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Reform des Presserechts : wie weit darf der Persönlichkeitsschutz gehen? ; Vortag vor dem Gesprächskreis Politik und Wissenschaft des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung am 15. Dezember 1994 in Bonn / Matthias Prinz - [Electronic ed.] - Bonn, 1994 - 33 S. = 50 KB, Text . - (Gesprächskreis Politik und Wissenschaft : Reihe: Recht und Politik) - ISBN 3-86077-347-X
Electronic ed.: Bonn : FES Library, 2001

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




[Seite der Druckausg.: 1-2 = Titelei]
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An der aktuellen Diskussion darüber, inwieweit die Persönlichkeitsrechte vor Veröffentlichungen in den Medien hinreichend geschützt sind, beteiligte sich in der Reihe "Recht und Politik" des Gesprächskreises Politik und Wissenschaft mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Matthias Prinz einer der hervorragendsten Kenner dieser Materie. Wir sind sehr dankbar, daß wir den Text seiner Rede auf der Veranstaltung vom 15. Dezember 1994 auf diese Weise verbreiten können.

Die Leitung der Veranstaltung hatte freundlicherweise Frau Dr. Herta Däubler-Gmelin, MdB, Stellvertretende Vorsitzende der SPD, übernommen.

Gerhard Stümpfig
Leiter des Forschungsinstituts

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Dr. Matthias Prinz
I. Einführung


Der Schutz der Persönlichkeitsrechte vor Presseveröffentlichungen ist ein aktuelles Thema. Vier Jahre, nachdem der Deutsche Juristentag die Rechtslage im wesentlichen für ausreichend hielt, gibt es eine Fülle von Initiativen zur Verstärkung des Persönlichkeitsschutzes. In einem CDU-Grundsatzprogramm vom 23. Februar 1994 (Parteitag in Hamburg) wird ein neuer Auskunftsanspruch, ein Berichtigungsanspruch, eine Erweiterung des Gegendarstellungsrechts und ein erweiterter Schadensersatzanspruch gefordert. Zur gleichen Zeit beschäftigte man sich auch im Saarland mit einer Reform des Presserechts. Am 11. Mai 1994 wurde dort eine viel kritisierte Gesetzesnovelle beschlossen, die u.a. eine Vereinfachung der Gegendarstellungsformalien und die Einschränkung des sogenannten Redaktionsschwanzes vorsah. Auch in anderen Bundesländern wird über eine Veränderung des Presserechts nachgedacht. Die Entwicklung ist nicht nur auf Deutschland beschränkt. In Italien hat es soeben eine bahnbrechende Schmerzensgeldentscheidung gegeben, die für eine verletzende Fotoveröffentlichung DM 250.000,- zusprach. In England diskutiert man nach den Enthüllungen aus dem Intimleben der Royals gesetzliche Regelungen zum Schutz der Privat- und Intimsphäre.

Was macht das Thema so aktuell? In der Medienlandschaft ist der Kampf um Marktanteile in einem nie gekannten Ausmaß

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entbrannt. Konkurrenz belebt das Geschäft, und im Mediengeschäft ist es lebhaft wie nie. Es ist noch gar nicht so lange her, daß es in Deutschland nur einen Fernsehsender gab. Mit Kabel oder Satellitenschüssel bekommt man heute 30 Programme, und in den nächsten Jahren sollen es 150 werden. Es ist noch gar nicht so lange her, daß es in Deutschland nur ein politisches Magazin gab. Nun gibt es auch FOCUS, und im Frühjahr kommt FEUER aus dem Heinrich Bauer Verlag. Der Axel Springer Verlag verlegt in Österreich das Nachrichtenmagazin NEWS, und man hört, daß an einer deutschen Ausgabe gebastelt wird. Die HÖRZU hatte früher quasi ein Monopol. Nun gibt es alle paar Monate neue Programmzeitschriften: TV MOVIE, TV SPIELFILM, TV KLAR, TV NEU. Vor 14 Tagen kam die erste Ausgabe von TV TODAY aus dem Gruner+Jahr-Verlag. Eine Woche später konterte der Heinrich Bauer Verlag mit TV MORE, das aus wettbewerbsrechtlichen Gründen jetzt TV PUR heißt. Jedes dieser Blätter will sich am Markt etablieren. Jeder will etwas Neues bieten. Wenn alle über das "Stoßburg-Video" der CSU-Politikerin Dagmar Wöhrl berichten, ist es zwangsläufig, daß irgendein Blatt dann auch ein Nacktfoto aus dem Film veröffentlicht. Das neue TANGO aus dem Gruner+Jahr-Verlag muß sich nicht nur gegen die Wettbewerber aus anderen Verlagen, sondern auch noch gegen den STERN aus dem eigenen Haus durchsetzen. TANGO geht dann eben noch ein bißchen weiter und veröffentlicht sogar die Bestellnummer des Stoßburg-Videos. Dazu sagte Hermann Meyn, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, in DIE WOCHE: "Das ist die neueste Gipfelleistung einer Zeitschrift, die sich in den

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Markt gedrängt hat und meint, sie müsse die Tabugrenzen, die es mal gegeben hat, endgültig niederwalzen, weil sie um alles in der Welt Auflage machen will."

In diesem Zitat findet man den Hauptgrund für die besondere Schutzbedürftigkeit der Persönlichkeitsrechte in der aktuellen Situation. Es soll um alles in der Welt Auflage gemacht werden, und um alles in der Welt sollen Marktanteile erobert werden. Diese Marktsituation führt in einzelnen Marktsegmenten zu besonderer Rücksichtslosigkeit. Immer mehr Blätter berichten immer sensationeller über immer mehr Leute. Immer mehr werden Opfer der Berichterstattung. Wenn das Politiker betrifft, denken sie über neue gesetzliche Regelungen nach. Wenn es Bürger betrifft, die es sich leisten können, auch einmal ein paar Instanzen durchzustreiten, führt dies zu den Präzedenzfällen, die in den letzten Jahren das Presserecht wesentlich verändert haben.

Dabei mußte sich die Rechtsprechung immer bewußt sein, daß sie sich in einem besonders sensiblen Bereich bewegt. Auf der einen Seite die durch Art. 5 des Grundgesetzes geschützte Meinungs- und Pressefreiheit. Auf der anderen Seite die durch Art. 1 GG geschützte Menschenwürde und das durch Art. 1 i.V.m. Art. 2 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht. Zu Art. 5 GG hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt:

"Ein freies, nicht von öffentlicher Gewalt gelenktes Zeitungswesen ist ein Grundelement des freiheitlichen Staates, es

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ist für die moderne Demokratie unentbehrlich." (BVerfGE 36, 321, 340) und

"Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist das Recht der Meinungsfreiheit schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist... Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt." (BVerfGE 7,198, 208)

Die in Art. 1 GG geschützte Menschenwürde ist nach dem Bundesverfassungsgericht das

"Hauptgrundrecht mit dem höchsten Stellenwert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung." (BVerfGE 45, 187)

Zum Schutz der Menschenwürde und dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gehört der Grundsatz

"Jedermann darf grundsätzlich selbst und allein bestimmen, ob und inwieweit andere sein Lebensbild im ganzen oder bestimmte Vorgänge aus seinem Leben öffentlich darstellen dürfen." (BVerfGE 35, 202, 220)

Dies sind einige von vielen Bundesverfassungsgerichtszitaten, die die besondere Bedeutung der betroffenen Grundrechte betonen und illustrieren, daß richterliche Tätigkeit im Presserecht immer um einen sachgerechten Ausgleich zwischen den beteiligten Grundrechten bemüht sein muß.

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Bei den wichtigen Grundsatzentscheidungen haben die Gerichte sich natürlich von der herkömmlichen Dogmatik leiten lassen und sich mit der Literatur, der bisherigen Rechtsprechung und der Rechtsgeschichte auseinandergesetzt. Die rasante Entwicklung im Medienbereich erforderte aber eine nahezu ebenso rasante Rechtsfortbildung. Dabei ließ man sich von Gerechtigkeitsgrundsätzen leiten, die in den einzelnen Entscheidungen zwar nicht ausdrücklich formuliert sind, die die Rechtsprechung der vergangenen Jahre aber sehr gut erklären können:

1. Wenn falsche Tatsachenbehauptungen verbreitet werden, muß der Betroffene die Gelegenheit haben, allen Empfängern der Erstmitteilung seine eigene Darstellung per Gegendarstellung bzw. die nachgewiesene Wahrheit per Widerruf mitzuteilen. (vgl. dazu BVerfGE 63, 131, 142)

2. Wenn durch Berichterstattung ein Schaden entsteht, muß dieser wieder gutgemacht werden.

3. Wenn jemand mit schwerem Verschulden ganz erheblich verletzt wird, muß sein immaterieller Schaden durch eine Schmerzensgeldzahlung ausgeglichen werden.

4. Wenn jemand vorsätzlich verletzt wird, weil sich der Verletzer auf Kosten der Persönlichkeitsrechte des Verletzten bereichern will, muß das Schmerzensgeld so hoch sein, daß es präventiv wirkt, den Verletzergewinn übersteigt und den Verletzer von zukünftigen Verletzungen abhält.

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II. Die unwahre Tatsachenbehauptung

Die meisten Persönlichkeitsrechtsverletzungen geschehen durch unwahre Tatsachenbehauptungen. Was kann man dagegen tun?

1. Die Gegendarstellung

Das erste und schnellste presserechtliche Mittel ist die Gegendarstellung. Die Gegendarstellung ist eine Erklärung des Betroffenen, die der Erstmitteilung widerspricht. Sie ist in den einzelnen Landespressegesetzen im wesentlichen ähnlich geregelt. Sie muß

  • vom Betroffenen original unterschrieben sein (Fax genügt nicht),

  • kurz sein,

  • sich auf Tatsachen beschränken,

  • unverzüglich (d.h. innerhalb von 14 Tagen) zugeleitet werden,

  • sie muß nicht wahr sein und

  • sie kann im Eilverfahren per einstweiliger Verfügung durchgesetzt werden.

a) Das "Alles-oder-nichts-Prinzip"

Das klingt recht schlicht, ist es aber in der Praxis nicht. Im Gegendarstellungsrecht gilt seit jeher das sogenannte "Alles-oder-nichts-Prinzip". Das heißt in der Praxis: Man schickt

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einer Redaktion eine original unterschriebene Gegendarstellung. Diese lehnt den Abdruck ab. Nun muß man eine einstweilige Verfügung beantragen. Das Gericht hat Einwände:
Die Gegendarstellung ist zu lang oder sie betrifft in einem Punkt eine zulässige Meinungsäußerung, kann irreführend sein, oder... Die kleinste Beanstandung genügt, um die gesamte Gegendarstellung nach dem "Alles-oder-nichts-Prinzip" zurückzuweisen. Man nimmt den Antrag zurück und schickt eine neue Gegendarstellung, die erneut abgelehnt wird. Man beantragt eine neue einstweilige Verfügung. Das Gericht – diesmal vielleicht in anderer Besetzung – hat erneut Einwände. Man nimmt den Antrag zurück und leitet eine dritte Gegendarstellung zu. Diese – oder bei besonders komplizierten Sachverhalten auch erst die vierte oder fünfte Fassung – wird dann irgendwann gedruckt. Das kostet Zeit, Nerven und natürlich auch Geld. Obwohl das Gegendarstellungsrecht für jedermann gilt, können sich nur wenige Leute diese Prozedur und ggf. mehrere Termine vor Gericht leisten. Besonders problematisch: Je umfangreicher, detaillierter und damit verletzender eine Berichterstattung ist, umso schwieriger ist es, eine Gegendarstellung durchzusetzen. Wenn Sie durch einen mehrseitigen SPIEGEL-Artikel mit vielen Details und einzelnen Tatsachenbehauptungen betroffen sind und eine Gegendarstellung mit vielen Einzelpunkten wollen, wird das Gericht viele Bedenken haben. Eine Kollegin von mir hat im letzten Jahr versucht, Gegendarstellungen gegen einen Film durchzusetzen, der in mehreren dritten Programmen gelaufen war, und mußte deswegen zu mehreren Landgerichten. Jeder Richter hatte andere Vorstellungen von der

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Formulierung der Gegendarstellung, und im Ergebnis kamen zu dem Film bei verschiedenen Landgerichten verschiedene Gegendarstellungen durch. Man muß bedenken, daß bei der Gegendarstellung immer das Landgericht zuständig ist, in dessen örtlicher Zuständigkeit der Verlag oder Sender sitzt. Es gibt daher mit Gegendarstellungen unerfahrene Gerichte, die sehr großzügig sind. Es gibt auch Spezialgerichte, die sich laufend mit Gegendarstellungen beschäftigen und recht kleinlich sind. Die Zivilkammer 24 des Landgerichts Hamburg ist als erste Instanz für den Heinrich Bauer Verlag, den Axel Springer Verlag, Gruner+Jahr, den SPIEGEL, den Jahreszeiten Verlag etc. zuständig. Dort hat man seit Jahrzehnten jedes Wort auf die Goldwaage gelegt und zur Formulierung von Gegendarstellungen Vorstellungen, die der Laie, und damit meine ich auch den nicht spezialisierten Anwalt, gar nicht bewältigen kann. Unser Seniorpartner war elf Jahre lang Vorsitzender dieser Kammer und hat dennoch – wie alle anderen – Schwierigkeiten, im ersten Anlauf eine Gegendarstellung zu formulieren, die sicher die Zustimmung seiner Nachfolger findet. Unter allen Insidern, d.h. Richtern, Vertretern der Rechtsabteilungen und Presserechtsanwälten, ist man sich einig, daß niemand so etwas mit Sicherheit kann. Das Problem dabei ist, daß es dazu führt, daß sich nur wohlhabende Parteien Gegendarstellungen leisten können. Weil das Gegendarstellungsrecht ja nun eigentlich jedermann zusteht und weil immer mehr Leute in die Gefahr geraten, von Medienberichterstattung negativ betroffen zu werden, muß man dafür sorgen, daß dieser Rechtsschutz auch für weniger wohlhabende Bevölkerungsschichten einfacher zugänglich ist.

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Eine Lösungsmöglichkeit gibt es im neuen saarländischen Pressegesetz.

Der ursprüngliche Gesetzesentwurf sah vor, daß der Betroffene seine Gegendarstellung in der mündlichen Gerichtsverhandlung ändern kann. Der Richter sollte ihm Formulierungshilfe leisten. Die obligatorische Formulierungshilfe ist dann nicht verabschiedet worden. Geblieben ist aber, daß der Betroffene im saarländischen Verfahren seinen Antrag ändern kann und das Gericht dem Antrag auch teilweise stattgeben kann, d.h. also, daß das Alles-oder-nichts-Prinzip aufgelöst ist. Auch wenn heute im Gesetzestext nicht mehr steht, daß das Gericht Formulierungshilfe leisten soll, so gilt doch § 139 ZPO, der das Gericht dazu verpflichtet, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken. Dadurch provoziert die saarländische Regelung einen Gewissenskonflikt des Richters. Ich darf daran erinnern: Gegendarstellungen müssen nicht wahr sein. Und so kommt ein Richter möglicherweise in die Situation, daß er einer radikalen Partei oder menschenverachtenden Sekten oder gar einem Bordellbesitzer, der einen Bericht über die Arbeitsbedingungen seiner Damen dementiert, bei der Formulierung unwahrer Gegendarstellungen helfen muß. Dies habe ich zunächst für unzumutbar gehalten und hätte daher allein den zweiten Teil der saarländischen Regelung, daß eine Gegendarstellung vom Gericht auch unter Weglassung einzelner Punkte erlassen werden kann, vorgezogen. Nun gibt es einige Gerichte, die so schon arbeiten, insbesondere in den neuen Bundesländern. Dort hat sich eine Rechtsprechung herausgebildet, die es für zulässig hält, ein-

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zelne Punkte der Gegendarstellung zu erlassen und andere nicht. Bei der praktischen Erfahrung haben wir feststellen müssen, daß mitunter besonders wichtige Punkte fehlen und daß es den Betroffenen lieber wäre, statt einer nur teilweise erlassenen Gegendarstellung das altertümliche Verfahren Neuformulieren, Neuzuleiten, Neubeantragen, durchzuführen. Da die Betroffeneninteressen es offenbar verlangen, daß neben der Möglichkeit des teilweisen Erlasses auch die Möglichkeit der Umformulierung der Gegendarstellung im Verfahren besteht, muß man doch der saarländischen Lösung den Vorzug geben und Gewissenskonflikte des Richters über eine Auslegung des § 139 ZPO lösen. Dort galt auch schon bisher, daß bei Hinweisen des Gerichts eine vorsichtige Abwägung zwischen dem Bestreben nach sachlich-rechtlicher Gerechtigkeit und der Wahrung der Unparteilichkeit der Richter vorzunehmen ist. Aus dieser Abwägungsverpflichtung wird man wohl die Konsequenz ziehen können, daß es einem Richter überlassen bleibt, wie weit er im Einzelfall bei der Formulierung der Gegendarstellungsanträge assistiert. Dies scheint mir ein vernünftiges Ergebnis zu sein, und auf dieser Basis ist die saarländische Novelle ein akzeptables Muster.

b) Die Originalunterschrift

Ein weiteres Problem gibt es bei der Gegendarstellung: Die Originalunterschrift. Bei ausländischen Mandanten, vielbeschäftigten Mandanten, reisenden Mandanten ist es erforderlich, daß nicht nur die erste Gegendarstellungsfassung, son-

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dern zusätzlich noch einige Blankobögen unterschrieben werden, damit der Anwalt, falls erforderlich, im laufenden Verfahren neue original unterschriebene Gegendarstellungen zuleiten kann. Diese Praxis ist auch den Gerichten bekannt, und das Gebot der Originalunterschrift ist zur überflüssigen Formalie degeneriert. Durch die skizzierte Änderung nach saarländischem Muster würde sich die Problematik erledigen. Es müßte nur noch eine Gegendarstellung zugeleitet werden und die üblichen Änderungen würden dann in der mündlichen Verhandlung erfolgen. Dies muß natürlich auch durch einen Bevollmächtigten möglich sein, ohne daß es einer erneuten Originalunterschrift bedarf.

c) Gegendarstellungen beim Fernsehen

Ein bisher ungelöster und vielleicht gar nicht lösbarer Komplex ist die Gegendarstellung im Fernsehen. Dort gibt es gleich zwei Probleme.

- Die Erstmitteilung ist farbig und poppig aufgemacht, mit Bildern unterlegt und hat enorme Suggestivkraft. Dagegen setzen wir dann eine Gegendarstellung, die verlesen wird. Da sitzt eine skurrile Gestalt mit schrillem Schlips, und jeder sagt "Ach, guck' mal den an". Keiner hört zu, was er gerade vorliest, weil er es ja auch nicht besonders begeistert und interesseheischend verliest. Die Gegendarstellung verpufft total.

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- Dazu kommt das Problem des Zapping oder Channel-Hopping. Wenn BILD eine Erstmitteilung auf der Titelseite hat und man dagegen eine Gegendarstellung auf der Titelseite setzt, wird sie von einem im wesentlichen gleichen Leserkreis gelesen. Beim Fernsehen ist es anders. Die Erstmitteilung hat jemand mitbekommen, der gerade mal eben eine Wanderung durch die Kanäle unternommen hat, und beim nächsten Mal auf einem anderen Sender gerade ein Fußballspiel sieht, während die Gegendarstellung verlesen wird.

Wie soll man das lösen?

Eine Möglichkeit wäre es, dem Betroffenen einen Schadensersatzanspruch zuzubilligen, der es ihm ermöglicht, einen Gegenfilm zu produzieren und die Sender zum Senden zu zwingen. Eine weitere Möglichkeit wäre es, den Landesmedienanstalten die Möglichkeit zu geben, eine redaktionelle optisch gleichwertige Richtigstellung durchzusetzen. Eine dritte Möglichkeit wäre es, eine unabhängige Institution zu schaffen, die Sender zu optisch gleichwertigen redaktionellen Richtigstellungen veranlassen kann. Dies alles kann aber das Problem des Zapping nicht lösen und wird im Einzelfall zu ungeheuren Schwierigkeiten führen, wenn man feststellen will, ob eine redaktionelle Richtigstellung angemessen ist oder nicht. Vermutlich liegt die Lösung einfach in einer Erhöhung des Schmerzensgeldes bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Fernsehen. Hier wird man eher "Dulde und Liquidiere" sagen müssen als bei Printmedien.

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d) Der Redaktionsschwanz

Ein weiteres Problem der Gegendarstellung ist der Redaktionsschwanz. Das ist die Anmerkung am Ende der Gegendarstellung, in der es üblicherweise heißt:

"Nach dem Landespressegesetz sind wir verpflichtet, diese Gegendarstellung, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt, abzudrucken. Die Redaktion bleibt bei ihrer Darstellung."

Eine solche Kommentierung der Gegendarstellung sollte nach dem ursprünglichen Entwurf des saarländischen Pressegesetzes nicht in derselben Ausgabe der Publikation abgedruckt werden können, in der auch die Gegendarstellung erscheint. Hier wurde ein Konflikt mit der Pressefreiheit festgestellt und der Gesetzesentwurf geändert. Jetzt darf der Redaktionsschwanz zwar in derselben Ausgabe erscheinen, nicht aber auf derselben Seite wie die Gegendarstellung. Diese Regelung hätte man sich sparen können. Erfahrene Presserechtsanwälte haben schon immer neben dem Abdruck einer Gegendarstellung die Unterlassung der Wiederholung der unwahren Berichterstattung verlangt. Man beantragt zeitgleich zwei einstweilige Verfügungen. Die eine verpflichtet den Verlag zum Abdruck der Gegendarstellung. Die andere verbietet eine erneute Wiederholung und damit auch die Erklärung, daß man bei seiner Darstellung bleibt, denn das wäre ja konkludent eine Wiederholung der Erstmitteilung. Dies unterscheidet sich ganz erheblich von der saarländischen Regelung. Für die Unterlassungsverfügung muß der Betroffene nämlich an Eides

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statt versichern, daß seine Gegendarstellung richtig ist. Die saarländische Regelung macht es demgegenüber möglich, eine Gegendarstellung in ein Blatt zu setzen, die nicht wahr ist und der Redaktion gleichzeitig die Kommentierung der Gegendarstellung zu verbieten. Der traditionelle Ansatz ist ausgewogener und berücksichtigt auch das Interesse der Presse, eine unwahre und nicht entsprechend glaubhaft gemachte Gegendarstellung angemessen zu kommentieren. Eine Neuregelung des Redaktionsschwanzes ist nicht erforderlich.

e) Die Position der Gegendarstellung

In der saarländischen Novelle wurde noch etwas geregelt, was nicht unbedingt erforderlich war. Dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Gegendarstellung auf der gleichen Seite des Druckwerkes abzudrucken ist wie die Erstmitteilung. Als das Gesetz im Mai 1994 verabschiedet wurde, hatte sich dies als Ergebnis einer Entwicklung der Rechtsprechung, die im Sommer 1992 begonnen hatte, bereits durchgesetzt. In einer Serie von Musterprozessen waren insgesamt 19 Gegendarstellungen auf Titeln von Illustrierten vor unterschiedlichen Landgerichten und Oberlandesgerichten durchgesetzt worden. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung wäre daher nicht erforderlich gewesen. Man kann sich auch sehr gut darüber streiten, ob sie in der derzeitigen Form im Saarland verfassungsgemäß ist. Gerichte, die Gegendarstellungen auf Titelseiten anordnen, werden sorgfältig darüber nachdenken, ob der von ihnen angeordnete Eingriff in die

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Pressefreiheit, nämlich in die optische Gestaltungsfreiheit, in jedem Einzelfall durch die hinter dem Gegendarstellungsanspruch stehenden Grundrechte des Betroffenen, Art. 1 und Art. 2 GG, gerechtfertigt ist. Diese Einzelfallabwägung scheint mir der Bedeutung der Pressefreiheit gerechter zu werden als die eher schematische Regelung im neuen saarländischen Presserecht. Darüber kann man sich aber sehr gut streiten, und möglicherweise hat die schematische Regelung doch den Vorzug der Rechtsklarheit für sich. Eine Novellierung war jedenfalls nicht dringend erforderlich.

f) Unterschiedliche Landespressegesetze

Die Regelungen der Landespressegesetze waren bisher einheitlich. Das Saarland hat den Gegendarstellungsanspruch jetzt abweichend geregelt. Wenn andere diesem Beispiel folgen und neue Gegendarstellungsregelungen verabschieden, wird die Rechtslage unübersichtlich und für den nicht spezialisierten Anwalt kaum noch zu bewältigen. Der Anwalt, der ständig einen Verlag vertritt und das örtliche Presserecht daher ganz genau kennt, bekommt einen Heimvorteil. Dies ist nicht im Sinne des Betroffenenschutzes. Daher wäre es sinnvoll, wenn Änderungen des Gegendarstellungsrechts einheitlich aufgrund der Rahmenkompetenz des Bundes (Art. 75 Nr. 2 GG) erfolgen würden.

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2. Der Widerrufsanspruch

Neben dem Gegendarstellungsanspruch steht als selbständiger deliktischer Anspruch der Widerrufsanspruch. Der Widerruf ist keine Erklärung des Betroffenen, sondern die Erklärung des Verlages, daß die veröffentlichte Tatsachenbehauptung unwahr ist. Bevor man einen Verlag mit gerichtlicher Hilfe dazu zwingen kann, daß er die Unwahrheit seiner Berichterstattung bekennt, muß man natürlich beweisen, daß die Erstmitteilung falsch ist. Daher sind Widerrufsansprüche nicht in einstweiligen Verfügungsverfahren durchsetzbar, sondern nur im Hauptsacheverfahren. Bis rechtskräftig entschieden ist, dauert das ca. zwei Jahre. Auch hier hat eine aktuelle Rechtsentwicklung dafür gesorgt, daß die Widerrufserklärung immer dort zu veröffentlichen ist, wo auch die Erstmitteilung stand, d.h. der Widerruf zu einer Tatsachenbehauptung auf der Titelseite muß ebenfalls auf der Titelseite abgedruckt werden. Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsprechung des Landgerichts Hamburg und des Hanseatischen Oberlandesgerichtes soeben in einer Entscheidung vom 15. November 1994 bestätigt.

3. Der Schadensersatzanspruch

Ein besonders wichtiger Anspruch ist der Schadensersatzanspruch. Das betrifft zunächst materiellen Schadensersatz. Wenn eine fehlerhafte Presseberichterstattung dazu führt, daß jemandem materielle Schäden entstehen, sind diese im Regelfall zu ersetzen. Zum Schadensersatz gehört aber auch der Ersatz immaterieller Schäden, das bisher jedenfalls so

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genannte Schmerzensgeld. Wir haben seit Jahren in vielen Prozessen darauf hingewiesen, daß die in Deutschland üblicherweise gezahlten Schmerzensgelder zu gering sind. Das höchste Schmerzensgeld, das hierzulande für eine Presseveröffentlichung bezahlt wurde, wurde 1967, vor 27 Jahren, Prinz Bernhard der Niederlande zugesprochen, weil er angeblich seine Tochter, Prinzessin Irene, zu einer Abtreibung veranlaßt haben soll (vgl. Hans. OLG, Vfita 60, 322). Das Heft, das diese Geschichte veröffentlichte, kostete damals 60 Pfennig, heute DM 2,20. Die Anzeigenpreise haben sich vervielfacht, und ein angemessener Inflationsausgleich müßte dazu führen, daß Prinz Bernhard heute das drei- bis vierfache bekäme. Diese Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse haben die Gerichte aber nie berücksichtigt, sondern die Prinz Bernhard-Entscheidung immer als absolute Obergrenze betrachtet. DM 50.000,- erhielt Prinz Bernhard 1967 und ist damit bis heute Rekordhalter. Die Gründe der Rechtsprechung:

- Dem deutschen Rechtssystem soll eine Präventivwirkung des Schmerzensgeldes angeblich fremd sein.

- Außerdem soll ein Verhältnis zu den Schmerzensgeldern bei Körperverletzungen gewahrt werden. Dort gibt es im internationalen Vergleich verhältnismäßig geringe Schmerzensgelder. Dann soll auch für Ehrverletzungen nicht mehr bezahlt werden.

Dieser Argumentation muß man in jeder Hinsicht widersprechen:

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Wenn man die Prävention allein dem Strafrecht überläßt, dann heißt dies automatisch, daß man nach mehr Strafrecht im Presserecht rufen muß, denn die Präventionswirkung der bisherigen Regelung reicht nicht aus, um die dauernden Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu verhindern, die wir täglich erleben. Strafrecht richtet sich gegen einzelne Personen, d.h. gegen den einzelnen Redakteur. Hier liegt eine große Gefahr für die Pressefreiheit. Der investigativ tätige Journalist muß laufend mit dem Damoklesschwert anhängiger Verfahren leben, die zwar irgendwann vielleicht eingestellt werden, aber vielleicht führt ja dann doch eines zur Verurteilung, und beim zweiten Mal ist er schon Wiederholungstäter. Dann traut er sich vielleicht nicht mehr, so zu arbeiten, wie dies objektiv erforderlich wäre, und wird durch Strafanzeigen – auch unberechtigte – eingeschüchtert. Eine furchtbare Vision. Viel besser ist es doch, dem Verlag zu erlauben, sich schützend vor seine Journalisten zu stellen und – wenn diese Fehler machen – zu bezahlen. Dann wird der Verlag – wenn es teuer genug ist – schon aufpassen, daß anständig recherchiert wird. Aus diesen rechtspolitischen Gründen ist zivilrechtliche Präventionswirkung vorzuziehen. Wenn das denn tatsächlich der Rechtstradition widersprechen sollte, muß man dies eben aus rechtspolitischen Gründen hinnehmen.

Auch der Vergleich mit den Körperverletzungen zählt nicht. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, zieht der Verletzer aus der Körperverletzung keinerlei Vorteil. Er verletzt – beispielsweise beim Verkehrsunfall – ohne Verletzungsabsicht. Ein Schmerzensgeld muß also nicht so hoch sein, daß es ihn

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von künftigen Verletzungen abhält. Das könnte es sowieso nicht, denn bei den meisten Körperverletzungsfällen – wie beim Autounfall – ist der Verletzer versichert und bezahlt das Schmerzensgeld nicht aus eigener Tasche. Diese strukturellen Unterschiede rechtfertigen es, Körperverletzungen und Persönlichkeitsrechtsverletzungen vollkommen unterschiedlich zu behandeln. Der BGH hat dies in seiner bereits erwähnten Entscheidung vom 15. November 1994 berücksichtigt. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor, aber aus dem Verlauf der Verhandlung und der mündlichen Urteilsverkündung wurde klar, daß der BGH davon ausgeht, daß künftig eine Präventivwirkung der Geldentschädigung zu beachten ist und daß auch die etwa mit Persönlichkeitsverletzungen zu erzielenden Gewinne bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen sind. Wie hoch das Schmerzensgeld im Einzelfall sein wird, bleibt den Instanzgerichten überlassen. Ich will nur auf einen Gesichtspunkt hinweisen: Es geht bei dem BGH-Fall unter anderem um ein erfundenes Exklusiv-Interview. Das Interview war auf der Titelseite und auf insgesamt vier Seiten im Innenteil abgedruckt worden. Jede dieser Seiten hätte als Anzeige DM 70.000,- gekostet. Der Verlag hat es vorgezogen, redaktionelle Berichterstattung auf diesen Seiten abzudrucken, statt dort Anzeigen abzudrucken und damit DM 350.000,- einzunehmen. Dies ist ein Anhaltspunkt dafür, welchen Wert er dieser Berichterstattung beigemessen hat. Wenn man dafür, wie die Instanzgerichte, nur ein Schmerzensgeld von DM 10.000,- zuspricht, ist dies derart außerhalb jeglicher Relation, daß man genauso gut auch eine symbolische Mark hätte nehmen können. Dies wird nun anders. Die

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BGH-Entscheidung ist das Startsignal zu neuen Schmerzensgeldhöhen. Der richterlichen Verantwortung wird es überlassen bleiben, in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der bei beiden Parteien tangierten Grundrechte zu einer angemessenen Lösung zu kommen. Wer hier Konsequenzen für die Pressefreiheit fürchtet, sei beruhigt: Der vom BGH entschiedene Fall betraf vorsätzliche Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch die bewußte Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen. Dies kann man durchaus gänzlich unterbinden, ohne daß irgendeine Gefahr für die Pressefreiheit ersichtlich ist.

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III. Intimsphäre

Es gibt Berichterstattung, die wahr ist, die aber die Intimsphäre verletzt. Es gibt auch Fotos, die etwas Wahres zeigen, z.B. nackte Busen, und damit die Intimsphäre des Abgebildeten verletzen. Nehmen wir ein Beispiel: Fergie mit blankem Busen, während sich ihr Finanzberater über ihren Zeh beugt. Von einem Fotografen aus kommerziellem Interesse bespitzelt und auf einem Privatgrundstück fotografiert. Die Veröffentlichung eines solchen Bildes ist fraglos rechtswidrig. Dies gilt aber nicht nur für das Foto, sondern auch für die Nachricht – das gedruckte Wort –, daß die Herzogin von York etwa das tägliche Zehenlutschen sehr schätzt. Wir sind hier mitten im Intimbereich, und Art. 1 und 2 GG gebieten es, jedermann vor derartiger Berichterstattung und solchen Fotoveröffentlichungen zu schützen.

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Eine Kollision mit der Pressefreiheit ist in diesem Bericht unproblematisch. Es geht nicht um Informationsinteressen der Öffentlichkeit oder schützenswerte Belange der Presse, sondern ausschließlich um kommerzielle Interessen an der Ausbeutung der intimsten Geheimnisse anderer Persönlichkeiten.

Dennoch hat man sich in der Vergangenheit hier mit dem Schutz der Persönlichkeitsrechte schwergetan. Fergie hätte in Deutschland sicherlich eine Unterlassungsverfügung gegen die Veröffentlichung der Bilder bekommen, aber eben erst nach Veröffentlichung. Alle haben die Bilder veröffentlicht, denn so etwas kostete ja bisher nichts. Der Rechtsbruch war zwar deutlich, aber es gab keine Sanktion, wenn man einmal von der strafrechtlichen Sanktion des § 33 KUG absieht, die aus den erwähnten rechtspolitischen Gründen wenig glücklich ist. Nach der neuen Entscheidung des BGH vom 15. November 1994 werden solche Verletzungen in Zukunft teurer werden. Vorsätzliche Zwangskommerzialisierung fremder Persönlichkeitsrechte wird künftig aus präventiven Gesichtspunkten zu ganz erheblichen Schmerzensgeldern führen. In diesem Bereich ist die Bemessung des Schmerzensgeldes jedenfalls bei Fotoveröffentlichungen einfacher als bei der unwahren Tatsachenbehauptung. Man muß einfach danach fragen, was der Verlag für die Fotos bezahlt hat. Bei diesem Ankauf ist er davon ausgegangen, daß ihm die Veröffentlichung mehr bringt als sie kostet, so daß Schmerzensgeld mindestens in dieser Höhe zuzusprechen ist. Dieser ganze Komplex des Schutzes der Intimsphäre dürfte also durch die neue BGH-Rechtsprechung einer besseren Lösung entgegensteuern.

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IV. Privatsphäre

Ein anderer Komplex liegt im argen, und das ist der Schutz vor Fotoveröffentlichungen aus dem Privatleben. In diesem Bereich ist der Persönlichkeitsrechtsschutz derzeit unzulänglich. Dies merkwürdigerweise, obwohl wir eine klare und begrüßenswerte gesetzliche Regelung haben. § 22 des Kunsturhebergesetzes von 1907 regelt unter der Überschrift "Recht am eigenen Bilde":

"Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden."

Grundsätzlich könnte man also alle Fotoveröffentlichungen verbieten. Dies stimmt in der Praxis aber nicht. Im Gegenteil. Ein aktuelles Beispiel: Eine Boulevardzeitung erfährt, daß ein Schauspieler eine außereheliche Beziehung hat. Man schickt zwei Fotografen, die am Bühnenausgang auf ihn warten, um festzustellen, von wem er abgeholt wird. Eine junge Dame holt ihn ab. Er steigt in ihr Auto und sie fahren zu einer Wohnung. Die Fotografen verfolgen das Paar heimlich und übernachten im Auto vor der Tür. Das Paar kommt am nächsten Morgen heraus, fährt 50 km in eine benachbarte Kleinstadt, wo es sich unbeobachtet fühlt, um dort einmal in Ruhe spazieren zu gehen. Die Fotografen verfolgen sie und fotografieren sie schließlich, als sie über den Marktplatz der Kleinstadt gehen und dabei ein Brötchen essen. Die Fotos erscheinen in der Boulevardzeitung. Die Begleiterin des Schauspielers, eine unbekannte Studentin, die sich in keiner

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Weise in die Öffentlichkeit drängt, klagt auf Unterlassung und verliert. Das Hanseatische Oberlandesgericht meint:

  • Der Schauspieler ist absolute Person der Zeitgeschichte und

  • seine Begleiterin damit relative Person der Zeitgeschichte und

  • die Veröffentlichung damit zulässig.

Den Begriff der absoluten Person der Zeitgeschichte gibt es im Gesetz nicht. § 23 KUG regelt allerdings, daß "Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte" veröffentlicht werden dürfen. Neumann-Duesberg hat 1966 in einer Fachzeitschrift ausgeführt, daß es ja schwierig sei, abzugrenzen, was denn ein Bild aus dem Bereich der Zeitgeschichte ist. Absolut und in jeder Hinsicht. Dies seien die sogenannten "absoluten Personen der Zeitgeschichte". Beispielhaft nannte er die englische Königin, den Bundespräsidenten und Albert Schweitzer. Bei solchen Personen sei jede Berichterstattung in weitem Umfang zulässig. Die Rechtsprechung hat dies übernommen und den Kreis der absoluten Personen der Zeitgeschichte ins Uferlose ausgeweitet. Sie finden in der Rechtsprechung Schauspieler, Sänger und Fußballspieler als absolute Personen der Zeitgeschichte bezeichnet, deren Namen Sie noch nie gehört haben. Außerdem hat man den Bereich der zulässigen Abbildungen großzügig zu Lasten der geschützten Privatsphäre ausgeweitet. Außerhalb der eigenen vier Wände gibt es nach der Rechtsprechung kein Privatleben, und der von mir

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geschilderte Spaziergang des Schauspielers mit seiner Begleitung ist nach der Rechtsprechung nicht privat, sondern findet im Rahmen der sogenannten Sozialsphäre statt. Darüber darf berichtet und da dürfen Fotos gemacht werden. So sehen wir beispielsweise die Kinder von Prinzessin Caroline auf dem Weg zur Schule, auf dem Schulhof, beim Fußballspielen, beim Radeln, beim Besuch von Versailles etc., ständig verfolgt von Paparazzi, die sie fotografieren und dauernd, bei jeder Handlung außerhalb ihrer eigenen vier Wände, in die Medien zerren. In Deutschland müssen sich nach den Entscheidungen der letzten Jahre die unbekannten Begleiterinnen von Roy Black, Harald Schmidt, Günther Jauch und Michael Degen fotografieren lassen. Dies hat für uns alle praktische Relevanz, denn so ausufernd wie die Rechtsprechung in diesem Bereich ist, sind wir alle bald absolute Personen der Zeitgeschichte oder jedenfalls deren Begleiter und dadurch Fotoveröffentlichungen ausgesetzt. Ich halte diese Entwicklung in jeder Hinsicht für unzumutbar und im Hinblick auf Art. 1 und 2 GG für verfassungswidrig.

Man sollte sich wieder auf den Text des Gesetzes besinnen und sich bei jedem Foto fragen, ob es ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte ist oder nicht. Die geschilderten Fotos des Schauspielers, der über den Marktplatz schlendert, haben doch mit Zeitgeschichte sicher nichts zu tun. Der Fall ist jetzt in der Revision beim BGH anhängig, und ich hoffe, daß man dort einige grundsätzliche Worte zur Auslegung des Kunsturhebergesetzes spricht, die einen besseren Schutz des Privatlebens der Betroffenen ermöglichen. Die Interpretation

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des Hanseatischen Oberlandesgerichts und der meisten Instanzgerichte hat sich so weit vom Gesetzestext entfernt, daß die Entscheidungen schon lange vom Gesetzeswortlaut nicht mehr gedeckt sind.

Möglicherweise ist hier auch eine Aufgabe für den Gesetzgeber, der den Privat- und Intimbereichsschutz einmal neu regeln und ein paar sorgfältig abgestufte Regelungen zum Schutz der Intim- und Privatsphäre vornehmen könnte.

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V. Zusammenfassung

Das Gebiet, in dem wir uns bewegen, ist im Fluß. Wir sind dauernd mit neuen Entwicklungen konfrontiert. Gesetzgeberische Änderungen müssen wohlüberlegt sein. Der Gesetzgeber kann sich zurückhalten, solange die Rechtsprechung rechtsfortbildend so hervorragend tätig ist, wie sie dies in den letzten Jahren war. Wenn man etwas mit Gesetzen ändern will, bietet sich dies in folgenden Bereichen an:

  • Man kann das lästige Hin und Her bei den Gegendarstellungen durch eine Regelung des Alles-oder-Nichts-Prinzips erledigen, die dem saarländischen Landespressegesetz entspricht.

  • In diesem Zuge kann man auch eine Regelung einführen, die eine Originalunterschrift unter der Gegendarstellung nur für die erste Fassung erforderlich macht und in der Folge Stellvertretung zuläßt.

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  • Ungelöst ist das Problem der Beeinträchtigungsbeseitigung durch Gegendarstellung und Widerruf im Fernsehen. Ich habe hier bedauerlicherweise kein befriedigendes Konzept anzubieten und kann daher nur auf höhere Schmerzensgelder setzen.

  • Sehr unbefriedigend ist derzeit der Schutz des Privatlebens außerhalb der eigenen vier Wände vor Fotoveröffentlichungen. Da die gesetzliche Regelung aber eigentlich ausreichend ist, kann man zunächst einmal abwarten, was der BGH auf die derzeit anhängige Revision entscheidet. Die Entscheidung wird dann zeigen, ob in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2001