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TEILDOKUMENT:




[Seite der Druckausgabe: 43]

III. Arbeitsmarktprobleme

Der Bauarbeitsmarkt ist geprägt von einem sektorspezifischen Regulierungsarrangement (Sozialkassen, Berufsausbildung, Winterbau, Schlechtwettergeld), das den ökonomischen Besonderheiten der Bauwirtschaft Rechnung trägt. Die Kollektivakteure Staat, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände als Träger dieses Arrangements haben in der Vergangenheit bemerkenswerte Lösungen und Leistungen hervorgebracht. Allerdings gerät dieses Kollektivarrangement immer mehr unter Druck [Fn. 38: Projekt-Info der Abteilung Arbeitsmarkt des Instituts für Arbeit und Technik (IAT) beim Wissenschaftszentrum NRW.] :

  • Die Interessen im Unternehmerlager werden heterogener.

  • Die Baubranche befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel, der die Betriebs- und Beschäftigungsstrukturen verändert.

  • Die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften (Werkverträge, Dienstleistungsfreiheit im EU-Raum) drückt auf die tarif-, arbeits- und sozialrechtlichen Standards und zwingt die Tarifpartner wie auch den Staat zu beschäftigungssichernden Anpassungen.

  • Staatliche Hilfen wie das Schlechtwettergeld werden zurückgenommen.


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1. Kritische Lage am Bau-Arbeitsmarkt

Die Krise der Bauwirtschaft hatte den Bau-Arbeitsmarkt schon im Jahr 1996 erreicht. In diesem Jahr war ein Rückgang der gewerblichen Beschäftigung im Bauhauptgewerbe um beinahe 100.000 Personen oder 9 vH auf nur noch 950.000 Personen zu verzeichnen. In regional differenzierter Betrachtung ergab sich eine Verringerung der gewerblichen Beschäftigung um 10 vH in West- und um 8 vH in Ostdeutschland. Im Jahresdurchschnitt wurden 1996 in Deutschland bereits 229.000 Arbeitslose mit bauhauptgewerblichen Berufen gezählt (Zunahme um fast 40 vH gegenüber 1995).

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Abb. 16: Gewerbliche Beschäftigte im Bauhauptgewerbe (in Tausend)


Quelle: Hauptverband der Deutschen Bauindustrie

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Die Zunahme der Arbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft hat sich 1997 mit kaum vermindertem Tempo fortgesetzt. Im Jahresdurchschnitt waren bei der Arbeitsverwaltung in Deutschland 272.100 Arbeitslose mit bauhauptgewerblichen Berufen registriert. Dies entspricht einer Zunahme um 48.700 Personen oder 22 vH gegenüber dem Vorjahr. Auf der Grundlage der Arbeitsmarktdaten für November ergibt sich für das Baugewerbe eine Arbeitslosenquote von etwa 16 vH. Sie liegt damit um rund 3,5 Prozentpunkte über der Quote für die Gesamtwirtschaft.

Die gewerbliche Beschäftigung ist in diesem Jahr um weitere 81.000 Personen oder knapp 9 vH auf 869.000 Personen zurückgegangen. Die prozentualen Abnahmen waren in beiden Landesteilen ähnlich hoch. Nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes wurde die Zahl der Beschäftigten im Januar in fast jedem zweiten Betrieb weiter reduziert. Im Westen wurden dafür überwiegend, im Osten fast ausschließlich konjunkturelle Gründe genannt.

Abb. 17: Zahl der Arbeitslosen im Baugewerbe

Durchschnittswerte für Januar und Februar

1997

1998

vH

West

246.560

212.320

-13,9%

Ost

153.370

162.719

+6,1%

Dtld.

399.930

375.039

-6,2%

Quelle: Bauwirtschaft Aktuell

Die Einschätzung der aktuellen Entwicklung ist schwierig. Die Arbeitslosigkeit ist in den ersten beiden Monaten des Jahres 1998 zwar deutlich zurückgegangen. Dies ist jedoch zu einem großen Teil dem milderen Winterwetter und der Stabilisierungstendenz in Westdeutschland zu verdanken. Nach Angaben des ifo-lnstituts lag der Anteil der Baufirmen mit einer witterungsbedingten Behinderung ihrer Bautätigkeit im Januar 1998 wesentlich niedriger als ein Jahr zuvor.

Nach Ansicht der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IGBau) ist der Rückgang zu Jahresbeginn zum einen darauf zurückzuführen, daß der im Juni 1997 vereinbarte Tarifvertrag über die Sicherung der ganzjährigen Beschäftigung im Großen und Ganzen gegriffen hat. Offenbar ist es aus diesem Grund insgesamt zu weniger Winterkündigungen gekommen. Nach Einschätzung der Gewerkschaft sind aber in er-

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heblichem Umfang Kündigungen auf den Dezember 1997 vorgezogen worden. [Fn. 39: Presseinfo der IGBau vom 5.3.1998.]

Abb. 18: Witterungsbedingte Behinderung der Bautätigkeit

Nach der Schlechtwettergeld-Nachfolgeregelung erscheint es für die Bauunternehmen kaum mehr attraktiv, durch Kündigungen im Winter und Wiedereinstellung im Frühjahr ihre Kosten zu senken. Die Gewerkschaft verweist darauf, daß die späte Einigung der Tarifparteien im Sommer bei vielen Betrieben dazu geführt hat, daß sich nicht genügend Ansparstunden angesammelt werden konnten. Außerdem sind immer mehr Betriebe dazu übergegangen - offenbar im Widerspruch zum geltenden Arbeitsrecht- nur noch befristete Arbeitsverträge abzuschließen. Die IGBau räumt ein, daß ein Teil der 'Winterkündigungen' auf die schlechten Konjunkturerwartungen der Branche zurückzuführen

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und eben nicht aus einem 'betriebsegoistischen Kostenkalkül' heraus erfolgt ist.

Die weitere Entwicklung von Beschäftigung und Arbeitslosigkeit schätzt der Bundesvorsitzende der IGBau pessimistisch ein. Selbst unter der Annahme eines stagnierenden Bauvolumens in den kommenden Jahren würden weitere Zunahmen der Arbeitsproduktivität auf den Baustellen im Verein mit einem sich weiter verschärfenden Wettbewerbsdruck von ausländischen Konkurrenten wohl zu weiteren Rückgängen bei der Beschäftigung führen.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie erwartet, daß 1998 weitere 64.000 Bauarbeitsplätze verloren gehen werden (39.000 in Ostdeutschland und 25.000 in Westdeutschland), darunter 57.000 gewerbliche Arbeitsplätze. In der Prognose spiegeln sich die abweichenden Erwartungen über die weitere Entwicklung der Baukonjunktur in den beiden Landesteilen wider. Während für den Westen mit einem Beschäftigungsrückgang von lediglich 3 vH gerechnet wird, fällt die Vorhersage für Ostdeutschland mit einem Minus von 10 vH deutlich pessimistischer aus.

Angesichts der Prognosen für die Bauinvestitionen, die mittelfristig bestenfalls auf eine Stagnation hoffen lassen, wird die Zahl der Arbeitskräfte im Baugewerbe vorläufig weiter abnehmen. Auch langfristig sind keine Beschäftigungszunahmen zu erwarten. Der hohe Beschäftigungsstand der Jahre 1994 und 1995 wird wohl nie wieder erreicht werden. Dies ist vor allem auf folgende Bestimmungsgründe zurückzuführen:

  • Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Konkurse von deutschen Bauunternehmen gegenüber dem Vorjahr nochmals um 7,5 vH. Die Insolvenzwelle wird sich aller Voraussicht nach fortsetzen. Besonders für den Osten wird weiterhin mit deutlichen Zunahmen der Konkursfälle gerechnet.

  • In den neuen Ländern ist die Normalisierung der Bautätigkeit, die auf die hohen Investitionen in der Aufbauphase folgen mußte, noch lange nicht abgeschlossen. Für die meisten Bereiche werden weitere deutliche Nachfragerückgänge erwartet.

  • Als Folge dieser Entwicklung werden westdeutsche Bauunternehmen ihre Beschäftigung in Zukunft immer weniger mit dem Mittel der Übernahme von Bauvorhaben in den neuen Bundesländern stabilisieren können.

  • Der intensive Wettbewerb im Baugewerbe führt verstärkt zu arbeitssparenden Rationalisierungsmaßnahmen.

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Abbildung 19: Bauarbeitsmarkt 1992 - 1998


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  • Aus dem EU-Raum werden in Zukunft noch mehr ausländische Unternehmen und Arbeitskräfte in den deutschen Markt drängen. Noch härter wird die Konkurrenz an den Baumärkten werden, wenn die Grenzen nach Osteuropa fallen. [Fn. 40: Vorsorglich hat der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie in seinem Parlamentarierbrief zur Bundestagswahl 1998 die Durchsetzung möglichst langer Übergangsfristen für die Geltung von Freizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit in den Verhandlungen mit den osteuropäischen Staaten über eine EU-Mitgliedschaft gefordert.]


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a) Arbeitsmarktlage in Ostdeutschland

Die Zahl der am Bau Beschäftigten war in den neuen Ländern von 1992 bis 1995 von 324.000 auf den Höchststand von 443.000 Personen gestiegen. Vor dem Hintergrund des sich ständig verdüsternden Konjunkturbildes kamen die nachfolgenden Rückgänge der Beschäftigung im ostdeutschen Bauhauptgewerbe nicht überraschend. Bereits 1996 war die Beschäftigung im ostdeutschen Bauhauptgewerbe um knapp 6 vH gesunken. Der Beschäftigungsabbau hat sich im folgenden Jahr stark beschleunigt fortgesetzt: Die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer ist 1997 um weitere 11 vH gefallen. Gesamtwirtschaftlich erreichte der Rückgang der Beschäftigung in Ostdeutschland im gleichen Zeitraum dagegen 'nur’ 4,4 vH.

Die Arbeitslosigkeit in den Bauberufen nimmt in den neuen Bundesländern weiterhin mit erschreckend hohen Raten zu. Nach einem Zuwachs von 64 vH im Jahre 1996 wurden im Jahresdurchschnitt 1997 erneut 29.000 Arbeitslose mehr gezählt (insgesamt 109.600). Dies entspricht einer Zunahme um weitere 36 vH. Gleichzeitig hat die Zahl der offenen Stellen deutlich abgenommen (im Jahresdurchschnitt 1997 um 27 vH).

In den ersten beiden Monaten des laufenden Jahres waren in den neuen Bundesländern im Durchschnitt 162.700 Personen mit bauhauptge-werblichen Berufen arbeitslos. Anders als in Westdeutschland, wo die Arbeitslosigkeit in diesem Bausektor gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum kräftig gefallen ist, stieg in den neuen Ländern die Zahl der Personen ohne Arbeitsplatz trotz der im Vergleich zum Vorjahr milderen Witterung um weitere 6 vH.

Die Arbeitslosenquote im ostdeutschen Baugewerbe lag im Jahresdurchschnitt 1997 bei etwa 22 vH. Mehr als jeder fünfte ostdeutsche Bauarbeiter ist mithin arbeitslos. Dieser Wert lag freilich nicht sehr weit über der ebenfalls inakzeptabel hohen Quote für die Gesamtwirtschaft. Seit Jahresbeginn wächst die gesamtwirtschaftliche Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland sogar wesentlich schneller als die baugewerbliche. Dabei dürfte es sich jedoch um eine vorübergehende Erscheinung han-

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deln, die weitgehend mit der vergleichsweise hohen Winterarbeitslosigkeit im Baugewerbe zu Beginn des Jahres 1997 erklärt werden kann. Es wäre daher verfehlt, diese vorübergehende Entwicklung als eine Tendenzumkehr zu interpretieren. Mittelfristig ist damit zu rechnen, daß die Arbeitslosigkeit im Baugewerbe wieder stärker als die gesamtwirtschaftliche zunehmen wird.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie sieht auf die ostdeutsche Bauwirtschaft einen Zwang zu weiteren merklichen Kapazitätsschnitten zukommen. Der Verband schätzt, daß 1998 weitere 40.000 Arbeitsplätze verloren gehen werden. Der seit 1996 anhaltende drastische Arbeitsplatzabbau sei vor allem auf die in der ersten Hälfte der 90er Jahre aufgebauten Produktionskapazitäten zurückzuführen, die nunmehr aufgrund der erheblich gesunkenen Nachfrage reduziert werden müßten. Die ebenfalls vorhandenen Produktivitätsreserven verdeutlicht der Verband mit dem Hinweis, daß in Ostdeutschland 17, in Westdeutschland aber nur 9 Mitarbeiter auf einen Auftragsbestand von 1 Million DM kommen. Zusätzlich trage der anhaltende Wettbewerbsdruck ausländischer Niedriglohnunternehmen zu dem Anpassungszwang bei. [Fn. 41: Pressemitteilung vom 8.7.1997 und vom 1.12.1997.]

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b) Arbeitsmarktlage in Westdeutschland

Auch die Beschäftigungssituation in der Bauwirtschaft der alten Länder bleibt weiterhin unbefriedigend. 1996 war die Beschäftigung im westdeutschen Bauhauptgewerbe noch stärker als in Ostdeutschland zurückgegangen. Anders als in den neuen Ländern hat sich der Beschäftigungsabbau hier 1997 jedoch etwas verlangsamt (Rückgang um 7 vH).

Die Zahl der Arbeitslosen mit bauhauptgewerblichen Berufen war im November 1997 mit 134.900 um etwa 3 vH höher als ein Jahr zuvor. Die Arbeitslosenquote für das westdeutsche Baugewerbe lag im November 1997 bei etwa 14 vH und damit um fast 5 Prozentpunkte über dem Wert für die Gesamtwirtschaft.

Zwar weist die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen bis zum Jahresende 1997 noch keine Rückgänge gegenüber dem Vorjahresstand auf. Gegenüber dem noch von erschreckend hohen Zuwachsraten geprägten ersten Halbjahr 1997 kann aber seit August letzten Jahres wenigstens eine Abbremsung des Verschlechterungsprozesses registriert werden.

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Im Durchschnitt der Monate Januar und Februar 1998 waren in den alten Bundesländern 212.000 Bauarbeitnehmer arbeitslos. Im Vergleich zum Stand vom Jahresende ist die Arbeitslosigkeit damit zwar gewaltig angestiegen. Gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum ergibt sich jedoch ein Rückgang um 14 vH (Ostdeutschland: Zunahme um 6 vH). Es wird sich noch zeigen, inwieweit diese Entwicklung auf das mildere Winterwetter zurückzuführen ist.

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie rechnet damit, daß die Auftragsflaute und die Verdrängungskonkurrenz ausländischer Niedriglohnunternehmen im Jahresdurchschnitt 1998 zum Verlust von weiteren 25.000 Arbeitsplätzen im westdeutschen Bauhauptgewerbe führen werden. Bei dieser Prognose wurde allerdings ein gegenüber anderen Vorhersagen eher ungünstiger Verlauf der westdeutschen Baukonjunktur unterstellt, so daß der tatsächliche Rückgang noch unterhalb der erwarteten 3 vH liegen könnte. In jedem Fall wird die Entwicklung wohl viel günstiger sein als am Bau-Arbeitsmarkt der neuen Länder.

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2. Das klassische deutsche Modell der dezentralen Kompetenz

Rationalisierung und Technisierung der Bauproduktion haben zu einem stetig zunehmenden Anteil der Facharbeiter an der gesamten Beschäftigung in der Bauwirtschaft geführt. Während heute auf eine Hilfskraft im Durchschnitt etwa drei Facharbeiter kommen, war das entsprechende Verhältnis im Jahre 1960 noch ausgeglichen.

Das Forschungsinstitut für Beschäftigung, Arbeit und Qualifikation (BAQ) schätzt, daß die Arbeitslosenquote der Facharbeiter nur etwa halb so hoch liegt wie die der angelernten und ungelernten Bauarbeiter. In vergangenen konjunkturellen Krisen hat sich gezeigt, daß sich die Bauunternehmen stets zuerst von den Hilfskräften getrennt haben. Doch stellt sich die Frage, ob die gegenwärtige Krise (Europäisierung des Arbeitsmarktes) mit den früheren konjunkturellen Krisen in dieser Hinsicht als vergleichbar angesehen werden kann.

Das BAQ-lnstitut sieht die in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern große fachliche Kompetenz auf der Ebene der Bauausführung als einen besonderen Wettbewerbsvorteil an. Dieses Wissen auch über die Prozeßabläufe auf der Baustelle wird von den hochqualifizierten deutschen Bauleitern, Polieren und Facharbeitern verkörpert. Es macht ins Detail gehende Anweisungen und übermäßigen Kontrollaufwand von der Seite der Unternehmensleitung entbehrlich.

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Die Facharbeiter auf den Baustellen sind in der Regel nicht eng spezialisiert, sondern flexibel einsetzbar. Entsprechend werden weniger Poliere und Vorarbeiter zu ihrer Anleitung benötigt. Die scheinbar moderne Forderung nach flachen Hierarchien ist nach Auffassung des Instituts auf deutschen Baustellen schon längst verwirklicht.

Die EU-Kommission hält auch in Zukunft einen stabilen Stamm gut ausgebildeter Arbeitskräfte für unverzichtbar, um den Erfordernissen eines modernisierten Bausektors gerecht werden zu können. [Fn. 42: Mitteilung der EU-Kommission vom 4.11.1997, Abschnitt 4.7.]

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3. Konkurrenz von ausländischen Unternehmen und Arbeitskräften

a) Struktur des ausländischen Arbeitsangebots

Die Struktur des ausländischen Arbeitsangebotes ist nach Herkunftsländern, Qualifikationen und legalem Status heterogen. Grundlegende Bedeutung kommt der Unterscheidung zwischen legaler und illegaler ausländischer Beschäftigung zu. Illegale Ausländer haben keine Arbeitserlaubnis und oft auch keine Aufenthaltsgenehmigung. Sie stammen mehrheitlich aus Osteuropa und werden in der Regel als kostengünstige Hilfskräfte eingesetzt. Trotz fehlender empirischer Belege ist davon auszugehen, daß diese Ausländergruppe nicht in ihrer Gesamtheit als völlig unqualifiziert eingestuft werden darf. Hilfskräfte am Bau haben zum Teil eine langjährige Baustellenerfahrung ('learning by doing'). Die Schätzung der Gesamtzahl der Illegalen ist naturgemäß mit großen Unsicherheiten verbunden. Die IGBau geht davon aus, daß derzeit etwa 200.000 ausländische Bauarbeiter illegal auf deutschen Baustellen beschäftigt sind.

Bei der legalen ausländischen Beschäftigung muß zwischen den von ausländischen Subunternehmern entsandten EU-Ausländern und den im Rahmen der sog. 'Werkvertragskontingente' in Deutschland beschäftigten ausländischen Bauarbeitern aus Osteuropa differenziert werden. Erfahrungen aus einzelnen Bauunternehmen deuten darauf hin, daß sich diese beiden Gruppen schon von ihrem Qualifikationsniveau her erheblich unterscheiden. Nach diesen nicht ohne weiteres verallgemeinerbaren Angaben sind die Osteuropäer i.d.R. hochqualifizierte Facharbeiter, die nach den entsprechenden Staatsverträgen Anspruch auf den 'ortsüblichen Lohn' und mithin in der Regel auf den deutschen Tariflohn haben. Bei entsprechender Bezahlung liegt ihr Wettbewerbsvorteil gegenüber den deutschen Facharbeitern mithin allein in der geringeren Belastung mit Lohnnebenkosten. Die IGBau weist darauf hin, daß den legalen osteuropäischen Arbeitern der ortsübliche Lohn oft genug vorenthalten wird. Diese würden die Ergebnisse der Baustellenkontrollen belegen.

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Abb. 20: Beschäftigte ausländischer Werkvertragsunternehmen auf dem deutschen Baumarkt

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Nach einzelbetrieblichen Erfahrungswerten finden sich unter den EU-Ausländern dagegen weit mehr gering qualifizierte Hilfskräfte als unter den Osteuropäern. Die Zahl der EU-Ausländer ist nicht kontingentiert (europäischer Baumarkt), und sie haben gegenüber den heimischen Arbeitern und den Osteuropäern den Wettbewerbsvorteil, ihre Arbeit zu einem Mindestlohn anbieten zu können.

Die EU-Ausländer werden von 'Subunternehmern' mit Sitz im Ausland an die deutschen Baufirmen vermittelt. Würden die deutschen Unternehmen diese Kräfte unmittelbar anstellen, so hätten sie Anspruch auf den deutschen Tariflohn. Die Subunternehmer sind in aller Regel nicht in der Lage, selbständig in Deutschland Bauprojekte durchzuführen. In den meisten Fällen beschränkt sich ihre Aktivität auf die Anwerbung und Vermittlung von Baukolonnen unterschiedlicher Qualifikation. Direkte Arbeitsverhältnisse bei den eigentlich projektverantwortlichen deutschen Baufirmen werden außerdem durch verschiedene Formen der Scheinselbständigkeit umgangen.

Das Subunternehmertum ist freilich für das Baugewerbe eine altbekannte Erscheinung. Früher handelte es sich jedoch um eine Form der projektbezogenen Kooperation und Arbeitsteilung. Daß nun Subunternehmer am Markt auftreten, deren Beitrag sich im wesentlichen auf die Arbeitsvermittlung beschränkt, ist eine neuartige Erscheinung. Die Kostenstrukturstatistik des Statistischen Bundesamtes für Baubetriebe mit mehr als 20 Beschäftigten gibt Hinweise auf die Verbreitung des Subunternehmertums und seine Verteilung auf die Betriebsgrößenklassen.

In Westdeutschland erreichte der Kostenanteil für Subunternehmerlei-stungen 1995 im Durchschnitt 27 vH. Bei den Unternehmen mit 20 bis unter 50 Beschäftigten entfielen jedoch nur 13 vH der Gesamtkosten auf diesen Kostenblock (gegenüber 8 vH im Jahr 1979). Bei Betrieben mit mehr als 500 Beschäftigten lag der Anteil dagegen mit 40 vH mehr als dreimal so hoch (gegenüber 25 vH im Jahr 1979). Hier fiel in der betrachteten Zeitspanne also auch die in Prozentpunkten gemessene Zunahme wesentlich größer aus.

Für die neuen Bundesländer gilt 1995 im Durchschnitt ein Kostenanteil für Subunternehmerleistungen von 26 vH. Bei Betrieben mit 20 bis unter 50 Beschäftigten lag der Wert mit 16 vH jedoch wesentlich höher als in Westdeutschland. Die Statistik deutet darauf hin, daß die relative Bedeutung der ausländischen Beschäftigung (durch Einbindung von Subunternehmern) deutlich mit der Unternehmensgröße korreliert. Nach Angaben des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie haben inzwischen aber auch viele mittelständische Unternehmen ausländische Kooperationspartner für bestimmte Gewerke gewonnen.

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Im Gegensatz zu den illegalen Arbeitskräften liegen für die legale ausländische Beschäftigung verläßlichere Schätzungen vor. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie gibt an, daß im Jahresdurchschnitt 1997 etwa 181.000 ausländische Arbeitnehmer auf deutschen Baustellen legal beschäftigt waren (davon 16.000 oder 9 vH aus Werkvertragskontingenten und 165.000 oder 91 vH EU-Ausländer). [Fn. 43: Pressemitteilung vom 25.7.1997.Die Schätzmethode des Hauptverbands basiert auf Meldungen der Mitgliedsbetriebe. Das Bauvolumen wird in Bezug zur Produktivitätsentwicklung gesetzt. Der Teil des Bauvolumens, der nicht mit Produktivitätssteigerungen erklärt werden kann, läßt einen Rückschluß auf die ausländische Beschäftigung zu.]

Die Struktur des ausländischen Arbeitsangebots nach Herkunftsländern hat sich seit 1992 völlig umgekehrt. Der Zustrom der EU-Ausländer wurde durch die Vertragsreformen der Europäischen Gemeinschaft/ der Europäischen Union ermöglicht. Seit dem Vertrag von Maastricht genießt jeder EU-Bürger ein zeitlich unbefristetes Aufenthaltsrecht in allen EU-Ländern, und er hat Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis in jedem EU-Land. Zeitlich parallel zur verstärkten Beschäftigung der EU-Ausländer wurden die Kontingente für die osteuropäischen Arbeiter zurückgeführt. Während 1992 die Osteuropäer aus den Kontingenten mit 103.000 gegenüber 13.000 Personen noch bei weitem überwogen, gibt es nun deutlich mehr EU-Ausländer auf den Baustellen. Der Anteil der legal beschäftigten Ausländer an der gesamten gewerblichen Beschäftigung im Baugewerbe steigt immer noch weiter. Er erreicht im Jahresdurchschnitt 1997 einen Wert von etwa 17 vH. Dabei liegt er in Ost- und Westdeutschland fast gleich hoch. [Fn. 44: Wenn man die Zahl der illegal Beschäftigten mit 200.000 annimmt, ergibt sich sogar ein Gesamtanteil der ausländischen Beschäftigung von 30 vH.]

Bis zum Inkrafttreten des Entsendegesetzes konnten die Ausländer aus der EU ihre Arbeitskraft völlig legal weit unterhalb der deutschen Tariflöhne anbieten. Dies hatte selbstverständlich Rückwirkungen auf die Tarifpolitik in Deutschland. Die tariflichen Regelungen wurden zunehmend unterlaufen. Hierdurch geriet die IGBau unter Druck. Sie mußte den Arbeitgebern Zugeständnisse bei den Tarifverhandlungen machen, um so große Teile an heimischer Beschäftigung auf den Baustellen zu sichern.

Es besteht kein Zweifel daran, daß eine Verdrängung heimischer durch ausländische Bauarbeiter stattgefunden hat, wie immer man das politisch bewerten mag. Besonders inländische Hilfskräfte, zum Teil aber auch Facharbeiter sind zu den deutschen Tariflöhnen trotz ihrer unbestrittenen Produktivitätsvorteile mittlerweile nicht mehr wettbewerbsfähig. Aussagen aus der Praxis - etwa von der Firma Garbersbau - sprechen dafür, daß die Produktivitätsvorteile der heimischen Arbeiter bislang in der Regel nicht groß genug sind. Deshalb muß angenommen werden, daß die ausländischen Arbeitnehmer spezifische Lohnstückko-

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stenvorteile haben. In der Firma Garbersbau weisen die eingesetzten polnischen Facharbeiter deutlich geringere Lohnstückkosten als die deutschen Arbeiter mit vergleichbaren Qualifikationen auf. Mit der Beschäftigung von Polen seien keine Abstriche bei der Qualität und bei der Produktivität verbunden. Die polnischen Subunternehmer können die Facharbeiterstunde jedoch um 20 DM billiger als die Firma Garbersbau selbst anbieten. Diese Realitäten des Marktes zu verkennen wäre für die Bauunternehmer wie auch für die Wirtschaftspolitik gefährlich. Ab einer bestimmten Objektgröße sind die deutschen Anbieter der ausländischen Billigkonkurrenz ausgesetzt. Gegenüber solchen Wettbewerbern können sie zumindest bei Standardhochbauleistungen nicht bestehen, wenn sie nicht ihrerseits ausländische Kräfte einsetzen, um ihre Angebote entsprechend günstiger zu gestalten.

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b) Anwerbestopp und Werkvertragskontingente

Den geschätzten 200.000 Illegalen stehen 272.000 arbeitslose heimische Bauarbeiter gegenüber, die überwiegend die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Rein rechnerisch wäre es mithin möglich, die Arbeitslosigkeit unter den inländischen Bauarbeitern entscheidend zu reduzieren, wenn es nur gelänge, die illegale Beschäftigung vollständig abzubauen.

Auf den deutschen Baustellen durften bislang neben Staatsangehörigen der Europäischen Union sowie des Europäischen Wirtschaftsraums weitere Ausländer nur im Rahmen von sog. Werkvertragskontingenten arbeiten, die mit einigen osteuropäischen Regierungen abgeschlossen worden sind. Sonstige Ausländer erhielten für den Baubereich grundsätzlich keine Arbeitserlaubnis. Nach Angaben des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie waren im Jahresdurchschnitt 1997 im Rahmen der Kontingente ausländische Unternehmen mit etwa 16.000 Mitarbeitern auf dem deutschen Baumarkt tätig. Die Kontingente werden von Schwerpunktarbeitsämtern (bspw. Arbeitsamt Dresden für Polen) im Windhundverfahren bis zu ihrer Ausschöpfung an die Unternehmen vergeben. Ein Ziel der Abkommen war es, den Firmen westliches Know-how zu vermitteln und damit einen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau der Länder Mittel- und Osteuropas zu leisten.

Die IGBau sieht die während der einigungsbedingten Sonderkonjunktur in der Bauwirtschaft gewährten Werkvertragskontingente als eine Durchlöcherung des Anwerbestopps an. Die Gewerkschaft setzt sich daher seit langem für eine Verringerung der Kontingente ein.

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Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) will die Kontingente nach Ablauf einer Übergangsfrist endgültig auslaufen lassen. Nach seiner Auffassung verstoßen die Werkvertragskontingente gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Die EU-Kommission hatte der Bundesregierung bereits Anfang April 1996 ihre Rechtsauffassung mitgeteilt. Die Kommission sieht in den Werkverträgen vor allem einen Verstoß gegen das Verbot der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Artikel 59 EGV. Die bilateralen Werkvertragsabkommen ließen sich nicht auf Unternehmen anwenden, die in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ansässig seien. Diese Unternehmen können mithin keine Kontingente beantragen.

Die Werkvertragskontingente sind mit Wirkung vom 1.10.1997 um ein Jahr verlängert worden, allerdings nur mit 50 vH der Quote dieses Jahres. Lediglich Polen wurde ein höherer Anteil zugestanden. Die Kontingente können von deutscher Seite bis zum 30. Juni 1998 zum 30. September gekündigt werden. Ob die Regierung von ihrem Kündigungsrecht Gebrauch machen wird, läßt sich derzeit noch nicht absehen. Auch der Bauminister hatte im Sommer 1997 gefordert, die Kontingente möglichst kurzfristig auslaufen zu lassen. Neben der kritischen Lage am Bauarbeitsmarkt hatte der Minister als weitere Begründung angeführt, daß sich im Windschatten der Kontingente illegale Beschäftigung und Scheinselbständigkeit ausbreiten würden. [Fn. 45: F.A.Z. vom 7.8.1997]

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie hat die Bundesregierung vor einem überhasteten Ausstieg aus den Werkvertragskontingenten gewarnt. Die Unternehmen hätten einen Anspruch auf Vertrauensschutz und zuverlässige Rahmenbedingungen. Unternehmen, die rechtlich bindende Angebote unter Einschluß von Nachunternehmerleistungen aus Osteuropa abgegeben hätten, müßten die Arbeiten auch mit diesen Partnern zu Ende führen können. Andernfalls würden Verluste aus den betroffenen Aufträgen drohen. Die Position des Verbandes läuft auf eine verbindliche und möglichst frühzeitige Information über eine bevorstehende Kündigung der Werkvertragskontingente hinaus.

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c) Das Entsendegesetz

Problemaufriß

Die im EU-Ausland (Südeuropa, Großbritannien) ansässigen Subunternehmer waren vor Inkrafttreten des Entsendegesetzes nicht an die deutschen Tarifverträge und sonstigen Schutzbestimmungen gebunden. Zwar darf nicht vernachlässigt werden, daß die entsendenden Unter-

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nehmen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge im Entsendestaat entrichten. Die entsprechenden Belastungen liegen aber in den Entsendestaaten in aller Regel deutlich niedriger. Die Arbeiter werden von den Subunternehmern zu den im Entsendestaat geltenden Bedingungen angeworben. Das bedeutet neben niedrigeren Löhnen auch längere Arbeitszeiten, weniger Urlaub und eine schlechtere Absicherung gegen allgemeine Lebensrisiken.

Dies sind zusätzliche Wettbewerbsvorteile der ausländischen Arbeiter, die zwar sozialpolitisch bedenklich sind, im betriebswirtschaftlichen Kalkül aber durchschlagen. Die IGBau und das BAQ-lnstitut haben außerdem darauf aufmerksam gemacht, daß die ausländischen Subunternehmen in vielen Fällen weder im Entsendeland noch in Deutschland Steuern und Sozialversicherungsbeiträge entrichten. Oft würden von den Subunternehmern Löhne gezahlt, die unterhalb der steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Bemessungsgrenzen des Entsendelandes liegen. Die Differenz würde dann als steuerfreie Auslösung deklariert.

Abb. 21: Bruttostundenverdienste im Ausland im Baugewerbe in DM

Quelle: Hauptverband der Deutschen Bauindustrie

Die deutschen Bauunternehmen wie auch die IGBau sehen einen solchen Wettbewerb unter ungleichen Bedingungen als unfair an und haben mit der Europäischen Entsenderichtlinie und dem Entsendegesetz politische Erfolge erzielt.

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Inhalt und Vorgeschichte des Entsendegesetzes

Zunächst war versucht worden, auf der EU-Ebene eine verbindliche Regelung für Mindestlöhne und Mindeststandards bei den Arbeitsbedingungen einzuführen. Das Vorhaben scheiterte aber vor allem am Widerstand Großbritanniens und Portugals. Diese beiden Länder stellen einen großen Teil der Billigarbeiter auf den deutschen Baustellen. Mehrere europäische Staaten wie Belgien, Griechenland, Irland, Luxemburg, Niederlande, Portugal und Spanien haben zur Lösung des Problems gesetzliche Mindestlöhne für im Inland angestellte Arbeitnehmer vorgeschrieben.

Die europäische Entsenderichtlinie verpflichtet die Unternehmen aus dem jeweiligen Entsendestaat, einen ‘harten Kern' von Schutzvorschriften für Arbeitnehmer zu beachten. Die Richtlinie sieht vor, daß bei der Entsendung von Arbeitnehmern, die im Rahmen der Erbringung einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat der europäischen Union erfolgt, die Bestimmungen des Aufnahmestaates hinsichtlich Mindesturlaub, Mindestentgelt, Arbeitszeit, Ruhezeiten und Ruhepausen anzuwenden sind. Für diese Richtlinie haben sich vor allem die nordeuropäischen Länder eingesetzt.

Das deutsche Entsendegesetz gilt seit Anfang März 1996 befristet bis Ende August 1999. Danach sollen die EU-Arbeitnehmer mindestens den für allgemein verbindlich erklärten Mindestlohn erhalten. Außerdem haben sie Anspruch auf Urlaubsgeld.

Alle Arbeitgeber mit Sitz im Ausland sind verpflichtet, sich vor Aufnahme der Bautätigkeit beim zuständigen Landesarbeitsamt anzumelden. Die Kontrolle liegt bei den Arbeits- und Zollämtern. Bei Verstößen drohen Geldbußen bis zu 100.000 DM und der Ausschluß von öffentlichen Aufträgen.

Die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages kann nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes vom BMA im Einvernehmen mit dem Tarifausschuß erklärt werden, dem Vertreter der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer angehören. Die Bauarbeitgeber sind in diesem Zusammenhang also auf die Zustimmung der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände angewiesen. Nach erfolgter Allgemeinverbindlichkeitserklärung erfassen die Rechtsnormen eines Tarifvertrages in seinem Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. [Fn. 46: Zum 31. Dezember 1995 waren rund 43.600 Tarifverträge im Tarifregister des Arbeitsministeriums eingetragen. Davon waren 552 allgemeinverbindlich. Nur 105 davon bezogen sich auf Löhne und Gehälter, die übrigen unter anderem auf Manteltarifverträge, Arbeitszeit und Urlaubsregelungen, Sonderzahlungen und ähnliches.]

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Im Baugewerbe waren ursprünglich 18,60 DM pro Stunde als Mindestlohn im Westen und 17,10 DM im Osten vereinbart worden. Diese Sätze lagen um 5,34 DM (Westen) und 5,97 DM (Osten) unter den tariflichen Durchschnittslöhnen. Zur Anwendung dieser Stundensätze aus dem Jahr 1996 ist es aber nie gekommen.

Der Mindestlohn-Tarifvertrag im Baugewerbe

Am 15.7.1997 haben sich die Tarifparteien auf die Höhe eines neuen Mindestlohnes und auf die Laufzeit eines neuen Mindestlohn-Tarifvertrages geeinigt. Die Verhandlungen waren notwendig geworden, weil der ab Jahresanfang 1997 geltende Mindestlohn-Tarifvertrag und dessen Allgemeinverbindlichkeit bis Ende August 1997 befristet waren.

Der Mindestlohn beträgt seit 1. September 1997 in den alten Bundesländern 16,00 DM pro Stunde (bisher 17,00 DM) und in den neuen Bundesländern 15,14 DM (bisher 15,64 DM). Die Laufzeit des neuen Mindestlohn-Tarifvertrages erstreckt sich auf die gesamte Restlaufzeit des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, d.h. bis Ende August 1999. [Fn. 47: Gemeinsame Presseerklärung des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie und der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt vom 15.7.1997. ]

Die Einigung der Tarifvertragsparteien hat der Vizepräsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie als wichtigen Beitrag zur Wiederherstellung fairer Wettbewerbsverhältnisse und zur Stabilisierung der Arbeitsmarktsituation im deutschen Bauhauptgewerbe bezeichnet. Der neue Mindestlohntarifvertrag sichere bis zum Ende der Laufzeit des Entsendegesetzes klare Rahmenbedingungen, ohne die der Strukturanpassungsprozeß an die veränderten Verhältnisse des europäischen Binnenmarktes nicht erfolgreich abgeschlossen werden könne. [Fn. 48: Pressemitteilung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie vom 16.7.1997.]

Arbeitsmarktpolitische Bewertung des Entsendegesetzes

Der Bundesvorsitzende der IGBau hat das Entsendegesetz ausdrücklich als 'Defensivstrategie' bezeichnet. Mit dem Gesetz stemmt man sich gegen die Anreize zur Arbeitskräftewanderung, die sich aus dem großen Lohngefälle innerhalb der EU ergeben. Nicht zu vernachlässigen ist der Kontrollaufwand, der erforderlich ist, um dem Gesetz Geltung zu verschaffen (Abschnitt IV.2). Die IGBau bezweifelt, daß die administrative Abschottung des Arbeitsmarktes überhaupt gelingen kann. Da die Billiglohnkonkurrenz aber als ein legales Faktum anzusehen ist, erscheint es notwendig, daß Unternehmer, Arbeitnehmervertreter und Politiker hieraus entsprechende wirtschaftspolitische, tarifpolitische und unternehmensstrategische Folgerungen ziehen.

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Es kann nicht als sicher angesehen werden, daß das Entsendegesetz tatsächlich die Aussichten der arbeitslosen inländischen Bauarbeiter auf eine neue Stelle verbessert bzw. die Stellen der noch beschäftigten Arbeiter sichert. Der Abstand der Mindestlöhne zu den durchschnittlichen Tariflöhnen ist immer noch erheblich, und überdies werden auf die Leistungen der entsandten EU-Ausländer geringere Sozialabgaben erhoben. Ökonomisch betrachtet bilden Tariflohn und Mindestlohn einen 'gespaltenen Mindestlohn'. Soweit Qualifikation und Produktivität der ausländischen Kräfte vergleichbar sind, treten sie nach wie vor mit einem nicht unbeachtlichen Wettbewerbsvorteil an.

Der Hinweis, daß es die Wettbewerbsposition der arbeitslosen heimischen Bauarbeiter verbessern würde, wenn sie ihre Arbeitskraft ebenfalls zum Mindestlohn anbieten könnten, führt tarifpolitisch nicht weiter. Angesichts der im europäischen Vergleich hohen Lebenshaltungskosten in Deutschland würde ein Arbeitsangebot zum Mindestlohn die inländischen Bauarbeiter in Existenznot bringen. Auf der anderen Seite laufen die heimischen Arbeiter bei dem bestehenden tariflichen Gefälle Gefahr, durch das ausländische Arbeitsangebot verdrängt zu werden. Der Konflikt zwischen den Zielen der Beschäftigungssicherung und der Aufrechterhaltung des Lohnniveaus und damit des erreichten Lebensstandards der heimischen Arbeiter könnte schärfer nicht sein.

Trotz fehlender empirischer Belege ist davon auszugehen, daß durch den Mindestlohn für die ausländischen Arbeitskräfte das Arbeitsangebot in diesem Marktsegment gegenüber der Situation zunehmen wird, die auf diesem Teilmarkt vorher bei einem niedrigen Lohnniveau bestand. Ein Teil des ausländischen Arbeitsangebots wird aber nicht zum Zuge kommen. Einige heimische Bauarbeiter könnten von den durch die Lohnerhöhung für die ausländischen Arbeitnehmer ausgelösten Substitutionseffeken profitieren. Angesichts der Konjunkturlage in der Branche wird sich dies jedoch lediglich in einer Verlangsamung des Abbaus der heimischen Beschäftigung äußern. Die Verringerung des Lohnabstandes bietet heimischen Arbeitskräften aber grundsätzlich die Chance, durch entsprechende Produktivitätsvorteile und niedrigere Lohnstückkosten wieder wettbewerbsfähig zu werden.

Von dem innereuropäischen Lohngefälle gehen mithin auch Anreize zur illegalen Unterbietung des Mindestlohnes aus. Der Staat muß mit Kontrollen und Sanktionen dem Mindestlohn Geltung verschaffen. Dies verursacht nicht nur direkte Zusatzkosten. Die von der Presse verbreiteten 'Frontberichte' von den Razzien auf den Baustellen machen den weiterhin notwendigen Handlungsbedarf transparent. Zweifellos bringen die bei den Kontrollen festgestellten Ordnungswidrigkeiten und Straftatbestände die gesamte Baubranche in Verruf.

Der Vertreter des BMBau hat klargestellt, daß das Entsendegesetz keine Dauerlösung bietet. Es sei lediglich als eine vorübergehende Maß-

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nahme zur Erleichterung der Anpassung an die neuen Wettbewerbsverhältnisse anzusehen. Das Gesetz stelle eher eine pragmatische Notlösung dar. Alle Beteiligten wurden aufgefordert, die wenigen auf diese Weise gewonnenen Jahre so gut wie möglich zu nutzen. Die SPD-Bundestagsfraktion will das Arbeitnehmer-Entsendegesetz dagegen über den 1. September 1999 hinaus verlängern. Eine Entfristung des Gesetzes hat auch der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie gefordert. [Fn. 49: Parlamentarierbrief zur Bundestagswahl 1998.]

Die Bedeutung der Sozialstandards als wettbewerbsverzerrender Faktor dürfte sich auf längere Sicht verringern, weil sich diese Standards in den europäischen Ländern im Rahmen der Harmonisierung der gesetzlichen Sozialabgaben tendenziell annähern werden. [Fn. 50: Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion, BT- Drucksache 13/7741 vom 21.05.1997.] Die EU-Kommission hat das Baugewerbe aufgefordert, sich für eine bessere Bezahlung und bessere Beschäftigungsbedingungen in Niedriglohnländern einzusetzen. Gerade in diesen Ländern sind Ausbildung, Qualifikation und Produktivität zu fördern. Dessen ungeachtet soll auch die Flexibilität und Mobilität der Arbeitskräfte erhalten werden. Die Kommission empfiehlt, die Lohnzusatzkosten niedrig zu halten, um die Dauerbeschäftigung im Baugewerbe zu fördern. [Fn. 51: Mitteilung der EU-Kommission vom 4.11.1997, Abschnitt 4.7.]

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4. Verstärkter Einsatz von ausländischen Hilfskräften auf der Baustelle

Das BAQ-lnstitut weist darauf hin, daß es sich bei den meisten im Rahmen von Subunternehmerverträgen, Werkvertragskontingenten, als Scheinselbständige oder illegal in Deutschland beschäftigten ausländischen Arbeitnehmern kaum um Arbeitskräfte handeln dürfte, die eine der deutschen Facharbeiterausbildung vergleichbare dreijährige Ausbildung durchlaufen haben. [Fn. 52: Das BAQ-lnstitut stellt außerdem fest, daß alle Aussagen über die Qualifikation der temporären ausländischen Arbeitnehmer aus der Luft gegriffen sein müssen, weil es keine empirischen Kenntnisse über deren Qualifikationsstand gibt.] Der verstärkte Einsatz solcher Kräfte habe erhebliche Auswirkungen auf die Produktionsabläufe auf der Baustelle. Nach den Beobachtungen des Instituts werden derzeit offenbar in starkem Maße deutsche Facharbeiter durch ausländische Hilfskräfte ersetzt. Wenn dies tatsächlich der Fall ist, stehen die deutschen Facharbeiter unter einem dreifachen Anpassungsdruck. Ihre Arbeitsplätze sind dann nicht nur in Gefahr, weil die Baukonjunktur lahmt und ausländische Facharbeiter mit vergleichbarer Qualifikation ihre Arbeitskraft billi-

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ger anbieten können, sondern auch, weil neuerdings Hilfsarbeiter Aufgaben von Facharbeitern übernehmen.

Nach den Erfahrungen der Firma Garbersbau sind ständige Produktivitätssteigerungen notwendig, um noch in nennenswertem Umfang eigenes Personal einsetzen zu können. Für anspruchsvolle Arbeiten werden qualifizierte eigene Beschäftigte nach wie vor benötigt (bspw. für schwierige Schalungen). In bestimmten Bereichen können die Facharbeiter aber ohne Qualitätseinbußen durch von Subunternehmern bereitgestellte ausländische Hilfskräfte ersetzt werden.

Das neue Modell mit dem verstärkten Einsatz von Hilfskräften hat zwangsläufig einen Rückgang der Investitionen in die Ausbildung von Facharbeitern zur Folge. Es verbleibt nur noch eine schmale Basis für die Rekrutierung von Führungsnachwuchs. Auf der anderen Seite wird bei dem neuen Modell verstärkt auf Poliere und Vorarbeiter zurückgegriffen. Das BAQ-lnstitut spricht daher von einer regelrechten 'Qualifikationsfalle'.

Das neue Modell findet besonders im Tiefbau, im industrialisierten Betonbau und bei einfachen Massenarbeiten des Rohbaus Anwendung. Betroffen sind in diesen Bereichen etwa 20 bis 30 vH der Arbeitsplätze in der Bauproduktion. Wenn sich das neue Modell durchsetzt, wären mithin etwa 150.000 bis 220.000 Facharbeiterstellen gefährdet. In der Folge würde der Verlust von bis zu 10.000 Ausbildungsplätzen in der Bauwirtschaft drohen.

Das BAQ-lnstitut hält für die Zukunft eine Differenzierung der Branche in einen 'qualifizierten Kern' (qualifizierte Generalübernehmer, die nur noch die zentralen und steuernden Bauaufgaben mit eigenen Beschäftigten durchführen) und eine 'Billiglohn-Peripherie' (auf einfache Massenarbeiten spezialisierte Subunternehmer) zwar nicht für wünschenswert, aber doch für möglich. Man müsse sich gedanklich darauf einstellen, daß der einfache Teil der Bauleistungen möglicherweise im deutschen Wirtschafts- und Sozialsystem zukünftig nicht mehr wettbewerbsfähig angeboten werden kann. Die Vorstellung, daß die Gesellschaft oder einzelne Bauherren bereit wären, für vergleichbare Bauleistungen dauerhaft einen wesentlich höheren, 'angemessenen' Preis zu zahlen, nur weil heimische Arbeitskräfte eingesetzt werden, gehört doch wohl ins Reich der Utopie. Sie widerspricht jedenfalls den praktischen Erfahrungen der Firma Garbersbau. Hiernach sind die Kunden allenfalls bereit, geringe Aufschläge zu zahlen, wenn eine Firma ausschließlich deutsche Arbeitskräfte einsetzt.

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Die IGBau hat zugestanden, daß die Arbeitsteilung zwischen General- und Subunternehmern gesamtwirtschaftlich günstige Wirkungen haben könne, indem sie Potentiale zur Produktivitätssteigerung und zur Kostenreduzierung offenlegt. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie verwies darauf, daß die neuen Formen der Arbeitsteilung für niedrigere Baupreise sorgen würden.

Das Institut für Beschäftigung, Arbeit und Qualifikation bemängelt an dem neuen Modell, daß die Generalübernehmer an technischer Kompetenz und die gesamte Bauwirtschaft an Innovationsfähigkeit verlieren. Dies müsse Rückwirkungen auf die Ausbildung haben. Neben dem Verlust an Ausbildungsstellen würde die Ausbildung in der Bauwirtschaft qualitativ verschlechtert und an Attraktivität für junge Menschen verlieren.

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5. Die Rolle der Tarifpolitik

a) Lohnpolitik in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit am Bau

Grundsätzliche Überlegungen

Nach dem Urteil des Bundesvorsitzenden der IGBau liegen die Gründe für die hohe Arbeitslosigkeit im Baugewerbe in erster Linie in der rückläufigen Baukonjunktur und dem nach wie vor hohen Anteil illegaler ausländischer Beschäftigung auf den deutschen Baustellen. Die Kontrollen und Sanktionen im Rahmen des Entsendegesetzes werden für unzureichend gehalten. Neben den ausländischen Arbeitern ohne Arbeitserlaubnis würden auch jene die Stellen der heimischen Bauarbeiter gefährden, die ihre Arbeitskraft zu einer Bezahlung unterhalb des Mindestlohnes anbieten. Dafür seien freilich in erster Linie die jeweiligen Arbeitgeber verantwortlich zu machen.

Anders als die Gewerkschaft IGBau, die eher auf mittelfristig angelegte sektorspezifische Zukunftsinvestitionsprogramme, Baustellenkontrollen und produktivitätssteigernde Innovationen setzt, sieht der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie die Tarifpolitik als das ausschlaggebende Instrument für eine beschäftigungspolitische Wende an. Die Lohnabschlüsse müßten auch mittelfristig unterhalb des Produktivitätsfortschritts liegen, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Bauwirtschaft im europäischen Kostenvergleich wieder herzustellen. Auch die Lohnnebenkosten müßten deutlich gesenkt werden. Außerdem seien Spreizungen des Tarifgitters sinnvoll und notwendig, damit auch weniger produktive heimische Bewerber wieder Aussicht auf eine Stelle erhielten.

Im Gegensatz zur Gewerkschaft IGBau vertritt der Verband die Auffassung, daß die logistisch-technischen Anpassungen der Bauwirtschaft bereits weitgehend abgeschlossen seien. Es komme nun darauf an,

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das Kostenstrukturgefälle zum Ausland einzuebnen. Politische Reformen müßten für Entlastungen der Unternehmen bei den Steuern und den Lohnnebenkosten sorgen. [Fn. 53: Der Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie auf der Jahresauftaktpressekonferenz am 21.1.1998.]

Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes rechnet damit, daß schon eine vergleichsweise geringfügige Senkung der Tariflöhne für die deutschen Hilfsarbeiter wegen ihrer Produktivitätsvorteile gegenüber den ausländischen Hilfskräften zu wesentlich mehr heimischer Beschäftigung führen würde. Der Zentralverband äußert sich außerdem skeptisch gegenüber der von der Gewerkschaft geforderten Innovationsoffensive. Innovationen würden stets mit Produktivitätssteigerungen einhergehen. Solange jeder Produktivitätsfortschritt entsprechend höhere Lohnforderungen auf Seiten der Gewerkschaften auslöst, sei für die Beschäftigung am Bau nichts gewonnen. Der Verband hat sich der Forderung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie angeschlossen, die Lohnabschlüsse mittelfristig unterhalb des Produktivitätsfortschritts zu halten, um arbeitslosen Bauarbeitern Beschäftigungschancen zu eröffnen und die Ertragslage der Unternehmen zu verbessern.

Der Referent des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes merkt außerdem kritisch an, daß in der Lohnpolitik bis zuletzt Produktivitätssteigerungen verteilt worden seien, die zu einem großen Teil bereits auf vorausgegangene Freisetzungen von Arbeitskräften zurückzuführen waren. Entlassungen gingen stets mit Produktivitätssteigerungen der verbleibenden Belegschaft einher, weil die ökonomische Ratio es dem Unternehmer gebiete, bei gleicher Lohnhöhe zuerst die Kräfte mit der geringsten Stundenproduktivität zu entlassen.

Löhne und Gehälter je Beschäftigtenstunde haben in Westdeutschland noch 1996 stärker zugenommen als die Produktivität, so daß die Lohnstückkosten im zweiten Krisenjahr nochmals leicht gestiegen sind. Auf der anderen Seite sind die Baupreise zurückgegangen. Daraus kann man den Schluß ziehen, daß sich die Gewinnsituation der Bauunternehmen 1996 verschlechtert haben muß. Nach den Berechnungen des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes sind die Lohnstückkosten im westdeutschen Bauhauptgewerbe 1997 um fast 3 vH gesunken. Dieses Ergebnis setzt sich zusammen aus einem Produktivitätszuwachs von 1 vH und aus einem Rückgang der Stundenlöhne um 2 vH. [Fn. 54: Analyse+Prognose: Bauwirtschaftlicher Bericht des ZDB 1997/98, S. 104 f.]

Die IGBau lehnt die Forderungen von der Arbeitgeberseite nicht völlig ab. Sie will jedoch bei mittelfristigen lohnpolitischen Absprachen keine Vorleistungen erbringen, sondern verlangt als Gegenleistung Garantien zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Die lohnpolitische Kompromißbereit-

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schaft der IGBau hat jedoch ihre Grenzen. Die Bauwirtschaft könne sich nicht vollständig von der allgemeinen Lohnentwicklung abkoppeln. Die Bauarbeiter müßten für ihre Lebenshaltung die Preise eines Hochlohnlandes zahlen. Die Gewerkschaft ist im Grundsatz bereit, zum Abbau der Arbeitslosigkeit nur einen Teil des Produktivitätsfortschritts für tarifpolitische Forderungen in Anspruch zu nehmen und zwar vorrangig für Maßnahmen der Arbeitszeitverkürzung im weiteren Sinne (kürzere Lebens-, Jahres- oder Wochenarbeitszeiten).

Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie spricht sich gegen die Umverteilung von Arbeit durch Arbeitszeitverkürzung aus. Der Verband befürchtet eine weitere Erhöhung der Arbeitskosten. [Fn. 55: Parlamentarierbrief zur Bundestagswahl 1998.] Auch unter der Voraussetzung konstanter Stundenlohnsätze sind von einer Arbeitszeitverkürzung jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen Beschäftigungsgewinne zu erwarten. Die Arbeitszeitverkürzung muß den Präferenzen der Arbeitnehmer gerecht werden und die Arbeitsplatzbesitzer müßten zu einem freiwilligen Einkommensverzicht bereit sein. In der Bauwirtschaft könnte bei erzwungenen Arbeitszeitverkürzungen eine verstärkte Flucht in die Schwarzarbeit die Folge sein. Schließlich sind die sonstigen mit einer Arbeitszeitverkürzung einhergehenden Kosten zu berücksichtigen (bspw. Einarbeitungskosten). [Fn. 56: Siehe dazu Franz, Wolfgang: Wettbewerbsfähige Beschäftigung schaffen statt Arbeitslosigkeit umverteilen. Gütersloh 1997.]

Einstiegstarife

Der Schiedsspruch in der Tarifschlichtung für das Bauhauptgewerbe vom 8.5.1997 enthält auch einen Beschluß, von dem sich die Beteiligten eine beschäftigungsfördernde Wirkung zugunsten langzeitarbeitsloser heimischer Bauarbeiter erwarten. Zur Eingliederung von ungelernten Bauarbeitern, die mindestens neun Monate ununterbrochen arbeitslos waren, und von ungelernten Kräften ohne Bauerfahrung sind neue Einstiegslohngruppen geschaffen worden.

Der Tariflohn in der untersten Bau-Tariflohngruppe (Vll/1) liegt bei 20,62 DM. Der allgemeinverbindliche Mindestlohn für Westdeutschland nach dem Entsendegesetz beträgt 17 DM. Damit war die Differenz zwischen dem Mindestlohn für entsandte Bauarbeiter aus EU-Ländern und der untersten Tariflohngruppe so groß, daß die heimischen Bauunternehmen der Beschäftigung von entsandten Bauarbeitern den Vorzug vor der Einstellung heimischer Arbeitnehmer gaben.

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Der Schiedsspruch sah daher die Einführung einer neuen unteren Tariflohngruppe VI 1/2 mit einem Lohn von 19 DM vor. Die neue Lohngruppe soll die Vermittlungschancen langzeitarbeitsloser ungelernter Bauarbeiter (mindestens 9 Monate Arbeitslosigkeit) verbessern. Nach zwölf Monaten steigen diese wieder in den Arbeitsmarkt eingegliederten Beschäftigten dann in die Gruppe VI (21,37 DM) auf.

Der Mindestlohn für entsandte Arbeitnehmer findet seine Entsprechung im Tariflohnschema in der Lohngruppe VIII (17,00DM). Nach dieser Lohngruppe bemißt sich nun der Einstiegslohn für ungelernte Arbeiter ohne Bauerfahrung. [Fn. 57: Nach sechs Monaten steigen solche Arbeitskräfte dann in die Lohngruppe Vll/2 auf, nach weiteren 12 Monaten in die Gruppe Vll/1 und sechs Monate später in die Gruppe VI mit 21,37 DM Stundenlohn.]

Das Schlichtungsergebnis sah außerdem einen 'Beschäftigungssicherungsschutz' vor: Bei der Einstellung eines langzeitarbeitslosen Bauarbeiters zum Tariflohn der neuen Einstiegslohngruppe darf kein gleichwertiger Beschäftigter entlassen werden.

Mit den neuen Einstiegslohngruppen konnte die Wettbewerbsfähigkeit der ungelernten heimischen Arbeitskräfte verbessert werden. Der Vizepräsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie geht davon aus, daß die neuen Einstiegstarife die Chancen von langzeitarbeitslosen Bauarbeitern auf dem Bau-Arbeitsmarkt spürbar verbessern werden. Nur die strukturelle Verbesserung des Tarifgitters habe die Arbeitgeber in die Lage versetzt, einer Erhöhung der Tarifstundenlöhne und Gehälter sowie der Ausbildungsvergütungen für Angestelltenberufe mit Wirkung vom 1.4.1997 um 1,3 vH zuzustimmen. [Fn. 58: Pressemitteilung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie vom 9.5.1997.]

Senkung der Lohnnebenkosten

Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

Nur in der Bauwirtschaft konnte die gesetzlich vorgesehene Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von den Arbeitgebern durchgesetzt werden. Nach dem Tarifkompromiß vom 16.5.1997 werden den Arbeitnehmern in den ersten drei Krankheitstagen nur noch 80 vH ihres Lohnes bezahlt. Auf diese Tage entfallen nach Angaben der Krankenkassen 25 vH aller Krankheitstage im Baugewerbe. Ab dem vierten Krankheitstag beträgt die Entgeltfortzahlung wieder 100 Prozent. [Fn. 59: Rede des Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes anläßlich der Sommer - Pressekonferenz des ZDB am 25. Juni 1997 sowie Pressemitteilung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie vom 16.5.1997.]

[Seite der Druckausgabe: 68]

Die Zustimmung ist der IGBau angesichts der abweichenden tariflichen Regelungen in anderen Wirtschaftszweigen sehr schwer gefallen. Der Gewerkschaft ist es aber gelungen, gegenüber dem Schlichtungsspruch vom 7.5.1997, der eine volle Entgeltfortzahlung erst ab der vierten Woche vorsah, eine Nachbesserung zu erreichen. Die daraus entstehende Kostenbelastung der Unternehmen wurde über eine Reduzierung des Urlaubsgeldanspruchs kompensiert.

Die Beteiligung der Arbeitnehmer am Krankheitsrisiko hat inzwischen statistische Wirkung gezeigt. Die westdeutsche Bauindustrie meldet den niedrigsten Krankenstand seit Begründung der entsprechenden Statistik im Jahre 1970. Die Krankenstandsquote - also die Summe der Fehlzeiten der gewerblichen Arbeitnehmer mit Lohnfortzahlungsanspruch in Prozent der geleisteten Arbeitszeit - ist im zweiten Quartal 1997 auf durchschnittlich 4,6 vH zurückgegangen. Zu Beginn der 90er Jahre hat die Krankenstandsquote noch bei fast 7 vH gelegen.

Dementsprechend führt der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie den Rückgang der Krankenstandsquote in erster Linie auf die Neuregelung der Lohnfortzahlung zurück. Die Lohnkürzung in den ersten drei Krankheitstagen habe insgesamt zu einem verantwortlicheren Umgang der Arbeitnehmer mit Krankmeldungen geführt. Darüber hinaus trug aber wohl auch die zunehmende Arbeitsplatzunsicherheit im Zusammenhang mit dem Konjunkturabschwung und den ungelösten Strukturanpassungsproblemen der Bauwirtschaft zum Rückgang der Krankenstandsquote bei. [Fn. 60: Pressemitteilung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie vom 11.9.1997]

Sonstige Leistungen

Nach dem Schlichterspruch von Mai 1997 erhalten die gewerblichen Arbeitnehmer ein 13. Monatseinkommen in Höhe des 130fachen ihres am 1. April 1997 geltenden Gesamttarifstundenlohns. Dies entspricht etwa 77 vH der bisherigen Regelung. [Fn. 61: Pressemitteilung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie vom 9.5.1997.]

Gleichzeitig ist die vom Gesetzgeber geschaffene Möglichkeit genutzt worden, das 13. Monatseinkommen für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit zu kürzen. Dies betrifft sowohl die ersten drei Krankheitstage als auch die Krankheitstage von der vierten bis zur sechsten Krankheitswoche. Pro Ausfalltag werden künftig zwei Gesamttarifstundenlöhne abgezogen. Gleiches gilt auch für unentschuldigte Fehltage. [Fn. 62: Pressemitteilung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie vom 16.5.1997.]

Insgesamt darf das 13. Monatseinkommen aber maximal nur um 28 Gesamttarifstundenlöhne wegen Krankheit oder unentschuldigter Fehl-

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tage reduziert werden. Das 13. Monatseinkommen macht danach also auch im Krankheitsfall mindestens 102 Gesamttarifstundenlöhne aus.

Darüber hinaus wurde zur Kompensation der tariflichen Absicherung der Lohnfortzahlung ab dem vierten Krankheitstag das Urlaubsgeld um 5 Prozentpunkte gekürzt.

Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes schätzt, daß es den Tarifpartnern mit der Kürzung des 13. Monatseinkommens und des zusätzlichen Urlaubsgeldes sowie mit der Einführung einer Jahresarbeitszeit mit Arbeitszeitkonten gelungen sei, die Lohnzusatzkosten um gut 10 vH zu senken. [Fn. 63: Rede des Präsidenten des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes anläßlich der Sommer - Pressekonferenz des ZDB am 25. Juni 1997.]

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b) Winterarbeitslosigkeit und Schlechtwettergeld

Vor dem Hintergrund von 400.000 arbeitslosen Bauarbeitern im Januar und Februar 1997 wurde seinerzeit die Wiedereinführung des Schlechtwettergeldes (SWG) nach dem AFG gefordert. Das frühere SWG war eine Lohnersatzleistung, die ab der zweiten witterungsbedingten Ausfallstunde in der gesetzlichen Schlechtwetterzeit aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit gezahlt wurde. Das Winterausfallgeld, das an seine Stelle getreten war, erhielten die Betroffenen erst ab der 151. Ausfallstunde. Die Bundesregierung hat die Wiedereinführung des SWG in der alten Form abgelehnt. Die neue Regelung habe zu Einsparungen bei der Bundesanstalt von durchschnittlich jährlich 800 Mio. DM geführt und Anreize zum ganzjährigen Bauen gesetzt. Außerdem sei so die Eigenverantwortung des Wirtschaftszweiges gestärkt worden.

Die Tarifvertragsparteien des Baugewerbes hatten zur sozialen Absicherung der Bauarbeiter in den ersten 150 Ausfallstunden ein Überbrückungsgeld im Tarifvertrag vereinbart. Während die kleineren Bereiche des Baunebengewerbes die tariflichen Regelungen nach Aussagen der Verbandsvertreter akzeptierten, wurden sie im Bauhauptgewerbe offenbar nur unzureichend angewandt. Statt dessen kam es zu Personalfreisetzungen größeren Ausmaßes. Die daraus resultierende Winterbauarbeitslosigkeit blähte die konjunkturell und strukturell bedingt im Winter 1996/97 ohnehin erhöhte Arbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft weiter auf. [Fn. 64: Bericht der Bundesregierung zu Konjunktur und Beschäftigung in der Bauwirtschaft vom 9.4.1997.]

In der sog. 'Gravenbrucher Erklärung’ haben sich die Tarifparteien auf eine zweite Nachfolgeregelung für das vor zwei Jahren abgeschaffte

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SWG geeinigt. Der Bundesregierung trägt die neue Schlechtwettergeld-Regelung mit. Mit dem neuen Kompromiß wird die Last der unbeeinflußbaren Witterungsverhältnisse im Winter auf drei Schultern verteilt. Vorrang hat die Eigenverantwortung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern für bis zu 120 Ausfallstunden. Der Arbeitnehmer füllt durch Vorarbeit in der warmen Jahreszeit sein Arbeitszeitkonto auf. Die Solidarkasse der Bauunternehmen tritt ab der 51. Ausfallstunde ein, wenn der einzelne Arbeitnehmer nicht mehr als 50 Stunden ansparen konnte. Die Bundesanstalt für Arbeit wird erst dann belastet, wenn mehr als 120 Stunden ausfallen.

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c) Tarifkompromiß in Ostdeutschland

Die Tarifverhandlungen wurden für die alten und neuen Bundesländer getrennt geführt, da es sich seit 1997 um zwei Tarifgebiete handelt. In der ostdeutschen Bauwirtschaft blieben die Löhne zunächst unverändert und wurden nicht wie geplant stufenweise auf das in Westdeutschland gültige Niveau angehoben. Darauf haben sich die Tarifparteien am 15.7.1997 in Frankfurt am Main geeinigt. Die Einkommen der ostdeutschen Bauarbeiter bleiben bis Ende März 1998 auf 95 vH des Westniveaus eingefroren. Faktisch entspricht dies knapp 94 vH des Westniveaus, da die letzte Erhöhung der Tariflöhne in Westdeutschland um 1,3 vH nicht berücksichtigt wird.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Bauwirtschaft im Vergleich zur westdeutschen. Die Lohnsumme je geleistete Arbeitsstunde hat 1996 in den neuen Ländern nur etwa 73 vH des Westniveaus betragen. Hierfür ist unter anderem maßgeblich, daß in Ostdeutschland bislang kein 13. Monatsgehalt gezahlt wird. Der Umsatz je geleistete Arbeitsstunde lag 1996 immerhin bei 81 vH des Westniveaus. [Fn. 65: Wirtschaftsdaten für Bauleute 1997 der IGBau.] Die ostdeutsche Bauwirtschaft hat seit 1991 erhebliche Produktivitätsfortschritte erzielen können (Abb. 22). Aus den vorliegenden Daten könnte man den Schluß ziehen, die ostdeutsche Bauwirtschaft hätte 1996 zu niedrigeren Lohnstückkosten als die westdeutschen Unternehmen gearbeitet. Diese Aussage würde durchgehend aber nur dann gelten, wenn die Struktur der Bauleistungen in beiden Landesteilen gleich wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall: An den ostdeutschen Bauleistungen hat bspw. der wegen seiner hohen Kapitalintensität überdurchschnittlich produktive Tiefbau einen weit größeren Anteil.

[Seite der Druckausgabe: 71]

Abb. 22: Arbeitsstundenproduktivität im Bauhauptgewerbe im Ost-West-Vergleich

Die Tarifvereinbarung für Ostdeutschland enthält außerdem mit der sog. 'Beschäftigungssicherungsklausel’ eine wichtige Neuerung, die den vielfach erhobenen Forderungen nach einer betriebsindividuellen Flexibilisierung des Flächentarifvertrags mittels Öffnungsklauseln Rechnung trägt. Die Betriebe können die Tariflöhne zeitlich befristet um bis zu zehn Prozent senken, wenn damit betriebsbedingte Kündigungen, Kurzarbeit oder die Vergabe von Aufträgen an Subunternehmer vermieden werden können. Den Tarifparteien steht allerdings das Recht zu, innerhalb einer Woche Einspruch gegen die Anwendung der Klausel zu erheben. Der Einspruch kann jedoch vom Betriebsrat mit einer Dreiviertelmehrheit zurückgewiesen werden.

Der Vizepräsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie bewertet den Tarifabschluß für Ostdeutschland positiv. Durch die Vereinbarung der Öffnungsklausel seien die ostdeutschen Unternehmer nunmehr in der Lage, im Einvernehmen mit ihren Betriebsräten mit ihrer Lohnpolitik flexibel auf die Strukturanpassungsprobleme zu reagieren. [Fn. 66: Pressemitteilung des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie vom 16.7.1997.]

Der Bundesvorsitzende der IGBau warnt die Arbeitgeber vor dem voreiligen Schluß, daß der Tarifvertrag in einem europaweiten Baumarkt seine Bedeutung als Orientierungspunkt verloren hätte. Tarifvertragsbindung und Flexibilisierung der Tarifpolitik werden von der IGBau nicht als Gegensätze empfunden. Dementsprechend lehnt der Vorsitzende

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der Gewerkschaft auch generelle Öffnungsklauseln ab. Eine 'Verbetrieblichung' der Tarifpolitik findet bei der IGBau keine Zustimmung. Der Vorrang des Flächentarifvertrags müsse bewahrt werden. Allerdings würden Tarifverträge sich auch zukünftig an der jeweiligen wirtschaftlichen Situation orientieren. Öffnungsklauseln als Ausnahmeregelungen in Notzeiten werden von der Gewerkschaft mitgetragen. Die IG BAU hat den Arbeitgebern in Ostdeutschland angeboten, die 1997 erstmals vereinbarte Beschäftigungssicherungsklausel in abgewandelter Form auch für 1998 tarifvertraglich zu vereinbaren. Die situationsgerechte Tarifpolitik der IGBau habe einen Brückenschlag zwischen Tarif- und Betriebspolitik geleistet. [Fn. 67: Grundsatzreferat des Bundesvorsitzenden der IG BAU, gehalten am 9.10.1997 auf dem 17. Ordentlicher Gewerkschaftstag der IGBau In Hamburg.]

Der Tarifabschluß für das ostdeutsche Baugewerbe ist von einigen Landesverbänden des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes heftig kritisiert worden. Im einzelnen wurde die Höhe des Abschlusses, die Bedingungen für die Wahrnehmung der Öffnungsklausel sowie das Widerspruchsrecht der Gewerkschaft bei der Anwendung dieser Klausel bemängelt. Der verbandsinterne Konflikt hat inzwischen zum Austritt der Landesverbände Berlin-Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen aus dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes geführt. Diese Verbände, die den Tarifabschluß als ein zu weit gehendes Zugeständnis an die IGBau und die Bauindustrie ablehnen, haben sich zu einem Interessenverbund zusammengeschlossen.

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d) Die laufenden Tarifverhandlungen

Die Große Tarifkommission und der Gewerkschaftsbeirat der IG Bauen-Agrar-Umwelt haben am 29. Januar 1998 die laufenden Tarifverträge zum 31. März gekündigt und eine Erhöhung der Löhne und Gehälter für die Beschäftigten der Bauwirtschaft in West- und Ostdeutschland um vier Prozent gefordert.

Die Arbeitgeberseite hat der Forderung der IG Bau noch kein konkretes Angebot gegenübergestellt. Angesprochen wurden aber mehrere Themenbereiche, die die Arbeitgeber in die Verhandlungen einbeziehen wollen (z.B. Frage des automatischen Aufstiegs in andere Lohngruppen, Problem des Outsourcing von Berufsgruppen aus Tarifbereichen). Die Unternehmen hätten auch mit Blick auf mögliche Kompensationsleistungen noch keine konkreten tariflichen Vorstellungen vorgelegt, erklärte ein Sprecher der IGBau. Bis zur Fortsetzung der Tarifverhandlungen am 2. April wollen die Vertreter beider Seiten in eigens dafür eingesetzten Kommissionen über verschiedene Rahmenmaterien außerhalb der unmittelbaren Tarifverhandlungen diskutieren.


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