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1. Einleitung und Fragestellung

Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, besonders beim Produktivermögen, galt in der Bundesrepublik Deutschland jahrzehntelang - vor allem in den 50er und 60er Jahren - als ein wichtiges gesellschaftspolitisches Ziel in der „sozialen Marktwirtschaft", das von der Realität noch weit entfernt war. Hinsichtlich des Ziels bestand ein breiter gesellschaftlicher Konsens, nicht hinsichtlich der Wege dorthin. Für Ludwig Erhard war Vermögenspolitik ein Kernbestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Ihm schwebte eine Art „Volkskapitalismus" vor, eine „Gesellschaft von Teilhabern".

In zunehmendem Maße wurden ganz unterschiedliche Ziele verfolgt, und zudem geriet die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen eher in den Hintergrund, während der allgemeinen Sparforderung sowie der Förderung des Wohneigentums und auch der Altersvorsorge größeres Gewicht zukam. Investivlöhne spielten in der tarifpolitischen Diskussion in Deutschland - sieht man einmal von phasenweisen Diskussionswellen ab - eine randständige Bedeutung. Barlohnerhöhungen und zunehmend Probleme der Beschäftigungssicherung, vor allem Arbeitszeitregelungen, rutschten immer mehr ins Zentrum der Tarifpolitik. Auf der anderen Seite hat sich seit 1961 die staatliche Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer vom ersten bis zum jüngst beschlossenen dritten Vermögensbeteiligungsgesetz, dem 5. Vermögensbildungsgesetz und dem Paragraphen 19a des Einkommenssteuergesetzes ständig fortentwickelt, wobei die Grundlinie unverändert beibehalten wurde.

Vielfach wird eine Reform der Vermögensbildungspolitik wie auch andererseits der Tariflohnpolitik angemahnt. Was die Vermögenspolitik anbelangt, kam der Gesetzgeber diesem Wunsch mit dem dritten Vermögensbeteiligungsgesetz (1998) in einem kleinen Schritt entgegen Es sind vor allem fünf Gründe, die als Anlaß gesehen werden, über Reformbedarf nachzudenken:

  • Zum einen hat sich die Konzentration des Vermögens nicht vermindert (vgl. Bundesregierung 1996, dies. 1997, Hauser u.a. 1997). Zwar haben größere Bevölkerungsschichten, auch große Teile der Arbeitnehmerschaft, Wohneigentum gebildet, Lebensversicherungen abgeschlossen und ein langsam steigendes, aber immer noch im Durchschnitt bescheidenes Geldvermögen akkumuliert, jedoch hat die Ungleichverteilung des Produktivvermögens eher zugenommen. Zwar beläuft sich das durchschnittliche Geldvermögen eines westdeutschen Haushalts auf ca. 120.000 DM, jedoch hat die Hälfte der westdeutschen Haushalte nur ein Geldvermögen von durchschnittlich DM 10.000 (Rürup/Dornbach 1996, S. 3). Auch wenn die Datenlage mehr als unbefriedigend ist, läßt sich kaum bestreiten, daß vier Jahrzehnte Vermögensbildungspolitik in Arbeitnehmerhand den Trend der Vermögenskonzentration und vor allem den Status der Vermögenslosigkeit sehr großer Bevölkerungsschichten nicht ändern konnte. Dies gilt insbesondere für die Produktivvermögensverteilung Man kann sich fragen, ob das Ziel einer gleichmäßigeren Verteilung des Produktivvermögens überhaupt ernsthaft verfolgt wurde und ob die gewählten Instrumente zur Erreichung des Ziels jemals einer Tauglichkeitsprüfung unterzogen wurden.

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  • Es ist außerordentlich unsicher, ob die praktizierte Vermögensbildungspolitik, auch in ihrer Verbindung mit der Tarifpolitik, überhaupt zu einer merklichen Erhöhung des Sparens und der Vermögensbildung der Arbeitnehmer geführt hat (Schäfer/Rürup 1998, S. 4 ff.). Viel spricht dafür, daß auch ohne staatliche bzw. tariflich vereinbarte Sparförderung in annähernd gleichem Maße gespart worden wäre. Man kann vermuten, daß eher bestimmte Formen des Sparens zulasten anderer gefordert wurden (Sparstrukturförderung).

  • Der Wunsch nach Beteiligung am Produktivvermögen steht seitens der großen Mehrheit der Arbeitnehmer nicht gerade obenan, denn der Anteil des Arbeitnehmersparens in Form von Aktien und Aktienfonds ist trotz des Börsenbooms der 90er Jahre (bis Mitte 1998) unverändert gering. Statt dessen dominieren Präferenzen für eine sichere Altersvorsorge angesichts der - wirklichen oder vermeintlichen - Probleme der gesetzlichen Rentenversicherung und des Beutungsverlustes von Betriebsrenten. Freilich müssen sich Altersvorsorge und Wunsch nach Produktivvermögensbeteiligung nicht zwangsläufig ausschließen.

  • In der Lohnpolitik wird seitens der Arbeitgeber und ihrer Verbände seit geraumer Zeit eine Flexibilisierung gefordert, die zu einer Abkehr von der bisherigen Form von Flächentarifverträgen führen würde, Hintergrund dieser Überlegungen ist die folgende These: Der Übergang vom Festlohnsystem zu einem System mit niedrigem Basislohn und erfolgsabhängiger Gewinnbeteiligung - in Form von Barausschüttung oder Kapitalbeteiligung - würde den Unternehmen mehr betriebliche Flexibilität verschaffen, Motivation und Produktivität der Beschäftigten steigern, zu mehr Wachstum und Beschäftigung rühren und überdies im Falle von Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmer zu einer ausgeglicheneren Verteilung des Produktivvermögens beitragen. Dabei wird auf andere Länder verwiesen, vor allem auf die USA und Großbritannien, teilweise auch auf Japan, ferner auf im angelsächsischen Sprachraum seit langem geführte Debatten über die share economy (Martin Weitzman) oder profit related pay und profit-sharing.

Die vermögenspolitische Diskussion in Deutschland hat die Entwicklung im Ausland und die dortigen Diskussionslinien nur am Rande wahrgenommen. Diese verliefen vorwiegend in andere Richtungen: Mit Ausnahme von Schweden spielte der gesellschafts- und ordnungspolitische Wunsch nach stärkerer Verteilungsgerechtigkeit beim Produktivvermögen eine untergeordnete Rolle, während die Altersvorsorge und die zuletzt angedeutete Flexibilisierungsdiskussion größeres Gewicht hatten und haben. Investivlöhne sind dabei nur eine Variante von Systemen der Gewinnbeteiligung.

Die hinter diesen Überlegungen stehende Grundidee hat eine lange Tradition, insbesondere auch in Deutschland (vgl, Perrey 1992, Gerlach 1997). Sie hat viele Theoretiker, Unternehmenspraktiker und Politiker fasziniert, aber mindestens genauso viele frustriert Was vielen als Lösung wichtiger sozialer Fragen und Konflikte erschien, war für kritische Betrachter überwiegend heiße Luft. Auch die Verfasser dieser Studie neigen zu einer eher skeptischen Bewertung.

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Für J.H.v. Thünen war bereits 1850 die Beteiligung der Arbeiter am Gewinn ihres Unternehmens der entscheidende Schritt zur Lösung der sozialen Frage wie auch zur Steigerung der Produktivität (Thünen 1850). E.Plener u.a. erstellten im Jahre 1874 im Auftrag des Vereins für Socialpolitik ein Gutachten „Über die Beteiligung der Arbeiter am Unternehmensgewinn", Zielsetzung war, den sozialen Frieden zu erhalten und zugleich die Ertragslage der Unternehmen zu verbessern (Plener u.a. 1874). Für Gilman/Katscher (1891) war die Idee der Teilung des Gewinnes ein „praktischer Beitrag zur Arbeiter- und Lohnfrage". Ähnlich Vorstellungen hatte Alfred Marshall (1892). Bei Weitzman (1987) kommt die Verheißung permanenter Vollbeschäftigung hinzu. Seit Ende letzten Jahrhunderts existiert eine Minderheit von Unternehmen, die Gewinnbeteiligungssysteme praktiziert. Ein prominentes frühes Beispiel war die Ford Motor Company 1914, die vornehmlich aus Gründen der Produktivitätssteigerung und zwecks Verminderung der hohen Fluktuation den Mindestlohn erhöhte und eine Gewinnbeteiligung einführte. Allerdings sind die Vorschläge und ihre Begründungen im einzelnen recht unterschiedlich, ebenso die in der Praxis angewandten Beteiligungsmodelle. Insgesamt existiert eine umfangreiche theoretische und empirische Literatur, wobei die ganz überwiegende Mehrzahl der empirischen Studien Ergebnisse zutage fördert, die in krassem Gegensatz zu den konzeptionellen Ambitionen stehen

In dieser Studie werden zunächst in Kapitel 2 die zentralen Begriffe geklärt und sortiert, zumal die Diskussion an gravierender Sprachverwirrung leidet. Dabei konzentrieren wir uns nicht lediglich auf Investivlöhne im engeren Sinne, sondern beziehen auch andere Formen und Konzeptionen ein, die unter den Begriffen PEPPER - so die von der EU-Kommission geprägte Kurzformel, die ganz unterschiedliche Maßnahmen zusammenfaßt und wichtige andere ausklammert -, profit-sharing und Gewinnbeteiligung oder Mitarbeiterbeteiligung firmieren Der Begriff Investivlohn ist im Ausland unüblich und zu eng gefaßt, um die ausländische Praxis und die internationale Diskussion nachzuvollziehen. Dabei werden auch die vielfältigen und sehr unterschiedlichen Ziele herausgearbeitet, die mit diesen Maßnahmen direkt und indirekt verfolgt werden sollen.

Im dritten Kapitel wird die Praxis von Investivlöhnen, Gewinn- und Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmer in Europa und den USA dargestellt und verglichen. Im Vordergrund stehen vier Länder, in denen entsprechende Beteiligungssysteme relativ weit verbreitet sind und eine starke staatliche Förderung und Regulierung existiert: neben der Bundesrepublik Deutschland die USA, Frankreich und Großbritannien Relativ knapp wird die Lage in den anderen europäischen Ländern resümiert. Vielfach wurde Japan als Musterland einer share economy angesehen, jedoch dominieren Quasi-Festlohnsysteme, so daß Japan hier ausgeklammert wird. Kurze Hinweise zu Japan finden sich in Kapitel 4.2. Das 3. Kapitel schließt auch einen kurzen Überblick über die inzwischen zahlreichen empirischen Wirkungsanalysen von Gewinn- und Kapitalbeteiligungen ein (3.3).

Die theoretische Basis der wichtigsten Beteiligungs-Konzeptionen, insbesondere die von Weitzman, wird in Kapitel 4 kritisch erörtert. Insgesamt handelt es sich um theoretisch und politisch sehr unterschiedliche Modelle, die teilweise ganz verschiedene Ziele verfolgen.

Kapitel 5 faßt die Ergebnisse dieser Studie zusammen. Sie sind insofern ernüchternd, als es eine Vielzahl von theoretischen und empirisch gestützten Argumenten dafür gibt, daß die meisten der

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mit Ergebnisbeteiligung der Arbeitnehmer angestrebten Ziele nur in geringem Maße erreicht werden. Will man aus den anderen betrachteten Ländern für die deutsche Diskussion lernen, müßte man zuvor die anzustrebenden Ziele festlegen und die Zielkonflikte offen legen


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

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