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[Seite der Druckausgabe: 2]

1. Der Erkenntnisstand bezüglich der Situation der Großsiedlungen in Deutschland

Verglichen mit anderen europäischen Ländern, wie z.B. Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien, verläuft die Forschung in den Großsiedlungen und Vorstädten in Deutschland in einem langsameren Tempo. Integrative und innovative Ansätze der Problemlösung sind im Ausland weiterentwickelt. Zum Beispiel in Frankreich wird die Frage der zukünftigen städtischen Lebensweise insgesamt auf den Typ der Großsiedlungen bezogen und somit mehrdimensional betrachtet. Dagegen wird in der Bundesrepublik das soziale Konfliktpotential und gleichzeitig die Möglichkeiten der Großsiedlungen vorwiegend auf die Diskussion über bauliche Maßnahmen reduziert.

Der Forschungsstand hierzulande kann wie folgt zusammengefaßt werden:

  1. Die Großsiedlungen sind nach bestimmten Merkmalen wie Lage, Größe, Gebäudealter und Einwohnerzahl eingeteilt worden.

  2. Stabilisierende und destabilisierende Faktoren ergeben ein ambivalentes Verhältnis hinsichtlich der Merkmale der Sozialstruktur.

    stabilisierende Faktoren

    destabilisierende Faktoren

    - relativ intakte soziale Kontakte

    - zunehmende Arbeitslosigkeit

    - relativ hoher Wohnungsstandard

    - Orientierungslosigkeit bei Jugendlichen


    - hohe Mietpreissteigerungen


    - beginnender Abwanderungsprozeß

    1. Die Bewertung der Siedlungen differenziert nach subjektiven Einschätzungen, d.h. die Bewohner der Siedlung, die Bewohner anderer Stadtteile und die Fachwelt bewerten die Situation jeweils unterschiedlich.

    2. In den Siedlungen besteht ein Mangel an halböffentlichen Räumen. Die vorherrschende Struktur in den Wohngebieten, welche vor allem aus den einzelnen Wohngebäuden und freien Flächen besteht, läßt kaum ein Gefühl von Sicherheit und sozialer Kontrolle zu. Eine Konsequenz dieser Tatsache ist, daß sich unter der Bevölkerung keine erweiterte Auffassung vom Wohnen entwickelt, in dem Sinn, daß Wohnen sich auch außerhalb der eigenen vier Wände abspielen kann.
      In diesem Zusammenhang ist es notwendig zu erwähnen, daß die Schaffung von öffentlichen und halböffentlichen Räumen, nicht unbedingt mit einer Nachverdichtung gleichzusetzen ist.

    3. Die Großsiedlungen, die nicht optimal an den öffentlichen Personennahverkehr angeschlossen sind, bleiben aufgrund ihrer Insellage in ihrem Entwicklungspotential eingeschränkt.

    [Seite der Druckausgabe: 3]

      Dieser Punkt hängt auch mit der Einbindung der Großsiedlung in die jeweilige Stadt/Region zusammen, denn die Entwicklungspotentiale einer Siedlung sind um so größer, je mehr sie mit ihrer Stadt verwachsen ist oder noch verwachsen kann. Monostrukturell angelegte Städte haben besondere Schwierigkeiten, eine eigenständige Entwicklung zu beginnen und dementsprechend schlecht ist auch die Perspektive ihrer Großsiedlungen.

    1. Bisher sind sich die privaten Akteure noch nicht darüber klar geworden, daß die Stabilisierung der Großwohnsiedlungen nicht nur eine Aufgabe der öffentlichen Hand ist. Besonders im Hinblick auf die Schaffung einer wirtschaftlichen Grundlage für die Siedlung ist das Engagement privater Akteure (einschließlich der Bewohner), Investoren und der Wohnungsunternehmen bisher als unbedeutend einzuschätzen. Durch die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Hand könnten jedoch Programme entwickelt werden, die von allen Beteiligten akzeptiert werden.

    Aufgrund dieses Forschungsstandes gibt es eine weitere Typisierung der Großsiedlungen hinsichtlich ihrer Entwicklungsperspektive:

    1. Die Großwohnsiedlungen, die relativ gut in die Gesamtstadt integriert werden können und die in Abhängigkeit von der Entwicklung der Stadt bestimmte Entwicklungschancen haben, bilden die erste Gruppe.
    2. Daneben gibt es eine weitere Gruppe der Großwohnsiedlungen, die nicht in das städtebauliche Gesamtgefüge der Stadt integrierbar sind und zum Teil zurückgebaut werden müssen.
      Beispiele hierfür sind Großsiedlungen in Mittelstädten und solche, die als Werksiedlung errichtet worden sind, wie z.B. Wolfen-Nord und Schwedt.
    3. Die letzte Gruppe bilden die Großwohnsiedlungen, die zur Unterbringung sozialer Problemgruppen benutzt werden.

    Allgemein bezogen auf die Entwicklungsperspektive der Großsiedlungen wird vermutet, daß in Abhängigkeit vom Lebenszyklus der Bewohner und in Abhängigkeit von der Entwicklung des Arbeitsmarktes gewisse Segregationsprozesse, d.h. Wegzüge einer bestimmten Art nicht vermeidbar sein werden. Es ist jedoch wahrscheinlich möglich, durch günstige Maßnahmen eine Stabilisierung für soziale Gruppen mit mittlerem Einkommen zu erreichen. Damit wird indirekt ausgesagt, daß die Bereitschaft einer Familie aus der Siedlung wegzuziehen mit steigendem Einkommen zunimmt. Die Untersuchungen vom StadtBüro Hunger bestätigen diese Vermutungen.


    © Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 2000

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