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6. Hoffnungsträger Mittelstand – Zwischenbilanz und Perspektiven


Die Entwicklung des Mittelstands in den neuen Ländern vollzog sich seit 1990 in einem turbulenten wirtschaftlichen Umfeld, das durch einen dramatischen strukturellen Wandel, durch einen zunächst drastischen Rückgang der (industriellen) Produktion und stark steigende Arbeitslosigkeit, durch das fast vollständige Wegbrechen bisheriger Auslandsmärkte und auch durch zunächst erhebliche Wettbewerbsdefizite auf dem inländischen Markt geprägt war. Gleichzeitig wurde die Unternehmenslandschaft, die in der DDR durch große Industriekombinate geprägt war, im Zuge der Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt vollständig neu gestaltet. Die alten Unternehmensnetzwerke zerbrachen weitgehend, neue mußten sich Schritt für Schritt entwickeln, wobei der ostdeutsche Mittelstand von Beginn an in intensivem Wettbewerb mit etablierten westdeutschen und ausländischen Unternehmen stand.

Auch wenn sich einige zu Beginn des Einigungsprozesses geäußerte Hoffnungen über die Entwicklung des Mittelstands unter diesen Bedingungen als zu optimistisch erwiesen haben, ist der Aufbau des Mittelstands seit 1990 vorangekommen. Dies belegen die Zahlen zur Bestandsentwicklung der Unternehmen und deren Beschäftigungsentwicklung. Der Mittelstand ist eine tragende Säule des sich seit geraumer Zeit abzeichnenden ökonomischen Aufholprozesses in den neuen Ländern und damit ein 'Hoffnungsträger' der weiteren Entwicklung.

6.1 Dominierende Engpässe der bisherigen Entwicklung des Mittelstands

Trotz der zweifellos positiven Grundtendenz gibt es eine Reihe von Problemlagen und Schwachstellen, die es zu beachten gilt, wenn man die zukünftigen Perspektiven des Mittelstands abschätzen will. Diese Defizite betreffen nicht alle Bereiche des Mittelstands in gleichem Umfang. Besonders deutlich und zugespitzt konzentrieren sich einige Probleme auf den industriellen Mittelstand, der zum einen – stärker als andere Bereiche – seine Wettbewerbsfähigkeit auf überregionalen Märkten unter Beweis stellen muß und zum anderen – technologisch bedingt – einen überdurchschnittlichen Kapitalbedarf aufweist. Andere Bereiche des Mittelstands, wie das Handwerk und die Freien Berufe, sind von diesen Problemen deutlich weniger betroffen, sei es, weil sie nur auf dem heimischen Markt agieren oder weil sie stärker von der sich gut entwickelnden Baunachfrage profitieren.

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Unbeschadet der Tatsache, daß viele Unternehmen des ostdeutschen Mittelstands – trotz aller schon erreichten Fortschritte – mit einer Vielzahl von Anpassungsschwierigkeiten und Problemlagen zu kämpfen haben, lassen sich zwei Kernprobleme identifizieren: Eigenkapitalschwäche und Probleme beim Marktzugang. Beide Kernprobleme sind mit anderen Problemfeldern der mittelständischen Unternehmensentwicklung verknüpft, haben aber einen dominierenden Einfluß, so daß sie gesondert zu diskutieren sind.

6.1.1 Eigenkapitalschwäche und Liquiditätsengpässe

Die Beurteilung der Eigenkapitalschwäche von Unternehmen des Mittelstands in ostdeutschem Besitz darf eine wesentliche Grundprämisse der Entwicklung nicht außer Acht lassen: Im Wirtschaftssystem der DDR konnte Kapital in privater Hand nur in Ausnahmefällen angesammelt werden. In der Regel war damit die Kapitalausstattung von Personen, die eine Unternehmensgründung anvisierten, eher gering.

Zu einem erheblichen Teil ist der Kapitalmangel vieler neugegründeter Unternehmen deshalb eine systembedingte Folgewirkung des überwundenen Wirtschaftssystems. Erst durch den massiven Einsatz von staatlichen Fördermaßnahmen, wie etwa der Eigenkapitalhilfe und den ERP-Gründungsdarlehen, konnte die Beteiligung ostdeutscher Unternehmerpersönlichkeiten an der Privatisierung und Gründung von Unternehmen in den neuen Ländern erreicht werden. Der systembedingte Mangel an privatem Kapital konnte durch die Fördermaßnahmen zwar gemildert, aber letztlich nicht beseitigt werden. Einen förderbedingten Ausweg aus dem Dilemma kann es – nach Auffassung eines Vertreters des DIW – im Rahmen unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung nicht geben: Es ist kaum denkbar, daß der Staat Unternehmern Eigenkapital über eine bestimmte Quote hinaus zur Verfügung stellt. Dies stände im Gegensatz zu den Grundprinzipien einer privatwirtschaftlich verfaßten Marktwirtschaft, in der das unternehmerische Risiko und die Haftung im Grundsatz in privater Hand liegen. Jede Subventionierung des Eigenkapitals ist zugleich eine Vermögenszuweisung, die aus Mitteln erfolgt, die andere Bürger als Steuerzahler aufgebracht haben.

Eine ausreichende Eigenkapitalbasis kann sich letztlich erst dann allmählich herausbilden, wenn die Unternehmen über längere Zeit Gewinne erwirtschaften. Hierauf kann die Wirt-

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schaftspolitik – nach Auffassung eines Vertreters des brandenburgischen Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie – durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen der allgemeinen Wirtschaftspolitik und durch spezifische Fördermaßnahmen Einfluß nehmen. Auch die Beteiligung von kapitalstarken Investoren kann einen positiven Beitrag leisten.

Das Grundproblem der Unterkapitalisierung von Unternehmen ist auch deshalb so gravierend, weil es über die eigentliche Gründungsphase hinaus die Entwicklungschancen der Unternehmen langfristig beeinträchtigen kann.

Zum einen macht eine unzureichende Eigenkapitalausstattung ein Unternehmen anfällig für nicht auszuschließende Rückschläge. Ein nicht vorhergesehener oder unterschätzter konjunktureller Rückschlag, der Verlust eines wichtigen Kunden bzw. Absatzmarktes oder unerwartete Forderungsausfälle können ein Unternehmen mit zu geringer Eigenkapitalausstattung schnell in eine die Unternehmensexistenz bedrohende Liquiditätskrise bringen. Der Eigenkapitalmangel gefährdet also die Stabilität der Unternehmenslandschaft über das 'normale' Maß der Fluktuation hinaus und macht den Unternehmensbestand anfälliger gegenüber für marktwirtschaftliche Systeme übliche Konjunkturschwankungen.

Zum anderen kann – darauf wies ein Vertreter der Industrie- und Handelskammer Potsdam hin – ein schnelles Unternehmenswachstum die Gefahr der Unterkapitalisierung noch vergrößern, da durch das Wachstum der Bedarf an Eigenkapital zunimmt. Werden nicht in ausreichendem Umfang Gewinne erwirtschaftet und den Eigenmitteln zugeführt, wird das Problem der Eigenkapitalschwäche verschärft. Das Unternehmen wächst dann ständig 'auf des Messers Schneide' und bleibt anfällig für Liquiditätskrisen. Die Bauwirtschaft ist eine Branche, in der Disproportionalitäten, die mit einem (zu) schnellen Unternehmenswachstum verbunden sind, ein überdurchschnittliches Insolvenzrisiko verursachen. Oft ist es deshalb notwendig, daß einer Phase des schnellen Unternehmenswachstums eine Konsolidierungsphase folgt. Dem steht entgegen, daß in wachsenden, dynamischen Märkten eine Wachstumspause für ein Unternehmen problematisch sein kann. Im sprichwörtlichen Sinne besteht in einem solchen Umfeld die Gefahr, daß Stillstand Rückschritt bedeutet.

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6.1.2 Probleme beim Marktzugang auf überregionalen Märkten

Die Umstrukturierung der ostdeutschen Industrie hat zu einem weitgehenden Zusammenbruch der zuvor bestehenden industriellen Strukturen geführt. In weniger als drei Jahren ist die Industriebeschäftigung (in Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten) um zwei Drittel geschrumpft. In einzelnen Branchen betrug der Beschäftigungsabbau mehr als 80 %. Mit dem Umstrukturierungsprozeß sind die etablierten Unternehmensbeziehungen sowohl auf der Absatzseite wie auch auf der Bezugsseite weitgehend zerstört worden. Dies gilt nicht nur für die Lieferbeziehungen in den neuen Bundesländern selbst, sondern auch für die traditionellen Lieferverflechtungen mit Mittel- und Osteuropa sowie mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

Große Schwierigkeiten haben viele mittelständische Unternehmen nach wie vor beim Marktzugang auf überregionalen Märkten. Dies Problem ist besonders gravierend bei Unternehmen aus dem industriellen Bereich. Obwohl die Unternehmen Fortschritte bei der Neuausrichtung ihrer Produkte gemacht haben, bereitet der Aufbau stabiler Lieferbeziehungen und das Entstehen leistungsfähiger Netzwerke Probleme. Oft sind nicht die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen oder die unzureichende Qualität der Produkte die entscheidende Hemmschwelle. Vielfach fehlt den Unternehmen wegen anderer Barrieren die Möglichkeit, ihre Leistungsfähigkeit überhaupt unter Beweis zu stellen.

Der nun überwundene konjunkturelle Rückschlag hat den Integrationsprozeß ostdeutscher Mittelstandsunternehmen in die bestehenden Netzwerke industrieller Unternehmen in Gesamtdeutschland außerordentlich erschwert. Bei unterausgelasteten Kapazitäten der westdeutschen und ostdeutschen Konkurrenten sahen sich die einzelnen Unternehmen neben anderen Zutrittsbarrieren einem harten preislichen Wettbewerb ausgesetzt. Dies traf die ganz überwiegende Zahl der ostdeutschen Unternehmen in einer Phase ihres Unternehmenszyklus, in dem sie noch nicht ihre volle Wettbewerbsfähigkeit erreicht haben und vor allem noch keine finanziellen Reserven bilden konnten, um die Durchführung nicht immer kostendeckender Aufträge für eine längere Periode durchzuhalten.

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Weil die Ansiedlung von Großunternehmen schleppend verläuft, fehlen oft die Abnehmer für eine ortsansässige Zulieferindustrie. Die sich aus der räumlichen Nähe zum (Groß-) Kunden ergebenden Fühlungs- und Kostenvorteile können damit für die mittelständischen Unternehmen nicht zum Tragen kommen.

Insgesamt stellen die anhaltenden Probleme ostdeutscher Unternehmen beim Zugang auf überregionale Märkte immer noch ein ernstes Hindernis für die weitere wirtschaftliche Entwicklung dar. Augenfälliger Ausdruck dieser Schwäche ist die weit unterdurchschnittliche Exportleistung dieser Unternehmen.

6.2 Problemfelder und Ansatzpunkte

Neben den zuvor erörterten Grundproblemen des weiteren Ausbaus des Mittelstands in den neuen Ländern gibt es noch eine Reihe weiterer Problemfelder, für die Lösungen gesucht werden müssen. Ansatzpunkte hierfür werden im folgenden im Zusammenhang mit der Skizzierung der Problemfelder diskutiert. Hierbei kann nicht der Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden, sondern nur auf wichtige Bereiche exemplarisch eingegangen werden.

Insolvenzgefahr und Bestandssicherung

Die Zahl der Insolvenzen ostdeutscher Unternehmen hat in den letzten Quartalen spürbar zugenommen. Diese Tendenz war auch in Westdeutschland zu beobachten und ist nicht untypisch für die erste Phase des konjunkturellen Aufschwungs, zumal die Rezession in Deutschland diese Mal zwar relativ kurz, aber doch besonders tief war.

Noch nicht abschließend beurteilen läßt sich, ob und in welchem Umfang für Ostdeutschland in der nächsten Zeit mit einer besonders großen Insolvenzwelle gerechnet werden muß. Die Deutsche Ausgleichsbank sieht 4 000 bis 5 000 Unternehmen potentiell gefährdet. Nach Erhebungen des Ifo-Instituts, München, verlieren Finanzierungsprobleme in der ostdeutschen Industrie insgesamt mit der Zeit an Gewicht, bei kleinen und mittleren Unternehmen drohen sie sich jedoch zu verfestigen oder sogar zuzunehmen.

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Einigkeit herrscht jedoch bei Politik und Verbänden, daß die Bestandssicherung für mittelständische Unternehmen in den neuen Ländern als wirtschaftspolitische Aufgabe an Bedeutung gewinnt. Neben die Förderung von Existenzgründungen muß verstärkt die Förderung von Unternehmensfestigungen und Existenzsicherungen treten. Maßnahmen wie der Konsolidierungsfond des Bundes aus Mitteln der Treuhandanstalt und die Konsolidierungs- und Liquiditätssicherungsprogramme der Länder weisen in diese Richtung. Die Wirtschaftspolitik muß die weitere Entwicklung des Insolvenzgeschehens in den neuen Ländern sorgfältig und zeitnah beobachten und gegebenenfalls rechtzeitig mit weiteren Stützungsmaßnahmen eingreifen. In Anbetracht des noch unbefriedigenden Besatzes mit Unternehmen, z.B. im industriellen Mittelstand, wäre ein massives Sterben von Unternehmen eine ernste Gefahr für den in Gang gekommenen Aufholprozeß der ostdeutschen Wirtschaft. Unter einem solchen Blickwinkel kommt der Bestandssicherung dort sicher ein höheres Gewicht zu als in Regionen, die über eine an sich gefestigte Unternehmensstruktur verfügen.

Weiterentwicklung des Fördersystems

Angesichts der Anpassungsfortschritte, aber auch der fortbestehenden oder sich ändernden Probleme des Mittelstands muß das bestehende Fördersystem überprüft und weiterentwickelt werden. Ausgangspunkt der Überlegungen sollten dabei die primären Intentionen der finanziellen Förderung des Mittelstands sein:

  • Der Ausgleich von bzw. Anreize für die Überwindung von größenbedingten Nachteilen kleiner und mittlerer Unternehmen,

  • Hilfen bei der Überwindung von Anfangs- und Startschwierigkeiten selbständiger Existenzen unter den besonderen Bedingungen des Systemwechsels und der strukturellen Anpassungskrise in der ostdeutschen Wirtschaft.

Besonders von den Unternehmen wird die derzeitige Ausgestaltung des Fördersystems in den neuen Ländern häufig kritisiert. Zwar ist nach Auffassung des Geschäftsführers der Automatisierungstechnik Teltow GmbH das Volumen der fließenden Fördermittel im Prinzip als ausreichend zu bewerten, jedoch wird wegen der Vielzahl von Fördermaßnahmen das

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System als unübersichtlich und für das einzelne Unternehmen als unüberschaubar angesehen. In diesem Zusammenhang wird oft von einem 'Förderdschungel' gesprochen und eine Bündelung der Programme gefordert.

Erklären läßt sich die Vielfalt der Förderprogramme aus der Zahl der Akteure und deren unterschiedlichen Zielen und Motiven. Akteure mit jeweils eigenen Zielvorstellungen sind z.B. die Europäische Union, die Bundesebene mit unterschiedlichen Interessen einzelner Ministerien sowie die einzelnen Länder und teilweise Kommunen. Angesichts dieser Konstellation ist eine drastische Vereinfachung und Bündelung des Fördersystems nicht zu erwarten. Es ist auch umstritten, ob eine zu starke Vereinfachung nicht die Zielgenauigkeit der Förderung erheblich verschlechtern und das Ausmaß der unerwünschten Mitnahmeeffekte deutlich erhöhen würde.

Das einzelne Unternehmen sollte nicht – so die einhellige Meinung von Vertretern der Ministerien und der Industrie- und Handelskammer – den Überblick über das gesamte Fördersystem anstreben und sich bei seinen Entscheidungen nicht von der Vielfalt der Förderprogramme leiten lassen. Der Ausgangspunkt sollte vielmehr die vom Unternehmen identifizierte eigene Schwachstelle sein. In einem zweiten Schritt sollte dann mit einer Institution, die mit dem Fördersystem vertraut ist, geprüft werden, ob zur Behebung dieser Schwachstelle ein Förderprogramm genutzt werden kann. Als beratende Institutionen kommen z.B. die Hausbank, die Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern, die Wirtschaftsförderung oder Verbände in Frage, die bei ihrer Beratung in der Regel computergestützte Informationssysteme nutzen können. Eine solche Vorgehensweise entschärft das Problem der Vielfalt und Unübersichtlichkeit der Förderprogramme für das einzelne Unternehmen erheblich.

Dennoch sollte die Wirtschaftspolitik das derzeitige Fördersystem kritisch überprüfen und weiterentwickeln. Wichtig ist eine gründliche Evaluierung der Förderprogramme, indem überprüft wird, was diese Programme bewirkt haben, ob die intendierten Förderziele noch zeitgemäß sind und wie die Effizienz der Maßnahmen gesteigert werden kann. Bei der Weiterentwicklung sollte berücksichtigt werden, das aus Sicht der Unternehmen

  • die finanzielle Merklichkeit,

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  • die Praktikabilität und

  • die Planungssicherheit

wichtige Bedingungen für ein wirksames Fördersystem sind. Gerade die langfristige Orientierung der Förderung ist für unternehmerische Entscheidungen wichtig. Die mehrfache Verlängerung von Förderprogrammen um jeweils ein oder zwei Jahre bieten den Unternehmen weniger Orientierung und Planungssicherheit als eine definitive Befristung von Fördermaßnahmen.

Als übergeordnete Problembereiche für die Weiterentwicklung des Fördersystems sind

  • die Eigenkapitalstärkung, Unternehmensfestigung und Liquiditätssicherung,

  • die Instrumente der Absatzförderung und

  • die Stärkung der Innovationskraft der Unternehmen

zu nennen.

Beteiligungsgesellschaften und Venture Capital

Die Stärkung der Eigenkapitalbasis der Unternehmen wurde schon als zentrales Problem diskutiert. Als mögliche Wege angesprochen wurden die Eigenkapitalhilfe, die Partnerschaftskapital-Hilfe und – als der 'natürliche' Weg – die Stärkung des Eigenkapitals aus erwirtschafteten Mitteln. Weniger genutzt werden die Möglichkeiten, die die landeseigenen Beteiligungsgesellschaften bieten. Offensichtlich zögern viele Unternehmen, weil die Eigentümer befürchten, durch die Hereinnahme der Beteiligungsgesellschaft ihre gerade gewonnene unternehmerische Selbständigkeit zu gefährden. Wichtig wäre es, diese Befürchtungen durch Aufklärung und Verdeutlichung des Konzepts der Beteiligungsgesellschaften zu überwinden.

Ein anderer Weg, besonders für dynamische und innovative Unternehmen im High-Tech-Bereich, bestünde in der Beteiligung von Venture Capital. Über diesen Weg wird in anderen Volkswirtschaften das Wachstum innovativer Unternehmen zu einem erheblichen Umfang finanziert. In Deutschland – nicht nur in den neuen Ländern – ist der Markt für Risikokapital wenig entwickelt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen scheint die Risikobereitschaft bei Unternehmensgründern in Deutschland geringer zu sein als z.B. in den USA, wohl auch

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weil die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen eines möglichen Scheiterns gravierender sind. Zum anderen ist wegen der Struktur und der geltenden Regulierungen des deutschen Banken- und Finanzsystems das Angebot an Risikokapital geringer. So gibt es weniger institutionelle Anleger, die den Risikokapitalmarkt bedienen. Aufsichtsrechtliche Vorschriften halten beispielsweise Versicherungen davon ab, Risikokapital anzubieten. Wenn es gelänge, einige dieser Hemmnisse abzubauen und so den Risikokapitalmarkt zu fördern, könnte dies einen Beitrag zur Überwindung der Eigenkapitalschwäche leisten.

Absatz- und Exportförderung

Die mittelständischen Unternehmen haben nach wie vor erhebliche Probleme beim Marktzugang auf überregionalen Märkten. Dieses Problem trifft vor allem den industriellen Mittelstand. Wichtig sind deshalb weiterhin Förderprogramme, die diese Schwachstelle zum Gegenstand haben. Hier kommt es auf einen Mix unterschiedlicher Instrumente an, zumal eine Realisierung der von Wirtschaftsverbänden seit längerem geforderten Präferenzierung des Absatzes ostdeutscher Produkte durch eine Umsatzsteuerpräferenz nicht zu erwarten ist. Als hilfreich haben sich die Messeförderung und die Durchführung von Exportförderseminaren erwiesen. Nach Ansicht eines Vertreters des Bundesverbandes für die mittelständische Wirtschaft war die Veranstaltung solcher Seminare gerade auch in Ländern Mittel- und Osteuropas, wie z.B. Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, sehr erfolgreich.

Die Intensivierung dieser Wirtschaftsbeziehungen könnte sich positiv für Unternehmen in den neuen Ländern auswirken, da sie die Möglichkeit der verstärkten Arbeitsteilung mit Unternehmen in diesen Ländern eröffnet. Daraus könnten sich – unter anderem wegen der räumlichen Nähe – erhebliche Kosten- und Wettbewerbsvorteile für ostdeutsche Unternehmen ergeben. Allerdings stehen einer Intensivierung der Zusammenarbeit oft noch ungeklärte rechtliche Probleme und bürokratische Hemmnisse entgegen. Deren Überwindung wäre gerade für mittelständische Unternehmen von großer Bedeutung, da deren individuelle Umgehung und Beseitigung die Kapazitäten und Möglichkeiten dieser Unternehmen in der Regel übersteigt.

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Der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Landes Brandenburg wies daraufhin, daß die Organisation von regionalen Zulieferbörsen, z.B. für den Raum Berlin/Brandenburg, gerade für mittelständische Unternehmen eine gute Gelegenheit sei, Geschäftskontakte zu knüpfen und die Zusammenarbeit mit Großkunden anzubahnen.

Stärkung der Industrieforschung und der FuE-Infrastruktur

Für den nachhaltigen Erfolg von Unternehmen ist deren Innovationsfähigkeit von entscheidender Bedeutung. Nur wenn es einem Unternehmen gelingt, neue Produktideen zur Marktreife zu bringen, existierende Produkte weiterzuentwickeln und sich bei der Produktion moderner Technologien zu bedienen, kann es sich auf Dauer am Markt behaupten und eine hohe Wertschöpfung erzielen. Voraussetzung hierfür ist langfristig ein starke industrielle Forschung in den Unternehmen und eine gut ausgebaute und vernetzte Forschungsinfrastruktur im Umfeld.

Im Zuge der strukturellen Anpassungskrise in Ostdeutschland ist es zu einem drastischen Abbau der Industrieforschung gekommen: Von ursprünglich 85 000 Personen (1989) ist diese auf rund 16 000 zum Jahresende 1993 zurückgegangen. Es ist zu bezweifeln, ob diese Entwicklung angesichts der Entkopplung von Produktion und Forschung im Zuge der Umstrukturierung der ostdeutschen Wirtschaft hätte aufgehalten werden können. In der Konsequenz ist das FuE-Potential in den neuen Ländern gering, nur 2,5 % der industriellen FuE-Aufwendungen in Deutschland entfallen auf die neuen Länder. Hinzu kommt, daß das FuE-Personal weitgehend in kleinen und mittleren Unternehmen konzentriert ist, weil es sich bei vielen Großprojekten der Industrie (zunächst) vorwiegend um den Ausbau von Produktionskapazitäten handelt, Forschungsaktivitäten dagegen noch selten nach Ostdeutschland verlagert werden. Es fehlt also noch eine ausgewogene Mischung der industriellen Forschung.

Deshalb kam und kommt der staatlichen Forschungsförderung eine große Bedeutung zu. Schätzungsweise betrug 1993 allein der Anteil der Bundesförderung an den internen FuE-Aufwendungen der Unternehmen rund 40 %. Mit der 'FuE-Personalförderung Ost' wurden ca. 10 000 Personen (Vollzeitäquivalente) gefördert, das sind zwei Drittel des FuE-Personals

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in ostdeutschen Unternehmen. Diese wenigen Fakten belegen, daß die industrielle Forschung in den neuen Ländern sich generell noch in einer labilen Situation befindet, die auch in Zukunft noch einer erheblichen Förderung bedarf. Bei einem Ausbleiben oder erheblichen Rückgang wäre ein weiterer Abbau wohl zur Zeit unvermeidlich. Dies hätte erhebliche negative Rückwirkungen auf die Innovationskraft und damit auf die langfristigen Entwicklungschancen der Region.

Der Erhalt und schrittweise Ausbau der industriellen Forschung muß von einer Festigung und Entwicklung der Forschungsinfrastruktur in den neuen Ländern begleitet werden. Auch hierfür werden noch erhebliche finanzielle Mittel erforderlich sein.

Beratung, Information, Schulung, Qualifizierung

Weiterhin große Bedeutung für die Stärkung des Mittelstands kommt den Maßnahmen zu, die über Beratung, Information und Schulung die Nachteile ausgleichen, die kleine Unternehmen haben, weil sie für die Informationssammlung und -auswertung keine Personalkapazitäten bereitstellen können. Bei der problemgerechten Aufarbeitung und Vermittlung von Informationen kommt den Kammern und Verbänden eine wichtige Funktion zu.

Nach Ansicht eines Vertreters des Bundeswirtschaftsministeriums kommt der beruflichen Ausbildung und Qualifizierung von Mitarbeitern eine wichtige Rolle zu. Notwendig ist hierfür eine entsprechende Infrastruktur von Ausbildungseinrichtungen, wie die vom Ministerium geförderten überbetrieblichen Berufsbildungs- und Technologie-Transferzentren. Aber auch die Förderung von Schulungsmaßnahmen für Meister, Gesellen und Auszubildende trägt zur Verbesserung der Entwicklungschancen für mittelständische Unternehmen bei.

Umstritten ist, ob die Hilfestellung für die Unternehmen über die Unterstützung bei der Nutzbarmachung von Informationen und über die gezielte Schulung zu einzelnen Themenfeldern hinausgehen sollte. Vielfach wird geäußert, daß eine darüber hinaus gehende begleitende Beratung (Coaching) die Möglichkeiten von Kammern, Verbänden und Förderinstitutionen übersteigt. Sie werde von den Unternehmen in der Regel auch nicht angenommen, insoweit sie die eigentlichen Unternehmerfunktionen berühre. Hier dürfe die in unserem Wirtschafts-

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system angelegte Arbeitsteilung zwischen Politik und Verbänden einerseits und der Funktion des Unternehmers andererseits nicht verwischt werden. Beratung könne nicht ersetzen, was die eigentliche unternehmerische Leistung ausmache.

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6.3 Perspektiven und weitere Entwicklung

Im Jahr 1994 hat sich die konjunkturelle Lage in Deutschland – schneller als von den meisten Experten erwartet – aufgehellt. Die günstige konjunkturelle Entwicklung in Westdeutschland hat auch positive Impulse für die neuen Länder gesetzt. Dort wächst die wirtschaftliche Leistung im Zuge des Aufholprozesses seit einiger Zeit mit einer beträchtlichen Dynamik. Das Bruttoinlandsprodukt der neuen Länder ist im Jahr 1994 in realer Rechnung um 9 % gewachsen. Die Produktion des verarbeitenden Gewerbes hat, allerdings von einem niedrigen Niveau, um rund 20 % zugenommen. Der Beschäftigungsabbau in der gesamten Wirtschaft wurde erstmalig gestoppt. Die Zahl der Erwerbstätigen nahm 1994 leicht zu (0,5 % gegenüber dem Vorjahr). Erfreulich dynamisch entwickeln sich die Investitionen: Die Ausrüstungsinvestitionen wuchsen um 9 %, die Bauinvestitionen um gut 20 %. Das Niveau der Investitionen ist je Einwohner gerechnet in den neuen Ländern höher als in den alten Ländern. Es beträgt derzeit bei Ausrüstungen 112 % (Westdeutschland = 100) und bei Bauten 150 %.

Die neuen Länder haben in den letzten Jahren in der Produktivität«- und Einkommensentwicklung gegenüber Westdeutschland deutlich aufgeholt (vgl. Tabelle 2).

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Tabelle 2
Einkommens- und Produktivitätsentwicklung der neuen Länder im Vergleich zu den alten Ländern

Relation neue Länder
zu alte Länder in %1

1991

1992

1993

1994

Produktivität pro Kopf

31,0

42,5

49,5

51,8

Inlandsnachfrage pro Kopf

57,7

71,9

81,3

86,7

monatl. Durchschnittslöhne pro Kopf

47,9

61,9

67,6

71,5

1)Alte Länder = 100.
Quelle: Bundesministerium für Wirtschaft.



Da die Produktivität schneller gewachsen ist als die Löhne, hat sich auch die Lohn-Produktivitätslücke, die im Vergleich zu Westdeutschland besteht, spürbar verringert. Berechnet auf Basis der Bruttoeinkommen pro Kopf ist sie von 49 % im Jahr 1991 auf 33 % im Jahr 1994 um ein Drittel gesunken.

Bei der Beurteilung dieser insgesamt positiven wirtschaftlichen Entwicklung darf aber nicht übersehen werden, daß dieser Prozeß nach wie vor durch finanzielle Transfers im Umfang von zuletzt gut 170 Mrd. DM pro Jahr gestützt wird. Es wäre also verfrüht, schon jetzt von einem selbsttragenden wirtschaftlichen Aufschwung in den neuen Ländern zu sprechen.

Ohne Zweifel ist jedoch mit der konjunkturellen Wende eine wichtige Hürde für den weiteren Aufbau des Mittelstands beseitigt worden. Nach Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IFM), Bonn, wird der Mittelstand im Jahr 1995 kräftig wachsen, so daß rund 250 000 weitere Arbeitsplätze in diesem Bereich entstehen könnten. Es ist zu erwarten,

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daß dieser Zuwachs überwiegend in schon bestehenden Unternehmen entsteht, das Gründungsgeschehen selbst wird weiter an Dynamik verlieren.

Der Mittelstand wird also auch in Zukunft ein wichtiger Wachstumsträger in den neuen Ländern sein. Aufgrund seiner bisherigen Entwicklung und der zu erwartenden Dynamik ist er ein Hoffnungsträger im wirtschaftlichen Aufholprozeß der neuen Länder.

Für die weiteren Perspektiven ist zu beachten, daß die Situation in den einzelnen Bereichen des Mittelstands differenziert zu beurteilen ist. Während die Situation im Handwerk und bei den Freien Berufen alles in allem als positiv zu bewerten ist, bereitet die Situation im industriellen Mittelstand weiterhin Sorgen. Nicht wenige Unternehmen aus diesem Bereich haben nach wie vor erhebliche Schwierigkeiten, sich am Markt durchzusetzen. Ihre finanzielle Lage ist als labil einzuschätzen.

Die Politik ist gefordert, die weitere Entwicklung im industriellen Mittelstand genau zu beobachten und gegebenenfalls spezifische Unterstützungsmaßnahmen für diese Unternehmen in Erwägung zu ziehen. Im Hinblick auf das Ziel eines selbsttragenden wirtschaftlichen Aufschwungs, der mittel- und langfristig günstige Wachstumsperspektiven für Ostdeutschland sichert, kommt gerade der Überwindung der 'Schwachstelle' industrieller Mittelstand eine große Bedeutung zu.

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REFERENT(INN)EN UND TEILNEHMER DER PODIUMSDISKUSSION

Rolf Brune
Abteilungsleiter Wirtschaftsförderung, Investitionsbank des Landes Brandenburg, Potsdam

Peter Egenter
Hauptgeschäftsführer, Industrie- und Handelskammer Potsdam, Potsdam

Sigrid Feldheim
Niederlassungsleiterin, Grundkreditbank, Potsdam

Christine Herntier
Geschäftsführerin, Spremberger Tuche GmbH, Spremberg

Dr. Kurt Hornschild
Leiter der Abteilung Industrie und Technologie, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin (Tagungsleitung)

Ernst Lages
Geschäftsführer, ATT GmbH, Teltow

Joachim Laurich
Stellv. Abteilungsleiter, Deutsche Ausgleichsbank, Berlin

Dr. Wolfgang Liebernickel
Geschäftstellenleiter Berlin, Bundesverband für die mittelständische Wirtschaft – Unternehmerverband Deutschland e.V., Berlin

Leonardo G. Noto
Geschäftsführer, Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Landes Brandenburg, Neu Fahrland

Reinhard Oehler
Abteilungsleiter Mittelstand und Wirtschaftsordnung, Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie des Landes Brandenburg, Potsdam

Thomas Rautenberg
Redakteur Politik und Zeitgeschehen, Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg, Potsdam (Tagungsleitung)

Dr. Klaus Wegner
Referatsleiter Handwerksförderung, Bundesministerium für Wirtschaft, Bonn

Verfasser der Broschüre:

Dr. Dietmar Edler
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin


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