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[Seite der Druckausgabe: 46 / Fortsetzung]


9. Abschlußdiskussion

Im Rahmen der Abschlußdiskussion wurden einige der im Verlauf der Tagung angesprochenen Themen nochmals aufgenommen und teilweise konträr diskutiert.

Zunächst wurde darauf hingewiesen, die viel diskutierten Einkaufszentren auf der „Grünen Wiese" würden heute weniger eine Funktion der „traditionellen" Versorgungsidee (im Sinne staatlicher Lenkung) übernehmen, sondern vielmehr Ausdruck eines neuen Konsumverhalten (Stichworte „Wohlstand" und „Freizeit") sein. Beispielsweise würden lediglich 50% der Besucher des CentrO Oberhausen tatsächlich einen Einkauf tätigen, während die andere Hälfte des Publikums eher die „Erlebniswelt" der Anlage nachfrage, also seine (Frei-) Zeit an diesem Ort gestalte. Als plakatives Beispiel wurde die während der Fußball-WM 1998 in der Anlage errichtete Großleinwand genannt: „die Frauen konnten einkaufen gehen, während die Männer Fußball guckten".

Im Zusammenhang mit der Ansiedlung großflächiger Zentren an nicht-integrierten Standorten wurden nochmals die Fragen aufgeworfen, wie Planer auf diese Entwicklung reagieren könn-

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ten und mit welchen Instrumenten und Strategien sich ähnlich nachgefragte Angebote in den Innenstadtzentren realisieren ließen. Mit Blick auf die geschilderten Erfahrungen in Potsdam wurde darauf hingewiesen, daß die Beteiligung aller Akteure - also auch der Entwickler - in der Konzeptionsphase dringend notwendig sei, um Verbindlichkeit für alle angedachten Planungsinhalte auch in der Realisierungsphase herstellen zu können. In bezug auf neue Strategien wurde von den verantwortlichen Akteuren eine aktivere Vorgehensweise anstelle von Resignation gegenüber den gegenwärtigen Entwicklungen gefordert. Von Planerseite müßte die Überprüfung von (Zentren-) Konzepten erfolgen, um verzichtbare Zentren zu identifizieren. Umgekehrt wurde vor einer Überhandnahme unternehmerischer Komponenten der Stadtplanung gewarnt, die den Niedergang „nicht-rentabler" Zentren unterstützten.

Bezüglich des Problems der Attraktivitätssteigerung von Innenstädten wurde auf deren strukturelle Nachteile gegenüber „Grüne-Wiese"-Standorten hingewiesen, die sich u.a. aus vergleichsweise höheren Boden- und Infrastrukturpreisen im Kernstadtbereich ergeben. In diesem Zusammenhang wurde an den Bund appelliert, ein geeignetes Förderprogramm für den (Innen-) Stadtumbau aufzulegen, mit dessen Hilfe u.a. Flächenpotentiale im Innenstadtbereich für die Ansiedlung attraktiver Einrichtungen - bis hin zu Fachmärkten - bereitgestellt werden könnten. Hintergrund dieses Vorschlags war die Überzeugung, die Innenstädte nur mit Flächenangeboten für den Einzelhandel im Kernstadtbereich bzw. im Nahbereich bestehender Stadtteilzentren als Parallele zu Restriktionen in Gewerbegebieten erfolgreich stärken zu können.

Diesem Vorschlag stimmte der Vertreter des Bundes zu und verwies auf die Bedeutung der Städtebauförderung. Allerdings sei die Attraktivität von Innenstädten nicht allein an den Marktfunktionen Einzelhandel, Dienstleistungen und Gewerbe festzumachen. Vielmehr müßten alle originären Potentiale der Innenstädte - kulturelle, soziale und identifikatorische Elemente (Stichwort „Urbanität") - in entsprechende Entwicklungsstrategien mit einbezogen werden. Städtebau müsse in Richtung der Zielvorstellungen der EU-Gemeinschaftsinitiative URBAN entwickelt werden, womit ein ganzes Paket zusätzlicher, investive und nicht-investive Förderbereiche umfassender Maßnahmen zu berücksichtigen sei. Integrative Maßnahmen und umfassende Akteurskooperation wurden als einzige Entwicklungschance der Kernstädte - vor allem der Stadtteile - unter dem Stichwort „Soziale Stadt" betont. In diesem Zusammenhang verwies der Vertreter des Bundes auf das bereits vorgestellte Kooperationsmo-

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dell in Essen, kritisierte daran allerdings die vergleichsweise lange Entwicklungszeit von 15 Jahren.

Auf übergeordneter Ebene wurden die Fragen aufgeworfen, auf welche Weise sich kommunale Steuerungsfähigkeit nach heutigem Verständnis gestalten ließe bzw. inwieweit kommunale Planungshoheit noch zeitgemäß sei und in welchem Maße sie (bereits) auf gesellschaftliche - vor allem ökonomische Prozesse - reagiere. Der ursprüngliche Sinn kommunaler Planungshoheit, Gemeinden die Möglichkeit der Rechtsetzung im Rahmen der Daseinsvorsorge zu bieten, weiche heute einem Kräftemessen zwischen kommunaler Hoheit und (privaten) ökonomischen Kräften. Der (lokale) Staat gerate hierbei in eine unterlegene Position, habe dies allerdings selbst verschuldet. Seit einigen Jahren entwickelten sich Kräfte, die in den Prozeß der Legislative eingreifen (vorgezogene Bürgerbeteiligung, Bezirksausschüsse, etc.) und damit im politischen Raum selbst zu Experten würden. Darüber hinaus wurde bemerkt, daß langfristige Entwicklungsplanung allmählich von objektbezogener Planung abgelöst und der Staat zunehmend nach Kompensation für Versäumnisse aus kapitalorientierter Kommunalentwicklung angerufen würde. Kritisch wurde dazu angemerkt, ein Teil heutiger Innenstadtprobleme resultiere lediglich aus überzogenen Standards - heute müsse „immer alles schön und gleichzeitig fertiggestellt" sein -, wogegen die Stadt in der Vergangenheit schon immer mit „Löchern" gelebt habe und nie „fertig" gewesen sei.

Abschließend wurde nochmals die Leitbilddiskussion aufgegriffen. Einerseits wurde dazu bemerkt, man könne heute kein Leitbild mehr formulieren; sinnvoller sei eine Umstellung von der Konzentration auf räumliche Planungsvorstellungen bzw. langfristige Stadtentwicklungspläne auf die Begleitung bzw. Moderation von (Planungs-) Prozessen. Die stärkere Berücksichtigung von (dynamischen) „bottom-up"-Prozessen im Sinne von Leitvorstellungen sei realistischer als die Formulierung (starrer) Leitbilder. Diese Meinung wurde nicht einhellig geteilt; zwar würden Leitbilder in einem gewissen Maße einen statischen Charakter aufweisen - so die Gegenseite -, doch komme man ohne langfristig gedachte Zielvorstellungen räumlicher Entwicklungen auf Dauer nicht aus. Aus Sicht des Konferenz-Veranstalters zeigen die zahlreichen während der Tagung vorgestellten Beispiele für den Umgang mit Leitbildern, daß auf die einzelnen Städte zugeschnittene und miteinander verknüpfte Zielvorstellungen sowohl für die gesamtstädtischer Ebene als auch einzelne Stadtteile ein hohes Maß an Flexi

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bilität aufweisen. Dies gelte heute in Anbetracht der Vielzahl zur Verfügung stehender (innerstädtischer) Recycling-Flächen in besonderem Maße.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | April 2001

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