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TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausgabe: 102]

V. Strategieempfehlungen für die Bauwirtschaft


1. Chancen durch innovative Strategien

a) Ausgaben für F&E und Diffusion der Ergebnisse

Bei den F&E-Ausgaben nimmt die europäische Bauwirtschaft im Vergleich mit anderen Branchen, aber auch im internationalen Vergleich einen der hintersten Ränge ein. Die Investitionen betragen nur 0,3 vH vom Umsatz. Die japanische Bauwirtschaft wendet dagegen 2 bis 3 vH für F&E auf.

Über die Innovationsfähigkeit der deutschen Bauwirtschaft lassen sich keine verallgemeinernden Urteile fällen. Die Bauindustrie kann auf Exporterfolge an umkämpften Auslandsmärkten verweisen. Dahinter stehen entsprechende Produkt- und Prozeßinnovationen. Aber auch viele Mittelständler - wie etwa die Firma Garbersbau - scheuen nicht die Risiken innovativer Strategien. Dem gegenüber gibt es aber Innovations-defizite in bestimmten Bereichen. So ist etwa bei den Ein- und Zweifamilienhäusern ein Nachholbedarf an Produktinnovationen zu konstatieren.

Besonders schwer tun sich kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) mit der Forschungsfinanzierung. Die Europäische Union fördert Verbundforschungsvorhaben von KMU im Rahmen des Vierten FTE-Rahmenprogramms. So können Zusammenschlüsse von KMU mit ähnlichen technischen Problemen, aber unzureichenden Forschungsinstrumenten Dritte mit Forschungsarbeiten beauftragen. Die Kommission teilt sich die Forschungskosten mit den KMU und finanziert bis zu 500.000 ECU oder 50 vH der Gesamtkosten. Die Forschungsergebnisse gehören den KMU. Derzeit sind ca. 200 KMU aus dem Baugewerbe aktiv an 30 Projekten beteiligt. [Fn. 117: Mitteilung der EU-Kommission vom 4.11.1997.]

Eines der größten Hindernisse für Innovationen im Baugewerbe ist die unzureichende Verbreitung von Informationen und Wissen. Oft werden neue Verfahren von der Industrie hauptsächlich deswegen nicht genutzt, weil kaum Kenntnisse über technische Fortschritte vorhanden sind. Die EU-Kommission hat folgende Maßnahmen zur Verbesserung der Diffusionsgeschwindigkeit vorgeschlagen [Fn. 118: Mitteilung der EU-Kommission vom 4.11.1997.] :

  • Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Forschungsinstituten und Berufsverbänden in Hinblick auf die Erfassung, Verarbeitung und Verbreitung von Informationen.

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  • Durchführung von Programmen für die allgemeine und die berufliche Bildung, die vor allem auf kleine Unternehmen und Bauarbeiter zugeschnitten sind.

  • Schaffung von Bauparks zur besseren Verbreitung von Informationen.

  • Nutzung der neuen Möglichkeiten der Informationstechnologie für die Weitergabe von Wissen und Forschungsresultaten.

Insbesondere der letztgenannte Aspekt kann dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit des Baugewerbes zu steigern. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um den Einsatz der Informationstechnologie auf allen Ebenen und in allen Phasen des Bauprozesses auszuweiten. Dies wird zur Zeit noch durch fehlende Standards für den Datenaustausch zwischen Auftraggebern, Planern, Bauaufsicht, Bietern, Bauunternehmern und deren Subunternehmen behindert. [Fn. 119: Mitteilung der EU-Kommission vom 4.11.1997.]

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b) Strategische Neuausrichtung von Bauunternehmen

Allgemeingültige Strategieempfehlungen können nicht gegeben werden. Die unternehmerischen Chancen sind je nach Region und Sparte, nach Größe des Baubetriebs und insbesondere auch nach seinen vorhandenen Kernkompetenzen in anderen Geschäftsfeldern zu suchen.

Vor allem für Mittelständler stellt sich die Frage, mit welchen unternehmerischen Strategien den Herausforderungen der Strukturkrise begegnet werden kann. Der Geschäftsführer des ifA-lnstituts (Institut für Arbeits- und Baubetriebswissenschaft) empfiehlt solchen Unternehmen die Konzentration auf ihre Kernkompetenzen anstelle von ‘Alleskönnertum'. Ausgehend von diesen Kompetenzen sollen die Unternehmen strategisch neu ausgerichtet werden.

Senkung der Baukosten durch Rationalisierung

Die grundsätzlichen strategischen Alternativen sind Rationalisierung oder Diversifikation. Rationalisierung bedeutet, die Baukosten zu senken, um bei gegebenen Baupreisen den Unternehmenserfolg zu erhöhen. [Fn. 120: Rationalisierungen haben 40 vH der Bauunternehmen als vorrangiges Investitionsziel bezeichnet. Vgl. ifo-Schnelldienst 33/1997.] Rationalisierung ist auf die Verkürzung und Optimierung von Arbeitsabläufen sowie auf Einsparung von Arbeitskräften gerichtet.

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In der mittelständisch geprägten Baubranche kommen kostensenkende Planungs- und Koordinierungstechniken sowie automatisierte Bauverfahren noch zu wenig zum Einsatz. Auch der Vorfertigungsanteil im Hochbau und speziell im Wohnungsbau - d.h. die baustellenferne Produktion mit abschließender Endmontage auf der Baustelle - ist noch zu gering. Notwendig ist nach Ansicht der Bundesregierung ein Innovationsschub in der deutschen Baubranche, um einen Durchbruch bei der Kostensenkung im Bauprozeß zu erreichen. Die vorhandenen Kostensenkungspotentiale müssen durch effizientere Produktionsweisen, die Vereinfachung der Baukörper und der Ausstattungsstandards sowie den Abbau technischer Regeln und Normen genutzt werden. [Fn. 121: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT- Drucksache 13/7741 vom 21.05.1997 sowie Pressemitteilung des BMBau vom 9.3.1998.]

Nach Ansicht des Bundeswirtschaftsministeriums muß die Bauwirtschaft, um im Strukturwandel wettbewerbsfähig zu bleiben, ihre hohe Arbeitsintensität noch weiter reduzieren. Dieses Ziel könne nur zum Teil durch verstärkte Mechanisierung und Automatisierung realisiert werden. Es komme auf ganzheitliche Konzepte an, die alle Beteiligten, auch die am Bau Beschäftigten einbeziehen. Die Zahl der Schnittstellen in den Bereichen Planung und Bauausführung kann verringert, die Koordination verbessert werden. [Fn. 122: Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft zum Thema Zukunft der Bauwirtschaft vom 5.2.1998 aus Anlaß der Großen Anfrage der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag.]

Diversifikation der Unternehmensaktivitäten

Diversifikation bedeutet, über den Rohbau hinaus in vor- oder nachgelagerte Geschäftsfelder vorzustoßen (z.B. schlüsselfertiges Bauen, Projektentwicklung, sonstige Dienstleistungen). Nach Aussagen von Marktbeobachtern fordern die Nachfrager zunehmend Komplettangebote aus einer Hand. Dieser Entwicklung wird sich kaum ein Bauunternehmen entziehen können. Es empfehlen sich zumindest Kooperationen mit entsprechenden Spezialanbietern.

Der Vertreter des BMBau rät den Unternehmen, zur Bewältigung der Krise nicht einseitig auf Strategien der Kostensenkung zu setzen (Drücken der Tariflöhne, Einsatz von Subunternehmern mit Billiglöhnern). Zwar seien auch Verbesserungen der Kosteneffizienz notwendig, es müssen aber auch verstärkte Bemühungen um neue Märkte hinzukommen. Dies erfordert u.a. die Verbreiterung der Wertschöpfungspalette, insbesondere um vor- und nachgelagerte Dienstleistungen. Ein gutes Beispiel ist das Angebot einer privaten Finanzierung von Infrastrukturprojekten im Verkehrs- und Umweltbereich (Abschnitt IV.6.b). Der fünftgrößte deutsche Baukonzern Dywidag wird nach eigenen An-

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gaben zu einem Dienstleistungsunternehmen rund um die Bauleistung umstrukturiert. Der Konzern will neben Betreibermodellen künftig vermehrt Dienstleistungen in den Bereichen Immobilienfinanzierung und Gebäudemanagement anbieten. [Fn. 123: dpa-Meldung vom 15.5.1997.]

Bedeutung des Auslandsgeschäfts

Im Gegensatz zu den großen Baukonzernen haben die mittelständischen Unternehmen nur eingeschränkte Möglichkeiten, Rückgänge im Inlandsgeschäft durch Bemühungen um Auslandsaufträge zu kompensieren. Aber auch Mittelständler sollten ein Auslandsengagement nicht grundsätzlich ablehnen. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie sieht auch für mittelständische Spezialisten bei einer Kooperation mit lokalen Partnern Marktchancen auf den Auslandsmärkten.

Beschränkung auf technisch anspruchsvolle Bauleistungen

Angesichts der ausländischen Niedriglohnkonkurrenz im Bereich der Standardbauleistungen empfiehlt der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie die Strategie, die Unternehmensangebote auf technisch anspruchsvolle Bauleistungen hin auszurichten. Man solle sich nicht auf den gnadenlosen Preiswettbewerb bei Standardbauleistungen einlassen, sondern den Wettbewerb auf den Feldern der Qualität und der Kompetenz suchen. Der Verband neigt dem Generalunternehmermodell zu. Die Kooperation mit Spezial- und Niedriglohnanbietern und die damit verbundene Senkung der Fertigungstiefe werden als notwendig angesehen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Im arbeitsintensiven Hochbau setzt die Bauindustrie zur Sicherung ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf Produktivitätssteigerungen durch Automatisation.

Hindernisse bei der strategischen Neuausrichtung

Bei einer Umfrage der deutschen Gesellschaft für Mittelstandsberatung in der mittelständischen Bauwirtschaft ergab sich aus den Antworten von Spezialisten aus 146 Bauunternehmen folgende Rangfolge von Gründen für das Scheitern von Restrukturierungsprozessen [Fn. 124: STRATEGIE 1/1997.] :

  • fehlendes Konzept

  • zögerliches Handeln

  • mangelnde personelle Ressourcen

  • fehlende Mitarbeiterintegration

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  • fehlende Umsetzung

  • schlechte Informationspolitik

Das Fehlen eines strategischen Konzepts für die Restrukturierung wurde also am häufigsten als Grund angegeben. Auf diesem Feld haben die Mittelständler mithin einen erheblichen Informations-, Beratungs- und Entwicklungsbedarf.

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c) Beeinflußbarkeit der Baukosten im Zeitablauf

Die Möglichkeiten zur Beeinflussung der Baukosten sind vor Beginn der Bauausführung am größten. Danach sind nach Angaben des ifA-Instituts nur noch zwischen 10 bis 20 vH der gesamten Baukosten beeinflußbar.

Abb. 25: Entstehung von Baukosten und Bauerfolg


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Durchgreifende Kostensenkungsstrategien sollten daher in den Bereichen der Vorplanung und des Entwurfs ansetzen. Viele mittelständische Bauunternehmen konzentrieren inzwischen ihre Bemühungen um Kosteneinsparungen auf diese Phasen vor dem eigentlichen Baubeginn. Das ifA-lnstitut sieht diese Unternehmen auf dem 'Königsweg' der strategischen Neuausrichtung.

Die großen Baukonzerne nehmen bei solchen strategischen Konzepten eine gewisse Vorreiterrolle wahr. Manche Konzerne haben sich sogar weitgehend aus der Bauausführung zurückgezogen und in entsprechendem Umfang Facharbeiterstellen abgebaut. Der Kosten- und Wettbewerbsdruck könnte die mittelständischen Bauunternehmen auf denselben Weg zwingen.

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d) Strategische Alternativen

Portfoliodarstellung

Im linken unteren Tabellenfeld von Abb. 26 ist das klassische Rohbauunternehmen anzusiedeln, das sich ausschließlich mit der Bauausführung befaßt. Der Branchenfokus ist eng fixiert, und es werden lediglich bekannte Lösungen für bekannte Probleme geboten. Unternehmen aus diesem Matrixfeld sollten so rasch wie möglich strategisch neu ausgerichtet werden. Man kann der Billiglohnkonkurrenz nicht standhalten, wenn lediglich Standard-Rohbauleistungen zu deutschen Tariflöhnen angeboten werden können.

Zwei Entwicklungsrichtungen kommen für eine strategische Neuausrichtung in Frage:

  • Erweiterung des Branchenfokus

Ein klassischer Bauunternehmer, der seine Strategie auf eine branchenübergreifende Perspektive umstellt, könnte bspw. als Anbieter am Markt für Projektentwicklungen auftreten. Für ein strategisches Marketing-Konzept ist die Konzentration auf die Immobilienbranche zu überwinden und 'gesellschaftliche Bedürfnisse' sind zu beachten.

  • Steigerung der Innovationsintensität

Eine hohe Innovationsintensität haben Angebote mit einer neuen Lösung für ein neues Bedürfnis. In dieser Entwicklungsrichtung kann man sogar noch einen Schritt weiter gehen. Noch größer wäre die Innovationsintensität, wenn es sich um eine Lösung für ein lediglich latent vorhandenes, aber bislang noch schlummerndes Bedürfnis handelt.

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Abb. 26: Strategieverhalten von Siegern


Den größten Erfolg verspricht die Fokussierung auf Geschäftsfelder, die einen Fortschritt in beiden strategischen Entwicklungsrichtungen versprechen. Das klassische Bauunternehmen sollte versuchen, sich im Rahmen einer systematischen, ganzheitlichen Umstrukturierung in dem Portfolio gleichzeitig nach rechts und nach oben zu bewegen.

Abwärtstrend bei den öffentlichen Bauinvestitionen

Ein wahrer Unternehmer wird nicht über den Abwärtstrend bei den öffentlichen Bauinvestitionen jammern, sondern ihn als strategische Chance ansehen. Der Bedarf an Infrastruktur ist gegeben, nur die Finanzierung bereitet der öffentlichen Hand Probleme. Es sind mithin innovative private Angebote gefragt, wie etwa die Betreibermodelle (Abschnitt IV.6.b). Der Marktzugang für mittelständische Bauunternehmen wird vom ifA-lnstitut jedoch nicht nur wegen der hohen Anschubkosten als schwierig beurteilt. Ein erfolgreicher Markteintritt setzt vielmehr auch betriebliche Investitionen in die Mitarbeiterqualifizierung und eine Kapitalbeschaffung in entsprechendem Umfang voraus. Das Be-

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treiben einer Infrastruktureinrichtung stellt hohe Anforderungen an das Fachwissen und an die Beherrschung der Technik. Trotz dieser Markteintrittsbarrieren herrscht mittlerweile im Bereich der Privatfinanzierung öffentlicher Bauvorhaben ein intensiver Wettbewerb.

Komplettangebote aus einer Hand: kooperative Strategien

In der Vergangenheit wurden vor allem einzelne Bauleistungen nachgefragt. Demgegenüber werden heute zunehmend ganzheitliche Lösungen gefordert. In ihrem eigenen Interesse sind auch mittelständische Bauunternehmen aufgerufen, diesem geänderten Nachfrageverhalten Rechnung zu tragen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. [Fn. 125: Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft vom 5.2.1998.]

Auf die Markttendenz zu Komplettangeboten aus einer Hand kann ein mittelständisches Unternehmen, das bereits über Erfahrungen mit dem Bau von Infrastruktur verfügt, nach Angaben des ifA-lnstituts mit einem ersten Diversifikationsschritt reagieren, indem es sein Angebot (bspw. einer Kläranlage) um die jeweils benötigte Geräteausstattung erweitert. In weiteren Diversifikationsschritten könnte das Angebot um die Bereiche Finanzierung, Planung und langfristiger Betrieb erweitert werden. Es muß von Fall zu Fall entschieden werden, ob für die neuen Geschäftsfelder eigene Kompetenz aufgebaut oder auf die Kompetenz von Kooperationspartnern zurückgegriffen werden soll.

Auch der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie ist der Auffassung, daß sich die Unternehmen verstärkt auf Komplettangebote einstellen müssen. Fest stehe, daß die Investoren in Zukunft Gesamtlösungen erwarten. Besonders für die kapitalstarke Bauindustrie bietet es sich deshalb an, in Dienstleistungsbereiche zu diversifizieren, die der Bauproduktion vor- oder nachgelagert sind - wie etwa Planung, Finanzierung, Wartung, Facility Management oder Projektentwicklung.

Das ifA-lnstitut hat betont, daß die Markttendenz zu Komplettangeboten auch für die mittelständische Bauwirtschaft zum Ansatzpunkt für eine erfolgversprechende strategische Neuausrichtung werden kann. Die Mittelständler würden sich freilich überfordern, wenn sie verschiedene neue Dienstleistungen im eigenen Haus anbieten wollten. Der Marktzugang ist jedoch vergleichsweise leicht, wenn geeignete Kooperationspartner gewonnen werden können (bspw. andere Bauunternehmen, Maschinenbauer, Architekten, Statiker, Systempartnerschaften mit dem Baustoffhandel). Bei einem kooperativen Vorgehen ist der Kapitalbedarf eher gering anzusetzen. Durch die engere Zusammenarbeit mit den Partnern am Bau können noch erhebliche Kostensenkungspotentiale erschlossen werden. Auf diese Weise ergeben sich Verbesserun-

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gen der Wettbewerbsfähigkeit der Anbieter. Grundlegende Voraussetzung für den Erfolg kooperativer Strategien ist allerdings die Überwindung von mentalen Blockaden in den Bauunternehmen.

Der Vertreter des BMBau hat als Beispiel für die Wirksamkeit kooperativen Vorgehens die Markterfolge holländische Dachdecker in Berlin angeführt. Diese könnten ihre Leistungen billiger anbieten als die Konkurrenten mit Billiglöhnern und dies, obwohl sie ausschließlich Facharbeiter einsetzen. Den Wettbewerbsvorteil hat ihnen eine Produktinnovation verschafft, die kleinere Handwerksunternehmen gemeinsam mit der Baustoffindustrie entwickelt haben: industriell vorgefertigte Klappdächer. An diesem Beispiel läßt sich eine weitere strategische Chance aufzeigen. In Zukunft werden vorgefertigte Bauteile eine größere Rolle in dieser Branche spielen. Solche neuen Bauteile können in einer Kooperation von Bauunternehmen und Baustofflieferanten entwickelt werden.

Das ifA-lnstitut hält die Kooperation ostdeutscher Baufirmen mit ihren jeweiligen Gemeindeverwaltungen noch für ausbaufähig. Bei der Baulanderschließung und bei der Übernahme planerischer Aufgaben für die Kommune zeigen die Unternehmen jedoch noch zu wenig Initiative. Dies sei eine strategische Chancen für Pionier-Unternehmer.

Junges Bauen: kosten- und flächensparendes Bauen für junge Familien

Hohe Baukosten in Deutschland

Deutschland ist immer noch das Land mit den höchsten Bau- und Bodenkosten in Europa. Die Neubaukosten pro Quadratmeter liegen im Vergleich zu Griechenland und Portugal etwa doppelt so hoch. Noch größer fällt die Differenz bei den Neubaukosten für Eigenheime aus. Obwohl in der deutschen Bauwirtschaft sicher noch erhebliche Kostensenkungspotentiale vorhanden sind, können die Baukosten doch nicht annähernd auf das Niveau jener Länder gesenkt werden.

Ein wesentlicher Grund für die Kostendifferenzen sind die Abweichungen zwischen den Reallöhnen und die unterschiedlichen Ansprüche an Ausstattung und Qualität der Wohnungen. Außerdem kann sich die Bauwirtschaft mit ihrem Lohnniveau nicht beliebig weit von den anderen Sektoren abkoppeln. Die höheren Baulöhne können aber nicht vollständig durch entsprechende Produktivitätsvorteile der deutschen Bauwirtschaft ausgeglichen werden, zumal diese Branche nicht zu den hochproduktiven Wirtschaftsbereichen zählt.

Nicht übersehen werden darf außerdem, daß die Regulierungsdichte in Deutschland - etwa in der Form hoher Baustandards, oder einer Bodenordnung, die Umweltschutzzielen ein hohes Gewicht gibt und ganz

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allgemein zu einer eher restriktiven Baulandausweisung führt, - ganz unabhängig von den Präferenzen der Bauherren zu den vergleichsweise hohen Baukosten in Deutschland beiträgt. [Fn. 126: Sydow, M.: Wohneigentumspolitik und Wohneigentumsquote, in: Die Wohnungswirtschaft 10/1997. Ein Indikator, der die verschiedenen Effekte auf die Baupreise berücksichtigt, ist die Anzahl der Jahresgehälter, die in dem Jeweiligen Land für eine 'Normalwohnung' entsprechend den landesüblichen Standards aufzuwenden ist. Dieses Verhältnis liegt in den USA mit 2,8 Jahreseinkommen im internationalen Vergleich außerordentlich niedrig. Nach Angaben der Weltbank aus dem Jahre 1991 beträgt der Wert in Griechenland 4,0 und in Deutschland 4,4 Jahreseinkommen.]

Dies festzustellen heißt nicht, eine undifferenzierte offensive Politik der Baulandausweisung zu fordern, die in erster Linie darauf abzielt, viele Grundstücke billig an den Markt zu bringen. Eine solche Politik könnte nicht lange durchgehalten werden und würde mithin willkürlich die derzeit lebende Generation begünstigen. Konsequenz wäre außerdem ein verschwenderischer Umgang mit der erschöpfbaren Ressource Boden und eine weitere Zersiedlung der Landschaft mit entsprechenden umweltpolitischen Folgelasten. Diese Auswirkungen wären nicht mit den Grundsätzen einer nachhaltigen Raumentwicklung vereinbar. [Fn. 127: So auch Wilhelm, H. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in den BT-Debatten vom 5.12.1996 und vom 24.4.1997, Plenarprotokolle 13/145 und 13/172.] Den Grundstückspreisen kommt im Rahmen unserer Bodenordnung eine wichtige Signal- und Steuerungsfunktion zu. Die Bodenpreise erscheinen als Instrument zur Stabilisierung von Baukonjunktur wenig geeignet.

Marktpotentiale des jungen Bauens

Mit dem Entstehen eines Marktes für 'junges Bauen' werden große Hoffnungen auf mehr Beschäftigung für die Bauwirtschaft verbunden. Durch kosten- und flächensparendes Bauen sollen die Objektkosten so weit gesenkt werden, daß mehr Familien ein Eigenheim erwerben können bzw. ein Erwerb schon wesentlich früher als bisher möglich wird.

Das neue 'Märkische Haus' der Berliner LEG Wohnen ist ein Beispiel dafür. 125 Quadratmeter Wohnfläche inklusive Grundstück werden für 300.000 DM angeboten. Auch beim Berliner 'Europa-Haus' konnten erhebliche Kostensenkungen realisiert werden. Dieses vom Dach über die Elektroinstallationen bis zur Tapete industriell vorgefertigte Haus wird nur wenig mehr als 1.000 DM pro Quadratmeter Wohnfläche kosten.

Nach Berechnungen der Bundesregierung würden etwa 63 vH der Mieterhaushalte zwischen 30 und 39 Jahren in die Lage versetzt, Wohneigentum zu erwerben, wenn die Objektkosten auf das im europäischen Ausland übliche Niveau von 200.000 DM gesenkt werden

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könnten. [Fn. 128: Bericht der Bundesregierung zu Konjunktur und Beschäftigung in der Bauwirtschaft vom 9.4.1997.] Das Empirica-lnstitut hat für die öffentlichen Bausparkassen ermittelt, daß eine Senkung des Gesamtpreises eines Eigenheims von 450.000 DM auf 350.000 DM das Potential an Mietern, die finanziell den Schritt ins Eigentum wagen könnten, verdoppeln würde.

Eine Bausparkasse hat für diese Werte die erforderlichen Ansparzeiten für eine durchschnittliche Familie berechnet (Alter des Hauptverdieners bei Beginn des Ansparprozesses 25 Jahre). Während für ein 350.000 DM teures Objekt acht Jahre lang gespart werden muß, um zum Zeitpunkt des Baubeginns auf ein angemessenes Eigenkapital zu kommen, verdoppelt sich die Ansparzeit fast auf 15 Jahre, wenn der Preis um 100.000 DM höher liegt.

Mit einer Kostensenkung um 100.000 DM würden 3,5 bis 4 Millionen Haushalte zusätzlich in die Lage versetzt, Wohneigentum zu erwerben. Kurzfristig könnte die Zahl der fertiggestellten Eigenheime nach Expertenschätzungen um 40.000 Objekte pro Jahr gesteigert werden. Bei einem Anteil der reinen Baukosten von 60 vH würde sich für das Bauhauptgewerbe und die benachbarten Handwerksbranchen in diesem Marktsegment eine Vergrößerung des jährlichen Marktvolumens um 8,4 Milliarden DM ergeben.

Die beschäftigungspolitische Bedeutung dieses neuen Marktpotentials darf jedoch nicht überschätzt werden. Da die zukünftigen Selbstnutzer als Nachfrager auf dem Markt für Mietwohnungen ausfallen werden, sind entsprechend weniger Fertigstellungen im Mietwohnungsbau zu erwarten.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie wie auch das ifA-lnstitut sehen im jungen Bauen eine strategische Chance für die mittelständischen Bauunternehmen. Aus der Sicht des Verbandes war es ein Versäumnis, daß lange Zeit ausschließlich der Typ des langlebigen, soliden Hauses den Markt beherrschte. Durch das junge Bauen kann eine bessere Marktsegmentierung erreicht werden. Man solle aber nicht zu große Hoffnungen in diesen Bausektor setzen. Das 'Lebensabschnittshaus' wird in Deutschland wohl nie so weitgehend akzeptiert werden wie etwa in den USA.

Eine EMNID-Umfrage im Auftrag des Bundesbauministeriums belegt gleichwohl das große Marktpotential des jungen Bauens. Der mit Abstand meistgenannte Grund, der gegen einen Hausbau spricht, sind die Kosten (85 vH). Nur ein Drittel der Befragten führt dies auf das eigene Anspruchsniveau zurück. Als Preistreiber werden vielmehr das Grundstück (89 vH), die Handwerker und Unternehmen (81 vH), die Erschlie-

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ßungsgebühren (61 vH) und die Architektenhonorare (58 vH) angesehen.

Unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten würden zwei Drittel aller Befragten gern ein Haus bauen oder kaufen. Noch deutlich höher ist das Interesse bei jüngeren Zielgruppen. In absehbarer Zeit realisierbar wird der weitverbreitete Wunsch nach einem Eigenheim jedoch in vielen Fällen nur dann sein, wenn Bereitschaft für Kompromisse bei der Ausstattung besteht und auf diesem Weg die erforderlichen Ansparzeiten verkürzt werden können. 55 vH der Befragten sind hierzu bereit und 43 vH gaben an, lieber länger sparen zu wollen. Eine deutliche Mehrheit würde also zugunsten einer kürzeren Ansparzeit auf Komfort verzichten. Das am weitesten akzeptierte Mittel zur Kostensenkung ist die Eigenleistung (94 vH), noch vor einem einfacheren Grundriß (79 vH) und einem kleineren Grundstück (62 vH). Bereitschaft zum Verzicht auf einen Keller besteht bei 49 vH, und ein Reihenhaus käme für 45 vH in Frage.

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2. Chancen durch strategisches Marketing

Strategisches Marketing zeichnet sich durch einen hohen Grad an Kundenorientierung aus. Es geht um ein hohes Maß an Kundenzufriedenheit, das gleichzeitig mit den eigenen Firmenzielen sicherzustellen ist. Diese zweidimensionale Unternehmensstrategie muß zu möglichst geringen Kosten umgesetzt werden. Voraussetzung hierfür ist ein entsprechendes Kostenbewußtsein bei Arbeitnehmern und Unternehmern. Die Zufriedenheit des Kunden muß so weitgehend hergestellt werden, daß die Baufirma Anschlußaufträge erhält. Daraus ergeben sich hohe Anforderungen an die Qualität der Leistungen. In Abb. 27 repräsentiert das Tabellenfeld rechts oben das Endziel der Bemühungen um eine Verbesserung Qualität des Angebots und um Kostensenkungen. Unterhalb dieses Felds ist die angestrebte langfristige Kundenbindung gefährdet. Links davon liegen die Kosten zu hoch, so daß der Gewinn aus dem Auftrag nicht als ausreichend angesehen wird.

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Abb. 27: Matrix der Kundenorientierung


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3. Chancen durch lernende Organisationsstrukturen

Das ifA-Institut hält den Widerstand der Mitarbeiter für die wesentliche Fortschrittsbarriere in Deutschland. Ein weiteres Innovationshindernis wird in den hierarchisch geprägten Organisationsstrukturen gesehen. Das Institut fordert daher ein neues Denken in den Betrieben. Die schlummernden Fähigkeits- und Kreativitätspotentiale der Mitarbeiter müßten erschlossen werden. Zu diesem Zweck sollte den Beschäftigten mehr Spielraum für selbstverantwortliches Handeln eingeräumt werden. Wichtig ist außerdem ihre stärkere Einbindung in Entscheidungsprozesse. Andere Wirtschaftszweige - wie etwa die Automobilindustrie (Fertigungsinseln und Teamarbeit) - sind beim Abbau von hierarchischen Strukturen schon weit vorangeschritten. Die Bauwirtschaft hat auf diesem Gebiet nach der Einschätzung des Instituts noch einen großen Nachholbedarf. Daraus ergeben sich wiederum Chancen für Pionier-Unternehmer.

In lernenden Organisationsstrukturen, deren teamorientierte Umgebung die Mitarbeiter inspiriert und ihr Kreativitätspotential mobilisiert, ist die Arbeit auf den Kundennutzen hin orientiert. In einem solchen Umfeld werden die Bedürfnisse des Marktes erkannt und Wege zu ihrer Befriedigung gefunden. Der interne Wettstreit um den besten Weg löst zugleich Veränderungen im Unternehmen aus.

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4. Chancen durch flexibles Personal

Für den Bundesvorsitzenden der IGBau stehen die Anforderungen, die sich aus dem Strukturwandel für die Arbeitnehmer ergeben, im Vordergrund. Der hohe Wettbewerbsdruck führt zu einem kontinuierlichen Ausleseprozeß unter den Unternehmen, aber auch unter den am Bau Beschäftigten. Die möglichen Überlebensstrategien für die Betriebe - wie kontinuierliche Innovation, Spezialisierung auf bestimmte anspruchsvolle Tätigkeiten und verstärkte Dienstleistungsorientierung - erfordern sämtliche Maßnahmen zur Weiterbildung und Qualifikation der Arbeitnehmerschaft. Eine ständige Weiterbildung wird für die Beschäftigten immer dringlicher, und eine Weiterbildungsoffensive ist dringend erforderlich. Auch das ifA-lnstitut warnt davor, in der gegenwärtigen Strukturkrise an der Weiterbildung der Mitarbeiter zu sparen.

Die EU-Kommission sieht einen wachsenden Bedarf an polyvalenten Arbeitskräften, die sich neuen Bauverfahren rasch anpassen können. Sie empfiehlt die Schaffung eines Netzes lokaler Ausbildungszentren, die auf nationaler Ebene von den Ausbildungseinrichtungen der Bauwirtschaft koordiniert werden sollen. [Fn. 129: Mitteilung der EU-Kommission vom 4.11.1997, Abschnitt 4.7.]

Die IGBau will die von ihr geforderte Weiterbildungs- und Qualifizierungsoffensive mit einer Innovationsoffensive kombinieren. Diversifikationsstrategien (neue Märkte, Produkte und Dienstleistungen) und organisatorischer Fortschritt (Arbeitsorganisation und Bauablauf) könnten die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen so weit verbessern, daß sich eine Kostenreduzierung durch Lohnsenkungen weitgehend erübrigt.

Im konventionellen Rohbau sinken die Anforderungen an die Qualifikation der Bauarbeiter infolge des Einsatzes neuer Baustoffe und neuer Verfahren. Auch die Vereinfachung der Bauteile und der Schalmaterialien trägt dazu bei. Dieser technische Wandel verlangt den Arbeitnehmern weniger Spezialkenntnisse ab. Der Rohbau nimmt mehr und mehr den Charakter einer Montagetätigkeit an. Das BAQ-lnstitut schließt daher Abstriche bei der Qualifikation der Mitarbeiter in diesem Bereich nicht aus. Im konventionellen Rohbau werden verstärkt Hilfskräfte eingesetzt und zwar größtenteils billigere ausländische Kräfte. Der Bau-Arbeitsmarkt kann damit zunehmend weniger seine traditionelle Rolle als Auffangbecken für ungelernte heimische Kräfte wahrnehmen.

Höhere und neuartige Anforderungen an die Qualifikation des Personals ergeben sich jedoch aus einer strategischen Neuausrichtung der Bauunternehmen. Der verstärkte Drang der größeren Firmen ins Ausland macht bei den Fach- und Führungskräften fremdsprachliche und

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landeskundliche Kenntnisse notwendig. Neben fast schon selbstverständlichen Eigenschaften wie Teamfähigkeit und Flexibilität werden Qualifikationsprofile, die kaufmännisches und technisches Wissen in einer Person verbinden, als besonders zukunftsträchtig angesehen. Nach der Einschätzung des BAQ-lnstituts zeichnet sich eine Markttendenz zur Überwindung der Trennung dieser Sphären ab.

Die IGBau fordert eine Überwindung der Trennung der Gewerke auf der Baustelle. Nach der deutschen Handwerksordnung sind neun Gewerke an einem Bau beteiligt. Ein gewerkeübergreifendes Denken der Facharbeiter würde zu einer verbesserten Kooperation auf der Baustelle und damit zu Kosteneinsparungen führen.

Ein Modell, das das gewerkeübergreifende Denken mit dem Ziel von Kostensenkungen schon vor Beginn der eigentlichen Bauausführung kombiniert, sind die in den Niederlanden verbreiteten Bauteams. In einem solchen Team sind die ausführenden Handwerker bereits an der Planung beteiligt. So können zusätzliche Einsparungspotentiale mobilisiert werden.

Die Bundesregierung will im Rahmen ihrer Möglichkeiten zur Bildung von Bauteams und zu mehr Effizienz und Effektivität bei der Koordination von Planung und Bauausführung beitragen. Zur Verbesserung der Kooperation der verschiedenen Gewerke am Bau wurde inzwischen die Handwerksordnung novelliert. Der Bundestag hat Mitte Februar 1998 den gemeinsamen Gesetzentwurf von CDU/CSU, SPD und FDP zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften in der vom Wirtschaftsausschuß beschlossenen Fassung angenommen (BT-Drucksache 13/9875). Ziel der Reform ist es, zukunftsorientierte Arbeits- und Ausbildungsplätze durch die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Handwerks zu sichern und ein größeres Leistungsangebot 'aus einer Hand' dadurch zu gewährleisten, daß Handwerke zu breiteren Handwerken zusammengelegt, Zuordnungen bestehender Tätigkeiten zu mehreren Handwerken eingeführt und Verwandtschaften zwischen Handwerken erweitert werden. [Fn. 130: Woche im Bundestag, Heft 3 vom 17.2.1998. Der Vorschlag der SPD, die Gewerbe 'Parkettleger' und 'Bodenleger' zusammenzulegen, wurde vom Bundestag ebenso abgelehnt wie der Gedanke, Dachdeckern wenigstens das Aufstellen einfacher Dachstühle zu erlauben.]

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie kritisiert die langen Anerkennungszeiten für neue Berufsbilder beim Bundeswirtschaftsministerium. Für die Anerkennung des Berufs des Wärme-, Kälte-, Schall- und Brandschützers (als Weiterentwicklung des Berufsbildes des Isolierers) haben die zuständigen Beamten beispielsweise eine Bearbeitungszeit von zehn Jahren benötigt. Der Hauptverband hält auch die ständige

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Weiterqualifikation der Mitarbeiter für notwendig. Angesichts des raschen technischen und organisatorischen Wandels ist ein hohes Maß an Flexibilität bei der Entwicklung neuer Berufsbilder (z.B. Baugeräteführer) von größter Wichtigkeit. Darüber hinaus werden laufende Anpassungen des Systems der überbetrieblichen Berufsausbildung an die Erfordernisse des Marktes gefordert.

Abb. 28: Auswirkungen auf die Beschäftigung im Betrieb


In Abb. 28 sind die Auswirkungen für die Beschäftigungssituation der Arbeitnehmer schematisch dargestellt, die sich aus der Art der strategischen Reaktion der Unternehmen auf die Herausforderungen der Strukturkrise ergeben. Ideal für beide Seiten ist das Tabellenfeld links oben. Dort wird die strategische Neuausrichtung zielsicher nach den

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Bedürfnissen des Marktes vorgenommen und die Qualifizierung der Mitarbeiter für die neuen Anforderungen ist gewährleistet. In einer dynamischen wirtschaftlichen Umwelt ist jedoch jede Position stets nur vorübergehend erobert. Die Strategie muß immer wieder zur Disposition gestellt und ggf. angepaßt werden. Dies erfordert nicht nur eine entsprechende Flexibilität von Unternehmensführung und Personal, sondern auch Investitionen in das Humankapital der Mitarbeiter.

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5. Fallstudie Garbersbau

a) Das Unternehmen

Die Firma Garbersbau aus Lüneburg ist ein Familienbetrieb mit 350 Beschäftigten, die ausschließlich im Hochbau tätig sind. Der Schwerpunkt der Leistungserstellung liegt beim schlüsselfertigen Bauen. Dafür wird ein eigenes Planungs- und Konstruktionsbüro mit 20 Beschäftigten unterhalten. Als Bauträger entwickelt Garbersbau Wohngebiete mit Doppel- und Reihenhäusern. Außerdem engagiert sich die Firma in der Altbaumodernisierung und im barrierefreien Bauen für Alte und Behinderte.

Die Strategie der Firma Garbersbau ist darauf ausgerichtet, ihren Kunden möglichst Komplettangebote aus einer Hand anzubieten. Zu diesem Zweck werden Kooperationen mit anderen Firmen gesucht. Mit den Komplettangeboten sollen nicht zuletzt Möglichkeiten für Kostenersparnisse aufgedeckt werden. Die Firma bemüht sich darüber hinaus permanent mit den Mitteln der Teamarbeit und der Intensivierung der Arbeitsvorbereitung um Kosteneinsparungen.


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b) Forschungsprojekt Humanisierung der Arbeit

Bei dem Forschungsvorhaben Humanisierung der Arbeit (HdA) handelt es sich um ein Projekt des Bundesministeriums für Forschung und Technologie (BMFT) aus den Jahren 1989 bis 1994. Unter der wissenschaftlichen Leitung des ifA-lnstituts wurden in 14 Modellfirmen Arbeitsgruppen zu den folgenden Themen eingerichtet:

  • Schwerarbeit

  • Termin- und Zeitdruck

  • Zusammenarbeit und Ordnung auf der Baustelle

  • Koordinierungsteam

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Mit dem Projekt wurde das Ziel verfolgt, Verbesserungen in den genannten Bereichen durch die Beteiligung der betroffenen Mitarbeiter zu erreichen. Aus der Sicht der Unternehmen standen folgende Ziele im Vordergrund:

  • Steigerung der Arbeitsproduktivität

  • Steigerung der Produktqualität

  • Senkung der Zahl der Krankheits- und Ausfalltage (durch Verringerung der körperlichen Belastung)

  • Qualifizierung des Nachwuchses

  • Optimierung der Arbeitsabläufe (durch baubegleitende Arbeitsvorbereitung)

  • Verbesserung des Betriebsklimas

  • Verbesserung des Renommees der Firma gegenüber Kunden und Mitarbeitern

Für die Mitarbeiter hatten folgende Ziele die größte Bedeutung:

  • Verringerung der körperlichen und nervlichen Belastung

  • Abbau von Unfallgefahren (durch erhöhte Sensibilität und neue Hilfsgeräte)

  • Erhöhung der Zufriedenheit mit der Arbeit

  • Verbesserung des Verhältnisses zu den Kollegen (durch betriebsübergreifende Arbeitsgruppen)

  • Erweiterung der Handlungs- und Verantwortungsspielräume auf allen Hierarchieebenen

  • Sicherung der Beschäftigung

Gegen Ende des Projekts wurden die themenspezifischen Arbeitsgruppen von berufsspezifischen Gruppen, sog. Qualitätszirkeln, abgelöst. Bei Garbersbau sind derzeit neun entsprechende HdA-Gruppen mit der Zielsetzung der Verbesserung der Arbeitsabläufe aktiv. In der Zentrale in Lüneburg sind 60 Mitarbeiter in den folgenden acht HdA-Gruppen organisiert:

  • Maurer

  • Stahlbetonbauer

  • Zimmerer

  • Poliere

  • Bauleiter

[Seite der Druckausgabe: 120]

  • Sekretärinnenkreis

  • CAD-Anwenderkreis

  • Planungsrunde (Leiter der Planungsabteilungen)

In der Niederlassung Hagenow in Ostdeutschland wurden wegen der geringeren Betriebsgröße nur zwei Gruppen mit zusammen 23 Mitarbeitern gebildet (gemischte Gruppe und Bürorunde). 24 vH des Personals von Garbersbau wirken in den HdA-Gruppen mit. Über die Häufigkeit der Zusammenkünfte entscheiden die Gruppen selbst. Die Abstände zwischen den Treffen liegen zwischen sechs und zwölf Wochen.

Das Instrument der HdA-Gruppen wurde vom Geschäftsführer der Firma Garbersbau als außerordentlich erfolgreich beurteilt. Inzwischen haben schon mehr als 100 Sitzungen stattgefunden. Mehr als 300 von den Gruppen vorgeschlagene Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Betriebsabläufe wurden bereits erfolgreich umgesetzt. Nach den Erfahrungen der Firma geht der größte Teil der Maßnahmen zur Kosteneinsparung auf die Einrichtung der HdA-Gruppen zurück. Diese Gruppen können mithin als eine Art institutionalisierter dezentraler Innovationspool angesehen werden. Auf die unmittelbaren Erfahrungen und die Kreativität der Mitarbeiter kann in dem schrittweisen Verbesserungsprozeß der Arbeitsabläufe auf der Baustelle nicht verzichtet werden. Die Unternehmensleitung hätte auf sich allein gestellt kaum eine solche Fülle von Verbesserungen entwickeln können.

Ein Gruppenmitglied wurde vom ifA-lnstitut zum Moderator der jeweiligen Gruppe ausgebildet. Das Prinzip der Selbstmoderation entspricht den Forderungen der Dezentralität, der Verantwortlichkeit und der Mitsprache der Mitarbeiter. Das Prinzip wirkt daher nicht nur innovations-, sondern auch allgemein motivationsfördernd. Die Gruppen unterbreiten keine unreifen 'Verbesserungsvorschläge', sondern entwickeln neue Ideen gemeinsam bis zur Anwendungsreife.

Die Maurer-Gruppe hat beispielsweise folgende Innovationen entwickelt:

  • Minikran

  • Steinversetzzangen (leichter und flexibler als die bislang gebräuchlichen Zangen)

  • Werkzeugcontainer für die Baukolonnen

  • verstellbare Öffnungslehren (keine Arbeit mit Wasserwaagen)

  • Mörtelwannen auf Rollwagen

  • Steinpaletten

[Seite der Druckausgabe: 121]

An dem letzten Beispiel läßt sich zeigen, daß auch ganz unspektakuläre Verbesserungen große Auswirkungen haben können. Die 25 cm hohen Steinpaletten reduzieren die Bücktiefe für die Maurer, schützen die Steine vor Feuchtigkeit und erleichtern ihren Transport. Ein Maurer bewegt vier Tonnen Material am Tag. Der Einsatz der Paletten bewirkt für den einzelnen Maurer eine Entlastung von 1 Tonnenmeter pro Tag. Eine Entlastung dieses Umfangs hat entsprechend günstige Auswirkungen auf Gesundheit und Arbeitsleistung der Maurer.

Aus der Sicht der Firma Garbersbau sind ständige Produktivitätssteigerungen dieser Art notwendig, damit noch in nennenswertem Umfang eigenes Personal eingesetzt werden kann. Der Bundesvorsitzende der IGBau sieht Garbersbau in einer Vorreiterrolle. Nach seinen Erfahrungen gäbe es bei den mittelständischen Bauunternehmen große Defizite bei der Einbindung der Mitarbeiter in den Innovationsprozeß. Selbst ein geregeltes betriebliches Vorschlagswesen sei bislang noch die Ausnahme.

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c) Do it yourself-Qualitätshaus

In der Ausgangssituation war die Firma Garbersbau im Marktsegment der Einfamilienhäuser nicht wettbewerbsfähig. Kleinstfirmen mit etwa zwei bis drei Mitarbeitern und entsprechend schlanken Verwaltungsstrukturen beherrschten den Markt.

Mit dem Do it yourself-Qualitätshaus hat Garbersbau im Marktsegment der Einfamilienhäuser wieder Fuß fassen können. Mittlerweile konnten bereits 700 Häuser dieser Art fertiggestellt werden. Beim Do it yourself-Qualitätshaus handelt es sich nicht lediglich um ein Ausbauhaus, sondern um ein regelrechtes Selbstbauhaus, das als Typenhaus mit 14 variablen Grundtypen angeboten wird. Die Häuser werden über drei Außenstellen und über drei Franchisenehmer vertrieben. Das Angebot hat damit den Charakter eines Handelsprodukts angenommen.

Angesichts eines Lohnanteil bei einem Einfamilienhaus von etwa 50 vH lag es nahe, diesen Kostenblock durch Innovationen zu reduzieren. Beim Do it yourself-Qualitätshaus wird die fremdbezogene Lohnleistung des Bauhandwerkers weitgehend durch die Eigenleistung des Bauherrn ersetzt. Nach den Erfahrungen der Firma Garbersbau führt der Einsatz von Laien nicht zu Qualitätseinbußen. Die unerfahrenen Kräfte würden zwar langsamer, aber dafür auch sorgfältiger arbeiten als die Fachkräfte.

[Seite der Druckausgabe: 122]

Die Firma Garbersbau sorgt für den Einkauf und die pünktliche Anlieferung des Baumaterials, sie verleiht die Baustelleneinrichtung, das Werkzeug und die Gerüste und mietet die Geräte an. Außerdem stellt sie einen Bauleiter zur Anleitung der unerfahrenen Kräfte. Nur bestimmte Arbeiten - in Bereichen wie etwa Elektro, Estrich, Treppen und Dachstuhl - werden von Mitunternehmern ausgeführt. Die Handwerksmeister (etwa Heizungsbauer, Dachdecker, Zimmerleute) leiten die Bauherren in ihrem eigenen Gewerk an.

Die Produktinnovation des Do it yourself-Qualitätshauses hat für Garbersbau zu Personaleinstellungen in den Bereichen Planung, Statik, Bauleitung, Finanzierung und Versicherung geführt. Abgesehen von der Bauleitung, die in der Regel durch Maurermeister vorgenommen wird, sind dies allerdings sämtlich Bereiche außerhalb des Bauhandwerks.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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