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Vorbemerkung

Ein wesentliches Element der Idee der Sozialen Marktwirtschaft ist es durch eine Politik der breiten Streuung des Vermögens eine „Gesellschaft von Teilhabern" zu schaffen Seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland steht das Anliegen einer stärkeren Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen auf der Tagesordnung von Wirtschaft- und Tarifpolitik. Die Erfolge dieser Politik sind bisher eher bescheiden.

Um der sich in ausgetretenen Pfaden bewegenden Diskussion in Deutschland neue Impulse zu geben, hielt es die Friedrich-Ebert-Stiftung für hilfreich, eine detaillierte Untersuchung von formen und wegen der Vermögensbeteiligung in Westeuropa und den USA von Prof. Dr. Jan Priewe (Fachhochschule für Technik und wirtschaft Berlin) und Frank Havighorst (selbständiger Berater/Consultant, Dortmund) durchführen zu lassen. Die Ergebnisse der Studie werden in der vorliegenden Broschüre publiziert.

Dr. Jochem Langkau

Leiter des wirtschafts- und sozialpolitischen
Forschungs- und Beratungszentrums
der Friedrich-Ebert-Stiftung

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Wichtige Ergebnisse und Schlußfolgerungen

Aus den Erfahrungen in den betrachteten Ländern lassen sich die folgenden Schlußfolgerungen ziehen:

  • Kein Beteiligungssystem ist in Sicht, dessen Vorteilhaftigkeit so überzeugend ist, daß es in Deutschland ohne Abstriche eingeführt werden sollte.

  • Nirgendwo ist erkennbar, daß Investivlöhne oder Gewinn- bzw. Kapitalbeteiligungen gesamtwirtschaftlich relevante positive Beschäftigungseffekte haben Dies gilt aufgrund theoretischer Überlegungen auch dann, wenn derartige Systeme in großem Stil Verbreitung fänden

  • Nirgendwo werden die fünf dargestellten Ziele - sozialpolitische, unternehmensbezogene, gesamtwirtschaftliche, verteilungspolitische und demokratie- und gesellschaftspolitische Ziele -gleichzeitig erreicht; meist wird allenfalls ein Ziel erreicht, wobei nicht sicher ist, ob nicht andere Methoden oder Instrumente zur Zielerreichung besser geeignet sind. Wer fünf Ziele gleichzeitig erreichen will, erreicht meistens keines.

  • Die Zielvorstellungen sollten präzisiert und eine Rangfolge aufgestellt werden. Dabei sind auch Zielkonflikte zu berücksichtigen. Zu bedenken ist beispielsweise, ob eine stärkere Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivermögen wünschenswert ist, wenn dadurch einem anderen Alterssicherungssystem, das möglicherweise höhere Risiken in sich birgt, ein größeres Gewicht zukommt. Unter den Bedingungen hoher Arbeitslosigkeit und reformbedürftiger Alterssicherungssysteme kommt dem Ziel der Veränderung der Verteilung des Produktivermögens im Bewußtsein der Mehrheit der Arbeitnehmer sicher keine hohe eigenständige Priorität zu. Im Rahmen der Diskussion über eine Reform der Alterssicherung ist zu klären, ob ergänzend eine mit Investivlöhnen gespeiste, steuerlich geförderte und tarifvertraglich gesicherte Alterssicherung aufgebaut werden sollte. Ein Nebeneffekt wäre dabei die Steigerung des Anteils der Arbeitnehmer am Produktivermögen.

  • Eines der Hemmnisse für von Arbeitnehmern gewünschte Beteiligungen am Produktivermögen sind die Widerstände der Arbeitgeber, teilweise auch der Wirtschaftspolitik, gegen überbetriebliche Beteiligungsfonds. Betriebliche Beteiligungen scheuen viele Arbeitnehmer wegen des doppelten Risikos (Arbeitsplatzrisiko und Verlustrisiken), überbetriebliche Beteiligungen, durch Tarifverträge geregelt, werden blockiert.

  • Organisatorische und rechtliche Hemmnisse für Kapitalbeteiligungen der Arbeitnehmer am arbeitgebenden Unternehmen sollten abgebaut werden, damit Beteiligungen dort, wo Arbeitnehmer sie wünschen und Unternehmen sie billigen, ermöglicht werden. Hierbei kann die Konstruktion von Employees Stock Ownership Plans (ESOPs, siehe die Praxis in den USA) oder anderen Fonds sinnvoll sein. Ferner kann durch die Erleichterung von Kapitalbeteiligungen von Arbeitnehmern in manchen Fällen eine Nachfolgeregelung bei Familienunternehmen gefunden werden (siehe die Beispiele aus den USA). All dies sind jedoch partielle Maßnahmen ohne großes gesamtwirtschaftliches Gewicht. Zu beachten ist freilich, daß die Arbeitnehmerpräferenzen sich zunehmend differenzieren und es immer schwerer fallen wird, einheitliche Lösungen für alle zu finden. Zudem differenzieren sich auch die betrieblichen Problemlagen immer mehr aus. Insofern ist die Schaffung von mehr Optionen für einzelne Gruppen oder Unternehmen wünschenswert.

  • Der Stellenwert von Vermögenspolitik hat in Deutschland abgenommen, in anderen Ländern war er immer schon niedriger. Entsprechend den Präferenzen der Arbeitnehmer liegt offenbar die Priorität zunächst beim Wohneigentum, dann bei der Alterssicherung (einschließlich Lebensversicherungen) und erst an dritter Stelle bei der Beteiligung am Produktivvermögen. Den vermögenspolitischen Implikationen der Vermögenssteuer, der Erbschaftssteuer oder auch der Einkommensteuer sollte größere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

  • In Deutschland findet im Gegensatz zu allen anderen Ländern eine gezielte Förderung unterer Einkommensgruppen statt Angesichts der geringen Geldvermögensbildung dieser Gruppe erscheint diese Prioritätensetzung sinnvoll.

  • Eine generelle Lohnflexibilisierung mit Gewinnbeteiligung wird nicht zu den gesamtwirtschaftlichen Vorteilen fahren, die man sich aus einzelwirtschaftlicher Sicht erhofft. Die theoretischen Grundlagen derartiger Vorschläge sind nicht belastungsfähig, und die empirischen Analysen konnten bislang die Vorteilhaftigkeit derartiger Entlohnungssysteme nicht nachweisen.

  • Fragwürdig ist die traditionelle Annahme, daß eine stärkere Vermögens-, insbesondere Produktivvermögensbildung der Arbeitnehmer automatisch zu einem besseren Interessen- und Machtausgleich oder unmittelbar zu mehr Demokratie führt, Möglicherweise wird die Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft stärker durch andere Maßnahmen, etwa durch Mitbestimmung der verschiedensten Art, durch bestimmte staatliche Regulierungen (z.B. zum Depotstimmrecht der Banken) oder durch tarifvertragliche Vereinbarungen gefordert. Schließlich ist das (neo-)liberale Leitbild einer „Gesellschaft von Teilhabern" so weit von der Realität entfernt, daß es nicht weiter verfolgt werden sollte. Die Arbeitnehmer sind in ihrer ganz überwiegenden Mehrheit in allen betrachteten Ländern nicht auf dem Weg zu „Teilhabern", aber es sind auch nicht die passiven, am Erfolg des Unternehmens mehr oder wenig desinteressierten Arbeitnehmer.

Insgesamt gilt das ernüchternde Fazit: Investivlöhne, Gewinn- und Kapitalbeteiligungen, wie sie in den verschiedenen Ländern praktiziert werden, halten bei weitem nicht das, was ihre Protagonisten versprechen. Sie werden als Instrumente der Wirtschafts- und Sozialpolitik massiv überschätzt und mit viel zu vielen Ansprüchen überfrachtet. Eine Wunderwaffe gegen zunehmende Vermögenskonzentration, für mehr Einkommensgerechtigkeit, mehr Beschäftigung und höheres Wirtschaftswachstum sind sie wahrlich nicht.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

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