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TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausg.: 7 ]


Hildegard Wester,
MdB, Frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

Gleiche Entwicklungschancen für alle Kinder auch bei der
Umsetzung der Verfassungsgerichtsentscheidungen sichern




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Das Foto von Seite 7 der Druckausgabe kann leider
in der Online-Ausgabe nicht wiedergegeben werden


Das Bundesverfassungsgericht hat am 19.1.99 wegweisende Entscheidungen zur Entlastung von Familien verkündet. Die Begründung enthält aufschlußreiche Ausführungen:

  • Betreuungs- und Erziehungsbedarf - also die nicht in Geld zu erbringenden Leistungen für Kinder - sind nicht Privatsache der Eltern, sondern Tatbestände, denen der Staat, z.B. bei der Besteuerung oder durch Transferleistungen Rechnung zu tragen hat.
  • Es wird die Aufgabe des Staates betont, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten: Der Staat müsse „die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Wahrnehmung der familiären Erziehungsaufgabe nicht zu beruflichen Nachteilen führt, dass eine Rückkehr in eine Berufstätigkeit ebenso wie ein Nebeneinander von Erziehung und Erwerbstätigkeit für beide Elternteile einschließlich des beruflichen Aufstiegs während und nach Zeiten der Kindererziehung ermöglicht und dass Angebote der institutionellen Kinderbetreuung verbessert werden".

Von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fühlten sich alle bestätigt, die sich für Familien und Kinder einsetzen. Besonders die SPD, die sich seit Jahren für eine Umgestaltung des Familienlastenausgleichs zu einem echten Kinderleistungsausgleich eingesetzt hat.

Die SPD hatte bis zur Verkündung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts am 19.1.99 bereits eine Menge für die Familien erreicht:

  • Die Erhöhung des Kindergeldes von 200 auf 220 Mark ab 1.1.97 war gegen den Widerstand von CDU/CSU und FDP durchgesetzt worden.
  • Nach der Regierungsübernahme wurde das Kindergeld erneut erhöht: Von 220 auf 250 Mark ab 1.1.99.
  • Von dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2001 profitieren insbesondere Arbeitnehmer und Familien mit niedrigen und mittleren Einkommen.
  • Durch das Familienentlastungsgesetz wird das Kindergeld um 20 Mark monatlich und der Kinderfreibetrag um rd. 3000 Mark ab 1.1.2000 erhöht.
  • Volumen der Entlastungen:
    1997: 3,8 Milliarden Mark
    1998: 3,8 Milliarden Mark
    1999: 7,9 Milliarden Mark
    2000: 18,3 Milliarden Mark
    2001: 20,4 Milliarden Mark
    2002: 45,6 Milliarden Mark


Nachdem diese Entlastungen vom Bundestag beschlossen waren und das ganze Ausmaß der Erblast von Kohl und Waigel sichtbar geworden war, hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidungen vom 10.11.1998 am 19.1.1999 verkündet. Hätten wir das gemacht, was Karlsruhe in einer Reihe von Entscheidungen seit 1990 an der Vorgängerregierung kritisiert hat - nämlich abwarten, bis Karlsruhe entschieden hat -, dann hätten wir diese Verbesserungen als ausreichende Umsetzung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung darstellen können.

[Seite der Druckausg.: 8 ]

[Karikatur "Familien-Entlastung ... im Aufwind" / von Traute Pannier]

Jetzt aber ist - vor dem Hintergrund der beschlossenen Entlastungen einerseits und der Erblast andererseits - der Spielraum für zusätzliche Entlastungsmaßnahmen begrenzt. Ein zusätzliches Problem liegt darin, dass die Entscheidung eine Umsetzung durch schlichte Erhöhung der steuerlichen Kinderfreibeträge nahezulegen scheint. Von Kinderfreibeträgen profitieren jedoch nur rd. 30 % der Familien - von den Alleinerziehenden sogar nur rd. ¼ - mit höheren Einkommen. Außerdem steigt die Entlastungswirkung der Kinderfreibeträge mit steigendem Einkommen. Die scheinbar einfache Lösung für die vom Bundesverfassungsgericht gestellte Aufgabe konnte also für die SPD nicht in Betracht kommen. Der demokratische Staat hat nach unserem Verständnis die Aufgabe, allen Kindern in unserer Gesellschaft gleiche Startchancen zu verschaffen. Unsere Vorstellung von sozialer Gerechtigkeit verlangt, dass jedes Kind dem Staat gleich viel Wert sein muss und dass der Löwenanteil des Entlastungsvolumens - gerade bei begrenzten Finanzen - nicht der Minderheit der Bezieher hoher Einkommen reserviert sein darf. Im Gegenteil: Für alle in der SPD war klar, dass die Mehrheit der Familien nicht leer ausgehen darf. Besonders wichtig war uns auch, dass die Alleinerziehenden nicht benachteiligt werden bzw. künftig einen angemessenen Ausgleich für die bisherigen Steuerentlastungen erhalten.

Es galt also, neue Wege zu suchen:

  • Steuerpolitisch wurde die Umwandlung der Kinderfreibeträge in Kindergrundfreibeträge erörtert, weil es nicht plausibel ist, das Existenzminimum des Steuerpflichtigen selbst als Grundfreibetrag - also für alle gleich - das Existenzminimum für seine Angehörigen aber progressiv zu entlasten.
  • Aus Sicht der Familienpolitik wurde gefordert, es müsse möglich sein, für den Bereich der Naturalleistungen - im Unterschied zu dem in Geld zu erbringenden Unterhalt - eine Entlastung ohne Progressionswirkung vorzusehen. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber aufgegeben, den Betreuungs- und Erziehungsaufwand unabhängig davon zu berücksichtigen, ob den Eltern finanzielle Aufwendungen entstehen oder nicht. Im Unterschied zu dem zwingend die finanzielle Leistungsfähigkeit mindernden Geldunterhalt handelt es sich dabei um sog. Opportunitätskosten, die steuerlich anders als der Geldunterhalt berücksichtigt werden können.

Die mit derartigen Modellen zusammenhängenden verfassungs-, unterhalts- und steuerrechtlichen Probleme haben sich aber als so sperrig erwiesen, dass die von Karlsruhe nahegelegte grundlegende Neugestaltung der Familienentlastung bis zum 1.1.2000 mit der gebotenen Sorgfalt nicht zu schaffen war. Deshalb haben wir uns entschieden, hinsichtlich des zum 1.1.2000 zu berücksichtigenden Betreuungsbedarfs zunächst im bisherigen System zu bleiben.

Die Fraktion hat sich entschieden, ab 1.1.2000 in der 1. Stufe die Kinderfreibeträge um rd. 3000 Mark und das Kindergeld um 20 Mark im Monat anzuheben. Besonders wichtig ist für mich, dass das Erziehungsgeld nicht angetastet wird und ein Ausgleich für Alleinerziehende geschaffen werden soll.

[Seite der Druckausg.: 9 ]

Ich weiß, dass es bei den Familienverbänden viel weitergehende Vorstellungen gibt. Auch ich hätte mir eine stärkere Kindergeldanhebung gewünscht. Bei der gegenwärtigen - von der Vorgängerregierung hinterlassenen - Finanzmisere ist eine Entlastung für eine Familie mit 2 Kindern und einem Durchschnittseinkommen von rd. 7.000 Mark brutto in 2000 um 2.400 Mark und ab 2002 sogar um 4.200 Mark ein deutliches Signal: Zusammen mit den bereits von der SPD durchgesetzten Verbesserungen werden den Familien ab 2000 rd. 20 Mrd. Mark und ab 2002 sogar mehr als 45 Mrd. Mark zusätzlich zur Verfügung stehen. In Prozenten ausgedrückt: Die Lohnsteuerbelastung (einschließlich der Steuervergütung Kindergeld) wird in 2002 um rd. 18% gesenkt. Sie werden feststellen, dass sich dies im Vergleich zu den Forderungen durchaus sehen lassen kann.

Mit der Neugestaltung des Familienlastenausgleichs wird eine wichtige Aufgabe der Familienpolitik in dieser Wahlperiode, nämlich die Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Familien, durch einen weiteren Schritt fortgeführt. Unsere Familienpolitik ist aber breiter angelegt: Wir wollen Deutschland wieder zu einem kinder- und familienfreundlichen Land machen. Dazu ist es notwendig, Politik für Kinder und Familien ressort-übergreifend anzusetzen. Es bedarf eines Zusammenspiels zwischen Familienpolitik, Beschäftigungspolitik, Sozialpolitik, Steuerpolitik, Wohnungs- und Rechtspolitik sowie Frauen- und Jugendpolitik. Außerdem müssen die Maßnahmen der verschiedenen politischen Handlungsebenen - Bund, Länder und Kommunen - und der staatlichen Institutionen mit den freien Trägern besser miteinander verzahnt und so die soziale Infrastruktur in unserem Land gestärkt werden.

Erste Schritte sind eingeleitet: Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sollen nicht - wie bisher - primär auf Frauen ausgerichtet werden, sondern sind in ein Gesamtkonzept eingeordnet. Das Programm „Frau und Beruf" soll die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch für Väter verbessern und stellt Verbesserungen beim Elternurlaub in einen Zusammenhang mit erweiterter Teilzeitbeschäftigung und stärkerer Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten bei der Rente. Dieses Gesamtkonzept soll die Voraussetzung schaffen für mehr partnerschaftliche Teilhabe beider Eltern an Familie und Beruf und für echte Wahlfreiheit der Eltern bei der Wahrnehmung der Kindererziehung.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2000

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