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2. Unternehmerausbildung an deutschen Hochschulen



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2.1 Zum Stand des Aus- und Weiterbildungsangebots für Existenzgründer und Unternehmer an deutschen Hochschulen

Die Lehre im Fachbereich Entrepreneurship steckt in Deutschland noch in den Anfängen. In den USA ist dieser Zweig der Unternehmerausbildung dagegen bereits seit Anfang der 60er Jahre etabliert und heute mit insgesamt 176 "Chairs" an den meisten namhaften Universitäten vertreten. Die ersten Entrepreneurship-Kurse gab es in den USA bereits vor rund 50 Jahren an der Harvard Business School in Cambridge/Massachusetts. Damals galt es. Kriegsheimkehrern eine Alternative zur Stellensuche zu erschließen. Inzwischen findet sich in vielen Bundesländern der USA ein breites Aus- und Weiterbildungsangebot für potentielle Unternehmensgründer.

In Deutschland gab es die ersten Lehrangebote im Bereich "Unternehmerausbildung/Unternehmensgründungen" Anfang der 70er Jahre an den Universitäten Köln und Stuttgart; sie hatten jedoch zunächst einen rein informellen Charakter und boten keine Fächerspezialisierungsmöglichkeit. Erste Aktivitäten zur dauerhaften Etablierung der spezialisierten akademischen Unternehmerausbildung gab es erst 1992 mit der Einrichtung der Professur für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre insbesondere Gründungsmanagement an der Universität Dortmund. Ungefähr zeitgleich wurde von der Sparkassenorganisation in Dortmund eine Stiftung zur Finanzierung für ausländische Gastprofessuren aus dem Bereich Entrepreneurship aufgelegt. Beide Positionen blieben jedoch zunächst unbesetzt.

In einer im Auftrag des BMBF erstellten Studie des Betriebswirtschaftlichen Instituts für empirische Gründungs- und Organisationsforschung (bifego) in Dortmund wurden die Aus- und Weiterbildungsangebote für Existenzgründer und selbständige Unternehmer an deutschen Hochschulen systematisch erfaßt. Zum Erhebungszeitpunkt im August 1996 gab es 92 Anbieter mit 106 Lehrveranstaltungen. [ Fn.3: Eine Liste mit den Adressen der Anbieter findet sich im Internet unter www.g-forum.de. ] Die Veranstaltungen beschäftigen sich überwiegend mit den Themen Gründungsrecht (Rechtsformenlehre, Gestaltung von Gesellschaftsverträgen, Handelsregistereintrag, etc.),

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Gründungsfinanzierung, Geschäftspläne und Marketing. Die bifego-Studie kam zum Ergebnis, daß das Angebot in Deutschland zwar tendenziell steige, sich aber absolut auf sehr geringem Niveau befinde. In der Regel handelte es sich um Einzelinitiativen. Problematisch war insbesondere, daß die akademische Akzeptanz seitens der klassischen Betriebswirtschaftslehre fehlte und der Entrepreneurship-Begriff unklar und uneinheitlich blieb. Darüber hinaus fehlte ein entsprechender Rahmenlehrplan ebenso wie ein exemplarisches Curriculum.

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2.2 Der erste deutsche Lehrstuhl für Unternehmensgründung

Der erste deutsche Lehrstuhl für Existenzgründung/Entrepreneurship wurde am 1. März 1998 an der European Business School (ebs) in Oestrich-Winkel eingerichtet. Finanziert wird der Lehrstuhl von der Deutschen Ausgleichsbank (DtA). Mit dem Studienfach Entrepreneurship an der ebs werden insbesondere Studenten mit den Berufszielen Unternehmensgründer, Existenzgründer, Partner, Manager oder Berater in der Venture-Capital-Branche, Kreditsachbearbeiter mit entsprechender Ausrichtung im Firmenkundengeschäft. Wirtschaftsförderer, Kammermitarbeiter, Unternehmensberater und Intrapreneure in größeren Organisationen angesprochen. Das Verhältnis der Gründungsforschung zu benachbarten Forschungsgebieten geht aus Abbildung 3 hervor:


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Zum Kernbereich der Gründungsforschung [ Fn.4: Unter einer Unternehmensgründung im engeren Sinne wird die Kreation eines neuen Unternehmens, einer originären Struktur, verstanden. Im weiteren Sinne zählt man auch noch die Übernahme eines vorhandenen Konzeptes (Franchise) dazu. Die Übernahme einer Unternehmung kann zwar zugleich für den Erwerber eine Existenzgründung sein, doch handelt es sich selbstverständlich nicht um eine Unternehmensgründung. Gleiches gilt für Beteiligungen an vorhandenen Unternehmen. Gründungen von Unternehmen im engeren Sinne gehen mit neuen Faktorkombinationen einher und ziehen entsprechende Produkt- und/oder Prozeßinnovationen nach sich. In der Gründungsforschung steht der "Eigentümerunternehmer", der auf eigenes Risiko handelt und der bei Gründung einer Personengesellschaft auch mit seinem Privatvermögen für die Schulden des Unternehmens haftet, im Vordergrund der Betrachtung. Die Gründung eines Unternehmens zur Durchsetzung einer Innovation am Markt durch einen Eigentümerunternehmer erfordert sowohl ein besonderes Persönlichkeitsprofil des Gründers als auch eine besondere Unternehmenskultur. Unternehmer und Unternehmen müssen visionär, innovativ, dynamisch und wachstumsorientiert sein, wenn sich die Gründung am Markt bewähren soll. Angestellte Manager sind in diesem Sinne weder Unternehmer noch "Gründer-Unternehmer", sondern sie sind mit gewissen Freiheitsgraden versehene Exekutoren des Willens der Anteilseigner, die kein primäres Marktrisiko tragen. ] werden die Venture-Capital-Finanzierung, das interne Unternehmertum (Intrapreneurship) sowie das Corporate Venturing gerechnet. Nicht zum Kernbereich der Gründungsforschung zählen dagegen Mittelstandsforschung, Familienunternehmung und Innovationsforschung. Im Verhältnis zur klassischen Betriebswirtschaftslehre kann die Gründungsforschung als ein Querschnittsfach mit einer spezifischen Perspektive bezeichnet werden. Leitbild der Gründungsforschung ist nicht das etablierte Großunternehmen, sondern die junge, dynamisch wachsende Gründungseinheit. Der Forschungsansatz ist weniger administrativ und weniger empirisch als der der klassischen Betriebswirtschaftslehre. Der Gründungsforschung liegt ein ganzheitlicher Ansatz zugrunde. Aktive, handlungsorientierte Lernformen stehen im Vordergrund.

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2.3 Unternehmerausbildung an der Fachhochschule Furtwangen

Seit 1992 gibt es an der Fachhochschule Furtwangen im Schwarzwald den Fachbereich Product Engineering. Product Engineering ist ein Ingenieurstudiengang mit einem ganzheitlichen, fächerübergreifenden Ausbildungskonzept. Dessen Grundlage ist die Erkenntnis, daß die Lösung der heute überwiegenden komplexen Probleme eines ganzheitlichen Ansatzes

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bedarf. Wie nie zuvor ist heute nach Auffassung des Leiters des Steinbeis-Transferzentrums Neue Produkte das ganzheitliche Erfassen von Zusammenhängen durch interdisziplinäres Denken gefragt. Keine moderne Hochschule könne sich diesen Anforderungen verschließen, da die Industrie heute ein wachsendes Interesse an Ingenieuren habe, die neben ihrer technischen Ausbildung noch andere Kenntnisse ins Berufsleben mitbrächten. Wo planerische und strategische Entscheidungen getroffen werden müßten, sei eine interdisziplinäre Ausbildung notwendig. Diesen Herausforderungen lasse sich nur mit geschulter Vielseitigkeit begegnen, wobei sich theoretisches Wissen und die Fähigkeit zur praktischen Umsetzung ergänzen müßten. Dies setze ein Ausbildungskonzept voraus, das Raum für Theorie und Praxis lasse, Wert auf vernetztes Denken lege, Zusammenhänge zwischen verschiedenen Wissensgebieten herstelle und zu Lösungen führe, die den unterschiedlichsten Ansprüchen genügten.

Der Studiengang Product Engineering verfolgt das Ziel, Studenten in die Lage zu versetzen, alle am Erfolg eines technischen Produktes beteiligten Faktoren sowie deren Wechselwirkungen zu erkennen und in die Planung und Realisierung einfließen zu lassen. Die Ausbildung gliedert sich in die Teile Ingenieurstudium, Ergänzendes Studium und Projektstudien. Das Ingenieurstudium nimmt etwa zwei Drittel der Studienkapazität ein; es setzt sich aus den Fächern Maschinenbau, Elektrotechnik, Automatisierungstechnik und Informatik zusammen. Das Ergänzende Studium umfaßt unter anderem Marketing, Betriebswirtschaft, Design, Projektmanagement und Fremdsprachen. Im vierten Semester beginnen zusätzliche Projektstudien. Sie sollen Theorie mit Praxis und technische Umsetzung mit Vermarktung verbinden und bilden damit die ganzheitliche Klammer von Product Engineering.

In den praxisorientierten Projektstudien werden in Zusammenarbeit mit mittelständischen Unternehmen aus der Region reale Entscheidungssituationen simuliert. Als Beispiel verweist der Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Neue Produkte auf die Zusammenarbeit mit einem Unternehmen in der Region. In Abstimmung mit dem Unternehmer wurden vier Studentengruppen gebildet, die jeweils die Aufgabe zu erfüllen hatten, als Ingenieurbüro für dieses Unternehmen ein neues Produkt zu suchen. Die Studenten sollten eine Antwort auf die typische Managementfrage liefern, was das Unternehmen morgen bauen solle. Durch die Bildung mehrerer Gruppen wurde eine echte Wettbewerbssituation erzeugt,

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da die Gruppen miteinander um den Auftrag konkurrieren mußten. Die Studenten hätten dabei ganz typisch reagiert: Einige hätten keine Lust gehabt, andere "Industriespionage" betrieben, indem sie erst einmal beobachteten, was ihre Wettbewerber machten. Aber die meisten hätten diese Aufgabe mit großem Engagement und sportlichem Ehrgeiz angepackt.

Nach wochenlanger Arbeit, in der die Studenten auch gruppendynamisch positive Erfahrungen gemacht hatten, mußten die Studenten ihre Vorschläge in dem Unternehmen vorstellen und vermarkten. Solche Projekte stellten für die Studenten eine wichtige Erfahrung dar, und auch die jeweiligen Unternehmer hätten letztlich etwas davon. Zwar würde mehr als die Hälfte der in den Projektstudien entwickelten Vorschläge letztlich verworfen, weil sie aus unterschiedlichen Gründen nicht realisierbar seien, aber ein Teil der Vorschläge stieße auch auf fruchtbaren Boden. So habe beispielsweise ein Student die Idee einer neuen Verpackungstechnik aus Pappe kreiert. Das Produkt sei komplett entwickelt und mehreren Unternehmen vorgestellt worden, von denen eines auch ernsthaftes Interesse an der Nutzung bekundete. Das Projekt scheiterte jedoch, da die Investitionskosten für die Falzmaschine dem Unternehmen letztlich zu hoch waren. Der Student, der mit dieser Idee den zweiten Preis bei einem Tüftlerwettbewerb im Schwarzwald gewonnen habe, fiel dabei aber dem Sponsor des Wettbewerbs auf, der ihn später in seinem Unternehmen einstellte.

Ebenso praxisorientiert würden auch die Diplomarbeitsthemen vergeben. So suchte beispielsweise ein Maschinenhersteller für seine Papierfalzmaschine einen Papierdickensensor, um mit diesem In-Line gewonnenen Signal automatisch die nachfolgenden Walzen in Abhängigkeit von der Papierdicke einzustellen. In einer Studie wurden zunächst die verschiedensten physikalischen Prinzipien auf ihre Einsatzfähigkeit untersucht und danach ein Verfahren ausgesucht, das den geforderten Spezifikationen entsprach. Der Student entwickelte dann den Prototypen eines induktiven Wegsensors mit den Komponenten Spulenentwicklung und Elektronikauswertung. Die Schwierigkeit lag dabei insbesondere in der Integration des Fühlers in die darauf abzustimmende Mechanik. Der Fühler wurde später von der Firma in ihr Mikroprozessorsystem integriert und wird heute auf dem Markt angeboten.

Als Prototyp des Ganzheitlichkeitsansatzes des Studienganges Product Engineering gelten Unternehmensgründungen. Inzwischen gibt es im Fach-

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bereich Product Engineering an der FH Furtwangen etwa 800 bis 900 Absolventen. Sie werden nach Abschluß ihres Examens regelmäßig alle zwei Jahre nach vollzogenen Gründungen, Gründungserfolg, Karriere, Einkommen etc. befragt. Diese Befragungen seien nicht nur für die Professoren wichtig, sondern auch für die Studenten, die natürlich begierig seien zu erfahren, welche Zukunftschancen ihnen dieser Studiengang biete. Von den dem Leiter des Steinbeis-Transferzentrums Neue Produkte persönlich bekannten 350 Absolventen hätten ungefähr 20 Prozent ein eigenes Unternehmen gegründet - eine extrem hohe Zahl, die lediglich von den Handwerksmeisterbetrieben übertroffen werde, bei denen die Absolventen ihre Ausbildung einzig zu diesem Zweck machten. Die Gründungen deckten sich von ihrer Stoßrichtung her weitgehend mit dem bundesweiten Trend zu Dienstleistungs- oder Softwareunternehmen.

Von den Gründungen sind nach seiner Kenntnis bislang zwei Unternehmen zusammengebrochen. Das eine habe sich in ein waghalsiges Rußlandgeschäft ohne Finanzabsicherung gewagt und kein Geld für seine Lieferung erhalten. Im anderen Fall seien die Gründe nicht bekannt. Ein von seinen Absolventen gegründetes Paradeunternehmen sei die Firma GFF aus St. Georgen im Schwarzwald, die jetzt ihr zehnjähriges Firmenjubiläum gefeiert habe. Der Gründer habe sich unmittelbar nach dem Abschluß selbständig gemacht. Mittlerweile beschäftige das Unternehmen über 300 Mitarbeiter und plane den Börsengang.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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