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TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 40]



Gerhard Bosch
Beschäftigung und Ungleichheit *

* = [Erschienen in WSI-Mitteilungen 12/99 unter dem Titel : Niedriglöhne oder Innovation - Überlegungen zur Zukunft der Erwerbsarbeit]



1. Einleitung

Löhne und Qualifikation der Beschäftigten sind zentrale Stellgrößen in allen Entwürfen über die künftige Erwerbsarbeit. Dabei stoßen wir auf sehr konträre Visionen: Einige Autoren halten den Ausbau eines Niedriglohnsektors für gering qualifizierte Beschäftigte für die vordringlichste beschäftigungspolitische Aufgabe. Andere sprechen vom Übergang in eine Wissensgesellschaft, in der Produktivität und Wohlstand immer mehr vom Einsatz qualifizierter Beschäftigter abhängt. Wer für einen Niedriglohnsektor wirbt, sieht im Preis der Arbeit den wichtigsten Schlüssel zur Beschäftigung (Streeck u.a., 1999; Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, 1997; Klös, 1997). Wer hingegen eine Wissensgesellschaft anstrebt, die sich nur bei gleichberechtigter Teilnahme aller Bevölkerungsgruppen entfalten kann, wird den Akzent auf Innovation, also Qualifikation, Forschung, Entwicklung und intelligentere Formen der Arbeitsorganisation legen (Bosch, 1998; Lehner u.a., 1998).

Dieser Streit um die Zukunft der Erwerbsarbeit ist längst nicht mehr nur ein akademisches Wortgefecht, sondern er hat weitreichende praktische Konsequenzen. Die Zukunft stellt sich somit nicht von alleine her, sondern sie ist Folge vieler Einzelentscheidungen, die heute getroffen werden. Gerade weil man offensichtlich in ganz unterschiedliche Richtungen gehen kann, ist die Gefahr von Fehlentscheidungen mit vielen unerwarteten Nebenwirkungen besonders groß. Um so höher sind die Ansprüche an die Klarheit und Präzision der Argumentation. Genau hieran fehlt es aber. Die Kontroverse über Niedriglöhne versus Innovation und Qualifikation, die Thema dieses Beitrags ist, hat ganz unterschiedliche Facetten, die in der Regel nicht auseinandergehalten werden. Dies wird daran sichtbar, wie unterschiedlich die vermeintliche Notwendigkeit eines Niedriglohnsektors begründet wird.

Man kann dabei vier unterschiedliche Varianten der Argumentation unterscheiden. In der ersten Variante wird vor allem auf das amerikanische Beschäftigungswunder der letzten Jahre verwiesen, das auf die dort gestiegene Lohndifferenzierung zurückgeführt wird. Mit Blick auf die USA und dem Argument „Amerika, Du hast es besser" soll dieses Rezept auf Deutschland übertragen werden. In der zweiten Variante geht es um „Hilfe für die Benachteiligten", also um die Schaffung neuer Beschäftigungschancen für benachteiligte Gruppen in einem Niedriglohnsektor, um die sich angeblich sonst niemand kümmert. „Sachzwänge des Weltmarktes" ist die dritte Variante, nach der in einer globalisierten Wirtschaft einfache Arbeit in den Industrieländern nur nach erheblichen Lohnsenkungen wettbewerbsfähig bleibt. „Die deutsche Dienstleistungslücke schließen" ist schließlich die vierte Variante, in der

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die Ursache für den Entwicklungsrückstand Deutschlands vor allem bei den persönlichen und sozialen Dienstleistungen in zu hohen Löhnen verortet wird.

In der ersten Variante geht es um Rezepte zur Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsniveaus. In den drei weiteren wird eher personen- und sektorspezifisch argumentiert. Zu diesen vier Argumentationslinien liegen inzwischen zahlreiche internationale empirische Forschungsergebnisse vor. Sie sollen im folgenden insbesondere im Hinblick auf die beschäftigungspolitischen Auswirkungen von Niedriglohnstrategien skizziert werden.

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2. „Amerika, Du hast es besser„

Nicht nur die USA, sondern eine Reihe anderer Länder haben sich in den letzten Jahren für mehr Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt entschieden. Die Deregulierung des Arbeitsmarktes hat etwa in Neuseeland, Großbritannien oder den USA tiefe Spuren im Arbeitsmarkt hinterlassen. In den USA verdienten beispielsweise 1995 die obersten 10% in der Einkommenshierarchie der Männer ungefähr 4,4mal soviel wir die untersten 10%; 1979 waren es erst 3,2mal soviel. In Großbritannien ist diese Relation von ca. 2,4:1 in den 70er Jahren auf 3,3:1 in 1995 angestiegen, während sie in den meisten EU-Ländern wie Deutschland, Schweden oder den Niederlanden, wo man diesen Weg bislang nicht ging, fast unverändert blieb (Schaubild 1). Ein Amerikaner im untersten Einkommenszehntel verdient heute in Kaufkraft gerechnet nur 44% des Einkommens eines Deutschen in dieser Gruppe und dies, obgleich die Amerikaner im Durchschnitt reicher sind als die Deutschen (Freeman, 1997). Um amerikanische Lohnstrukturen zu erreichen, müßte das Gehalt einer Verkäuferin in Deutschland von 2.000 DM auf rund 950 DM verringert werden.

Schaubild 1




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Einen solch hohen Preis zu zahlen lohnt sich nur, wenn sich auch die versprochenen positiven Arbeitsmarkteffekte aufspüren lassen. Zunächst ist zu fragen, ob sich die Beschäftigung insgesamt bei zunehmender Ungleichheit erhöht. Um dies zu beantworten, korrelierte die OECD für den Zeitraum 1990 bis 1994 die Beschäftigungsentwicklung sowie die Arbeitslosenquoten auf der einen mit der Entwicklung der Einkommensverteilung auf der anderen Seite in verschiedenen Ländern. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, daß sich keine signifikanten Beziehungen zwischen diesen Größen feststellen lassen (OECD 1996 (1)). In den USA hat zudem gerade die Beschäftigung und mehr noch die Arbeitszeit höher qualifizierter Arbeitskräfte zugenommen; zudem ist die Beschäftigung insbesondere von Frauen gestiegen, obgleich deren Löhne in Relation zu Männerlöhnen gestiegen sind. Wenn aber gerade die Beschäftigung derer steigt, deren Löhne zunehmen, kann man schlecht schlußfolgern, daß der amerikanische Beschäftigungszuwachs auf sinkende Löhne zurückzuführen ist (Freeman, 1999).

Es gibt wesentlich bessere Kandidaten zur Erklärung des amerikanischen Beschäftigungszuwachses. Dies sind die zielgenauere antizyklische Fiskalpolitik in den 80er und frühen 90er Jahren, die beschäftigungsfreundlichere Geldpolitik (Leibfritz u.a., 1999) und die kräftige Zunahme der Binnennachfrage durch die geringe Sparquote der Amerikaner, die 1999 bei -0,8% und in Deutschland hingegen bei 11,2% lag (OECD 1999), sowie die Finanzierung der Investitionen durch die Ersparnisse aus anderen Ländern. Zu erwähnen ist auch die ausgeprägte Innovationspolitik der USA. Bei einer dreimal so großen Bevölkerung wie in Deutschland geben die USA fast fünfmal soviel für Forschung und Entwicklung aus (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 1998). In den USA sind folglich auch Leitmärkte der Weltwirtschaft in wichtigen Innovationsfeldern (z.B. der Mikroelektronik) entstanden, die Ausgangspunkt für Investitionen, Existenzgründungen und neue Expansionschancen sind. Erst durch die so verursachte Expansion wurde die Kaufkraft geschaffen, die auch in preisgünstige Dienstleistungen aus dem Niedriglohnsektor floß.

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3. „Hilfe für die Benachteiligten„

Unbestritten ist, daß die gering Qualifizierten es auf dem Arbeitsmarkt zunehmend schwerer haben. Ihre Arbeitslosenquoten liegen in allen Industrieländern deutlich höher als die der besser Ausgebildeten. Als Grund hierfür wird ihre zu geringe Produktivität genannt. Durch Lohnsenkungen sollen die Löhne der Produktivität angepaßt werden. Im Modellfall führt dies dazu, daß sich die Arbeitslosenquote der gering Qualifizierten der allgemeinen Arbeitslosenquote annähert, da die Unternehmen dann keinen Grund mehr haben, zwischen den verschiedenen Beschäftigtengruppen zu diskriminieren. Empirisch läßt sich jedoch genau das Gegenteil beobachten. In Großbritannien und den USA - also den Ländern mit wachsender Lohnspreizung - ist nach einer Untersuchung der Internationalen Arbeitsorganisation die Spanne zwischen der Arbeitslosenquote der oberen 25% in der Qualifikationshierarchie des Landes und der Arbeitslosenquote der unteren 25% größer als in Ländern mit geringerer Einkommensstreuung (Nickell u.a., 1996) (Schaubild 2).

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Schaubild 2




Trotz drastisch wachsender Ungleichheit ist in den USA diese Relation gegenüber den 70er und 80er Jahren in etwa gleich geblieben, in Großbritannien hat sie sich sogar weit deutlicher zu Ungunsten der gering Qualifizierten verschlechtert als in Deutschland. Für die USA ist die wachsende Zahl männlicher Gefängnisinsassen (2% der männlichen Erwerbsbevölkerung, die überwiegend keine berufliche Ausbildung haben) noch nicht eingerechnet (Freeman, 1996).

Auch die OECD kommt in ihren Analysen zu dem für neoliberale Arbeitsmarktrezepte vernichtenden Schluß: „Es gibt nur wenig schlüssige Belege, die zeigen, daß Länder mit einem geringen Anteil an Niedrigbezahlten dies auf Kosten höherer Arbeitslosenzahlen oder einem geringeren Beschäftigungsniveau für besonders gefährdete Gruppen wie Jugendliche oder Frauen erreicht haben" (OECD 1996 (1)). Die wohlmeinende Hilfe für die Benachteiligten kommt also offensichtlich bei der Zielgruppe nicht an. Es spricht vieles dafür, daß in polarisierten Arbeitsmärkten sich die Ungleichheit der Arbeitsmarktchancen sogar noch erhöht.

Hierfür lassen sich zwei gute Gründe anführen: Erstens ändert sich bei Lohnsenkungen sowohl das Verhalten der Beschäftigten als auch das der Unternehmen. Wenn Beschäftigte schlechter bezahlt werden, sinkt ihre Motivation und Arbeitsmoral, mithin auch ihre Produktivität. Wenn diese schneller als die Löhne sinkt, wird die Beschäftigung gering Qualifizierter für die Unternehmen sogar noch unrentabler als vor der Lohnsenkung. Hinzu kommt, daß die Unternehmen im Niedriglohnsegment des Arbeitsmarktes kaum in Aus- und Weiterbildung investieren. In den USA ist die Teilnahme gering Qualifizierter an innerbetrieblichen Qualifizierungsmaßnahmen in

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den letzten 15 Jahren zurückgegangen, während sie in Deutschland im gleichen Zeitraum gestiegen ist (Pischke, 1997). Zweitens haben viele europäische Länder wie Schweden, Dänemark, die Niederlande und Deutschland ihre Bildungs- und Ausbildungssysteme ausgebaut. In diesen Ländern nahm also nicht nur die Nachfrage nach, sondern auch das Angebot an einfacher Arbeit ab, womit der Preisverfall auf diesem Teilarbeitsmarkt gebremst werden konnte. In Westdeutschland ist der Anteil der Beschäftigten ohne berufliche Ausbildung von 30% 1979 auf 16% 1991 zurückgegangen (Schömann u.a., 1998). Bei den jüngeren Jahrgängen beträgt der Anteil der Unqualifizierten etwa 10%. Das Angebot wird also in Deutschland weiter zurückgehen. In den USA hat es eine solche Angebotsbegrenzung einfacher Arbeit nicht gegeben. Heute sind dort 45% der Arbeitskräfte ohne eine berufliche Ausbildung, die um eine immer knappere Zahl von Arbeitsplätzen für gering Qualifizierte konkurrieren (Schaubild 3). Obgleich in polarisierten Arbeitsmärkten wie den USA die Bildungsrendite, also die Lohn- und Gehaltssteigerung bei wachsendem Bildungsniveau, deutlich höher ist als in Ländern mit komprimierter Lohnstruktur, wird dort weniger aus- und weitergebildet. Die Anreize zur beruflichen Bildung wachsen vielleicht gerade dann, wenn die sozialen und bildungspolitischen Abstände nicht so groß sind, und damit auch überwindbar erscheinen.

Schaubild 3




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Die deutsche Lohnstruktur ist also bildungspolitisch unterfüttert und damit auch ökonomisch vertretbar. Auch die Amerikaner haben eine ihrer Lohnstruktur angepaßte Bildungsstruktur. Einer exzellenten, sehr gut ausgebildeten und noch weit besser bezahlten Spitze und einem größeren Anteil höher Qualifizierter als in Deutschland steht eine schlecht bezahlte, fast die Hälfte der Erwerbstätigen umfassende Unterschicht gegenüber. Der frühere amerikanische Arbeitsminister hat zu Recht immer wieder darauf hingewiesen, daß ohne mehr schulische und berufliche Bildung die Lebenssituation dieser Schicht nicht verbessert werden kann (Reich, 1991).

In Deutschland scheint der Anteil von 10% Unqualifizierten mit vertretbaren Anstrengungen kaum zu unterschreiten sein. Es sind also Grenzen der Angebotsbeschränkung erkennbar, was eine Diskussion über Arbeitsplätze für gering qualifizierte Arbeitslose rechtfertigt, gleichzeitig aber deren quantitative Dimension zurechtrückt. Im Vordergrund sollten Bemühungen stehen, das bisher erreichte Niveau an Ausbildung für 90% der Jugendlichen zu sichern und zu verbessern. Zusätzlich muß es um Maßnahmen zur Reintegration gering qualifizierter Arbeitsloser gehen. Dabei ist zunächst einmal festzustellen, daß die Mehrheit der gering Qualifizierten einer Erwerbstätigkeit nachgeht und sich ihren Lebensunterhalt eigenständig sichert. Durch eine Absenkung der Löhne würde man genau dieser Gruppe diese Möglichkeit nehmen und sie in Abhängigkeit von sozialen Transfers bringen. Für diejenigen, die den Einstieg ins Erwerbsleben nicht schaffen, sind gezielte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen allemal wirksamer als der Einsatz von Schrotflinten, wie etwa die Ausweitung des 630 DM- auf einen 2.800 DM-Sektor durch die Subventionierung von Sozialbeiträgen für alle Beschäftigten in diesen Lohngruppen, mit unabsehbaren Folgen für die Stabilität unserer Sozialversicherungssysteme, die dann von den Einkommen zwischen 2.800 und 7.000 DM alleine finanziert werden müssen.

Für wirksame arbeitsmarktpolitische Maßnahmen mit befristeten Subventionen für einzelne Gruppen, also typische Kombi-Lohn-Maßnahmen, gibt es viele Beispiele. „Jugend in Arbeit" heißt zum Beispiel ein solches Programm in NRW, in dem die verschiedenen Philosophien der Beschäftigungspolitik geschickt verknüpft werden (siehe Kasten). Alle langzeitarbeitslosen, unqualifizierten Jugendlichen unter 25 Jahren werden angesprochen; es wird ein individueller Entwicklungsplan durch besonders ausgebildete Berater ausgearbeitet; vor dem Eintritt in eine subventionierte Beschäftigung in einem Betrieb - hier hat die nordrhein-westfälische Wirtschaft Arbeitsplätze für alle Jugendlichen zugesagt - sind Trainings- und Motivationsphasen geschaltet. Jeder, der sich mit dieser schwierigen Gruppe auskennt, weiß, daß nicht jeder Jugendliche gleich in einem Betrieb eingesetzt werden kann. Leistungen des Arbeitsamtes werden allerdings gestrichen, wenn die Jugendlichen zumutbare Angebote ablehnen.

Wichtige Merkmale dieses und anderer wirkungsvoller Programme sind Betriebsnähe, die Kombination von Fördern und Fordern, individueller Zuschnitt der Maßnahmen und dezentrale Umsetzung. Es wäre verheerend für die Unqualifizierten, wenn man solche und andere arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, wie wiederholt vorgeschlagen wurde, zugunsten einer allgemeinen Subventionierung eines Niedriglohnsektors opfern würde.

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Menschenbild in der Beschäftigungspolitik

In der beschäftigungspolitischen Debatte stehen sich zwei Menschenbilder gegenüber, die man etwas schematisiert als das Marktmodell und das sozialpädagogische Modell bezeichnen kann.

Im Marktmodell werden alle Beschäftigungsprobleme auf eine Größe, die Löhne, reduziert Die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten setzt nach diesem Modell vor allem eine Senkung der Löhne voraus. Andere Integrationshindernisse werden für nebensachlich gehalten. Im Extremfall wird die Arbeitslosigkeit als reines Lohnproblem betrachtet, die durch markträumende niedrigere Löhne völlig beseitigt werden könnte. In der sozialstaatlichen Variante dieses Modell werden die Nettolöhne durch verschiedene Maßnahmen aufgestockt. Dabei kann es sich um bedarfsbezogene Transfers (Aufstockung der Löhne durch Kinder- oder Wohngeld, Zuzahlung über Sozialhilfe) oder allgemeine Entlastungen bei der Zahlung von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen handeln

Im sozialpädagogischen Modell werden personen- und unzureichende Qualifikation sowie Motivationsprobleme infolge des Verfalls von Zeitstrukturen und der Arbeitsmoral bei längerfristiger Arbeitslosigkeit in den Vordergrand gestellt. Betreuung, Beratung und Qualifikationsangebote gehen als die Hauptinstrumente der Beschäftigungspolitik In einer extremen Variante wird für die Betreuten ein Schutzraum vor den Anforderungen des ersten Arbeitsmarktes geschaffen. Es wird ein geförderter dauerhafter zweiter Arbeitsmarkt vorgeschlagen, in dem mehrere hunderttausend Arbeitskräfte - hier werden Zahlen zwischen 500 000 und einer Million genannt - arbeiten.

Das erste Modell fuhrt in seiner Reinform zur Ausgrenzung aller Personengruppen, die aus eigener Kraft den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen. Das zweite Modell hat bei bestimmten Gruppen, wie Behinderten, seine Berechtigung, fuhrt bei einer extensiven Interpretation zu einer Überbetreuung, die bestimmte Gruppen in Abhängigkeit belässt und nicht ihre Eigeninitiative fordert. Sinnvoller ist das ,Kombimodell’ also die Verbindung beider Philosophien Arbeitsmarktpolitische Hilfe müssen zur Selbsthilfe im Rahmen der Möglichkeiten der einzelnen Personengruppen fuhren. Das Spektrum der Arbeitsmarktpolitik reicht hier von dauerhafter Subvention (Behinderte) bis hin zu gestaffelten und zielgerichteten Übergangshilfen. Bei beiden Modellen ist zu berücksichtigem, dass man über gezielte personenbezogene Maßnahmen das Beschäftigungsniveau nur begrenzt erhöhen kann, wenn die Wirtschaft nicht gleichseitig wächst.



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4. „Sachzwänge des Weltmarktes„

Diese Argumentationsvariante bezieht sich vor allem auf die Verarbeitende Industrie, denn es werden weitaus mehr Güter als Dienstleistungen exportiert und importiert. Der Offenheitsgrad der deutschen Volkswirtschaft, definiert als Summe von Ex- und Importen geteilt durch zwei, liegt im Verarbeitenden Gewerbe bei über 25%, im Dienstleistungssektor bei etwas mehr als 2% (DIW, 1997/8). Die Industrieunternehmen versuchen, sich durch die Entwicklung neuer Produkte sowie die Verbesserung ihrer Produktionsverfahren dem reinen Kostenwettbewerb der Billiglohnländer zu entziehen, den sie ohnehin nicht bestehen könnten. Dies haben sie, wie wir an der Entwicklung der Export- und Importpreise zwischen 1980 und 1990 sehen können, auch bereits getan. In Deutschland stiegen in diesem Zeitraum die Exportpreise um ca. 20% schneller als die Importpreise, worin sich eine wachsende Schwerpunktsetzung auf höherwertige, weniger preisempfindliche Güter ausdrückt (Tabelle 1).

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Tabelle 1: Entwicklung der Handelspreise 1980-1990
- Steigerung in Prozent -

Importpreise

Exportpreise

Differenz

Deutschland

20,2

40,4

20,2

EU

20,7

31,2

10,5

OECD

18,0

29,5

11,5

Quelle: OECD, Employment Outlook, Paris, 1997, S. 110

G. Bosch IAT 1999

Infolge dieser Schwerpunktsetzung ist der Anteil gering Qualifizierter im Verarbeitenden Gewerbe in allen Industrieländern geschrumpft (OECD, 1996 (2)). Im Weltmarkt überlebt auf Dauer nicht der, der am billigsten ist, sondern der, der neue Entwicklungen mitgestaltet und nicht verschläft. Forschung und Entwicklung und Qualifizierung sind die Schlüsselelemente einer Innovationspolitik, die man auch als Vorauswirtschaft (Helmstädter, 1996) kennzeichnen kann, da es um die Arbeitsplätze von morgen geht.

Die Abnahme einfacher Arbeit in der industriellen Produktion ist in den europäischen Hochlohnländern auch nicht umkehrbar. Die Arbeitsprozesse sind so anspruchsvoll, durchrationalisiert und verdichtet, daß die einfachen Helfertätigkeiten verschwunden sind. Die Sachzwänge des Weltmarktes zwingen heute zu einem permanenten Innovationswettlauf in der industriellen Produktion. An diesem Innovationswettlauf sind auch viele wirtschaftsnahe Dienstleistungen mitbeteiligt, für die sich Billiglohnstrategien nicht auszahlen, da sie mit Qualitätsverlusten einhergingen.

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5. „Dienstleistungslücke schließen„

Das Institut der deutschen Wirtschaft identifiziert eine „Dienstleistungslücke" in Deutschland. Vor allem bei den sozialen und persönlichen Dienstleistungen wird ein Rückstand gegenüber Ländern mit höheren Dienstleistungsanteilen (wie den USA oder Dänemark) gesehen. Wenn man deren Beschäftigungsquote in diesen Bereichen zugrunde legt, dann ergibt sich umgerechnet auf Deutschland ein Potential an bis zu 4 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätzen (Klös, 1997). Scharpf (1997) argumentiert ähnlich und nennt auch vergleichbare Zahlen. Dieses Potential werde heute wegen der sogenannten „Kostenkrankheit" von Dienstleistungen (Baumol, 1967) nicht ausgeschöpft. Vor allem soziale und persönliche Dienstleistungen seien arbeitsintensiv und es gebe kaum Möglichkeiten, die Preise durch Rationalisierungsmaßnahmen zu senken. Als klassisches Beispiel wird ein Kammerorchester angeführt, das seine Stücke bei gleicher Qualität ja nicht schneller spielen könne. Da die Nachfrage nach solchen Dienstleistungen sehr preisempfindlich reagiere, werde sie durch die hohen deutschen Löhne und Lohnnebenkosten aus dem Markt gedrängt.

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Es soll hier nicht darüber gestritten werden, ob es in Deutschland überhaupt eine Dienstleistungslücke gibt. Erst 1998 hat das Statistische Bundesamt die Beschäftigungszahlen in Deutschland um zwei Millionen nach oben korrigiert, weil man die geringfügig Beschäftigten, die sich in Dienstleistungstätigkeiten konzentrieren, bislang nicht ausreichend berücksichtigt hatte (DIW, 1997). Das DIW konnte zeigen, daß sich in Deutschland die Tertiarisierung in viel stärkerem Maße als in den USA innerhalb der Industrie vollzogen hat. 47% aller Beschäftigten im deutschen Sekundären Sektor üben eine Dienstleistungstätigkeit aus, gegenüber 37% in den USA, wo solche Tätigkeiten ausgelagert wurden. Mißt man den Anteil von Dienstleistungstätigkeiten in allen Sektoren, liegen die USA und Deutschland gleichauf (DIW, 1996). Bei solchen Meßproblemen kann sich manche Lücke schnell verflüchtigen.

Vielmehr soll grundsätzlicher gefragt werden, ob die Beschäftigungsdynamik bei Dienstleistungstätigkeiten tatsächlich von der Existenz eines Niedriglohnsektors abhängt. Die EU hat in ihrem neuesten Beschäftigungsbericht den Zusammenhang zwischen der Lohnspreizung und der Entwicklung ausgewählter Dienstleistungen untersucht (Europäische Kommission, 1999). Sie kommt zu dem Ergebnis, daß kein systematischer Zusammenhang zwischen Lohnspreizung und Dienstleistungsbeschäftigung feststellbar ist. Die Beschäftigungsquote Großbritanniens im Dienstleistungsbereich ist zwar die höchste in EU-Europa, und das korrespondiere mit der stärksten Lohnspreizung. Spanien, das nach Großbritannien die ungleichste Einkommensstruktur aufweise, habe jedoch den am geringsten entwickelten Dienstleistungssektor und andere Länder, wie Schweden und Dänemark, haben hohe Dienstleistungsanteile in Kombination mit geringer Lohnspreizung.

Auch für einzelne Sektoren, wie das Versicherungsgewerbe, die Unternehmensdienstleistungen, das Kreditgewerbe und den Einzelhandel, lassen sich solche Beziehungen nicht feststellen. Ein leichter Zusammenhang ist nur im Gaststättenbereich erkennbar, wobei es auch hier kontrastierende Beispiele gibt (zum Beispiel Großbritannien und Frankreich).

Die EU schlußfolgert, „daß niedrige Lohnsätze und breite Lohnstreuung im allgemeinen nicht mit hohen (oder niedrigen) Beschäftigungsquoten in der Europäischen Union einhergehen. Falls ein solcher Zusammenhang besteht, wird er durch andere Einflüsse verdeckt, die zusammengenommen stärker sind als die Auswirkungen der Lohnstreuung. Ein solcher Einfluß kann unter anderem das relative Produktivitätsniveau sein". Die Hauptthese von Streeck/Heinze (1999), daß zwischen dem Niveau der Beschäftigung im privaten Dienstleistungssektor und dem Ausmaß der Lohnunterschiede zwischen Individuen und Branchen, der gesamtwirtschaftlichen Lohnspreizung, im internationalen Vergleich ein eindeutiger Zusammenhang besteht, ist wenig belastungsfähig.

Einige der anderen von der EU angesprochenen Einflußgrößen sollen genannt und in vier Einwänden gegen die viel zu pauschale These von der Kostenkrankheit der Dienstleistungsnachfrage zusammengefaßt werden (Bosch 1998):

Erstens werden durch Preissenkungen bei den rationalisierungsintensiven Produktionsgütern und die Sättigung der Nachfrage nach Industrieprodukten Einkommens-

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bestandteile frei, die zusätzlich für Dienstleistungen ausgegeben werden können. Ganz ähnlich, wie wir für Nahrungsmittel heute nur einen kleinen Teil unseres Einkommens ausgeben, während dies im letzten Jahrhundert noch bei weitem der wichtigste Ausgabenposten war, wird der Anteil der Ausgaben für Industrieprodukte zurückgehen. Sicherlich wird es einige Zeit dauern, bis sich die Bereitschaft entwickelt, für professionelle Dienstleistungen Geld auszugeben. Eine solche Umschichtung der Ausgaben läßt sich in den letzten Jahren jedoch bereits beobachten. Die Haushalte geben heute weit mehr für Weiterbildung, Gesundheit, Urlaub, Restaurants, Unterhaltung etc. aus, als noch vor wenigen Jahren. Diese Nachfrageverschiebung ist in den deutschen Beschäftigungsstatistiken nur teilweise erkennbar. Denn die Deutschen tauschen in der internationalen Arbeitsteilung Industriegüter, die exportiert werden, gegen Dienstleistungen auf ihren Urlaubsreisen ins Ausland.

Zweitens sind viele Dienstleistungstätigkeiten rationalisierbar. Man denke nur an viele Tätigkeiten in den Banken oder Versicherungen, die sich heute mit Hilfe der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien wesentlich effektiver erledigen lassen, als in der Vergangenheit. Selbst im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen sind überraschende Rationalisierungssprünge möglich. Der dänische Wissenschaftler Esping-Andersen (1995) nannte noch vor wenigen Jahren die hohen Preise für Hemdenbügeln in Deutschland im Vergleich zu den USA als ein Beispiel für die Unmöglichkeit, hier einen Dienstleistungssektor zu entwickeln. Inzwischen ist es durch die Mechanisierung des Hemdenbügelns zu einem Preisverfall um 50% (von 6 auf 3 DM) gekommen, was die Nachfrage beträchtlich angeregt hat. Durch gelegentlich auch sehr überraschende und heute noch nicht absehbare Erfindungen werden sich auch künftig scheinbare rationalisierungsresistente Dienstleistungen verbilligen, womit Raum für Nachfrage nach anderen - rationalisierungsresistenteren - Dienstleistungen geschaffen wird.

Drittens sind gerade die stärker rationalisierungsresistenten persönlichen Dienstleistungen „Vertrauensgüter". Die Kunden begeben sich sprichwörtlich in die Hand des Anbieters - man denke nur an Kindererziehung oder Pflege - und fragen eine Dienstleistung nur nach, wenn die Anbieter ihnen vertrauenswürdig erscheinen und Qualität bieten. „Satt und Sauber" ist in der Kindererziehung und im Pflegebereich allenfalls das Mindestniveau und nicht ausreichend. Gerade wenn in einer Gesellschaft das Bildungsniveau steigt, wachsen auch die Anforderungen an die Qualität von Dienstleistungen. Deshalb entstehen Märkte für professionalisierte, qualitativ hochwertige Angebote, die natürlich auch bezahlt werden müssen. Persönliche und soziale Dienstleistungen sind daher nur zum geringen Teil gering qualifizierte Tätigkeiten. Über 80% der fast 1,1 Millionen Arbeitskräfte, die in Deutschland in der Pflege beschäftigt sind, haben eine abgeschlossene Berufsausbildung (Meifort 1999).

Es geht also im Kern um einen Niedriglohnsektor auch für qualifizierte Arbeit. In der Niedriglohndebatte wird implizit angenommen, daß man noch recht lange qualifizierte weibliche Arbeit schlecht bezahlen kann. Denn es sind vor allem Frauen, die im Dienstleistungsbereich und mehr noch in den persönlichen und sozialen Dienstleistungen arbeiten (Tabelle 2). Dies ist dauerhaft bei einer stärkeren Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt und wachsenden Ansprüchen an eine eigene Existenzsicherung nicht machbar. Die qualifizierten Kräfte werden die Niedriglohnbereiche

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verlassen, und der Nachwuchs bleibt wegen der geringen Bezahlung aus. Die hohen Fluktuationsquoten und der permanente Personalnotstand im Pflegebereich sind heute schon unübersehbar.

Tabelle 2: Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor in v.H. aller Beschäftigten nach Geschlecht 1997


Männer

Frauen

Zusammen

DK

58,6

84,1

70,1

D

50,3

78,6

62,2

F

58,0

82,2

68,8

E

51,8

80,3

61,8

NL

63,3

88,3

73,4

S

57,2

86,7

71,3

UK

59,5

85,7

71,2

Quelle: EU, Beschäftigung in Europa 1998, Luxemburg,1999

G. Bosch IAT 1999

Viertens schließlich wird die Expansion einfacher haushaltsnaher Dienstleistungen in Deutschland durch die Barriere „Eigenarbeit" gebremst. Aufgrund der kurzen Arbeitszeiten in Deutschland bleibt viel Zeit, viele Tätigkeiten im Haushalt und darüber hinaus selbst zu erledigen. Die Deutschen sind Weltmeister im „Do-it-yourself. In Japan mit seinen langen Arbeitszeiten hingegen gibt es kaum Baumärkte. Dort bestellen die Frauen den Handwerker, da die Männer keine Zeit für solche Tätigkeiten haben. Wenn man alle Tätigkeiten über den Markt abwickeln wollte, müßte man die Arbeitszeiten in Deutschland drastisch erhöhen, um den Haushalten die Zeit für diese „Subsistenzarbeiten" zu nehmen. Dieser Zusammenhang ist etwa der bayerisch-sächsischen Zukunftskommission nicht sichtbar geworden, die gleichzeitig einen Niedriglohnsektor für Dienstleistungstätigkeiten und mehr Eigen- und Bürgerarbeit vorschlägt (Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, 1997).

Der hohe Eigenarbeitsanteil in Deutschland hängt freilich auch mit den Familienstrukturen zusammen. In Ländern mit hohen Dienstleistungsanteilen an allen Beschäftigten liegt der Anteil der Haushalte mit einem männlichen Alleinverdiener deutlich niedriger als in Ländern mit einem niedrigen Dienstleistungsanteil. In Spanien sind Haushalte mit einem männlichen Alleinverdiener mit 59,2% aller Paarhaushalte mit mindestens einem Verdiener das dominierende Modell. In Großbritannien liegt dieser Prozentsatz bei 21,4%. Dies ist vielleicht der entscheidende Grund, warum Spanien trotz einer fast ebenso ausgeprägten Lohndifferenzierung wie Großbritannien einen weniger entwickelten Dienstleistungssektor hat. Westdeutschland hat im Vergleich zu Ländern mit höheren Dienstleistungsanteilen mehr Haushalte mit

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männlichen Alleinverdienern und weniger Haushalte mit Paaren, die beide Vollzeit arbeiten (Tabelle 3).


Tabelle 3: Verteilung der Paarhaushalte mit mindestens einem Verdiener – in %, 1997 -


Männliche Alleinverdiener

Beide Vollzeit

Mann VZ/
Frau TZ

Sonstige

West-Deutschland

33,7

30,2

24,2

11,9

Ost-Deutschland

25,4

45,2

14,0

15,4

Niederlande

34,6

13,4

37,6

14,5

Spanien

59,2

25,3

5,1

10,4

Großbritannien

21,4

33,8

31,6

13,2

Finnland

23,2

48,0

6,4

22,4

Quelle: EU-Arbeitskräftestichprobe / Sonderauswertung

G. Bosch IAT 1999

Der Schlüssel zur Entwicklung bezahlter sozialer und persönlicher Dienstleistungen liegt also in der Transformation von unbezahlter in bezahlte Arbeit, im Outsourcing von Haushaltstätigkeiten vor allem infolge steigender Erwerbstätigkeit der Frauen. Wenn diese Argumentation zuträfe, müßte man die nationalen Unterschiede im Beschäftigungsniveau bei den persönlichen und sozialen Dienstleistungen durch das unterschiedliche Niveau der Frauenerwerbstätigkeit erklären können.

Einen solchen Zusammenhang kann man tatsächlich nachweisen. Das Niveau der Frauenerwerbstätigkeit wird durch die Beschäftigungsquote nach Vollzeitäquivalenten gemessen. Das sind die unterschiedlichen Teilzeitanteile und durchschnittliche Stundenzahlen von Teilzeitbeschäftigten in den verschiedenen europäischen Ländern auf ein gemeinsames Maß gebracht. Die Beschäftigungsquote im Dienstleistungssektor wurde als Anteil der in diesem Sektor beschäftigten Arbeitskräfte an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter gemessen. Dabei wurde zwischen den Beschäftigungsquoten im Dienstleistungssektor insgesamt und bei den persönlichen und sozialen Dienstleistungen (Erziehung und Unterricht, Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen, Interessenvertretungen, Unterhaltung, persönliche und andere Dienstleistungen, private Haushalte) unterschieden. Beide Zahlenreihen beruhen auf Daten von EUROSTAT, dem statistischen Amt der EU.

Es zeigen sich hohe Korrelationen zwischen dem Niveau der Frauenerwerbstätigkeit einerseits und den beiden Beschäftigungsquoten im Jahre 1997. Die Korrelation zwischen dem Niveau der Frauenerwerbstätigkeit und der Beschäftigungsquote im Dienstleistungssektor liegt bei R = 0.628. Die Korrelation zwischen dem Niveau der Frauenerwerbstätigkeit und den persönlichen und sozialen Dienstleistungen liegt sogar bei R = 0.708, womit 0.502 der Varianz erklärt werden (Schaubild 4). Die Kor-

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relation zwischen dem Niveau der Frauenerwerbstätigkeit und der Beschäftigungsquote im gesamten Dienstleistungssektor verschwindet ganz, wenn man die Beschäftigungsquote bei den persönlichen und sozialen Dienstleistungen kontrolliert. Dies heißt, daß es keinen Zusammenhang zwischen dem Niveau der Frauenerwerbstätigkeit und den eher unternehmensnahen Dienstleistungen, wohl aber einen sehr engen Zusammenhang mit den persönlichen und sozialen Dienstleistungen gibt.

Schaubild 4
Der Zusammenhang zwischen Frauenerwerbstätigkeit und Beschäftigungsquoten in den persönlichen und sozialen Dienstleistungen in der EU 1997

Das Argument der Kostenkrankheit taugt zwar nicht zu einer Erklärung der Beschäftigungsquoten bei den persönlichen und sozialen Dienstleistungen. Dies hat Baumol in seinem berühmten und häufig mißbrauchten Aufsatz von 1967 auch nie behauptet. Er wollte nicht die Notwendigkeit eines Niedriglohnsektors begründen, sondern er hatte ein soziales Anliegen, was in der heutigen Debatte über Niedriglöhne völlig verloren gegangen ist. Wenn gerade die öffentlichen Dienstleistungen unter der Kostenkrankheit leiden und sich mit der Verstädterung soziale Probleme in solchen Räumen kumulieren, geraten die Städte in Finanznot. Öffentliche Dienstleistungen können nicht mehr finanziert werden, was den sozialen Zerfall der Gesellschaft fördert.

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Unter der Kostenkrankheit - und das hat Baumol mehr geahnt, als klar formuliert - leiden insbesondere öffentliche Dienstleistungen. Durch die Veränderung der traditionellen Haushaltsstrukturen und die wachsende Bedeutung von Bildung in der Wissensgesellschaft werden solche Dienstleistungen immer universeller nachgefragt und zählen zu den unverzichtbaren Grundbedürfnissen. Die Aussage, daß der Markt das wichtigste arbeitsmarktpolitische Instrument beim Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft ist (Streeck u.a., 1999), ist nur die halbe Wahrheit. Wenn bei gesellschaftlichen elementaren Dienstleistungen nicht eine Grundversorgung garantiert ist, werden die sozialen Differenzierungen steigen. Der hochwertigen Kinderbetreuung mit Hausaufgabenhilfe und frühzeitigem Fremdensprachenunterricht wird dann die Vernachlässigung von Kindern in anderen Schichten gegenüberstehen. Das Schulsystem wird sich durch die Privatisierung von Schulen bzw. die zunehmende Differenzierung ihrer Qualität je nach Schulform oder Stadtteil auseinanderentwickeln. Gerade weil hier so viele öffentliche Interessen an der Sicherung sozialen Zusammenhalts im Spiel sind, ist eine der wichtigsten Zukunftsfragen, wie man eine universelle Versorgung lebenswichtiger Dienstleistungen mit bestimmten Mindeststandards sichern kann.

Hier gibt es ein Spektrum von Lösungen. Bestimmte Grundgüter wie schulische Bildung müssen weiterhin in hoher Qualität ohne Kostenbeitrag zur Verfügung gestellt werden. Die solidarische Umlage wie bei der Pflegeversicherung oder das öffentliche Angebot von Dienstleistungen mit Gebühren, die nach der Einkommenssituation gestaffelt sind (wie bei den Kindergärten), zeigen Möglichkeiten für unterschiedliche Typen privater Kostenbeteiligung auf. Man kann auch an Gutscheine für bestimmte Dienstleistungen, etwa für Haushaltshilfen für Ältere, die ebenfalls einkommensabhängig gewährt werden, denken.

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6. „Nicht ständig Qualität gegen Quantität tauschen„

In einer komplexer werdenden Welt wächst die Sehnsucht nach einfachen Antworten, die immer wieder gerne bedient wird. Simple Antworten sind zwar gelegentlich bestsellerverdächtig, meist aber falsch. Es gibt wenig Anhaltspunkte, daß durch eine größere Lohnspreizung in Deutschland das amerikanische Beschäftigungswunder kopiert, die Arbeitslosigkeit unqualifizierter Beschäftigter vermindert oder die Expansion des Dienstleistungssektors verursacht werden kann. Lohnspreizung dem Verarbeitenden Gewerbe als Antwort auf den globalen Wettbewerb zu empfehlen (Berthold, 1997), ist sogar kurzfristig beschäftigungspolitisch schädlich. Ein großvolumiger Dienstleistungssektor wie in den USA, wo jede Person im erwerbsfähigen Alter mit 1.463 Jahresstunden rund 500 Stunden mehr bezahlte Arbeit als in Deutschland leistet (Bosch, 1998), läßt sich einer Do-it-yourself-Gesellschaft nicht und auch nicht durch billigere Angebote aufpfropfen. Problematisch in der Debatte ist vor allem die Verkürzung der Beschäftigungspolitik auf eine Größe, nämlich die Lohnspreizung und die Vernachlässigung vieler anderer Handlungsfelder vor allem der Makroökonomie und der Innovationspolitik. Wenn aber zentrale Zukunftsaufgaben aus der Debatte herausgedrängt werden, werden Niedriglohn- und Innovationsstrategien unvereinbar.

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Unsere Analyse zeigte aber auch, daß die Niedriglohndebatte einen realen Kern hat. Unqualifizierte Arbeitskräfte haben es schwerer als andere, einen Arbeitsplatz zu finden, und es gibt Dienstleistungsbereiche, die sich wegen ihrer „Kostenkrankheit" nur unzureichend entwickeln. Auf diese Probleme muß man gezielt reagieren. Hier sind besondere arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Strategien für besondere Personengruppen notwendig. In einzelnen Fällen (wie bei Behinderten) sind auch dauerhafte Subventionen angebracht, da diese Beschäftigung in der Regel keine ausreichende Produktivität erreichen wird. Wenn aber Dienstleistungen, die aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit, der Herstellung gleicher Lebenschancen und der Vermeidung sozialer Polarisierung allen Bevölkerungsgruppen unabhängig von ihrer Einkommenslage zugängig sein müssen, unter der „Kostenkrankheit" leiden, sind Niedriglohnstrategien der falsche Weg. Die Qualität der angebotenen Dienstleistungen würde sich dann entlang der Kaufkraft differenzieren. Es gäbe gute und sehr schlechte Bildungsangebote oder gute und schlechte Pflege, und die Gesellschaft würde auseinanderdriften. Eine der bedeutsamen negativen Nebeneffekte der Niedriglohndebatte ist, diese elementaren Zukunftsfragen aus der politischen Diskussion verbannt zu haben.

Man sollte daher viel mehr über die Langfristwirkungen beschäftigungspolitischer Strategien nachdenken. Die Zukunft der Erwerbsarbeit hat aber leider heute bei vielen Zukunftsforschern schlechte Karten. Durch vage Versprechungen, kurzfristig mehr Arbeitsplätze zu schaffen, wird die Qualität der Beschäftigung und auch der angebotenen Dienstleistungen vernachlässigt. Eine wachsende Lohnspreizung und die damit einhergehende soziale Polarisierung werden die Anreize zur Qualifizierung bei Unternehmen und Beschäftigten vermindern, das Innovationstempo und den künftigen Wohlstand verringern sowie den sozialen Zusammenhalt gefährden. Qualität gegen Quantität kann man aber allenfalls auf kurze Sicht tauschen. Langfristig gehört beides in der Umwelt- und Strukturpolitik ebenso wie auf dem Arbeitsmarkt zusammen.

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Zitierte Literatur

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Bosch, G. (Hrsg.), Zukunft der Erwerbsarbeit. Strategien für Arbeit und Umwelt, Campus, Frankfurt/New York, 1998

Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bericht „Zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 1998", Bonn, 1998

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Helmstädter, E., Perspektiven der Sozialen Marktwirtschaft. Ordnung und Dynamik des Wettbewerbs, Münster, 1996

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Streeck, W., Heinze, R., An Arbeit fehlt es nicht, in: Der Spiegel, Heft 19,1999, S. 38-45

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Die Autoren

Prof. Dr. Gerhard Bosch
Vizepräsident und Leiter der Abt. Arbeitsmarkt am Institut Arbeit und Technik des Wissenschaftszentrums NRW, Gelsenkirchen

Prof. Dr. Wolfgang Franz

Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), Mannheim

Prof. Dr. Jürgen Kromphardt

Technische Universität Berlin; Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung

Prof. Dr. Hans-Jürgen Krupp

Präsident der Landeszentralbank in der Freien und Hansestadt Hamburg, in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein


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