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[Seite der Druckausgabe: 1] Zusammenfassung und Schlußfolgerung Die Arbeitslosigkeit unter Arbeitskräften ohne Ausbildung lag Mitte der 90er Jahre in Westdeutschland fast dreimal so hoch wie unter Personen mit abgeschlossener Lehre. Ungelernte verlieren heute durch Rationalisierung und steigende Qualifikationsanforderungen ihre Wettbewerbsfähigkeit. Dafür wird aber auch die Schere zwischen der Produktivität einfacher Arbeit und ihren Arbeitskosten verantwortlich gemacht. Sie verteuert einfache Arbeit und verhindert Mehrbeschäftigung am unteren Ende der Produktivitätsskala. Deutschland scheint daher in zwei Lager gespalten. Protagonisten und Gegner von Lohnspreizung und Lohndifferenzierung führen eine Auseinandersetzung, die noch nicht entschieden ist. Die Protagonisten erwarten eine hohe beschäftigungspolitische Dividende, wenn die Löhne und Gehälter stärker gespreizt sind. Die Gegner glauben nicht daran, sondern sehen eher ein Armutszenario auf Deutschland zukommen. Glaubensfragen allein helfen indes nicht weiter. Empirische Anlaysen müssen nachweisen, welches Lager die besseren Argumente hat. Die deutsche Lohnstruktur ist in der Tat gestauchter als in vielen anderen Ländern. Dies mag einer der Gründe dafür sein, warum eine Dienstleistungslücke, die in Deutschland ausfindig gemacht werden kann, trotz hoher Arbeitslosigkeit bis heute noch nicht geschlossen wurde. Das heißt aber nicht, daß hierzulande keine Spreizungen stattgefunden haben, die das Lohngitter schon weiter auffächern. Sie sind sehr wohl zu beobachten, waren aber von keinem nennenswerten beschäftigungspolitischen Erfolg gekröhnt. In den USA und in Großbritannien konnten mehr gering qualifizierte Arbeitnehmer in Arbeit gebracht werden. Amerikaner und Briten gehen politisch schärfer vor als die Deutschen. In den USA werden notfalls die Löhne gesenkt, um Arbeitsplätze zu schaffen. Die Briten betreiben auch schon einmal Inflationspolitik, um ihre Beschäftigungsperformance zu verbessern. Beide Länder haben im internationalen Vergleich aber hohe Armutsraten. In dieser Politik liegt also auch nicht der Stein des Weisen. Armut ohne Arbeit ist sicher genauso problematisch wie Armut in der Arbeit. Trotzdem: niedrigentlohnte oder geringfügige Beschäftigung ist unzweifelhaft eine Möglichkeit, Arbeitskräften ohne Ausbildung neue Zukunftsperspektiven aufzuzeigen. Diese Möglichkeit muß aber mit dem deutschen gesellschaftlichen Leitbild kompatibel sein. Bei uns gilt nicht jeder schlecht bezahlte Job, der den einzelnen Arbeitnehmer und seine Familie unter das Existenzminimum bringen kann, besser als überhaupt kein Job. Daher sind Arbeitsmarkt und Sozialsysteme zu verzahnen. Sozialpolitische Transferleistungen und Erwerbseinkommen sind aufeinander abzustimmen, zwischen ihnen darf nicht nur eine entweder-oder" Alternative bestehen. Intelligente Vernetzungskonzepte setzen auf die Devise Arbeit plus Transfer". Inzwischen sind dazu unterschiedliche, praktische Modelle entwickelt worden. Sie schaffen eine Grundlage, um neue Beschäftigungsperspektiven für Geringqualifizierte gerade im einfachen Bereich zu erschließen. Diese sind nämlich durchaus vorhanden, z.B. bei haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen oder einfachen handwerklichen Tätigkeiten. Transferunterstützte Arbeit bringt zwar Bewegung in den Arbeitsmarkt, löst aber langfristig auch nicht alle Probleme. Integrierte [Seite der Druckausgabe: 2] Qualifizierungsoffensiven, die auf einem Rotationsprinzip zwischen Aus- und Fortbildung und betrieblichen Arbeitseinsatz beruhen, müssen die Beschäftigungsfähigkeit aller Arbeitnehmer kontinuierlich, erwerbslebenslang absichern und verbessern. Eine weitere Anforderung kommt hinzu. Lohndifferenzierungen, bessere Transferleistungen, sozialpolitisch flankierte Erwerbsintegration und neue Qualifizierungsansätze werden noch nicht genügen, um Mehrbeschäftigung zu erreichen. Steuern und Sozialabgaben, der sogenannte deutsche Abgabenkeil, treiben die Arbeitskosten in die Höhe und halten die Nettoeinkommen niedrig. Dies kontrastiert mit dem Vorhaben, Arbeitsplätze für Geringqualifizierte zu schaffen. Auch Strukturrefomen werden zur politischen Herausforderung der kommenden Jahre. Die Politik sollte daher auf einen policy mix" setzen, der die unterschiedlichen Politikfelder in diesem Ziel abstimmt. Ein Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit müßte sich richtungsweisend auf einen solchen policy mix verständigen können. © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Juni 2001 |