FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausg.: 54 ]


6. Beschäftigungspotentiale in der Bauwirtschaft

Von der Instandsetzung und Modernisierung sowohl der Altbau- als auch der Plattenbauwohnungen, gehen erhebliche Beschäftigungseffekte aus. So trug die gute Baukonjunktur der vergangenen Jahre mit dazu bei, Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern. Damit konnte ein Teil des Beschäftigungsrückgangs aufgefangen werden, der aus dem Niedergang der Industrie - insbesondere der Schwerindustrie - resultierte. Die Bauwirtschaft und vor allem das Bauhandwerk, das traditionell auf dem Gebiet der Sanierung von Wohnraum tätig ist, wird auch in den kommenden Jahren die Beschäftigung wesentlich beeinflussen. Schon im Jahr 1996 waren durchschnittlich 51 % der Beschäftigten aus dem Bereich des Gesamthandwerkes im Bauhandwerk tätig. Bis Anfang 1996 betrug das Bauvolumen im Land Sachsen-Anhalt das Dreifache des niedersächsischen. Rund 25 % aller Beschäftigten in der Wirtschaft der neuen Bundesländer waren bis Mitte 1996 in der Baubranche tätig, womit auch dieser Wert erheblich über dem vergleichbarer Bundesländer in Westdeutschland lag. Ursächlich für diese Entwicklung waren zum einen die Rezession in vielen Bereichen der Wirtschaft und zum anderen der Boom in der Bauwirtschaft aufgrund eines erheblichen Nachholbedarfes beim Neubau von Wohneigentum und bei der Sanierung von Altbauten und Plattenbauten. Die Nachfrage nach Wohneigentum dürfte in absehbarer Zeit nachlassen, so daß aus diesem Sektor geringere Beschäftigungseffekte zu erwarten sind. Bei den Plattenbauwohnungen wurden in den vergangenen Jahren erhebliche Investitionen vorgenommen, wobei Maßnahmen zur Wärme- und Schallisolierung sowie zur optischen Verschönerungen den Schwerpunkt bildeten, während bei der Altbausanierung noch ein erheblicher Nachholbedarf besteht. Dies liegt auch daran, daß die Förderung sowohl des Bundes als auch der neuen Länder in den ersten Jahren der Nachwendezeit vorwiegend auf den Neubau zielte.

Aufgrund dieser Entwicklungen gewinnt die in der Wohnungspolitik vollzogene Ausrichtung der Förderung auf die Wohnraummodernisierung besondere Bedeutung. Welche beschäftigungspolitische Wirkung Investitionen in diesem Bereich entfalten, läßt sich an folgenden Zahlen verdeutlichen: Im Jahr 1996 standen 320 Mio. DM Fördermittel für den Bereich des Wohnungsbaus bzw. der Wohnungssanierung zur Verfügung. Bei einem Multiplikator von 4 [ Fn.1: Schätzungs- und Berechnungsfaktor des Bundesverbandes deutscher Wohnungsunternehmen GdW] ergibt sich ein Investitionsvolumen von insgesamt 1,28 Mrd. DM. Ausgehend von einer Lohnkostenbelastung einer Investitionsmaßnahme von 70 % sowie von Kosten für einen Arbeitsplatz von 50.000 DM pro Jahr resultieren aus diesem Volumen ca. 61.000 Arbeitsplätze im Bauhaupt- und Baunebengewerbe. Es wird auch zukünftig darauf ankommen, Fördermechanismen so auszurichten, daß beschäftigungswirksame Investitionsanreize entstehen. Angesichts der hohen

[Seite der Druckausg.: 55 ]

Arbeitslosigkeit gerade in den neuen Bundesländern spielen sozial verträgliche Lösungen eine besondere Rolle.

Der Vertreter des Zentralverbandes des deutschen Baugewerbes, Büro Berlin, warnt allerdings vor einer Euphorie hinsichtlich der beschriebenen Beschäftigungswirkungen. Er wies darauf hin, daß das Bauinvestitionsvolumen pro Einwohner in den neuen Ländern etwa doppelt so hoch wie in Westdeutschland liegt. Auf Preisbasis 1991 berechnet, wurden in den letzten Jahren in den alten Ländern relativ stabil pro Kopf 4.600 bis 4.800 DM investiert, während die neuen Ländern einen Wert von über 8.000 DM erreichten. Es wird erwartet, daß sich das ostdeutsche Investitionsniveau dem westdeutschen in Zukunft annähert. Die negativen Auswirkungen für die Arbeitsplätze und Einkommen seien nur dann in Grenzen zu halten, wenn dieser Anpassungsprozeß schrittweise und nicht abrupt verläuft. In dem Diskussionsbeitrag wird festgestellt, daß ein derartiger Einbruch im Wirtschaftsbau, der zu Beginn der neunziger Jahre konjunkturbestimmend war, aber derzeit einen sehr starken Rückgang aufweist, bereits zu verzeichnen ist. Hier kommt einer Kompensation durch den Wohnungsbau - insbesondere durch Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen - eine besondere Bedeutung zu.

Den besonderen Beschäftigungseffekt von Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen betont dagegen der Bund freier Wohnungsunternehmen. Diesen Effekt spiegelt der Lohnkostenanteil. Während im Neubau ca. 40 % der Gesamtkosten auf Löhne entfallen, sind es beispielsweise beim gründerzeitlichen Altbau etwa 70 %. Dies bedeutet, daß Fördermittel auf den Arbeitsmarkt im Altbaubereich fast doppelt so stark wirken wie im Neubaubereich. Außerdem ist der Mengenaspekt zu beachten. [ Fn.1: Vgl. hierzu auch „Zukunftsverträgliche Bau- und Wohnungswirtschaft", Wirtschaftspolitischer Diskurs 103 der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1997, S. 11 und 16] Da 99 % der Wohnungen auf den Bestand und nur 1 % auf den Neubau entfallen, liegen erhebliche Beschäftigungspotentiale im Bereich der vorhandenen Bausubstanz, zumal Maßnahmen zur Erhaltung und Erneuerung von Altbauten - wie erwähnt - eine hohe Arbeitsintensität aufweisen.

Nach Auffassung der IG Bauen-Agrar-Umwelt Sachsen-Anhalt sind für die Bewältigung des großen Sanierungsbedarfs qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte ausreichend verfügbar. In Sachsen-Anhalt wurden erhebliche Schritte unternommen, um Beschäftigungsanreize in diesem Bereich zu erzielen. Für die Modernisierung von Wohnungen sind seit 1991 dreistellige Millionenbeträge aus Landesmitteln zur Verfügung gestellt worden. Seit 1994 flossen aber keine direkten Mittel aus dem Bundeshaushalt mehr in die Wohnungsmodernisierung. Die Gewerkschaft unterstützt die Maßnahmen der Landesregierung für eine ökologisch orientierte Wohnungspolitik. Instandsetzung und Modernisierung des Wohnungsbestandes werden als eine wichtige Zukunftsaufgabe begriffen.

[Seite der Druckausg.: 56 ]

Beispielsweise müssen Verbesserungen des Wohnungsbestandes in den Innenstädten Priorität vor dem Neubau auf der „grünen Wiese" haben. Durch die Konzentration der Fördermittel auf die Sanierung vorhandener Wohngebiete konnten in den letzten Jahren vor allem in den Innenbereichen der Städte und Gemeinden erhebliche Investitionen getätigt werden. Gleichwohl werfen die Fördermodalitäten Probleme auf, wie sich am Beispiel der Stadt Quedlinburg - dem größten Flächendenkmal Deutschlands - zeigen läßt. Trotz erheblicher Fördermittel aus Bund und Land wird die Sanierung vieler von Verfall betroffener Bauten erschwert, da die Stadt aufgrund ihrer Haushaltssituation Probleme beim Aufbringen der Komplementärmittel hat. Für die Fortsetzung der Sanierung und die damit verbundene Schaffung bzw. Sicherung von Arbeitsplätzen ist in derartigen Fällen eine flexiblere Vorgehensweise - konkret z.B. die Abkoppelung der Landesförderung von der Kommunalförderung - erforderlich.

Die Modernisierung der Altbauten bietet die Gelegenheit, innovative Technologien zu erproben und umzusetzen, die in den nächsten Jahren in der Baubranche an Bedeutung gewinnen werden, zu erproben und umzusetzen. In diesem Zusammenhang ist das ökologische und das kostensparende Bauen zu nennen. Das ökologische Bauen schafft nicht nur Arbeitsplätze direkt in der Baubranche, sondern auch in den Industriezweigen, welche die entsprechenden Baumaterialien erforschen, entwickeln und herstellen. Beim kostengünstigen Bauen geht es u.a. um die Verwendung hochwertiger Baustoffe, die zunächst Mehrkosten, aber niedrigere Folgekosten verursachen. Bei derartigen Materialien lassen sich inzwischen erhebliche Preisrückgänge feststellen. Ähnliche Effekte sind auch im Bereich des ökologischen Bauens zu erwarten, wenn die Diffusion und Durchsetzung ökologischer Anforderungen stärker am Markt gelingt.

Der Einsatz neuer Arbeitsmethoden und Technologien führt zu erhöhten Anforderungen an die Beschäftigten, so daß Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen an Bedeutung gewinnen. Gerade in rezessiven Konjunkturphasen sollte mit Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen eine Investition in die Zukunft getätigt werden. Dagegen wirkt die derzeitige Sparpolitik der Bundesregierung kontraproduktiv, denn sie entzieht bei hoher Arbeitslosigkeit der Bundesanstalt für Arbeit finanzielle Mittel für Fördermaßnahmen in Humankapital.

Durch Nichteinhaltung von Tarifverträgen, Arbeitslosigkeit, Lohn- und Sozialdumping usw. ist in den letzten Jahren ein erheblicher Kaufkraftvertust entstanden, der sich negativ auf die Wirtschaft und damit auf die Beschäftigung ausgewirkt hat. Hier sind der Staat, aber auch die Unternehmen in der Pflicht, Vorleistungen zu bringen, die sich letztendlich zum Vorteil aller Beteiligten auswirken. Die Bauwirtschaft kann hier auch im Bereich der Sanierung von Wohnungen eine Vorreiterrolle spielen. Eine sozialverträgliche Durchführung von Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen würde auch zur Verbesse-

[Seite der Druckausg.: 57 ]

rung des Wohn- und Arbeitsumfeldes beitragen. Hilfreich wäre dabei die geeignete Verknüpfung von staatlichen Förderprogrammen und zinsgünstigen Krediten. Die öffentliche Hand ist weiter aufgerufen, mit geeigneten Rahmenbedingungen für ein günstiges Investitionsklima - dazu gehört für private Haushalte auch ein sicherer Arbeitsplatz - zu sorgen. Hierdurch wird nicht nur die Neubautätigkeit angekurbelt. Vielmehr ist dies auch eine notwendige Voraussetzung für Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen im Gebäudebestand.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

Previous Page TOC Next Page