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Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Bei der Heranführung der Länder Mittel- und Osteuropas (MOEL) an die Europäische Union (EU) bildet die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung und deren Förderung durch spezielle EU-Programme ein wichtiges strategisches Element der Integrationsmaßnahmen der EU insgesamt. Den zehn mittel- und osteuropäischen Staaten, die einen Antrag auf Beitritt zur EU gestellt haben, wurde von der EU sogar die volle Assoziation an das 5. Forschungsrahmenprogramm angeboten.

Grundsätzlich wurde in den Analysen festgehalten, daß die MOEL aus sozialistischer Zeit ein großes und erhaltenswertes Potential an Forschungs- und Technologiekapazitäten übernommen haben, das sich in hohen Beschäftigungszahlen in Forschung und Entwicklung, einer hohen Zahl an Ingenieuren gemessen an der Bevölkerungszahl und gut ausgebildeten Arbeitskräften manifestiert.

Im Vergleich mit der Struktur des Forschungs- und Technologiesektors westlicher Länder wirken sich jedoch strukturelle Besonderheiten des Wissenschaftssystems der einstmals sozialistischen Länder heute als wettbewerbsnachteilig aus:

Der mangelnde Wettbewerbsdruck und die mangelnde Ausrichtung an der Nachfrage, die fehlende Interaktion zwischen Kunden und Entwicklern, die Unterentwicklung der universitären Forschung, die starke Ausrichtung auf die Militärforschung und auf die Imitation westlicher Produkte, das Fehlen eines konkreten entwicklungspolitischen Konzepts u.a..

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Der nach Auflösung des Ostblocks ermöglichte direkte Vergleich zwischen westlicher und sozialistischer Technologie machte in vielen Bereichen die Hoffnung auf die Erhaltung einheimischer FuE-Kapazitäten zunichte. Die mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) stehen heute in einem schwierigen Transformationsprozeß, innerhalb dessen sie ihre Forschungsstrukturen marktkonform umstrukturieren und die auf industrielle Anwendungen gerichteten FuE-Aktivitäten fördern müssen.

Die Forschungs- und Entwicklungsprogramme der Europäischen Union haben das erklärte Ziel, den Umstrukturierungsprozeß des Innovationssystems in den MOEL zu unterstützen. Auch die polnischen Referenten der Konferenz stimmten darin überein, daß Polen in Zukunft nur dann die erfolgversprechenden Forschungs- und Entwicklungsbereiche weiterentwickeln könne, wenn Polen von den EU-Staaten gefördert werde. Diese Partizipation an EU-Förderprogrammen reiche jedoch nicht aus, die Disproportionen zwischen Polen und den EU-Ländern hinsichtlich der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung zu vermindern. Polen könne dagegen mittelbare Vorteile erreichen, wenn die an diesen Programmen beteiligten Forscher aus Polen ihre Berufsqualifikationen verbesserten, wurde eingeräumt.

Ein EU-Abgeordneter betonte, daß Forschungskooperationen weitaus mehr als nur Programme und Geld beinhalten: Der grenzüberschreitende Dialog der Fachleute an sich sei ein wichtiger Antrieb für Innovationen, im Osten wie im Westen.

Wichtig für den Erfolg des Reformprozesses sei es, die gesamtgesellschaftliche Ebene der MOEL einzubeziehen und nicht-staatliche Einrichtungen bei Hilfestellungen der EU häufiger als bisher zu berück-

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sichtigen. Die deutsche Seite solle außerdem dafür eintreten, daß die Strukturfördermittel, die die EU im Rahmen des PHARE-Programms zur Verfügung stellt, verstärkt im FuE-Bereich eingesetzt werden. Es müsse den MOE-Staaten in noch größerem Maße ermöglicht werden, sich an FuE-Programmen der EU zu beteiligen, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Notwendig sei auch eine stärkere Ausrichtung der Forschungsprioriäten der EU an den Bedürfnissen der MOE-Staaten.

Die volle Assoziation der zehn EU-Beitrittskandidaten an das 5. Rahmenprogramm der EU sei zwar ein Fortschritt, werfe für diese Länder jedoch erhebliche finanzielle Probleme auf: Volle Assoziation bedeutet auch die Zahlung des vollen Preises für diese Teilnahme, der sich am Bruttoinlandsprodukt des jeweiligen Mitgliedsstaates orientiert. Generell wurde von Teilnehmern aus den MOE-Ländern beklagt, daß die Kooperationen mit europäischen Partnern sehr kostenintensiv seien.

Entscheidend sei, ob EU-Mitgliedsländer, die sich ebenfalls auf niedrigem Entwicklungsniveau befinden, Druck auf Brüssel ausüben werden, um die neuen FuE-Programme in die für diese Länder prioritären Bereiche einzuleiten, konstatierte ein Wissenschaftler vom Westinstitut Poznan.

Ein Europapalamentarier hob hervor, daß die EU zwar den Umstrukturierungsprozeß fördere, die Verantwortung für die Modernisierung der Innovationssysteme jedoch zuallererst bei den Reformländern selbst liege. Das Bekenntnis zur Marktwirtschaft erfordere eine stärkere Marktorientierung der FuE-Anstrengungen in den MOE-Staaten. Jedoch dürften die vorhandenen Potentiale an Wissenschaftlern nicht wie in den neuen Bundesländern abgewickelt, sondern sie müßten reorganisiert werden.

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Die Reorganisation des Innovationssystems impliziere, daß nicht marktkonforme Forschungseinrichtungen geschlossen werden, unterstrich ein Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Die finanziellen Restriktionen in den MOE-Staaten erlaubten es nicht, westliche Modelle, die in der Regel auf eine angebotsorientierte Strategie setzen und einen erheblichen finanziellen Aufwand erforderten, uneingeschränkt anzuwenden. Das Festhalten an veralteten Institutionen habe sonst zur Folge, daß Mittel für innovative und neu entstehende Einrichtungen fehlten. Das bedeute, daß unter den bestehenden Institutionen die noch benötigten wettbewerbsfähigen „herausgefiltert" und gefördert werden müßten. Dies gelte insbesondere für Forschungseinrichtungen, die angewandte Forschung betreiben, wie die Akademien der Wissenschaften und die Branchenforschungsinstitute, da diese eigentlich dem Unternehmenssektor zuzurechnen seien. Anzustreben sei auch eine finanzielle Beteiligung der Unternehmen an der Förderung.

Nach neuesten Daten werden mittlerweile bereits ca. 40 % der Forschungen aus Eigenmitteln der Firmen und Konzerne finanziert, berichtete ein Wissenschaftler des polnischen Westinstituts Poznan. Er vertrat ebenfalls die Meinung, daß es nur wenig Sinn mache, Forschungen in den MOEL in den Bereichen zu entwickeln, die international nicht wettbewerbsfähig sind. In Polen müßten die wenigen Forschungsinstitute in Schutz genommen werden, die imstande seien, mit den besten Forschungsstellen in der Welt zu konkurrieren. Jedes Land in Mittel- und Osteuropa müsse sehr genau analysieren, in welchen Bereichen es komparative Vorteile besitze, wurde von polnischer Seite angeregt. In Polen seien beispielsweise die Bereiche Schiff- und Bergbau erfolgreich, in Ungarn die pharmazeutische Industrie.

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Oft seien es jedoch nicht die technischen Fähigkeiten, die Engpaßfaktoren bildeten, sondern Wettbewerbsnachteile in der Vermarktung des eigenen Potentials, wandte der DIW-Forscher ein. Somit würde ein Ausbau des Wissenschaftssystems in solchen Fällen die erwünschte Wirkung verfehlen. Forschung und Entwicklung machten nur als Komponenten eines Innovationssystems Sinn, dessen Ziel es sei, ein Produkt am Markt verkaufen zu können.

Gegen das Plädoyer für eine ausschließlich nachfrageorientierte Forschungsförderung wurden jedoch starke Einwände geltend gemacht. Es sei zu bedenken, daß auch die MOE-Staaten eine langfristig orientierte Forschungspolitik betreiben müssen, die ohne einen Stock in der Grundlagenforschung nicht möglich sei. Auch die EU solle einen gewissen Teil an Grundlagenforschung in den MOE-Staaten fördern, erklärte ein Mitarbeiter des Berliner Senats für Wissenschaft und Forschung.

Konsens bestand darin, daß in den betreffenden Ländern eine Wirtschaftspolitik vonnöten ist, die als Strukturpolitik auf die Erhaltung bzw. Entwicklung größerer innovativer Unternehmen mit entsprechend großen FuE-Kapazitäten ausgerichtet ist. Verwiesen wurde auf die Erfahrungen in Ostdeutschland, wo sich gezeigt hat, daß die Forschung und Entwicklung in Großbetrieben eine strategische Rolle für die Entwicklung eines Innovationssystems spielt und Wissenschaftspolitik ohne eine industrielle Strukturpolitik im Bereich industrieller FuE relativ machtlos bleibt. Als nötig wurde auch die Ansiedlung multinationaler Unternehmen mit eigenen FuE-Abteilungen in den MOE-Ländern angesehen,

Ein ehemaliger Minister aus den neuen Bundesländern regte für klein-und mittelständische Unternehmen gemeinsame Innovationszentren für

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bestimmte Sektoren an den Außengrenzen der EU an. Außerdem wurde für die Bildung von Konsortien plädiert, die viele Institute vereinen, um eine stärkere Durchschlagskraft zu bekommen.

Als sinnvoll und notwendig wurden auch sozio-ökonomische Studien über den Strukturwandel in den MOE-Staaten betrachtet. Angeregt wurde eine Umverteilung der Fördermittel der EU für den FuE-Bereich zugunsten der sozio-ökonomischen Forschung.

Aus den Erfahrungen mit zwei Kooperationsprojekten im Rahmen des EU-Programms "COPERNICUS" wurden von den Projektteilnehmern u.a. folgende Verbesserungsvorschläge für die Projektarbeit abgeleitet:

Bei der Vielzahl der Förderprogramme mit ähnlichen thematischen Grundrichtungen bestehe die Gefahr einer Parallelforschung und damit Parallelförderung. Hier sollte eine übersichtlichere Gestaltung und bessere Abstimmung zukünftiger Programme untereinander vorgenommen werden. Außerdem solle über eine Quote bezüglich des Einsatzes von Jungwissenschaftlern in solchen Projekten nachgedacht werden, da besonders in den osteuropäischen Staaten die Jugend für die wissenschaftliche Forschung gewonnen werden soll. Als eine wichtige Kommunikationstechnologie sollte bei zukünftigen Projekten das Internet Pflicht sein. Probleme bei der finanziellen Abwicklung (Definition der Gemeinkosten, Wechselkursschwankungen) müßten überdacht werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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