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Vorwort

„Arbeit muß sich lohnen - auch für Kleinverdie-nerInnen," so das Motto neuerer beschäftigungspolitischer Initativen, denen es darum geht, niedrig bezahlte Arbeit sozialrechtlich abzusichern und eigenes Erwerbseinkommen an der Schwelle zur Sozialhilfe attraktiver zu machen.

Hintergrund dieser Intiativen ist die Beobachtung, daß immer mehr sozialversicherungspflichtige
Arbeitsplätze zugunsten sozialversicherungsfreier Beschäftigungsverhältnisse abgebaut werden. Nach Schätzungen arbeiten derzeit etwa 5,6 Mio. Erwerbstätige in diesen geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Im Einkommenssegment zwischen 630,- DM und 1.500,- DM werden hingegen Teilzeittätigkeiten nur in sehr geringem Umfang angeboten und nachgefragt. Offenbar „lohnen" sie sich weder für Arbeitgeber noch für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.

Mit der Frage, was unternommen werden kann, um sozialversicherungspflichtige Arbeit im Niedriglohnbereich wieder attraktiver zu gestalten, beschäftigte sich im Frühjahr 1999 eine Veranstaltung des Gesprächskreises Frauenpolitik in Bonn, die unter dem Thema stand: „Geringfügige Teilzeitbeschäftigung und soziale Sicherungssysteme - Trends und Anpassungserfordernisse." Unter der Leitung der stellv. Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion, Ulla Schmidt, MdB, nahmen hierzu Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft, Verwaltung und Wirtschaft Stellung.

Die vorliegende Broschüre enthält die überarbeiteten Referate von dieser Veranstaltung, d.h. von Ulla Schmidt, MdB, der Leiterin des Referats Sozialpolitik beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, Dr. Ute Klammer, sowie vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung Walter Riester.

Ulla Schmidt, MdB, geht in ihrem Beitrag davon aus, daß es unumgänglich sei, Erwerbsarbeit mit

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einem niedrigen Lohnniveau sozialstaatlich zu flankieren, um die vorhandene „Teilzeitmauer" zwischen den sog. geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen oberhalb der 630,- DM-Grenze zu durchbrechen mit dem Ziel im zuletzt genannten Einkommenssegment bis zu ca. 1.500,- DM positive Beschäftigungseffekte zu erzielen.

Dr. Ute Klammer setzt sich in ihrem Referat mit den Vor- und Nachteilen verschiedener Modelle auseinander, die insbesondere unter dem Oberbegriff „Kombilohn" Gegenstand aktueller politischer und wissenschaftlicher Diskussionen geworden sind. Nach Auffassung von Dr. Ute Klammer werden gegenwärtig Vorschläge, die von der steuerfinanzierten Bezuschussung der Sozialbeiträge ausgehen, in der öffentlichen Diskussion am stärksten favorisiert.

Ein in diesem Zusammenhang von Fritz W. Scharpf entwickeltes Modell sieht u.a. vor, daß bis zu Einkommen von 1.500,- DM die Sozialversicherungsbeiträge voll und bei darüberliegenden Einkommen bis zu ca. 2.500,- bzw. 3.000,- DM degressiv abnehmend subventioniert werden. Dabei geht er von Kosten in Höhe von 15 Mrd. DM jährlich aus.

Dr. Ute Klammer betonte im Rahmen der Diskussion zwar, daß eine pauschale Subventionierung des Niedriglohnsektors vor allem Frauen zugute käme, die in diesem Einkommenssegment in besonders hohem Maße vertreten seien. Sie stand einer derartigen Förderung anderseits skeptisch gegenüber. Weder wäre sie unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit besonders hilfreich, noch unter dem Gesichtspunkt des effektiven Mitteleinsatzes vertretbar.

Der Bundesarbeitsminister Walter Riester geht in seinem Beitrag davon aus, daß es in bezug auf
den Niedriglohnsektor dringenden Handlungsbedarf gibt, man dürfe dabei den Blick allerdings nicht einseitig auf die Lohnfrage richten.

Die Ausrichtung der Wirtschaft auf die Produktion von Waren und die Bereitstellung von Dienstleistungen mit hoher Wertschöpfung in Verbindung mit hohen Anforderungen an das Qualifikationsniveau der Beschäftigten würde dazu führen, daß bestimmte Personengruppen kaum eine Chance auf dem Arbeitsmarkt hätten. Dringend benötigt würden Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose, ältere Menschen, Geringqualifizierte und Personen, die auf Grund ihrer familiären Situation beruflich auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt seien. Zusätzliche Beschäftigungspotentiale sieht Walter Riester vor allem im Dienstleistungssektor und hier insbesondere bei den personennahen Dienstleistungen .

Ein spezielles Problem in bezug auf den Niedriglohnsektor sei darüber hinaus der Abgabensprung oberhalb der 630,- DM-Grenze, der auch durch die Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse nicht beseitigt sei. Er betonte, daß es dringend notwendig sei, das bislang fast brachliegende Lohnsegment zwischen 630,- DM und ca. 1.500,- DM zu aktivieren. Eine Glättung der Übergänge, z.B. in Form teilweiser staatlicher Zuschüsse zu den Sozialversicherungsbeiträge, wäre für ihn eine akzeptable Möglichkeit.

Die anschließende Diskussion entzündete sich u.a. an der unzureichenden Fokussierung des Themas Förderung des Niedriglohnbereichs aus frauenpolitischer Sicht sowie an der Neuregelung der 630,- DM-Beschäftigungsverhältnisse. Kritisch wurde

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hier u.a. angemerkt, daß die gegenwärtige Niedriglohndebatte sich allzu sehr am scheinbaren „Normalfall" des geringqualifizierten männlichen Arbeitnehmers bzw. Arbeitslosen sowie des männlichen Sozialhilfeempfängers orientiere. Die besonderen Probleme von Frauen hingegen würden in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion oftmals aus den Augen verloren.

Zentrale Probleme aus frauenpolitischer Sicht seien u.a.: die zu beobachtende wachsende Umwandlung gerade auch qualifizierter sozialver-sicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse (Pflegeberufe, Berufe wie Arzt,- Zahnarzt- oder Tierarzthelferinnen u.a.) in geringfügige Arbeit. Damit einherginge eine zunehmende Segregation des Arbeitsmarktes in Arbeitnehmerinnen 1. und 2. Klasse. Hinzu käme, daß auch durch die gesetzliche Neuregelung die sog. 630,- DM-Jobs nicht abgeschafft oder wesentlich eingeschränkt würden, wodurch das Modell der Hausfrauenehe bzw. der „Zuverdienerin" nach wie vor zementiert würde. Eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oberhalb der 630,- DM-Grenze sei nach wie vor insbesondere unter steuerlichen Gesichtspunkten gerade für verheiratete Frauen wenig attraktiv.

Unter den Teilnehmerinnen bestand ein breiter Konsens, daß die Frage der Beschäftigung von Frauen im Niedriglohnbereich nicht losgelöst von der Regelung der 630,- DM-Jobs betrachtet werden könne. Wichtig sei darüber hinaus, daß die gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen, die die Aufnahme einer existenzsichernden Erwerbsarbeit von Frauen behinderten, verändert würden. Genannt wurden hier konkret u.a. die Abschaffung bzw. Beschränkung des Ehegattensplittings, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf u.a. durch flexible Arbeitszeitmodelle sowie ein ausreichendes Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen für Kinder aller Altersgruppen einschließlich Ganztagsschulen.

Mit der vorliegenden Broschüre wollen wir die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit auf frauenpolitische Aspekte in der gegenwärtigen Debatte zur Förderung von mehr Beschäftigung im Niedriglohnbereich lenken.

Wir danken den AutorInnen für ihr Einverständnis, ihre Referate in der vorliegenden Form veröffentlichen zu dürfen.

Dr. Monika Langkau-Herrmann
Leiterin des Referats Frauenpolitik

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© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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