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[Seite der Druck-Ausgabe: S. 34 (Fortsetzung)]

5. Akzeptanz und Sozialverträglichkeit

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 34 (Fortsetzung)]

Von Arbeitgeber- und Unternehmensseite wird die Notwendigkeit zur Einführung effizienterer Arbeitszeitsysteme mit veränderten Wettbewerbsbedingungen angesichts der Globalisierung von Märkten begründet. Die Arbeitszeit ist ein Faktor bei der Optimierung der Kostenstruktur, z. B. wenn Überstundenzuschläge durch eine Verteilung der Arbeitszeit im Jahresrahmen vermieden werden. Wenn Unternehmen unter den jeweiligen Standortbedingungen erfolgreich wirtschaften, sind auch die Arbeitsplätze relativ sicher.

Samstagsarbeit im Verarbeitenden Gewerbe hat sich in den letzten Tarifrunden als Streit- und Verhandlungsgegenstand in den Vordergrund

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 35]

geschoben. Der Einbezug des Samstags in die Regelarbeitszeit unterliegt keinen gesetzlichen Beschränkungen. Bis auf Ausnahmen im Einzelfall verbieten auch die Manteltarifverträge Samstagsarbeit nicht. In einigen Tarifbereichen werden Vorgaben für die Nutzung von Samstagsarbeit gemacht, andere setzen Parameter für betriebliche Vereinbarungen oder sind völlig offen. Nur wenige Tarifverträge schreiben spezielle Zuschläge vor. In der Vergangenheit auf betrieblicher Ebene vereinbarte Arbeitszeitsysteme, die den Samstag in die Regelarbeitszeit einbeziehen, sehen im Regelfall allerdings einen zeitlichen und/oder finanziellen Ausgleich vor. Im Verarbeitenden Gewerbe wird Samstagsarbeit gegenwärtig jedoch vor allem in Form von - zuschlagspflichtiger - Mehrarbeit geleistet. Diese Mehrarbeit gewährleistet bei konjunkturell bedingt kurzfristig steigender Nachfrage eine Ausdehnung der Betriebszeiten und ein Hochfahren der Produktion.

Der Samstag als Regelarbeitstag könnte mehrere Entwicklungen auslösen. Orientiert sich die Normalauslastung einer Fertigungsstätte an einer sechstägigen Arbeitswoche, geht Flexibilität verloren. Auf die Möglichkeit zu einer zeitweisen Ausdehnung der Maschinenlaufzeit mittels samstäglicher Mehrarbeit kann nicht mehr zurückgegriffen werden. Zugleich verlagern sich bestimmte Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten, die bis dato am Samstag verrichtet wurden, auf den Sonntag.

Verliert Samstagsarbeit den Ausnahmecharakter, den sie im verarbeitenden Gewerbe hat, ist damit zu rechnen, daß finanzielle oder zeitliche Zuschläge wegfallen - soweit nicht tarifliche Regelungen greifen.

Arbeitnehmervertreter gestehen zu, daß die Arbeitszeit natürlich ein betrieblicher Kostenfaktor ist. Sie geben jedoch zu bedenken, daß Arbeitszeit billiger zu organisieren oft heißt, schmerzhafte Einschnitte bei Einkommensbestandteilen der betroffenen Arbeitnehmer vorzunehmen. Wenn z. B. die Überstundenzuschläge wegfallen, so empfinden viele Menschen, daß ihnen ein Stück Besitzstand genommen wird. Der Verlust berührt den sozialen Standard. Hier einen Ausgleich zu schaffen, fällt in prosperierenden Branchen leichter als in solchen mit konjunkturellen oder strukturellen Schwächen.

[Seite der Druck-Ausgabe: S. 36]

Auch die Erweiterung des Arbeitszeitkorridors in der chemischen Industrie wird von betrieblichen Arbeitnehmervertretern durchaus kritisch betrachtet. Dies sei keine Forderung der Arbeitnehmerseite gewesen, sondern ein Kompromiß in einer schwierigen Tarifrunde vor dem Hintergrund einer Strukturkrise in der chemischen Industrie. Die Akzeptanz in den Betrieben sei nicht hoch.

Akzeptanz setzt Transparenz und Interessenausgleich voraus. Nach Erfahrungen betrieblicher und gewerkschaftlicher Arbeitnehmervertreter akzeptieren die Beschäftigten neue Arbeitszeitmodelle dann, wenn die Interessen von Arbeitnehmern und Unternehmen austariert werden. Die Arbeitszeitregelungen zur Beschäftigungssicherung stießen auf Zustimmung, wenn gleichzeitig die Standortkonzepte mit vorgelegt wurden. Diese Form der Transparenz und Mitbestimmung gehöre zur Flexibilisierung nach Maß dazu.

Die tarifliche Vereinbarung zur Beschäftigungssicherung im Steinkohlenbergbau war nach Aussage eines Betriebsratsmitglieds zunächst unpopulär. Erst als zu einem späteren Zeitpunkt die Wirkungen der Vereinbarung, d. h. die vermiedenen Entlassungen offenkundig wurden, stieg die Anerkennung deutlich.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die Handhabung der Freizeitansprüche. Je nach ihrer Lage hat Freizeit eine unterschiedliche Qualität: In der Einschätzung der Beschäftigten gibt es wertvolle und wertlose Freizeit. Illustriert und deutlich wird dies, wenn man an die Probleme und Konflikte bei der Urlaubsplanung denkt. Es existiert ein Optimierungsdualismus von betrieblichen und individuellen Zeitansprüchen, der nicht durch Anordnung von oben gelöst werden kann. Mitbestimmungsrechte und Dispositionsmöglichkeiten des Einzelnen bei der Arbeitszeitlage generell oder insbesondere bei der Inanspruchnahme erworbener Freizeitguthaben sind ein zentrales Kriterium für die Akzeptanz.

Auch Vertreter der Arbeitgeberseite erkennen dies im Grundsatz an, wenn sie auf die vielfältigen Informations-, Aufklärungs- und Führungsanforderungen im Zusammenhang mit der Einführung neuer Arbeitszeit-

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systeme hinweisen. Bei betrieblichen Vorgesetzten müsse man mit der "KAPOVAZ-lllusion" aufräumen, daß die Arbeit kurzfristig und einseitig entsprechend dem gerade aktuellen Bedarf abgerufen werden könne.

Der grundsätzliche Konflikt erwächst aus dem unterschiedlichen Bedeutungsgehalt des Begriffes "flexible Arbeitszeiten", Für den Arbeitnehmer sind Arbeitszeiten in seinem Sinne flexibel, wenn er die Arbeit aufnehmen und beenden kann wie er es will. Für die Unternehmen sind Arbeitszeiten flexibel und effizient, wenn die Arbeitszeit an den Arbeitsanfall und den Bedarf an Arbeitskapazität angepaßt abgerufen werden kann. Betriebliche Notwendigkeiten und individuelle Interessen müssen also aufeinander abgestimmt und austariert werden. Hierzu bedarf es einer Vereinbarung, die das Verfügungsrecht über die Arbeitszeit zwischen den Polen einer autonomen individuellen Zeitgestaltung durch die Beschäftigten und dem Arbeitszeit- bzw. Flexibilitätsbedarf des Unternehmens regelt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2000

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