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[Seite der Druckausgabe: 20]

7. Der Wohnungsbau in Magdeburg nach 1945

Am 16. Januar 1945 wurde Magdeburg bei einem Bombenangriff stark zerstört. Das Statistische Jahrbuch 1945/46 zieht folgende Bilanz: 6.000 Tote, 11.221 Verletzte, Sachschäden in Milliardenhöhe. Ca. 70 Prozent des Wohnraums der Stadt waren zerstört. Zum Wiederaufbau der Stadt wurde im Jahr 1952 ein Aufbauplan beschlossen, der unter Mithilfe der gesamten Bevölkerung durchgeführt wurde. Nach dieser ersten Phase des Wiederaufbaus kam es zu größeren Neuplanungen im Wohnungsbau. Das Ziel bestand darin, die Wohnungsfrage als soziales Problem bis 1990 zu lösen. Konkret bedeutete das, daß bis 1990

"- jeder Magdeburger Familie eine eigene und angemessene Wohnung, die die Anforderungen "sicher, trocken und warm" erfüllt, zur Verfügung steht,

- der Bestand an Wohnungen mit Sanitärausstattung (Bad/Dusche bzw. Innen-WC) weiter erhöht wird."

(Konzept zur gesellschaftlichen, ökonomischen, sozialen und geistig-kulturellen Entwicklung der Stadt Magdeburg bis 1990,1988, S.7.)

Zwischen 1971 und 1986 sind in Magdeburg 31.179 Wohnungen instandgesetzt, 9.625 Wohnungen modernisiert, 911 Wohnungen rekonstruiert, 1.261 Eigenheime und 42.570 Wohnungen neu errichtet worden.

Die neuen Wohnungen entstanden vor allem in Form von neuen Wohngebieten, z. B. das Wohngebiet "Reform" im Süden von Magdeburg, im Südwesten die Wohnsiedlung "Kroatenweg" und im Norden entstanden drei weitere Wohngebiete, darunter die Großwohnsiedlung "Neu Olvenstedt". Neu Olvenstedt wurde unter besonderer Zielsetzung erbaut. Von den Planern wurden folgende Anforderungen gesetzt:

"... der Organisation des Wohngebiets (muß) aus der Sicht und den Bedürfnissen der Bewohner als Fußgänger der entscheidende und kompromißlose Vorrang eingeräumt werden. In diesem Sinn ist die klar ablesbare Einordnung eines dominierenden Fußgängerbereiches nicht der Ausgangspunkt, sondern das logische Ergebnis aller Überlegung. Die vorrangige Organisation aller Fußwegebeziehungen greift in alle funktionellen Zusammenhänge des Wohngebietes ein: sie bestimmt die Lokalisierung der Gemeinschaftseinrichtungen, die prinzipielle Einordnung von Haltestellen, des Massenverkehrs, Grundsätze der räumlichen Ordnung der Wohnbebauung, die Abstufung des Systems der Freiflächen und - als Gegenstück - die Erschließung des Wohngebietes mit Straßen ..."

(Dr. Kirch, Studien zu Städtebau und Architektur, 1986)

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7.1. Die Großwohnsiedlung Magdeburg Neu Olvenstedt

Neu Olvenstedt wurde als Experimentalvorhaben zwischen 1976 und 1983 gemeinsam mit der damaligen Sowjetunion geplant. Der Bau begann im Jahr 1981, die letzten Wohnungen wurden 1994 bezugsfertig. Die Großsiedlung besteht aus ca. 12.700 Wohnungen für ca. 28.000 Einwohner. Das sind neun Prozent des gesamten Wohnungsbestandes, die von elf Prozent der Gesamtbevölkerung von Magdeburg bewohnt werden. (StadtBüro Hunger, 1997)

Neu Olvenstedt liegt im Nordwesten von Magdeburg und wird durch eine zentral gelegene Straßenbahnhaltestelle mit der Innenstadt verbunden. Die Siedlung ist durch einen Fußgängerbereich charakterisiert, der das gesamte Wohngebiet durchzieht und an dem die wichtigsten Versorgungseinrichtungen liegen. Zur Vermeidung der in anderen schnell errichteten DDR-Plattenbau-Siedlungen vorherrschenden Monotonie wurden, im Gegensatz zum sonst üblichen Niveau des DDR-Wohnungsbaus, die Wohnbereiche durch Wohnterrassen, Mietergärten und Mehrzweckgebäude funktionell-räumlich differenziert.

Trotzdem sind diese Gestaltungsversuche inzwischen zu tristen Merkmalen sozialer Defizite verkommen. Besserverdienende sind weggezogen, zurückgeblieben ist ein Drittel aller Kinder und Jugendlichen von Magdeburg. (Hartung 1997) (42 Prozent der Einwohner von Neu Olvenstedt sind Kinder und Jugendliche unter 24 Jahren. (Stadtverwaltung Magdeburg 1996).

Um diesen für das Wohngebiet kritischen Entwicklungsprozeß zu stoppen, hat das Stadtplanungsamt Magdeburg Mitte des Jahres 1996 dem StadtBüro Hunger den Auftrag erteilt, einen städtebaulichen Rahmenplan für Magdeburg Neu Olvenstedt zu erarbeiten. Die ersten Ergebnisse daraus vom Februar 1997 werden im Anschluß zusammengefaßt dargestellt.

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7.2. Der städtebauliche Rahmenplan für Neu Olvenstedt

Um Lösungen für die sozialen Probleme von Neu Olvenstedt zu finden, wurden von Beginn der Rahmenplanung neben den stadtplanerischen auch soziale Aspekte mitberücksichtigt. So wird die städtebauliche Strategie mit einem sozial-differenzierten Ansatz verbunden.

Für die Zukunft von Neu Olvenstedt wird als neues allgemeines städtebauliches Leitbild "Bestandsorientierte Qualitätsverbesserung" vorgeschlagen. (StadtBüro Hunger 1997) Dieser Vorschlag basiert auf zwei Grundlagen, die bei der Analyse der Wohngebietssituation in Neu Olvenstedt deutlich wurden:

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  1. Die städtebauliche Struktur der Großsiedlung ist langfristig tragfähig. Außerdem gibt es ausreichend Potentiale, diese weiterzuentwickeln.

  2. Neu Olvenstedt ist für den Wohnungsmarkt von Magdeburg momentan und langfristig gesehen notwendig. (Stadtbüro Hunger 1997)

Das neue städtebauliche Leitbild orientiert sich an den Stärken und Schwächen von Neu Olvenstedt. Es wird vorgeschlagen, die Grundstruktur der Siedlung zu bewahren und die vorhandenen Einrichtungen des Gemeinbedarfs zu erhalten. (Stadtbüro Hunger 1997)

Der bereits vorhandene Fußgängerboulevard ist das zentrale Thema der neuen Rahmenplanung. Gleichzeitig wird empfohlen, die Gestaltvielfalt im Gebiet im Rahmen von übergreifenden Gestaltregeln zu erhöhen. Zudem soll das Gebiet durch Neubebauung mit dem Umfeld besser vernetzt werden. Merkmale dieses neuen Stadtbildes sollen Häuser, Wohnhöfe und Quartiere mit einem "eigenen Gesicht" werden, wodurch ein ansprechendes Innen- und Außenbild des Wohngebietes insgesamt entsteht. Das heißt, aus dem bisher undifferenzierten Massenquartier mit 5.000 bis 6.000 Bewohnern entstehen überschaubare Bereiche. Diese einzelnen Gebiete entlang des Fußgängerboulevards sollen langfristig weiter ausgestaltet werden, um bestimmte Images zu entwickeln wie z.B. ein parkähnliches Milieu oder ein städtisches Milieu.

Dieser städtebauliche Ansatz wird durch die Frage nach den Bewohnern dieser Quartiere mit einem soziologischen Ansatz unterlegt.

Bereits durch den Bau der Großwohnsiedlung in unterschiedlichen Etappen entstanden unterschiedliche Bewohnergruppen. Durch die demographische Entwicklung ist in Zukunft mit einem deutlichen Anwachsen der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen und demzufolge mit einer weiterhin ansteigenden Nachfrage nach Wohnungen durch junge Haushaltsgründer zu rechnen.

Der soziale Ansatz wird zusätzlich mit einer Wohnwertüberlegung gekoppelt: die einzelnen Bereiche werden entsprechend dem Wohnumfeld nach sehr guter, guter und einfacher Wohnlage differenziert. Anhand dieser Einteilung kann dann entschieden werden, welche konkreten Maßnahmen im Wohngebiet durchgeführt werden, z.B. eine hochwertige Komplexmodernisierung oder eher einzelne Verbesserungsmaßnahmen. Diese Einteilung der Wohngebiete in Zielgruppen gemäß der Bewohnerstruktur (gut verdienende Singles, sich gründende Haushalte, einkommensschwächere Familien) erleichtert es, konkrete Programme entsprechend den Bewohnerbedürfnissen zu entwickeln.

Außerdem raten die Planer, das Versorgungsniveau und Freizeitangebote in Neu Olvenstedt zu erhöhen und neue Betreuungs- und Ausbildungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche zu schaffen. Diese Empfehlung

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wird durch die Tatsache, daß vor allem die Gruppe der 20- bis 29-Jährigen nach Neu Olvenstedt zieht, besonders einsichtig.

Gelingt es, durch die Wohnumfeldverbesserung, das Image und durch weitere Maßnahmen die allgemeine Versorgungslage von Neu Olvenstedt zu verbessern, bestehen gute Chancen, daß die Abwanderung im Wohngebiet moderat bleibt und die Bevölkerungsstruktur einem normalen Alterungsprozeß unterliegt.

Die Vorhersage für die Entwicklung der Großwohnsiedlung beim Fehlen einer entscheidenden Verbesserung der Wohnsituation dagegen ist eine soziale Entmischung des Gebietes. In diesem Fall werden vor allem die „konsolidierten" Haushalte Neu Olvenstedt verlassen und durch sozial und wirtschaftlich schwächere Familien ersetzt werden.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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