wissen selber, daß Sie kaum jemanden in der katholischen Kirche in Deutschland finden werden, der sagt: Der Papst hat uneingeschränkt recht, alle anderen haben unrecht, und so wird's gemacht. Da ist die Lebenswirklichkeit einfach stärker."

Pater Augustinus analysierte: "Die Gewerkschaften sind ähnlich wie die Kirchen davon betroffen, daß ihnen die Mitglieder eben einfach weglaufen. In einer institutionenfeindlichen Gesellschaft darf das auch niemanden wundern. Die Zeichen stehen wirklich auf Alarm, wenn im Ruhrgebiet auf einmal die Taubenzüchtervereine Mitgliederschwund zu verzeichnen haben. Dann ist an der herkömmlichen Struktur ernsthaft etwas verändert worden."

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Beschäftigte wollen beteiligt werden
an Entscheidungen im Unternehmen

Daß auch die Gewerkschaften auf veränderte Strukturen reagieren müssen, zeigte Harald Schartau, IG Metall-Bevollmächtiger in Dortmund, eindrucksvoll auf. Einstellungen, Anforderungen und Erwartungen der Mitglieder haben sich rasant entwickelt. "Wenn im Revier ein Betrieb mit traditionellen Produkten beispielsweise für den Bergbau nicht mehr klarkommt, gibt es Beschäftigte, die sich nicht mit einem Sozialplan abfinden, sondern die beteiligt werden wollen an einer Umstrukturierung der Produktionspalette. Und dieser Partizipationswille, den wir in weiten Bereichen haben, der in einigen Unternehmen auch positiv aufgenommen oder sogar forciert wird, der gilt natürlich für die Gewerkschaften selbst auch." Die Konsequenzen seien noch gar nicht zu überschauen. Schartau: "Die alte Vorstellung, man kann alle, im Falle der IG Metall alle drei Millionen Mitglieder, in einen Sack stecken, den dann zubinden und eine Überschrift drauf machen, das gilt nur in ganz begrenzten Fällen." Schartau kommentierte das Ergebnis ganz nüchtern: "Da kommen die Gewerkschaften mit ihren Meinungsbildungsprozessen und mit ihren Entscheidungsprozessen nicht mehr klar."

Aufruf soll mehr Rationalität in öffentliche
Auseinandersetzung um Werte-Erziehung bringen

"In Wahlkampfzeiten über Macht und Moral zu sprechen, mag auf den zweiten Blick lediglich effektvoll erscheinen. Das Thema scheint ohnehin modisch. Und so mag bei manchem der Verdacht naheliegen, hier handele es sich um eine besonders raffinierte Methode der Unschuldsbeteuerung von politischer Seite." Daß es genau darum bei diesem Forum nicht gehen sollte, das stellte Gabriele Behler gleich zu Beginn klar. Sie stellte Inhalte und Intentionen der Werte-Initiative '93 vor, die von ihr, Heidi Busch (CDU), Andreas Reichel (FDP), Beate Scheffler (Bündnis 90 / Die Grünen) und Ilona Wuschig (WDR)

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gegründet wurde. Ziel: "Die Schablonen zu durchbrechen." Der Aufruftext mit der Überschrift: "Werte-Erziehung im Geist der Aufklärung ist Grundlage unserer Demokratie" soll helfen, mehr Rationalität in die öffentliche Auseinandersetzung um Werte-Erziehung zu bringen. In dem Text heißt es warnend: "Die einen instrumentalisieren diese Diskussion und lenken ab von politischen Themen, suchen Sündenböcke und weisen Schuld zu. Die anderen tabuisieren Themen aus vermeintlicher moralischer Überlegenheit, und so entstehen Denkblockaden, Defizite und Mängel auf allen Seiten, und sie werden aus Sorge um falsche Vereinnahmung nicht ausgesprochen und dies in einer Situation, in der gesellschaftliche Desintegration zunimmt, gleichzeitig aber Orientierung gefordert ist."

"Alle Macht geht vom Volke aus", und Tucholsky fragte zurecht, "aber wo geht sie hin?" Mit diesem provokanten Zitat hatte Gabriele Behler die Veranstaltung eröffnet. Die Beschreibungen, Thesen und Meinungen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Perspektiven ließen an diesem Abend immerhin Entwicklungen und Tendenzen offenbar werden. Und so war die Abschlußbemerkung von Susanne Gelhard weitaus mehr als eine rhetorische Floskel: "Ich glaube, wir alle haben durch diesen Abend viel gewonnen."


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Februar 2001

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