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2. Die neue Insolvenzordnung

2.1 Grundzüge des neuen Insolvenzrechts

Ein Referent der Landesvertretung Sachsen-Anhalt und Richter an einem Landgericht skizzierte die wichtigsten Bestandteile des neuen Insolvenzrechts. Seit der Verkündung der Insolvenzordnung (InsO) am 5. Oktober 1994 habe sich die insolvenzrechtliche Landschaft in Deutschland fast unmerklich, aber doch stetig verändert und zum 1. Januar 1999 den nachhaltigsten Einschnitt seit über 100 Jahren vollzogen. Während die Vorweginkraftsetzungen durch das gleichzeitig verabschiedete Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung (EGInsO) zum Beispiel zum Insolvenzarbeitsrecht bereits Entscheidungsbände füllten, finde die praktische Umsetzung im Bereich der Schuldner- und Verbraucherberatung seit dem 1.7.1998 in täglich steigendem Maße statt.

Grundsätzlich faßt die InsO wesentliche Elemente des bisherigen Vergleichsverfahrens und des bisherigen Konkursverfahrens zusammen und ermöglicht vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten für die Rechtsbeziehungen zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern. Gleichwohl liegt auch der neuen InsO eine wesentliche Zielsetzung zugrunde, der sich das gesamte Reformwerk anpaßt und unterordnet, nämlich das Ziel einer geordneten, bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger. Dieses Ziel ist Maßstab für alle Entscheidungen, die zwischen dem Eingang des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zu dessen Beendigung von den unterschiedlichen Beteiligten zu treffen sind. Notwendige Voraussetzung dafür ist auch der Verlust der Rechtsstellung bisher privilegierter Gläubiger wie z.B. der Finanzämter und Kommunalkassen, die künftig stärker darauf zu achten haben, durch frühzeitige Maßnahmen ein „Ausbluten der Masse" [Fn. 2: „Masse" ist die allgemeine Bezeichnung des der Insolvenzverwaltung unterliegenden Vermögens des Schuldners.] zu verhindern, als auf die Quoten bevorrechtigter Gläubiger zu warten. Allerdings tragen frühzeitig eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen künftig stets das Risiko der nachträglichen Wertlosigkeit in sich

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(Rückschlagsperre nach § 88 InsO), und bisher vertraute Sicherheiten erweisen sich z.B. im Bereich der Lohnabtretungen nur noch als von begrenztem Wert und begrenzter Dauer(§ 114 InsO).

Zur Zweckerreichung des Insolvenzverfahrens läßt das Gesetz ausdrücklich verschiedene und völlig neue Verfahrenswege zu. Das Spektrum reicht von der Fortführung des Schuldnerunternehmens oder einer „übertragenden Sanierung" bis hin zu seiner Liquidierung (§ 1 InsO) und der Befreiung des Schuldners von den im Verfahren unbefriedigt gebliebenen Forderungen. Das Verfahren stellt dabei nur einen Rahmen dar, in dem sich die Erreichung des Zieles zu bewegen hat, läßt aber zugleich auch ausdrücklich die Möglichkeit zu, das Verfahren auch durch eine Übereinkunft aller Beteiligten, den sogenannten Insolvenzplan (§§ 217 ff. InsO), abweichend von der gesetzlichen Regelung zu beenden. In diesem Zusammenhang werden sich auch die öffentlichen Gläubiger mit ihren Forderungen wesentlich stärker als bisher an der Erstellung solcher Pläne beteiligen und die Eigeninteressen an den Interessen der anderen Gläubigergruppen ausrichten müssen, um nicht in eine Minderheitenposition zu gelangen, die später durch Gerichtsentscheidung überwunden wird. Die dabei gebotene wirtschaftliche Sichtweise ist allerdings nach Einschätzung des Referenten mit den gegenwärtigen Regelungen, z.B. der Abgabenordnung (AO), kaum in Einklang zu bringen.

Darüber hinaus bietet das Insolvenzverfahren erstmals „natürlichen Personen" die Möglichkeit, sich von der Haftung auch für solche Verbindlichkeiten zu befreien, die aus dem vorhandenen Vermögen nicht mehr befriedigt werden können (§ 1 Abs. 2 InsO). Es regelt aber zugleich den Zugang zu den Gerichten auch für Gewerbetreibende und Kleinunternehmen neu, indem es sie nach
§ 305 ff. InsO auf das vorherige Durchlaufen einer außergerichtlichen Schuldenregulierung verweist. In diesem Zusammenhang werden sich auch die öffentlichen Gläubiger schon bald in außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren befinden, wobei sie nicht nur die bisherigen Konkursvorrechte verlo

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ren haben, sondern mit den Gläubigern des Schuldners eine ungeteilte Gemeinschaft bilden und ihnen gleichgestellt sind. Das könnte zur Folge haben, daß die Einwendungen eines Gläubigers gegen einen Schuldenbereinigungsplan, dem mehr als die Hälfte der Gläubiger zugestimmt haben, auf Antrag eines Gläubigers oder Schuldners durch einen Beschluß des Insolvenzgerichts nach § 309 InsO ersetzt werden kann. Dies wiederum bedingt, daß sich auch Behörden auf taktisches und wirtschaftliches Denken einstellen müssen, um - wie in der freien Wirtschaft auch - nach der Regel zu handeln, daß „schnelles Geld auch gutes Geld ist".

Die Reformziele der InsO

Schlagwortartig beziehen sich die wesentllichen Zielsetzungen der neuen Insolvenzordnung auf

  • die Stärkung der Gläubigerautonomie in einem einheitlichen Verfahren,

  • die rechtzeitige und leichtere Verfahrenseröffnung,

  • die umfassende Sicherung der Masse schon im Eröffnungsverfahren,

  • die Reduzierung der Insolvenzrechte als gesetzliche Maßnahme gegen Massearmut,

  • den Wettbewerb der Gläubiger um die beste Verwertungsart,

  • die Erhöhung der Verteilungsgerechtigkeit,

  • die Verschärfung des Anfechtungsrechts,

  • die Erweiterung der Insolvenzfähigkeit und der Insolvenzgründe,

  • die Einbindung der Sicherungsgläubiger in das Verfahren,

  • die Einführung des Insolvenzplans als Rechtsrahmen für eine einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz,

  • und die Ermöglichung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens und Einführung einer Restschuldbefreiung.

Die Kritik an der gesetzlichen Neuregelung bezieht sich auf

  • die Versagung des Justizgewährungsanspruchs im Eröffnungsverfahren durch weitgehenden Verlust der bisherigen Rechtsmittel,

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  • ein zu kompliziertes, rechtsmittelbefrachtetes Insolvenzplanverfahren,

  • die Überforderung der Gerichte mit betriebswirtschaftlichen Bewertungsverfahren,

  • die Komplexität und Schwerfälligkeit des Insolvenzverfahrens insgesamt,

  • die Einschränkung der weitreichenden Rückschlagssperre des § 7 Abs. 3 GesO,

  • die sanierungshemmende Gestaltung der arbeitsrechtlichen Problemstellungen, insbesondere wegen Fortgeltung des § 613a BGB,

  • den Wegfall des § 419 BGB (Haftung des Vermögensübernehmers),

  • und die fehlende Praktikabilität des Verbraucherinsolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens.

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2.2 Wesentliche Veränderungen gegenüber dem Konkursrecht

2.2.1 Neuordnung des Insolvenzeröffnungsverfahrens

Das Insolvenzeröffnungsverfahren ist zukünftig dadurch geprägt, daß die bisher geltende und mögliche Alternative Vergleichs- oder Konkursantrag beseitigt und durch ein einheitliches Insolvenzverfahren ersetzt worden ist. Dies bringt beim Eigenantrag für den Schuldner insoweit erhebliche Vorteile, als er nicht mehr unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Wochen, die Alternativentscheidung zu treffen hat, ob er ein Konkurs- oder Vergleichsverfahren einleiten will, vielmehr wird dieser Entscheidungsprozeß zukünftig in das gestraffte, weil faktisch ohne Rechtsmittel stattfindende (§§ 6, 34 InsO) Eröffnungsverfahren verlagert.

Gleichzeitig bringt das neue Insolvenzrecht den Abschied vom Universalverfahren, denn mit der Einführung verschiedener Sonderverfahren wie der Eigenverwaltung, des Planverfahrens, der Verbraucher- und Kleininsolvenz und der verschiedenen Sondervermögensverfahren wie Nachlaß oder Gesamtgut sieht das Gesetz unterschiedliche Verfahren vor, für die spezifisches Verfahrens-

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recht gilt und die auch den Zugang zu den Insolvenzgerichten von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen.

Wie es schon bisher in den neuen Bundesländern geltendes Recht war, soll im Interesse einer Kompetenzbündelung und höherer „Professionalität" die gerichtliche Zuständigkeit für die Durchführung des Insolvenzverfahrens bei einem Amtsgericht am Sitz des Landgerichts konzentriert werden (§ 2 Abs. 1
InsO). Von dieser Möglichkeit haben, mit Ausnahme von Mecklemburg-Vorpommern alle Bundesländer Gebrauch gemacht, wenngleich durchweg nicht immer in dem engen Sinne, wie dies die Regelung in § 2 InsO vorsieht.

Hinsichtlich der funktionellen Zuständigkeit sieht Art. 14 EGInsO eine Änderung des § 18 RPflG vor, die dazu führt, daß dem Richter künftig nicht nur, wie bisher, das Verfahren bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag unter Einschluß dieser Entscheidung und der Ernennung des Insolvenzverwalters vorbehalten bleibt, vielmehr auf den Richter zukünftig auch wesentliche Entscheidungen im Verfahren selbst zukommen, zum Beispiel über einen Schuldenbereinigungsplan im Bereich der Verbraucherinsolvenz. Das Verfahren wird im übrigen wie bisher vom Rechtspfleger als Insolvenzgericht geführt.

Im Gegensatz zum bisherigen Recht sind Entscheidungen des Insolvenzgerichts nur noch in den Fällen mit einem Rechtsmittel anfechtbar, in denen die InsO selbst die „sofortige Beschwerde" vorsieht (§ 6 Abs. 1 InsO). Weder die Anordnung noch die Ablehnung der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen ist für die Kommune anfechtbar, denn die Rechtsmittel sind auf die Endentscheidung des Eröffnungsverfahrens in § 34 InsO konzentriert worden. In der Zeit bis dahin sind sowohl der Schuldner als auch die Gläubiger faktisch rechtlos gestellt. Mit der Entscheidung des Landgerichts (LG) endet der Rechtszug, es sei denn, daß das Oberlandesgericht (OLG) auf Antrag die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung des LG aus den besonderen Gründen des
§ 7 Abs. 1 Satz 1 InsO zuläßt. Erstmalig wird auch die Möglichkeit geschaffen,

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daß das Insolvenzgericht, entgegen der bewährten Regelung des § 577 Abs. 3 ZPO, seine angefochtene Entscheidung selbst abändern kann (§ 6 Abs. 2 Satz 2 InsO).

Besonderheiten ergeben sich in den allgemeinen Regelungen auch hinsichtlich der Zustellungen, da nach § 8 Abs. 3 das Insolvenzgericht den Insolvenzverwalter und den vorläufigen Insolvenzverwalter beauftragen kann, die Zustellungen durchzuführen. Diese Regelung gilt nach § 6 Abs. 3 GesO schon heute für die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses im Bereich der neuen Bundesländer.

Nach künftigem Recht werden, wie schon nach der Gesamtvollstreckungsordnung (GesO), auch „Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit" durchgängig für insolvenzfähig erklärt (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO), was insbesondere im Hinblick auf die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BGB-Gesellschaft, GbR) eine bedeutsame Erweiterung darstellt, jedoch auch die Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigungen (EwiV) und die Partnerschafts-Gesellschaften mit umfaßt.

Auch künftig bleibt das Insolvenzverfahren ein Antragsverfahren. Es gibt jedoch den neuen Insolvenzgrund der „drohenden Zahlungsunfähigkeit" (§ 18 InsO). Nach § 18 Abs. 2 InsO droht der Schuldner zahlungsunfähig zu werden, wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Die Besonderheit bei diesem Eröffnungsgrund besteht darin, daß nur der Schuldner, nicht dagegen ein Gläubiger das Recht zur Antragstellung besitzt, da ein solches Recht eines Gläubigers Druckanträgen Tür und Tor öffnen würde. Durch die Vorverlagerung erhofft der Gesetzgeber, insbesondere eine Vergrößerung der Sanierungschancen herbeizuführen, eröffnet jedoch auch zugleich Manipulierungsmöglichkeiten, indem zum Beispiel dem Gläubiger einer laufenden Vollstreckung oder Sicherung durch entsprechende Antragstellung des Schuldners innerhalb

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der Monatsfrist des § 88 InsO (Rückschlagsperre) nachträglich der Boden entzogen werden könnte.

Die Zurückweisung des Eröffnungsantrages mangels Masse wird gegenüber der bislang herrschenden Praxis erschwert und damit die Eröffnung erleichtert. Kosten des Insolvenzverfahrens, die gemäß § 26 Abs. 1 InsO gedeckt sein müssen, sind nach § 54 InsO nur noch die Gerichtskosten für das Insolvenzverfahren sowie die Vergütung und die Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses. Sonstige Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO [Fn. 3: Sonstige Masseverbindlichkeiten entstehen u.a. aus Handlungen des Verwalter s nach der Eröffnung bzw. des vorläufigen Verwalter s nach § 55 Abs. 2 InsO. Hierzu gehören z.B. auch Abgabenforderungen wie die Einkommens- und Körperschaftssteuer, die durch die Fortführung des Gewerbebetriebes entsteht, die Lohnsteuer, die bei Auszahlung der Löhne entsteht ebenso, wie die Umsatzsteuer, die Grunderwerbssteuer oder die Kfz.-Steuer für das Halten eines Fahrzeugs durch den Verwalter.] , wie sie heute vielfach in den Massekostenvorschuß eingerechnet werden, haben bei der Frage der Kostendeckung künftig außer Betracht zu bleiben, so daß Verfahren auch mit einem erheblich niedrigeren Vorschuß als bisher eröffnet werden können. Auch für den Fall der „Masseunzulänglichkeit" nach § 208 InsO bringt die Neuordnung erhebliche Änderungen und beseitigt bestehende Unklarheiten.

Für die Praxis von großer Bedeutung ist die Regelung des § 20 Satz 2 InsO, die dazu führt, daß der Schuldner gegenüber dem Gericht schon im Eröffnungsverfahren nicht nur allgemein zur Auskunft verpflichtet ist, sondern auch strafbare Handlungen zu offenbaren hat. Auch im übrigen ist seine Mitwirkungspflicht stark ausgeweitet worden, wobei als Korrektiv selbstverständlich gilt, daß Offenbarungen des Schuldners im Insolvenzverfahren über strafbare Handlungen in einem nachfolgenden Strafverfahren nur mit seiner Zustimmung verwendet werden dürfen.

Wesentlich präziser als bisher wird in der neuen Insolvenzordnung in § 21 InsO der Kreis der möglichen vorläufigen Sicherungsmaßnahmen benannt. An die Stelle des Sequesters oder vorläufigen Vergleichsverwalters tritt zukünftig der

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vorläufige Insolvenzverwalter gemäß §§ 21, 22 InsO, dessen Rechtsstellung durch Entscheidungen des Gerichts maßgeblich mitgestaltet werden kann. In diesem Zusammenhang verdient § 55 Abs. 2 InsO besondere Bedeutung, der - abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BGH - vom vorläufigen Verwalter begründete Verbindlichkeiten in den Rang von Masseverbindlichkeiten erhebt. In der Folge führen daher auch Handlungen des vorläufigen Verwalters mit Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis [Fn. 4: Ein verläßlicher Verwalter ist künftig nur der so bestellte vorläufige Verwalter , so daß die Kommunen gut beraten sind, sich stets die Bestallungsurkunde zeigen zu lassen, um sicherzustellen, daß der Verwalter mit dem sie ggf. kontrahieren, die Erfüllung der Verbindlichkeiten sicherstellt.] die Abgabenforderungen entstehen lassen, wie zum Beispiel der Weiterbetrieb eines PKW der Gemeinschuldnerin, dazu, daß diese Forderungen im eröffneten Verfahren vorrangig zu befriedigen sind. Wird auf den vorläufigen Verwalter die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO übertragen, so hat er künftig nicht nur das Vermögen des Schuldners zu sichern und zu erhalten, sondern das Schuldnerunternehmen bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens einstweilen fortzuführen, es sei denn, das Insolvenzgericht stimmt einer Stillegung zu. Ob die „verpflichtende" Fortführung allerdings praktisch überhaupt durchführbar sein wird, begegnet angesichts der haftungsrechtlichen Risiken zunehmend großen Bedenken.

Wesentlich verstärkt worden ist der Schutz der Masse im Eröffnungsverfahren, da nunmehr das Gericht neben einem Verwaltungs- und Verfügungsverbot Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO generell untersagen bzw. laufende Zwangsvollstreckungen einstweilen einstellen kann, so daß die bisher bis zur Eröffnung weiterbestehende Möglichkeit der Vollstreckung den Gläubigern genommen wird und eingeleitete Maßnahmen bis zur Eröffnung in einem schwebend unwirksamen Stadium gehalten werden.

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2.2.2 Neuordnung der Wirkungen des eröffneten Verfahrens

Eine Neuerung stellt dar, daß künftig alle Forderungen in das Verfahren einbezogen werden. Das heißt, daß zukünftig auch Forderungen, wie zum Beispiel die seit Eröffnung des Verfahrens laufenden Zinsen (dazu zählen auch die Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO), Geldstrafen, Ordnungsgelder und Zwangsgelder sowie Forderungen auf Rückgewähr eines kapitalersetzenden Darlehens, die bisher nach § 63 KO und § 32a GmbH-Gesetz ausgeschlossen waren, grundsätzlich am Verfahren teilnehmen, jedoch nur nachrangig gemäß § 39 InsO. Außerdem wird zukünftig auch das Neuvermögen des Schuldners gemäß § 35 InsO vom Insolvenzverfahren erfaßt.

Für eine größere Verteilungsgerechtigkeit soll die ersatzlose Streichung aller ehemals in § 61 KO enthaltenen Vorrechte sorgen. Damit ist auch das bisherige Konkursvorrecht für öffentliche Abgaben und Kosten entfallen. Lediglich die Forderungen der Arbeitnehmer auf Insolvenzausfallgeld und ihre Sozialansprüche sind gemäß § 123 Abs. 2 InsO wesentlich verstärkt worden - als Teil des politischen Kompromiß mit der SPD und den Gewerkschaften.

Ein Kernstück der Reform ist die Verschärfung der Insolvenzanfechtung in den §§ 129 bis 147 InsO. Diese wird jedoch teilweise dadurch entwertet, daß der Rechtsausschuß Umformulierungen in den §§ 130, 131 InsO vorgenommen hat, die als Teilrücknahme der ursprünglich geplanten weitergehenden Verschärfung aufgefaßt werden müssen. Zu beachten ist besonders, daß der Gesetzgeber neben der Möglichkeit der Anfechtung zugleich auch das Institut der „Rückschlagsperre" durch die Regelung in § 88 InsO in das neue Gesetz eingefügt hat. Wer z.B. als Gläubiger nach einem Prozeß ein obsiegendes Urteil gegen den Schuldner erstritten hat, muß künftig damit rechnen, daß der Schuldner der Vollstreckung aus diesem Urteil dadurch zuvorkommt, daß er beispielsweise wegen drohender Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag stellt mit der Folge, daß für den Fall der Eröffnung im letzten Monat vor dem Antrag er

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folgte Zwangsvollstreckungen bzw. die aufgrund dieser Zwangsvollstreckung erlangten Sicherheiten unwirksam werden. Die Unwirksamkeit führt dazu, daß der Insolvenzverwalter ohne Anfechtung die Herausgabe oder Freigabe der Sicherheit verlangen kann. Vor allem ist dabei auch die Regelung des § 139 Abs. 2 InsO zu beachten, nach der es für die Rückwirkung nicht auf den zuletzt gestellten Antrag ankommt, sondern abzustellen ist auf den ersten zulässigen und begründeten Antrag, auch wenn dieser nicht zur Eröffnung geführt hat. [Fn. 5: Hat also zum Beispiel eine Kommune wegen einer Abgabenforderung einen zulässigen Antrag gegen den zahlungsunfähigen Schuldner im Januar 1999 gestellt und gelingt es diesem, durch Darlehen Dritter die Forderung abzulösen und damit die Rücknahme zu erreichen, so hat diese „Befriedigung" nur dann Bestand, wenn es in der Folgezeit nicht durch einen anderen, auch geeigneten Antrag, zu einer Verfahrenseröffnung kommt. Würde es z.B. im Dezember 1999 zur Eröffnung kommen, so würde die Frist des § 88 InsO nicht von diesem Datum, sondern vom Datum des ersten Antrages im Januar 1999 zurückgerechnet.]

Stärker als bisher sollen die Sicherungsgläubiger in das Verfahren einbezogen werden, wobei der Schwerpunkt der Änderungen zum geltenden Recht die Verwertung der sog. besitzlosen Mobiliarsicherheiten gemäß § 166 InsO betrifft. Die Verwertung dieser Sicherheiten obliegt zukünftig grundsätzlich dem Verwalter, der den Verwertungserlös nach Abzug eines 9-prozentigen Kostenbeitrages sowie unter Umständen der Umsatzsteuer - also insgesamt bis zu 25 Prozent- in der danach verbleibenden Höhe an die Gläubiger auskehrt. Korrespondierend damit jedoch sind zukünftig die Sicherungsgläubiger stärker in das Verfahren eingebunden und mit eigenen Rechten ausgestattet, die sich in §§ 167 bis 173 InsO wiederfinden.

Ein Geschäftsführer eines Unternehmens stellte an den Referenten die Frage, wie es mit den persönlich abgegebenen Sicherheiten von Schuldnern aussehe. Für diese sogenannten rechtsgeschäftlichen Sicherheiten, bei denen ein Schuldner einem Gläubiger beim Notar vor Beginn des Insolvenzverfahrens freiwillig eine Sicherheit abgegeben habe, wirke die „Käseglocke" der Insolvenz als Schutz vor Einzelvollstreckungen nicht, betonte der Referent.

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Allerdings gebe es die Einschränkung für den Fall, daß ein Gläubiger sich rechtsgeschäftlich bestimmte Pfandrechte an Einrichtungen oder an betriebsnotwendigen Gegenständen habe übertragen lassen. Für diesen Fall könne es sein, daß über einen bestimmten Zeitraum diese Anlagenteile im Unternehmen belassen werden müßten, weil mit der Herausnahme eines einzelnen Gegenstandes das gesamte Unternehmen zum Stillstand gebracht werden könnte.

Der Referent empfahl, daß Gläubiger sich im Vorfeld Sicherungsrechte rechtsgeschäftlicher Art geben lassen sollten, weil dies mehr Aussicht auf Erfolg habe als alle Versuche, über den Weg der Zwangsvollstreckung Forderungen zurückzuerhalten. Im Prinzip ließe sich sagen, daß sich Zwangsvollstreckungen gegen Unternehmer oder Unternehmen, die sich in einer krisenhaften Entwicklung befänden, zukünftig noch weniger lohnten als dies in der Vergangenheit schon der Fall gewesen wäre. Gläubiger liefen Gefahr, letztlich Ihre gesamten Sicherheiten zu verlieren, wenn sie den richtigen Zeitpunkt der Einzelvollstreckung verpaßten. Zu Zeiten des alten Insolvenzrechts habe man noch bis zur gerichtlichen Entscheidung über die Insolvenzeröffnung versuchen können, „irgendwo in ein Recht hineinzuvollstrecken". Nach der neuen Insolvenzordnung ginge dies nicht mehr. Die Gerichte würden keine Zeit mehr lassen für einen Vollstreckungszugriff in der Zeit zwischen Antragstellung und Entscheidung zur Eröffnung der Insolvenz. Ein solcher Versuch lohne schon deswegen nicht mehr, weil ab dem Zeitpunkt der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die „Rückschlagsperre" greife.

Ein weiteres wichtiges Element der Insolvenzrechtsreform ist das „Insolvenzplanverfahren" (geregelt in den § 217 ff. InsO). Dieses Instrument soll die Möglichkeit eröffnen, die Haftungsverwirklichung im weitesten Umfang abweichend vom gesetzlichen Regelverfahren zu gestalten. Die Vorlage und Verabschiedung eines Insolvenzplans ist in einem schon auf den ersten Blick sehr komplizierten Regelungswerk niedergelegt. Die Art und Weise der Beschlußfassung durch Gericht, Gläubigergruppen, Verwalter und andere zu Beteiligende läßt es schwerlich vorstellbar erscheinen, daß aufgrund der Kompli-

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ziertheit und Schwerfälligkeit dieses Verfahrens die wirklichen Möglichkeiten einer so gestalteten Verfahrensbeendigung zum Tragen kommen werden, erklärte der Referent aus der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt. Hier würden insbesondere die Rechtsmittelbefrachtung des Insolvenzverfahrens sowie die schwierigen Bewertungsprobleme und die hohen Anforderungen an den betriebswirtschaftlichen Sachverstand der Richter und Rechtspfleger in der Praxis zu kaum überwindbaren Problemen führen. Erste Erfahrungen des Jahres 1999 zeigten jedoch, daß es bereits erfolgreiche Planverfahren gegeben habe. Nicht auszuschließen sei, daß die Wirtschaft im Hinblick auf die Kompliziertheit und Schwerfälligkeit des Insolvenzverfahrens versuchen werde, auf die vorgesehenen Möglichkeiten der Eigenverwaltung auszuweichen.

2.2.3 Verbraucher- bzw. Kleininsolvenzverfahren und außergerichtliche Einigungsversuche

Für insolvente „natürliche Personen", die keine oder eine nur geringfügige selbständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, wird in den §§ 304 bis 314 Insolvenzordnung ein besonderes Insolvenzverfahren eingeführt, das eindeutig der Krisenbewältigung im außergerichtlichen Bereich den Vorzug gibt und ein sodann unvermeidbares Gerichtsverfahren erheblich vereinfacht. Es lassen sich vier Stufen unterscheiden, die aus dem Schuldenturm führen sollen:

  • In einem außergerichtlichen Vergleich mit den Gläubigern kann vereinbart werden, einen Teil der aufgelaufenen Schulden zu erlassen.

  • Sollte dieser Versuch scheitern, beginnt auf Antrag beim Amtsgericht das Schuldenbereinigungsverfahren.

  • Scheitert auch der Vergleichsversuch, folgt das Insolvenzverfahren. Das pfändbare Vermögen wird nun unter den Gläubigern aufgeteilt.

  • Anschließend beginnt die Wohlverhaltensperiode. Der Schuldner zahlt unter Aufsicht eines Treuhänders sieben Jahre lang Geld an die Gläubiger, soweit ihm dies möglich ist, und ist am Ende schuldenfrei. [Fn. 6: Vgl. Michael Reissenberger: „Nach sieben Jahren lockt die Entlassung aus dem Schuldturm", Handelsblatt vom 28.12.1998]

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Das Verfahren gilt sowohl für Verbraucher als auch für selbständig wirtschaftlich Tätige im Sinne des § 304 Abs. 2 Insolvenzordnung, also nicht nur für sog. Minderkaufleute, sondern auch für alle anderen gewerblich und beruflich Selbständigen, deren wirtschaftliche Tätigkeit nur geringen Umfang hat. So findet in einem dann anzuberaumenden Verfahren nur ein einheitlicher Termin statt, selbst eine schriftliche Verfahrensabwicklung ist nach § 312 Insolvenzordnung möglich.

Die in § 305 Abs. 1 Ziff. 4 Insolvenzordnung verlangte Vorlage eines „Schuldenbereinigungsplanes" führt im Zusammenhang mit dem darauf folgenden Ruhen des Insolvenzverfahrens und der Möglichkeit des Gerichts, nicht erteilte Zustimmungen der Gläubiger zum Schuldenbereinigungsplan zu ersetzen, zu einem erheblichen Entscheidungsdruck für die Betroffenen, erhöht aber andererseits die Möglichkeiten einer vergleichsweisen Regelung. Führt jedoch das sog. Schuldenbereinigungsverfahren nicht zum Erfolg, so wird ein nach § 311 InsO erheblich vereinfachtes Insolvenzverfahren eröffnet, das eine bedeutsame Regelung im § 314 Abs. 1 Satz 1 Insolvenzordnung enthält, wonach nämlich von einer Verwertung der Insolvenzmasse ganz oder teilweise abgesehen werden kann.

Die Regelung für Verbraucher- und Kleininsolvenzverfahren bezieht sich auch auf das Verfahren über den Antrag auf Restschuldbefreiung, so daß auch den Kleingewerbetreibenden die Möglichkeit für einen Neubeginn eröffnet wird. Allerdings werden für die Abgrenzung erhebliche Unsicherheiten zu erwarten sein, denn ob das Regel- oder Sonderinsolvenzverfahren eröffnet ist, entscheiden die Insolvenzgerichte als Zulässigkeitsvoraussetzung selbst.

Ein Vertreter des sächsischen Landesarbeitsamts bemängelte, das Kleininsolvenzverfahren sei für ihn ein ungenauer Begriff, weil nicht klar sei, bis zu wel

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cher Beschäftigtenzahl ein Betrieb bei der Antragsstellung als Kleinbetrieb behandelt werde. Der Referent erklärte, die Definition sei noch völlig ungeklärt. Es gehe dabei um das Verfahren nach Paragraph 304 ff. der neuen Insolvenzordnung, ein Verfahren, das in der Öffentlichkeit immer nur als Verbraucherinsolvenzverfahren bezeichnet werde, obwohl es sich dabei um das Verbraucher- und Kleininsolvenzverfahren handele.

Der Gesetzgeber habe nicht geklärt, wer unter Kleininsolvenzverfahren falle. Aus der Rechtssprechung sei zwar früher der Begriff Minderkaufmann im Umlauf gewesen, seit der Handelsrechtsreform gebe es den Begriff jedoch nicht mehr. Es gebe unterschiedliche Tendenzen in der Rechtssprechung. Einige Gerichte bezögen sich auf die Definitionspunkte: fünf Arbeitnehmer, bis zu 500.000 DM Jahresumsatz. Andere Gerichte gingen weiter, z.B. bis zu 20 Beschäftigten. Wahrscheinlich einige sich die Rechtssprechung darauf, Unternehmen dem Kleininsolvenzverfahren zuzuordnen, wenn ihr Umsatz nicht mehr als 500.000 DM überschreite.

Ein Richter am Amtsgericht Potsdam erklärte, daß es in der Praxis üblich sei, daß die Antragssteller ihren Geschäftsbetrieb bereits eingestellt hätten, so daß Einzelpersonen derzeit immer unter den Verbraucherbegriff fielen. Das habe den großen Nachteil, daß auch ein Unternehmer einer Firma mit 200 Beschäftigten, sollte er das Unternehmen aufgeben müssen, in das Kleininsolvenzverfahren fiele. Dieser Antragsteller habe einen außergerichtlichen Bereinigungsplan zu erarbeiten und seinen Gläubigern zuzustellen. Die Folge davon sei, daß die letzten noch vorhandenen Vermögensbestände an die Gläubiger verlorengingen. Die Folge sei, daß er als Richter das Insolvenzverfahren nicht mehr betreiben könne. Er plädierte dafür, daß man für die Definition nicht wie bisher den Zeitpunkt der Antragstellung als maßgeblich nehme, sondern die vorherige Tätigkeit, wenn diese nicht zu weit zurückliege.

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Der Referent von der Landesvertretung Sachsen-Anhalt erklärte dazu, daß sich seine Ausführungen immer auf den „lebenden Betrieb" bezogen hätten. Eine andere Frage sei es, was in den Fällen passieren solle, in denen Betriebe zum Zeitpunkt der Antragstellung zum Erliegen gekommen seien. Bei den Gerichten gebe es dazu unterschiedliche Meinungen. Er machte darauf aufmerksam, daß es auch vorkommen könne, daß ein Betrieb gezielt auf eine geringere Beschäftigtenzahl heruntergefahren wird, um in das Kleininsolvenzverfahren hineinzukommen, mit dem Ziel, Vermögensmanipulationen verdeckt zu halten, weil im Kleininsolvenzverfahren kein Insolvenzverwalter eingesetzt werde, der systematisch die Bücher prüfe.

Es sei problematisch, daß die Frage, wer ins Kleininsolvenzverfahren gehöre, vom Gesetzgeber nicht geklärt worden sei. So könne es passieren, daß ein Kaufmann, der zahlungsunfähig zu werden drohe, nicht in das Insolvenzverfahren aufgenommen werde, sondern als Kleinunternehmer behandelt werde, der erst einmal den für Kleininsolvenzverfahren obligatorisch vorgeschobenen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplan mit seinen Gläubigern erstellen müsse. Spätestens, wenn dies erfolgt sei, sei auch das Unternehmen nicht mehr sanierungsfähig, weil zuviel Zeit verloren gehe, bis das Unternehmen unter die Schutzglocke des Insolvenzverfahrens gerate. Heute könne es Antragstellern passieren, daß ihnen gesagt werde: „Kommen Sie in sechs Monaten wieder oder bringen Sie eine Bescheinigung mit, daß Sie außergerichtlich vergebens versucht haben, sich mit Ihren Schuldnern zu einigen." In diesem Bereich existiere eine große Unsicherheit. Er stellte allerdings klar, daß sich der § 304 Insolvenzordnung nur auf natürliche Personen bezieht, nicht jedoch auf juristische Personen, wie z.B. eine GmbH und andere Kapitalgesellschaften.

Den außergerichtlichen Einigungsversuchen kommt eine besondere Bedeutung zu. Die Beratung und Vertretung von Schuldnern im vorgerichtlichen Einigungsverfahren wird von Schuldnerberatungsstellen betrieben. Besonders ehemalige

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Selbständige sind nach Erfahrung der Vertreterin der Schuldnerberatung der Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Chemnitz von extrem hoher Verschuldung betroffen. Obwohl sie im Verlauf der Zwangsvollsteckung bereits alle verwertbare Habe und vorhandenen Vermögen eingesetzt hätten, verblieben meist Schuldsummen, die lebenslang nicht mehr abbezahlt werden können. Ca. 50 Prozent der Betroffenen würden Sozialhilfe beziehen oder in vergleichbar schlechten finanziellen Verhältnissen leben. Eintragungen im Schuldnerverzeichnis und bei der Schufa verhinderten einen wirtschaftlichen Neubeginn. Diese Klientel setze große Hoffnungen in die neuen Regelungen.

Als Schuldnerberatungsstelle sehe man seine Aufgabe insbesondere darin, im außergerichtlichen Verfahren eine Einigung zwischen Schuldnern und Gläubigern auf Grundlage eines Planes nach den Vorschriften der Verbraucherinsolvenzverfahrens herbeiführen. Seit dem 1.Juli 1998 seien bereits außergerichtliche Einigungsversuche durchgeführt worden, 29 vorgerichtliche Einigungen seien abgeschlossen, wovon jedoch nur zwei Verfahren erfolgreich waren. Gläubiger hätten die Zahlungsangebote auch dann abgelehnt, wenn der unterbreitete Vorschlag weit über dem lag, was in gerichtlichen Verfahren während der Treuhandphase zu erwarten wäre. Die Rückäußerung auf der Gläubigerseite erfolge häufig sehr spät oder gar nicht.

In den ersten drei Monaten des Jahres 1999 habe es bereits über 100 Beratungen und erste außergerichtliche Einigungsversuche gegeben. Es gebe auch viele Anfragen von Unternehmen mit mehreren Angestellten. Es sei noch unklar, ob das Amtsgericht Chemnitz „armen" Schuldnern eine Prozeßkostenhilfe gewähre und ob „Nullpläne" zulässig sein würden. Problematisch sei der Engpaß bei der Betreuung während der außergerichtlichen Einigungen, da der Freistaat Sachsen bisher kein zusätzliches Beratungspersonal finanziell fördere und auch die Ausstattung der Stellen, z.B. mit leistungsfähigen Computern nicht stattfinde. Ein Vertreter der Kaufmännischen Krankenkasse KKH von der Hauptverwaltung Hannover bestätigte die Kritik, daß der Gesetzgeber es ver

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gessen habe, die Schuldnerberatungsstellen personell auszustatten. Bei einigen Beratungsstellen gebe es eine Wartezeit bis zu 6 Monaten. Die KKH sei von vornherein bereit, sich mit Schuldnern zu einigen.

Der Referent aus der Landesvertretung Sachsen-Anhalt plädierte dafür, daß der Gesetzgeber in bestimmten Fällen den Verzicht auf außergerichtliche Verfahren zulasse. Dazu gehöre, wie dies von manchen Gerichten angeregt werde, denjenigen Schuldnern ein außergerichtliches Verfahren zu ersparen, die von Beginn an keine Vermögen anzubieten hätten und bei denen man unterstellen könne, daß der „Nullplan" zulässig sei. Denn dies produziere nur Kosten, obwohl sehr früh klar sei, daß keine Vermögen existieren.

Ein Insolvenzverwalter aus Dresden berichtete, für ihn sei das Auffallendste zunächst einmal, daß man bei den meisten Gerichten die Abteilungen für Insolvenzverfahren stark ausgebaut habe, und diese Richter und Rechtspfleger sehr erstaunt waren, wie wenig sie in den ersten Wochen zu tun hatten. Der Ausbau sei primär erfolgt wegen der Restschuldbefreiung der Verbraucherinsolvenzen. Es sei jedoch noch fraglich, ob das Volumen der Insolvenzverfahren zunehmen werde.

Ein Prokurist der Creditreform Hefer AG erklärte, wenn man davon ausgehe, daß es in Deutschland circa 2,6 Mio. verschuldete Haushalte gebe, könne man sich vorstellen, welche gesellschaftliche Relevanz dem Thema zukomme. Er berichtete von Erfahrungen aus Österreich, wo sein Unternehmen auch ansässig sei und die Restschuldbefreiung bereits wirke. Dort habe es von 1996 zu 1997 einen Anstieg von 29 Prozent bei der Restschuldbefreiung gegeben. Bezogen auf Deutschland heiße dies, damit rechnen zu müssen, daß es im nächsten Jahr zu einem großen Anstieg von Anträgen auf Restschuldbefreiung kommen werde.

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Wenn man von den bisherigen Erfahrungen davon ausgehe, daß ca. 80 Prozent der überschuldeten Bürger bis zum Lebensende zahlungsunfähig blieben, so würden zukünftig 20 Prozent der Betroffenen versuchen, von der Restschuldbefreiung Gebrauch zu machen.

Auf die Frage, wie man finanzschwachen Kleinunternehmen helfen könne, vertrat ein Richter aus Potsdam die Meinung: Das einzige, was er als Richter einem solchen Unternehmen anzubieten habe, sei eine großzügige Auslegung seines Eigenantrags im Sinne eines Regelinsolvenzverfahrens. So könne das Unternehmen sofort unter den Schutz des Regelinsolvenzverfahrens gestellt werden, dem Antragsteller blieben außergerichtliche und gerichtliche Schuldenbereinigungsverfahren erspart. Das Insolvenzverfahren sei dann zwar etwas teurer, aber wenigstens könne man sofort handeln.

Der Referent aus der Landesvertretung von Sachsen-Anhalt warf dagegen die Frage auf, was passieren werde, wenn ein Gläubiger gegen eine solche Entscheidung Rechtsmittel einlege. Ein Landgericht werde eine solche stillschweigende Umfirmierung eines Kleinunternehmers in Kapitalgesellschaften nicht mitmachen.

2.2.4 Restschuldbefreiung

Aus der Sicht des „Normalbürgers" dürfte die wichtigste Neuerung der Insolvenzordnung die in den §§ 286 bis 303 Insolvenzordnung geregelte Restschuldbefreiungsoption sein. Durch dieses völlig neu eingeführte Rechtsinstitut soll dem Schuldner ein Weg eröffnet werden, aus der Nachhaftung für Schulden herauszukommen und sich - bei entsprechendem Wohlverhalten - von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreien zu können.

[Seite der Druckausgabe: 25]

Das Restschuldbefreiungverfahren steht jeder natürlichen Person offen. Soweit sie wegen des Umfangs ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht dem Verbraucherinsolvenzverfahren unterworfen ist, hat sie die Möglichkeit in einem Regelinsolvenzverfahren entweder über einen Insolvenzplan nach § 227 Insolvenzordnung oder durch das Restschuldbefreiungsverfahren nach den §§ 286 ff. Insolvenzordnung von ihren Verbindlichkeiten gegenüber ihren Gläubigern befreit zu werden. Jedes Restschuldbefreiungsverfahren setzt aber nach § 286 Insolvenzordnung voraus, daß über das Vermögen des Schuldners ein Insolvenzverfahren durchgeführt wird, so daß die Restschuldbefreiung ausgeschlossen ist, wenn nicht einmal die Kosten für das Verfahren gedeckt sind oder die Eröffnung mangels Masse abgewiesen wird.

Der Schuldner der §§ 286 ff. Insolvenzordnung hat bereits seinem Antrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung die Erklärung beizufügen, daß er seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis für die Zeit von sieben Jahren nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens an einen vom Gericht zu bestimmenden Treuhänder abtritt. Mit der Beschlußentscheidung des Insolvenzgerichts über seinen Antrag wird der Schuldner der Aufsicht eines Treuhänders unterstellt, der zum einen darüber zu wachen hat, daß der Schuldner den ihm auferlegten Verpflichtungen gerecht wird und zum anderen die Interessen der Gläubigergesamtheit für die Dauer der Wohlverhaltensperiode vertritt.

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2.3 Wirtschafts- und sozialpolitische Funktionen des Insolvenzrechts

Spätestens mit dem Prozeß der deutschen Wiedervereinigung und der Endphase der Debatte um die Schaffung des neuen einheitlichen Insolvenzrechts, so der Referent, hätten wirtschafts-, sozial- und fiskalpolitische Aspekte an Bedeutung gewonnen.

[Seite der Druckausgabe: 26]

Konflikte ergäben sich, wenn das Interesse des Schuldners auf Restschuldbefreiung oder das „politische" Ziel des Erhalts von Arbeitsplätzen mit den Interessen der Gläubiger konkurriert. Auch und gerade für diesen Bereich könne eine sachgerechte Lösung nur in einer systemkonformen Anwendung insolvenzrechtlicher Regelungen liegen, was aber zunächst voraussetze, daß der systematische Standort insolvenzrechtlicher Regelungen in der Gesamtrechtsordnung und ihr Verhältnis zu konkurrierenden Haftungs- und Vollstreckungsnormen geklärt werden müsse.

Neben den allgemein in Literatur und Rechtsprechung anerkannten Funktionen der Insolvenz hätten sich jedoch seit einer sich zuspitzenden krisenhaften Entwicklung und der damit einhergehenden politischen Bedeutung von Insolvenzverfahren außergesetzliche Kriterien entwickelt, die über die normierten Ziele hinaus auf ein Insolvenzverfahren einwirkten, jedoch meistens in der öffentlichen Auseinandersetzung unerwähnt blieben.

Bezogen auf „politische Funktionen" der Insolvenz und Vollstreckung erklärte er, daß im Gegensatz zur Einzelvollstreckung, deren Auswirkungen in der Regel auf das Verhältnis inter partes beschränkt blieben, jede Gesamtvollstreckung eines Unternehmens empfindliche Auswirkungen in allen betroffenen Umfeldern habe. Sie beziehen sich auf

  • die Vernichtung von Arbeitsplätzen,

  • die Zerstörung der Unternehmung als gewachsene Struktur,

  • die Forderungsausfälle und Folgeinsolvenzen bei den Zulieferern,

  • die Schädigung der Kunden durch Lieferausfälle,

  • den Eintritt eines Vakuums auf allen betroffenen Teilmärkten mit der Folge, daß sich Angebot und Nachfrage neu organisieren müssen,

  • die Belastung der öffentlichen Kassen durch Konkursausfallgeld, Arbeitslosengeld, Steuerausfälle.

[Seite der Druckausgabe: 27]

Verstehe man die Kompensation dieser Negativeffekte allgemein als „politische" Aufgabe, werde deutlich, daß die Tätigkeit des Insolvenzverwalters mit einer Vielzahl politischer Vorgaben befrachtet sei. Diese Erwartungshaltung äußere sich in Arbeitnehmerprotesten, einer regen Anteilnahme der Presse an der Erhaltung der Arbeitsplätze, aber auch in unmittelbaren Interventionen politischer Stellen, z.B. des Wirtschaftsministeriums oder einzelner Abgeordneter, konstatierte der Referent.

Zwar sei das Spannungsverhältnis zwischen vollstreckungsrechtlicher Zielsetzung und politischer Funktion der Insolvenzordnung zumindest für jeden Berufsverwalter evident; von Ansätzen abgesehen gebe es aber kaum gesetzliche Normen, die eine Auflösung des Spannungsverhältnisses ermöglichten, geschweige denn konkrete Handlungsanleitungen. Eine realistische Chance zur Auflösung dieses Spannungsverhältnisses liege indessen im Instrumentarium der „übertragenden Sanierung". Die schnelle und unbeirrte Überleitung der Geschäftstätigkeit auf einen neuen unbelasteten Träger führe in der Regel nicht nur zu akzeptablen Verwertungsregebnissen. Sie erhalte darüber hinaus die Betriebseinheit als solche und damit auch einen Großteil der Arbeitsplätze. Die Erfahrung in Ostdeutschland habe gezeigt, daß die übertragende Sanierung vor allem im Bereich der mittleren Unternehmen mit vielleicht 30 bis 200 Arbeitnehmern zum Erfolg führe, vor allem dann, wenn mittelständisches westdeutsches Kapital, in einigen Fällen auch schon ostdeutsches Kapital, für die Übernahme zur Verfügung stehe. Der mittelständische Unternehmer sei nämlich noch in der Lage, in der Kürze der für die Übernahme zur Verfügung stehenden Zeit verantwortliche wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen, was bei Großunternehmen an der eigenen Schwerfälligkeit scheitere. Dagegen sei die Weitergabe von Kleinunternehmen im Wege der übertragenden Sanierung möglich durch Überleitung an ehemalige Arbeitnehmer oder Familienangehörige; sie scheitere aber nicht selten an der fehlenden Deckung des Kapitalbedarfs.

[Seite der Druckausgabe: 28]

Von den eigentlichen Sachwaltern des politischen Interesses, nämlich den Kommunen einerseits und den Landesbehörden (Wirtschaftsministerium) andererseits, sei der auch hier anzutreffenden Medienarbeit zum Trotz wenig Hilfe zu erwarten. Im Ergebnis seien die zur Abwendung von Insolvenzen eingesetzten öffentlichen Mittel - und zwar in unverhältnismäßiger Höhe - in wenige Prestigeunternehmen geflossen, anstatt sie mit der erforderlichen Sachkompetenz in dem Bereich einzusetzen, der für die wirtschaftliche Zukunft des Landes maßgeblich sei: dem sich auch in Ostdeutschland langsam entwickelnden Mittelstand.

Sein Fazit lautete, daß die neue Insolvenzordnung große Chancen bietet. Aber das setze voraus, daß man sich bewußt mache, daß Insolvenz nicht Bankrott bedeuten muß, sondern die Insolvenzordnung die Möglichkeit biete, das Unternehmen als Ganzes oder in Teilen zu erhalten. Er plädierte in diesem Sinne für einen „Wandel in den Köpfen".


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Mai 2001

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