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Vorbemerkung


Die Wirtschaft in den neuen Ländern hat seit dem Jahr 1990 eine schwere Struktur- und Anpassungskrise durchlaufen, die zunächst mit einem deutlichen Rückgang der wirtschaftlichen Leistung und einem drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit verbunden war. In der letzten Zeit mehren sich die positiven Signale und es besteht die Hoffnung, daß der eingeleitete Aufholprozeß in einen selbsttragenden wirtschaftlichen Aufschwung mündet.

Große Hoffnungen werden hierbei in den Aufbau eines leistungsfähigen Mittelstands gesetzt. Von seiner Entwicklung und Förderung werden positive Effekte für die Schaffung von Arbeitsplätzen und für das Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Wirtschaft erwartet. In den letzten Jahren hat sich der Mittelstand, der im Wirtschaftssystem der DDR nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte, zügig entfaltet, wobei die Situation in einzelnen Bereichen unterschiedlich zu bewerten ist. Während sich insbesondere das Handwerk und die Freien Berufe sehr positiv entwickelt haben, bereitet die Situation im industriellen Mittelstand nach wie vor Sorgen. Vor allem die unzureichende Eigenkapitalausstattung gefährdet die Stabilität vieler Unternehmen.

Auf der von der Friedrich-Ebert-Stiftung am 14. Dezember 1995 in Potsdam durchgeführten Tagung "Hoffnungsträger Mittelstand" diskutierten Vertreter aus Politik, Verbänden und der Unternehmenspraxis über die bisherige Entwicklung und die zukünftigen Perspektiven des Mittelstands. In der vorliegenden Broschüre werden, thematisch strukturiert, die wesentlichen Aussagen und Ergebnisse der Referate und Diskussionen zusammengefaßt. Für Konzeption und Durchführung der Konferenz war Hannelore Hausmann, für die Organisation Ilona Reuter vom Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung verantwortlich. Verfasser des Tagungsberichtes ist Dr. Dietmar Edler vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.

Bonn, im März 1995

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1. Die Rolle des Mittelstands im Wirtschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland

In der wirtschaftspolitischen Diskussion in Deutschland kommt dem Mittelstand eine große Bedeutung zu. Von der Entwicklung und Förderung des Mittelstands werden vielfältige positive Effekte für die internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Wachstumschancen unserer Volkswirtschaft erwartet. Auch bei der Lösung des drängendsten Problems unserer Gesellschaft – der zunehmenden Massenarbeitslosigkeit – ruhen viele Hoffnungen auf der Entwicklung des Mittelstands. Für den ökonomischen Umstrukturierungs- und Aufbauprozeß in den neuen Ländern wird der Entwicklung eines leistungsfähigen Mittelstands ebenfalls eine entscheidende Rolle beigemessen – er wird als Hoffnungsträger im notwendigen Aufholprozeß der ostdeutschen Wirtschaft gesehen.

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1.1 Eine begriffliche Präzisierung des Mittelstands

Zunächst ist es sinnvoll, den inhaltlichen Gehalt des Begriffs Mittelstand etwas näher zu bestimmen. Dies erscheint umso notwendiger, als er in der Regel äußerst vielschichtig und facettenreich benutzt wird.

    "Der Begriff 'wirtschaftlicher Mittelstand' umfaßt sowohl quantitative als auch qualitative Merkmale, die für das Verständnis der Motive, Bedingungen und Besonderheiten selbständiger wirtschaftlicher Tätigkeit in Deutschland von hoher Bedeutung sind."
    [Vgl. z. B. Bundesministerium für Wirtschaft, Unternehmensgrößenstatistik 1992/93 – Daten und Fakten, Studienreihe Nr. 80, Bonn 1993, S. 1.]

Die übliche Begriffsabgrenzung bezieht also quantitative und qualitative Merkmale ein. Typischerweise werden Unternehmen, die weniger als 500 Beschäftigte haben und wirtschaftlich selbständig sind, sich also nicht im Eigentum von Konzernen befinden, zum Mittelstand gerechnet. Auch die Freiberufler werden im allgemeinen zum Mittelstand hinzugerechnet.

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Neben der Zahl der Beschäftigten werden häufig andere quantitative Größenindikatoren herangezogen. [So geht die Definition der Kommission der EU von weniger als 250 Beschäftigten und maximal 20 Mio. ECU Umsatz oder 10 Mio. ECU Bilanzsumme aus.]
Bei der qualitativen Abgrenzung des Mittelstands wird vornehmlich auf die Eigenständigkeit des Unternehmens abgestellt. Der mit dem Begriff Mittelstand oft identifizierte dynamische Eigentümerunternehmer, der sein Unternehmen prägt und führt, stellt nur eine von mehreren möglichen Ausprägungen dar, auch andere Eigentümer- und Managementstrukturen sind in mittelständischen Unternehmen anzutreffen.

Kleine und mittlere Unternehmen, die in ihren Entscheidungsbefugnissen eingeschränkt sind, weil sie in Unternehmensverflechtungen eingebunden sind, werden jedoch nicht zum Mittelstand gerechnet werden, auch wenn sie nach der quantitativen Abgrenzung zu diesem Unternehmenstyp gehören. Das Verhalten und die Funktion von Unternehmen, die in Unternehmensverflechtungen eingebunden sind, können sich von unabhängigen mittelständischen Unternehmen deutlich unterscheiden. Für die praktische Abgrenzung stellt sich jedoch das Problem, daß sehr unterschiedliche Formen der Unternehmensverflechtung, wie z.B. eine kapitalmäßige, eine vertragliche, eine personelle, eine institutionelle oder eine finanzielle Verflechtung, anzutreffen sind. Hinzu kommt, daß in den meisten statistischen Informationen das Merkmal der wirtschaftlichen Eigenständigkeit eines Unternehmens nicht zur Verfügung steht, so daß für die Mehrzahl der empirischen Untersuchungen zum Mittelstand nur auf die quantitative Größenordnung abgestellt werden muß. In diesem Sinne werden die Begriffe Mittelstand und kleine und mittlere Unternehmen (KMU) oft als Synonyme benutzt.

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1.2 Bedeutung und Funktion des Mittelstands

In den westlichen Industrieländern hat sich in den letzten Jahrzehnten eine vielfältige Unternehmenslandschaft herausgebildet – mit Unternehmen unterschiedlicher Größe, Organisation und Funktion. In den einzelnen Volkswirtschaften finden sich durchaus unterschiedliche Unternehmensstrukturen; das Zusammenspiel von großen und kleinen Unternehmen ist international keineswegs einheitlich, sondern das Resultat spezifischer Entwicklungen. Neben den institutionellen Gegebenheiten spielt auch der Entwicklungsstand

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einer Volkswirtschaft eine Rolle. Denn beim Zusammenspiel von großen und kleinen Unternehmen handelt es sich um keine statische Situation, sondern um einen evolutorischen Prozeß, der von vielen Randbedingungen beeinflußt wird.

Bei geeigneten Rahmenbedingungen und funktionierendem Wettbewerb müßte sich eine wirtschaftlich effiziente Mischung von Unternehmenstypen herausbilden. Die unterschiedlichen Unternehmenstypen müßten in den Bereichen der Volkswirtschaft ihren Platz finden, in denen sie aufgrund ihrer Charakteristika am effektivsten arbeiten können. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Unternehmenslandschaft sich organisch entwickeln kann. Angesichts des abrupten Systemwechsels und der tiefen Strukturkrise in Ostdeutschland kann sich eine solche Arbeitsteilung dort erst langfristig einstellen.

Es gibt Thesen, daß die Leistungsfähigkeit und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland wesentlich von der Vielfalt des Mittelstands profitiert. Als besondere Stärken des Mittelstands werden die Markt- und Kundennähe gesehen, die sich aus einer genauen Kenntnis der Situation in bestimmten Marktsegmenten und aus dem Eingehen auf Kundenwünsche ergeben. Gleichzeitig erlaubt die höhere Flexibilität oft eine kürzere Reaktionszeit auf Marktveränderungen, als sie in größeren Unternehmen zu erreichen ist. Hinzu kommt bei vielen mittelständischen Unternehmen eine große technische Kompetenz, die oft mit einer Spezialisierung einhergeht, so daß diese Unternehmen für Spezialprodukte führend auf dem Weltmarkt sind. Diesen Vorteilen, die sich teilweise aus der Organisationsstruktur ergeben, stehen jedoch auch Nachteile gegenüber. So müssen Defizite, die sich aus dem Fehlen bestimmter Unternehmensstäbe ergeben, durch Inanspruchnahme externer Dienstleistungen ausgeglichen werden. Ein häufiges Problem stellt die begrenzte Eigenkapitalbasis dar, die auch im eingeschränkten Zugang zum Kapitalmarkt zum Ausdruck kommt.

Mittelständische Unternehmen prägen in der Marktwirtschaft das Bild der Unternehmenslandschaft. In Europa haben 99 Prozent aller Unternehmen weniger als 500 Beschäftigte und werden dem Mittelstand zugerechnet. Davon sind etwa 93 Prozent Kleinunternehmen mit höchstens 9 Beschäftigten. Ein etwas anderes Bild über die Bedeutung des Mittelstands ergibt sich zumindest für die Industrie, wenn man die Beschäftigung als Maßstab heranzieht. Danach arbeiten in Westdeutschland etwa 40% der industriellen Arbeitnehmer in

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Unternehmen, die 20 bis 500 Beschäftigte aufweisen. Etwa 11% befinden sich in Unternehmen der Beschäftigtengrößenklasse 500 bis unter 1 000 und rund 48% sind in Unternehmen mit mehr als 1 000 Beschäftigten tätig. Wird zusätzlich das Kriterium der Eigenständigkeit herangezogen, dürfte der Anteil der in der mittelständischen Industrie tätigen Personen noch deutlich geringer sein als die nach der Beschäftigtengrößenklasse ermittelten etwa 40%.

Daß dem Mittelstand eine wichtige Rolle zukommt, er aber allein nicht ausreicht, um eine moderne Volkswirtschaft zum Erfolg zu führen, belegt die theoretische Diskussion zur Rolle kleiner und mittlerer Unternehmen. In der wirtschafts-, vor allem aber der innovationstheoretischen Forschung wurde dem Mittelstand nicht immer eine zentrale Funktion eingeräumt.

So wird bei der Frage nach dem innovatorischen Impulsgeber häufig diskutiert wer innovativer ist: Großunternehmen oder kleinere Unternehmen? Bis zu Beginn der 70er Jahre wurde diese Fähigkeit vorwiegend Großunternehmen zugeschrieben. Die Basis dafür liefert das Paradigma der modernen Industriegesellschaft, wonach in monopolistischen Industrien die Innovationsrate größer ist als in wettbewerbsintensiven Branchen und große Unternehmen wiederum innovativer sind als kleine. In die Industrieökonomik haben diese Überlegungen als sogenannte Neo-Schumpeter-Hypothese Eingang gefunden.

Um der Wirtschaft strukturelle Anpassungen an neue Märkte zu erleichtern, werden seit Mitte der siebziger Jahre die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten kleiner und mittlerer Unternehmen wirtschaftspolitisch stärker unterstützt. Ausschlaggebend für die Akzentuierung der Wirtschaftspolitik auf KMU waren einmal die strukturelle Schwäche der Wirtschaft, die sich u.a. in zunehmender Arbeitslosigkeit ausdrückte, und andererseits die Erkenntnis, daß der industrielle Mittelstand schneller und flexibler mit Innovationen auf sich ändernde Marktanforderungen reagieren könne.

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Die Bedeutung von KMU in der Innovationsphase ist mittlerweile unbestritten. In vergleichenden Studien [Vgl. z.B. Sahal, D., Technology, Productivity and Industry Structure, in: Technological Forecasting & Social Change, Vol. 24 (1983), S. 1ff.] zur Entwicklung unterschiedlicher Technologien wurde gezeigt, daß viele Entdeckungen, die zur Entwicklung von sogenannten Zentralinnovationen (major innovations) führen, das Ergebnis von Arbeiten einzelner Erfinder war oder in KMU entstanden sind. In der weiteren Entwicklung der fundamentalen Erfindungen bis hin zu Kommerzialisierung spielten aber meist die Großunternehmen eine führende Rolle. [Vgl. z.B. Freeman, C, The Economics of Industrial Innovation, London 1982.]

Von der Mittelstandsförderung werden positive gesamtwirtschaftliche Effekte im Hinblick auf Beschäftigung, Produktion und Innovationstätigkeit, die mit einer Intensivierung des Wettbewerbs und einer Modernisierung der Wirtschaft einhergehen, erwartet. Die Mitte der achtziger Jahre in der Bundesrepublik geführte Diskussion um die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen in kleinen und großen Unternehmen knüpfte an Debatten im Ausland, vornehmlich in den USA, an. Dort hatten vielbeachtete Untersuchungen, vor allem von Birch [Vgl. z.B. Birch, D., The Job Generation Process – M.I.T. Programme on Neighbourhood and Regional Change, Cambridge 1979 (unpublished manuscript); Birch, D., Who Creates Jobs. In: The Public Interest, No. 65, 1981, S. 3ff. Diese Untersuchungen sind in der weiteren Diskussion zumindest methodisch umstritten geblieben.], die These zu untermauern versucht, daß neue Arbeitsplätze vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen geschaffen werden, während die Beschäftigung in Großunternehmen per saldo rückläufig sei. Auch für Deutschland läßt sich empirisch belegen, daß vor allem kleine und mittlere Unternehmen im Zuge ihres Unternehmenswachstums die Beschäftigung ausweiten und so zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Daraus die wirtschaftspolitische Schlußfolgerung zu ziehen, ausschließlich den Mittelstand zu fördern, um die Arbeitsmarktprobleme zu lösen, wäre dennoch verfehlt. Eine solche Sichtweise ließe unberücksichtigt, daß ein großer Teil des Mittelstands von Großunternehmen und deren Entwicklung abhängig ist: Etwa zwei Drittel der Unternehmen sind – nach empirischen Untersuchungen – bei ihren Entwicklungen von Vorgaben ihrer Abnehmer abhängig. Wenn in Ostdeutschland nicht in ausreichendem Umfang Großunternehmen angesiedelt sind, dann ist dies eine nicht

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unwesentliche strukturelle Schwachstelle, die sich negativ auf die Chancen des Mittelstandes auswirkt.

Aus diesen Überlegungen wird deutlich, daß eine leistungsfähige Volkswirtschaft sowohl große, mittelgroße als auch kleine Unternehmen in ihrem Unternehmensbestand benötigt. Weder die großen noch die kleinen Unternehmen können alles, vielmehr ist eine effiziente Mischung unterschiedlicher Unternehmenstypen notwendig, um zu einem ökonomischen Optimum zu gelangen. In einer Wettbewerbswirtschaft ist die Unternehmensgröße selbst Resultat des Marktprozesses, in dem die komparativen Vorteile sich auch aus dem Spezialisierungsmuster ergeben.

Dies soll die Bedeutung des Mittelstandes nicht mindern. Im Gegenteil, ein Grund für die relativ starke internationale Position der deutschen Wirtschaft ist in hohem Maße in ihrer Wirtschaftsstruktur zu suchen – so die Hypothese eines Vertreters des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Mittelständische Unternehmen haben im Rahmen der Arbeitsteilung zwischen Unternehmen und Branchen zentrale Aufgaben. Sie sind Zulieferer von Großunternehmen und wettbewerbliches Regulativ. [Vgl. z.B. Hornschild, K., Innovation und volkswirtschaftlicher Strukturwandel, in: Schuster, J. (Hrsg.), Handbuch des Wissenschaftstransfers, Heidelberg 1989.]
Die Funktion des wettbewerblichen Regulativs nehmen sie dort ein, wo sie mit eigenen Produkten in Konkurrenz zu Großunternehmen treten. Schon allein wegen der begrenzten Produktionskapazitäten kann es sich dabei allerdings nur um Marktnischen handeln. Als Zulieferer helfen sie die Gesamtkosten senken, erhöhen die Anpassungsflexibilität der Wirtschaft und tragen auf diesem Wege zur Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Volkswirtschaft bei.

Mit zunehmender Globalisierung und der forcierten Anwendung moderner Produktionstechniken werden in der Praxis und in der ökonomischen Forschung Fragen nach dem Rollenspiel von Großunternehmen sowie mittelgroßen und kleinen Unternehmen im systemischen Zusammenhang wieder stärker diskutiert. Große Unternehmen werden schlanker, sie übertragen Aufgaben an sogenannte Subsystemhersteller, die sich wiederum der Produzenten von Komponenten bedienen. Gleichzeitig werden die Bedingungen für den Technologietransfer verbessert, indem entsprechende institutionelle Voraussetzungen

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geschaffen werden. Leistungsfähige Netzwerke setzen einen guten strukturellen Mix aus Unternehmen und Institutionen voraus. Der Mittelstand ist darin sowohl eine treibende als auch eine reagierende Kraft.





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2. Bisheriger Aufbau des Mittelstands in den neuen Ländern



2.1 Gründungsgeschehen und Bestand an Unternehmen

Im Wirtschaftssystem der DDR spielte der Mittelstand eine sehr untergeordnete Rolle. Es gab zwar in der DDR durchaus private Unternehmen, insbesondere in den Bereichen Handwerk, Handel, Gastgewerbe und Freie Berufe. Einen industriellen Mittelstand gab es seit der Verstaatlichungswelle im Jahr 1972 praktisch nicht mehr. Insgesamt dürfte es etwa 100 000 Selbständige gegeben haben. Sie hatten aber eine viel geringere wirtschaftliche Bedeutung als der Mittelstand im Westen. Hauptsächlich hatten sie die Funktion eines "Lückenfüllers". Ihr Betätigungsfeld war stark eingeengt; sie produzierten im wesentlichen für Nischen (insbesondere auf dem Markt für Konsumgüter), die staatliche Betriebe nicht ausfüllen wollten oder konnten. Viele der privaten Betriebe waren vor 1990 auch nicht eigenständig, sondern in Genossenschaften (den sogenannten Produktionsgenossenschaften des Handwerks) zusammengeschlossen. Staatliches und genossenschaftliches Eigentum stand im Vordergrund, die Rahmenbedingungen für privates unternehmerisches Eigentum fehlten weitgehend.

Seit 1990 mußte sich der Mittelstand in den neuen Ländern weitgehend neu bilden. Infolge des Unternehmensgesetzes der Volkskammer vom 7. März 1990 wurden erstmals auch im industriellen Bereich Betriebsgründungen möglich. Daneben gab es eine erste Welle von Reprivatisierungen durch die Treuhandanstalt ("Modrow-Reprivatisierungen").

Betrachtet man das Existenzgründungsgeschehen an Hand der Gewerbean- und -abmeldungen hat es besonders in den Jahren 1990 und 1991 einen Gründungsboom gegeben. Im monatlichen Durchschnitt gab es Nettoanmeldungen (Gewerbeanmeldungen abzüglich Gewerbeabmeldungen) von 21 200 (1990) bzw. 16 000 (1992). Inzwischen hat sich das Gründungsgeschehen erwartungsgemäß abgeflacht, es lag im 1. Halbjahr 1994 bei monatlich 4 700 Nettoanmeldungen. Insgesamt gab es bei über einer Million Anmeldungen und rund 430 000 Abmeldungen einen Nettozuwachs von 640 000 Gewerbeanmeldungen. Allerdings sind bei weitem nicht alle angemeldeten Gewerbe auch tatsächlich am Markt aktiv geworden. Nach Hochrechnungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IFM), Bonn, sind zum 30.6.1994 rund 420 000 selbständige Existenzen am Markt aktiv. Einschließlich der schon in der DDR

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aktiven Selbständigen, von denen nur ein Teil in den Gewerbeanmeldungen enthalten ist, läßt sich der Bestand auf 460 000 selbständige Existenzen schätzen

Bei einer regionalen Betrachtung führt das Land Sachsen mit 29,3 % der Existenzgründungen die Liste an, gefolgt von Thüringen (17,1 %), Brandenburg (16,6 %), Sachsen-Anhalt (16,5 %), Mecklenburg-Vorpommern (10,9 %) und Berlin (9,6 %). Bezogen auf die jeweilige Bevölkerungszahl bedeutet dies eine relativ gleichmäßige Verteilung des Gründungsgeschehens.

Tabelle 1
Bestand an mittelständischen selbständigen Existenzen in den neuen Ländern
- Stand: 30.6.1994 -

Wirtschaftsbereich

Zahl der
Unternehmen

Beschäftigte

Handwerk

140.000

1.200.000

Handel

137.000

450.000

Dienstleistungsgewerbe

99.000

720.000

Industrieller Mittelstand

11.500

550.000

Freie Berufe

72.500

180.000

Insgesamt

460.000

3.100.000

Quelle: Schätzungen des IFM.



In den rund 460 000 Unternehmen dürften rund 3,1 Mill. Arbeitnehmer eine Beschäftigung haben (vgl. Tabelle 1). Sowohl was die Zahl der Unternehmen als auch die Zahl der Beschäftigten angeht, nimmt das Handwerk eine Spitzenstellung ein. Dort finden in 140 000 Unternehmen rund 1,2 Mill. Personen eine Beschäftigung. In knapp 100 000 Unternehmen

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des Dienstleistungsgewerbes arbeiten 720 000 Personen. Der Handel bietet 450 000 Personen in 137 000 Unternehmen eine Beschäftigung. Im industriellen Mittelstand gibt es nach diesen Schätzungen einen Bestand von 11 500 Unternehmen mit 550 000 Arbeitsplätzen. Gut vorangekommen ist die Entwicklung der Freien Berufe. In diesem Bereich kann – bei 72 500 selbständigen Existenzen – von einer Beschäftigung von 180 000 Personen ausgegangen werden.

Die bisher gute Entwicklung des Handwerks wird auch unterstrichen, wenn man die Strukturen des Mittelstands in West- und Ostdeutschland vergleicht. Auch in einer solchen Perspektive schneidet das Handwerk – insbesondere das Bau- und Ausbauhandwerk – gut ab, während andere Bereiche, insbesondere aber der industrielle Mittelstand, noch Defizite aufweisen. Dies gilt sowohl im Hinblick auf den Arbeitsmarkt wie auch auf die Wirtschaftskraft.

Obwohl in den neuen Ländern nach wie vor eine hohe Bereitschaft zur Gründung selbständiger Existenzen besteht, wird es in Zukunft zu einer weiteren 'Normalisierung' der Dynamik von Unternehmensgründungen kommen. Diese Tendenz läßt sich zum einen aus den schon referierten Zahlen über die Nettogewerbeanmeldungen ablesen. Zudem verliert schon seit geraumer Zeit der (Re-) Privatisierungsprozeß durch die Treuhandanstalt für den Aufbau des Mittelstands an Bedeutung. In den zurückliegenden Jahren war die Treuhandanstalt – zumindest im industriellen Mittelstand – eine wesentliche Quelle des Aufbauprozesses. Bis Mitte 1993 sind schätzungsweise 7 000 mittelständische Industrieunternehmen durch Privatisierung – 4 100 Unternehmen, darunter 1 200 durch Management-buy-out (MBO) bzw. Management-buy-in (MBI) – und durch Reprivatisierung (rund 2 800) aus der Treuhandanstalt hervorgegangen. [Vgl. Belitz, H., Edler, D., Fleischer, F., Aufbau des industriellen Mittelstands in den neuen Bundesländern, in: Wochenbericht des DIW, Nr. 20/94, S. 321ff.]
Auch das Versiegen dieser Quelle deutet auf eine Abflachung des Gründungsprozesses von mittelständischen Unternehmen in den neuen Ländern hin.

Nach Auffassung eines Vertreters des Bundesministeriums für Wirtschaft wird deshalb in Zukunft die Bestandssicherung mittelständischer Unternehmen an Bedeutung gewinnen. Zwar haben sich die mit Eigenkapitalhilfe und ERP-Mitteln geförderten Unternehmen bisher als

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überraschend stabil erwiesen. Nach Auswertungen der Deutschen Ausgleichsbank sind beispielsweise von den Unternehmen, die im Jahre 1991 mit Eigenkapitalhilfe gefördert wurden, in Ostdeutschland nur 0,8 % mit Verlust gescheitert, während diese Quote für Westdeutschland 2,1 % betrug. Andererseits ist die Zahl der Insolvenzen in den neuen Ländern im 1. Halbjahr mit 2 266 Fällen gegenüber den Vorperioden deutlich gestiegen. Hierzu dürfte auch die konjunkturelle Entwicklung, die sich erfahrungsgemäß mit Zeitverzögerung im Insolvenzgeschehen widerspiegelt, beigetragen haben. Auch andere Indikatoren, wie die Meldungen der Geschäftsbanken über notleidende Darlehen, deuten jedoch auf eine zunehmende Insolvenzgefahr hin.

Beide Faktoren, Abflachung des Gründungsgeschehens und zunehmende Insolvenzgefahr, unterstreichen die wachsende Bedeutung der Bestandssicherung für die weitere Entwicklung des Mittelstands.

2.2 Förderung des Aufbauprozesses

Der ökonomische Transformationsprozeß in den neuen Ländern, speziell auch der Existenzgründungs- und Aufbauprozeß des Mittelstands, ist durch eine Vielzahl von Fördermaßnahmen angestoßen und begleitet worden. Sowohl der Bund als auch zunehmend die neuen Länder selbst haben ein breitgefächertes Förderinstrumentarium entwickelt. Darüber hinaus hat die Privatisierungspolitik der Treuhandanstalt in erheblichem Umfang den Aufbauprozeß in Ostdeutschland beeinflußt.

Das System der wirtschaftlichen Förderung durch Bund und Länder kann hier nur grob skizziert werden. Übersicht 1 gibt einen Überblick über wichtige Fördermaßnahmen- und Programme des Bundes. Neben steuerlichen Maßnahmen, auf die alle Unternehmen einen Rechtsanspruch haben, gibt es ein breites Spektrum von Förderaktivitäten, die sich speziell oder schwerpunktmäßig an den Mittelstand wenden. Besondere Bedeutung für den Aufbau und die Festigung des Mittelstands haben die Eigenkapitalhilfe und die ERP-Programme zur Existenzgründung. Diese Förderinstrumentarien wurden rege in Anspruch genommen, etwa jede zweite Existenzgründung wurde durch öffentliche Mittel gefördert.

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Übersicht 1
Wichtige Fördermaßnahmen und –programme des Bundes für die neuen Länder





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Seit 1991 wurden im Eigenkapitalhilfeprogramm 113 000 Anträge mit einem Volumen von 11 Mrd. DM bewilligt (Stand: 30.6.1994). Dabei hat die Zahl der bewilligten Anträge zuletzt abgenommen, während die durchschnittliche Höhe der bewilligten Darlehen erheblich zugenommen hat. Betrug das durchschnittlich bewilligte Volumen 1991 noch 66 000 DM, so war es im 1. Halbjahr 1994 auf 166 000 DM angewachsen.

Im Rahmen der ERP-Programme zur Existenzgründung wurden seit 1990 Kredite in Höhe von 17,8 Mrd. DM zugesagt, wobei auch in diesen Programmen die Zahl der Anträge rückläufig ist, das Volumen der durchschnittlich bewilligten Mittel jedoch wächst. Dies kann als ein Indiz dafür gesehen werden, daß die "Qualität" der Unternehmensgründungen im Zeitablauf gewachsen ist.

Der Anteil des Handwerks an den mit ERP-Mitteln geförderten Existenzgründungen hat stark zugenommen und lag im 1. Halbjahr 1994 bei 57 % (einschließlich industrielles Kleingewerbe). Auch im Eigenkapitalhilfeprogramm ist dieser Anteil ähnlich hoch (54 %), während 16 % auf den Tourismus, 14 % auf den Handel und 9 % auf die Freien Berufe entfallen.

An Bedeutung gewinnt die Förderung von Unternehmensfestigungen, besonders aus dem dafür aufgelegten ERP-Aufbauprogramm. Hieraus flössen seit 1992 Mittel im Umfang von 6,6 Mrd. DM. Nach Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums sind seit Beginn der Förderung aus den verschiedenen ERP-Kreditprogrammen und aus dem Eigenkapitalhilfeprogramm Finanzierungshilfen von insgesamt 47,5 Mrd. DM bewilligt worden.

Über diese speziellen Förderprogramme hinaus hat der Mittelstand auch an den übrigen Fördermaßnahmen wie der Investitionszulage, den Sonderabschreibungen, der Entlastung bei der Gewerbe- und Vermögensteuer, den Investitionszuschüssen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur (GA) sowie an den Programmen zur Förderung von Forschung und Entwicklung partizipiert.

Der Bund und die neuen Länder haben den Aufbau des Mittelstands nicht nur durch finanzielle Förderung der Unternehmen unterstützt, sondern auch versucht, die Entwicklung durch die Schaffung und Verbesserung von Rahmenbedingungen zu befördern. Dazu zählen zum

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einen ordnungspolitische Maßnahmen, die im Rahmen der Wettbewerbspolitik für einen 'fairen' Wettbewerb auch zwischen großen und kleinen Unternehmen sorgen. Aber auch Deregulierung, Entbürokratisierung und Privatisierung öffentlicher Leistungen sind Elemente einer Politik, die das unternehmerische Handeln in den Mittelpunkt stellt.

Zur Verbesserung der Rahmenbedingungen tragen Maßnahmen zum Ausbau der wirtschaftsnahen Infrastruktur bei. Im Rahmen der Gewerbeförderung wurde zum Beispiel der bedarfsgerechte Aufbau eines flächendeckenden Netzes überbetrieblicher Berufsbildungs- und Technologietransferzentren gefördert. Der Bund hat für 150 Projekte rund 440 Mill. DM bereitgestellt, einschließlich der Länder- und Eigenbeteiligungen wurde damit ein Investitionsvolumen von 800 Mill. DM für infrastrukturpolitische Bildungsmaßnahmen ausgelöst. Für Schulung, berufliche Qualifizierung, Information und Unternehmensberatung wurden ebenfalls erhebliche Mittel bereitgestellt.

Insgesamt ist die Gründung und der Aufbau des Mittelstands in den neuen Ländern durch ein differenziertes Spektrum von finanziellen und anderen Fördermaßnahmen unterstützt worden. Das finanzielle Volumen der Förderung, das bisher geflossen ist, hat ein beachtliches Ausmaß erreicht. Bei Fortbestehen der wesentlichen Elemente der Förderung werden auch in den nächsten Jahren noch erhebliche Mittel in den Aufbau und die Bestandssicherung des ostdeutschen Mittelstands fließen.

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3. Die Entwicklung des Mittelstands aus Sicht eines Landes: Mittelstandspolitik in Brandenburg



3.1 Die bisherige Bilanz für Brandenburg

Der Auf- und Ausbau der Unternehmenslandschaft im Land Brandenburg speist sich aus drei Quellen. Ein erster Teil entstand aus den Privatisierungen und Reprivatisierungen ehemals volkseigener Betriebe durch die Treuhandanstalt. Neben Großunternehmen und Konzerntöchtern entstanden auch über diesen Weg mittelständische Strukturen. Aus Sicht der Landesregierung ist die Bilanz der Treuhand-Privatisierungen für Brandenburg positiv zu beurteilen. Mit Investitionszusagen im Umfang von 34,9 Mrd. DM und Zusagen für mehr als 260 000 Arbeitsplätze nimmt das Land im Vergleich der neuen Länder (ohne Berlin) je Einwohner gerechnet den ersten Platz ein. Von ausländischen Investoren wurden bisher 141 Unternehmen bzw. Unternehmensteile bei gleichzeitigen Investitionszusagen in Höhe von annähernd 5 Mrd. DM erworben.

Die zweite Quelle für die Herausbildung der Unternehmenslandschaft ist die Ansiedlung von Unternehmen. Im Zeitraum 1991 bis Mitte 1994 konnten allein durch die Unterstützung der Wirtschaftsförderung Brandenburg GmbH 371 Betriebe angesiedelt werden. Diese wollen nahezu 11 Mrd. DM investieren und damit über 36 000 Arbeitsplätze schaffen und weitere 6 000 sichern. In Brandenburg wurde eine pragmatische Ansiedlungspolitik verfolgt, die sich neben der Ansiedlung von Großinvestoren wie z.B. BASF, BMW-Rolls Royce, Haindl und ABB vor allem um die Ansiedlung und Pflege mittelständischer Unternehmen kümmerte.

Neben Privatisierung und Neuansiedlung haben vor allem die Neugründungen eine entscheidende Bedeutung als Quelle für die weitere Zunahme des Unternehmensbestandes. Mit über 64 000 Nettogewerbeanmeldungen seit 1991 nimmt Brandenburg unter den neuen Ländern einen vorderen Platz ein. Wie in den anderen Ländern ist nach der ersten Gründungswelle inzwischen eine Konsolidierungsphase eingetreten. Dennoch wird auch in den nächsten Jahren mit einem weiteren deutlichen Zuwachs an Arbeitsplätzen im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen gerechnet.

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Innerhalb des mittelständischen Sektors in Brandenburg verlief die Entwicklung in den einzelnen Bereichen differenziert:

  • Das Handwerk gehört zu den Hauptträgern des wirtschaftlichen Aufschwungs in Brandenburg. Gab es zu Jahresbeginn 1990 rund 13 000 Betriebe mit 65 000 Beschäftigten, so sind derzeit mehr als 24 000 Betriebe mit etwa 170 000 Beschäftigten bei den Handwerkskammern registriert. Die durchschnittliche Zahl der Beschäftigten ist auf 7 Mitarbeiter gewachsen (in Westdeutschland: 8 Mitarbeiter). Gleichwohl scheint das Beschäftigungspotential noch nicht ausgeschöpft, es liegt in Brandenburg nach Schätzungen bei etwa 200 000 Personen.

  • Auch die Freien Berufe haben sich dynamisch entwickelt. Mitte des Jahres 1994 gab es in Brandenburg 12 300 Selbständige in Freien Berufen, einschließlich der abhängig Beschäftigten sind in diesem Bereich mehr als 35 000 Personen tätig. In einigen Bereichen (z.B. bei Ärzten und Ingenieuren) hat die Versorgungsdichte das westdeutsche Niveau erreicht, Entwicklungspotentiale bestehen jedoch noch in den rechts-, wirtschafts- und steuerberatenden Berufen.

  • Für das Land Brandenburg mit seinen vielfältigen Naturreichtümern und Kulturlandschaften ist der Tourismus ein wichtiges Wachstumsfeld. Dies wird durch die Zunahme der registrierten Gäste und der Zahl der Übernachtungen unterstrichen. Vor diesem Hintergrund wird mit einer weiteren kräftigen Steigerung der Zahl der Unternehmen und der Beschäftigung gerechnet, die gegenwärtig bei 30 000 Personen (Teil- und Vollzeitbeschäftigte) liegt.

  • Im Dienstleistungsbereich ist die Entwicklung – trotz der Zunahme der Beschäftigung und steigender Leistungsentwicklung in einigen Bereichen – insgesamt nicht zufriedenstellend. Die produktionsorientierten Dienstleistungen leiden unter der noch unzureichenden Entwicklung im industriellen Bereich, die konsumnahen Dienstleistungen sind von der schwachen Nachfrage der privaten Haushalte aufgrund deren angespannter finanzieller Situation betroffen. Nur in einigen Bereichen der Dienst-

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    leistungen ist die Entwicklung zufriedenstellend, so z.B. im Kredit- und Versicherungsgewerbe.

  • Auch der mittelständische Handel wird durch die Nachfrageschwäche gehemmt. Bei erheblichen Unterschieden zwischen den einzelnen Sparten hat sich dieser Bereich zwar stabilisiert, ein eindeutiger Aufwärtstrend ist jedoch noch nicht festzustellen. Hinzu kommt die zunehmende Konkurrenz durch große Handelsketten, die die Entwicklung des mittelständischen Handels gerade in den Innenstädten behindert.

  • Die Lage im industriellen Mittelstand ist nach wie vor kompliziert. Die Situation in den einzelnen Branchen ist differenziert zu beurteilen. Es sind – auch konjunkturell bedingt – zunehmend positive Tendenzen bei wichtigen Indikatoren wie Umsatzentwicklung und Auftragseingang zu verzeichnen. In den letzten Jahren ist es auch in Brandenburg zu einem starken Rückgang der Industriebeschäftigung auf rund 80 000 Personen gekommen, so daß der Industriebesatz geringer als in vergleichbaren Regionen Westdeutschlands ist. Allerdings ist der Abbau von Arbeitsplätzen zuletzt zum Stillstand gekommen. Im Zuge des Umstrukturierungsprozesses ist der Anteil mittelständischer Unternehmen an der Gesamtstruktur des verarbeitenden Gewerbes gewachsen. So hat der Anteil der Beschäftigten in mittelständischen Industrieunternehmen von 56 % im Juni 1993 auf 66 % im Juni 1994 zugenommen, beim Umsatz ist der Anteil im gleichen Zeitraum von etwa 60 % auf über 63 % angestiegen.


3.2 Ziele und Instrumente der Mittelstandspolitik im Land Brandenburg

Oberstes Ziel der Mittelstandspolitik des Landes ist nach Aussagen eines Vertreters des brandenburgischen Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie, durch die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen und durch gezielte Fördermaßnahmen zum Aufbau von wettbewerbsfähigen Dauerarbeitsplätzen beizutragen. Die Landesregierung unterstützt Existenzgründer sowohl bei der Stärkung ihrer Eigenkapitalbasis als auch beim Ausbau ihrer Managementqualitäten, um den Unternehmen gerade in der Startphase unter schwierigen Randbedingungen zu helfen. Neben der Förderung von Existenzgründungen wird in Zukunft

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die Bestandssicherung von Unternehmen an Bedeutung gewinnen. Ein erster Schritt wurde hier im Juli 1994 mit dem Liquiditätssicherungsprogramm (vgl. Abschnitt 5.2) getan.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Ansiedlung zusätzlicher 'industrieller Haltepunkte’ durch gezielte Firmenakquisition. Kleine und mittlere Unternehmen benötigen für ihre Entwicklung auch große Unternehmen im regionalen Umfeld, um ihre technologischen Fertigkeiten und ihre Flexibilität produktiv einsetzen zu können. Die erkennbaren positiven Tendenzen in der Industrie sollen durch eine gezielte Ansiedlungspolitik unterstützt werden.

Ein wesentliches Element der brandenburgischen Wirtschaftspolitik ist die Technologie- und Innovationspolitik. Der Erhalt und der Wiederaufbau von Forschungs- und Entwicklungspotentialen in den Unternehmen und in der wirtschaftsnahen Forschungsinfrastruktur ist eine wesentliche Voraussetzung, um auf Dauer international wettbewerbsfähig zu sein. Eine innovative Technologiepolitik hilft darüber hinaus bei der Bewältigung des notwendigen wirtschaftlichen Strukturwandels in Brandenburg. Ausdruck dieser Erkenntnis ist die 'Technologieinitiative Brandenburg'. Der Kern dieses Konzepts besteht aus fünf sich gegenseitig ergänzenden Förderprogrammen zur Unterstützung innovativer Maßnahmen in kleinen und mittleren Unternehmen. Die Akzeptanz dieser Programme ist sehr hoch, so daß im Zeitraum 1991 bis Juni 1994 über 113 Mill. DM in die Förderung von Innovationen und Technologien geflossen sind.

In Zukunft wird es verstärkt darum gehen, die universitäre und außeruniversitäre Forschung im Raum Berlin/Brandenburg als einen wichtigen Impulsgeber für technologieintensive mittelständische Unternehmen zu nutzen. Im Rahmen des Landestechnologiekonzepts werden in diesem Zusammenhang Projekte gefördert, die für einen schnellen Wissenstransfer zwischen universitärer Forschung und der Anwendung dieser Ergebnisse in der Wirtschaft sorgen.

Das Wirtschaftsministerium des Landes Brandenburg hat darüber hinaus gemeinsam mit der Europäischen Union die erste Technologie-Beteiligungsgesellschaft in den neuen Ländern initiiert. In den nächsten zwei Jahren soll sich der Fond an gut zwei Dutzend Technologie-

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unternehmen in Brandenburg beteiligen. Die Beteiligung kann bis zu 49% ausmachen, wobei eine Beteiligungshöchstsumme von 500 000 DM vorgesehen ist.

Neue Herausforderungen stellen sich für kleine und mittlere Unternehmen auch mit dem Fortschreiten des europäischen Integrationsprozesses. Um die sich durch die Fortentwicklung des gemeinsamen Marktes ergebenden Chancen zu nutzen, ist auch der Mittelstand zu verstärkten Kooperationen und zum Überdenken seiner Unternehmensstrategien verpflichtet. Auch die räumliche Nähe zu den im Transformationsprozeß voranschreitenden Volkswirtschaften Mittel- und Osteuropas ist in diese Kooperations- und Strategieüberlegungen einzubeziehen. Sie bietet aufgrund der wachsenden Absatzmärkte und der Standortkonkurrenz gleichermaßen Chancen und Risiken. Es bestehen für Unternehmen und die sie unterstützende Wirtschaftspolitik erhebliche Gestaltungsmöglichkeiten, die es zu nutzen gilt.

Aus Sicht der Landesregierung ist Mittelstandspolitik in erster Linie Ordnungspolitik. Deregulierung, Entbürokratisierung und Privatisierung öffentlicher Leistungen sind wichtige Elemente dieser Politik. Die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für einen selbsttragenden Aufschwung und eine auf die Probleme der mittelständischen Wirtschaft zugeschnittene differenzierte Förderung haben für Wirtschaftspolitik des Landes Brandenburg auch in Zukunft höchste Priorität.


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