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[Seite der Druckausg.: 7(Fortsetzung)]



2. Die Folgen des Strukturbruchs in den neuen Bundesländern


2.1. Bewegungen im Beschäftigungssystem

Die Langzeitarbeitslosigkeit entwickelt sich in den neuen Bundesländern auf dem Hintergrund eines völlig zusammengebrochenen Beschäftigungssystems. Dieser Strukturbruch und seine bisherige Bewältigung läßt sich an der folgenden Abbildung skizzieren, die Ausmaß und Richtung des Beschäftigungsabbaus erkennen läßt:

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Abbildung 3:

Potential an ostdeutschen Erwerbspersonen

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Nach allen verfügbaren Prognosen wird auch auf lange Sicht die Beschäftigung nur langsam wieder ansteigen. Ein nachhaltiger Rückgang der Arbeitslosigkeit ist deshalb wenig wahrscheinlich, solange jedenfalls nicht neue beschäftigungsfördernde Strategien – Umverteilung der Arbeit durch weitere Arbeitszeitverkürzung, Erschließung neuer Beschäftigungsfelder o.a. – entwickelt und in entsprechenden Größenordnungen umgesetzt werden.

Differenzierte Betrachtungen der Strukturveränderungen der Beschäftigung in den neuen Bundesländern ergeben einen engen Zusammenhang mit Alter und Geschlecht. Der globale Beschäftigungsabbau von rund einem Drittel aller Erwerbstätigen seit November 1989 ging vor allem zu Lasten von Frauen und Älteren. Weisen die Altersgruppen bis 54 Jahre 1993 noch einen Bestand von 60 - 77% der Erwerbstätigen von 1989 auf, so sinkt dieser Prozentsatz in der Altersgruppe der 55-59jährigen auf 42% und in derjenigen der 60-64jährigen auf lediglich noch 9% ab. Bei den Frauen, deren Quote im Gesamtdurchschnitt rund 10 Prozentpunkte unter derjenigen der Männer lag, geht die Erwerbstätigkeit 1993 in der Altersgruppe ab 55 Jahren auf lediglich 34% derjenigen von 1989 zurück, um in der Altersgruppe ab 60 Jahren auf nur noch 6% abzusinken.

Unter Einbeziehung weiterer Angaben des Arbeitsmarkt-Monitors nach dem lAB-Bericht 12/94 zum Verbleib der Erwerbstätigen von 1989 (lag zum Zeitpunkt der Tagung noch nicht vor) lassen sich weitere wichtige Strukturveränderungen im Wirtschafts- und Beschäftigungssystem feststellen. Unter den 1993 noch immer Erwerbstätigen (64%) befanden sich 55% in ungeförderter, 4% in geförderter Beschäftigung und 5% waren West-Pendler. Die Ausgeschiedenen (34%) befanden sich zum größeren Teil (19%) in Rente bzw. bezogen Altersübergangsgeld, 15% waren arbeitslos gemeldet bzw. in Fortbildung und Umschulung (F&U).

Die stärksten Beschäftigungsverluste erlitten die Industrie, insbesondere die Metallindustrie, sowie die Landwirtschaft, wo nur wenig mehr als die Hälfte des Beschäftigungsniveaus von 1989 gehalten werden konnte. In der Industrie der neuen Bundesländer insgesamt und wiederum insbesondere in der Metallindustrie standen 1993 sogar nur 45% der Erwerbstätigen von 1989 in ungeförderter Beschäftigung. In den meisten

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Sektoren überwog bei den Ausgeschiedenen der Anteil der dauerhaft in Rente bzw. Altersübergangsgeld ausgegliederten gegenüber dem Anteil derer, die auf eine Rückkehr in den Arbeitsmarkt orientiert blieben. In der Industrie (ohne Metallindustrie) verhielt es sich jedoch umgekehrt.

Unter den 1989 Erwerbstätigen haben insgesamt 53% Erfahrungen mit AFG-Maßnahmen gemacht. Darunter befinden sich 10% Empfänger von Altersübergangsgeld. Unter den 1993 weiterhin Erwerbstätigen hatten zwischenzeitlich 49% Erfahrungen mit AFG-Maßnahmen.

Diejenigen, die nach 1989 arbeitslos wurden, konnten zu 63% wieder in Erwerbstätigkeit einmünden. Darunter befinden sich jedoch 11% Westpendler und 6% in geförderter Beschäftigung, d.h. lediglich 46% gelang die Rückkehr in den regulären ersten Arbeitsmarkt der neuen Bundesländer.

Dies bedeutet nach einhellig geäußerter Auffassung, daß die wirtschaftlichen Strukturveränderungen noch bei weitem nicht zu einem aufnahmefähigen Arbeitsmarkt geführt haben. Die Mehrzahl der Erwerbstätigen konnte nur durch die eingesetzten arbeitsmarktpolitischen Instrumente ihren Verbleib im bzw. ihre Rückkehr in den Arbeitsmarkt durchsetzen.

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2.2. Tendenzen des Arbeitsplatzangebots in Thüringen

Auch für Thüringen läßt sich – nach den Ausführungen des Vertreters der Industrie- und Handelskammer Ostthüringen – die allgemein beschriebene Tendenz der Strukturveränderungen bestätigen. Auch hier ging der Beschäftigungsabbau hauptsächlich im Verarbeitenden Gewerbe und in der Landwirtschaft sowie im Staatssektor vor sich. Am Bau sowie im Dienstleistungsbereich (ohne Verkehr/Kommunikation) sind dagegen relativ umfangreiche Beschäftigungszuwächse erkennbar, die jedoch bei weitem nicht die Größenordnungen des zuvor erfolgten Beschäftigungseinbruchs erreichen. Die vom IAB für die alten Bundesländer angestellte Prognose über die Branchen und Tätigkeitsbereiche mit zunehmender Beschäftigung lassen sich mithin zunehmend auch auf die neuen Bundesländer anwenden – insbesondere im Hinblick auf den Zuwachs an wirtschaftsbezogenen sowie auch sozialen Dienstleistungen.

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Wie in der Gesamtentwicklung der neuen Bundesländer standen dabei auch in Thüringen kleine und mittlere Unternehmen im Vordergrund. Die Betriebe mit 1.000 und mehr Beschäftigten sind bis auf wenige Ausnahmen völlig verschwunden, die darunterliegende Größenklasse von 500 - 999 Beschäftigten ist ebenfalls sehr dünn besetzt. Die beschäftigungspolitische Dynamik ging mithin von vielen Klein- und Mittelbetrieben aus. So entstanden in den vergangenen Jahren bei ca. 400.000 Neugründungen in diesem Bereich rund 3 Millionen Arbeitsplätze.

Die wirtschaftlichen Entwicklungstendenzen weisen noch eine eher beschäftigungsneutrale Aufwärtsentwicklung auf. So konnte die Industrie Ostthüringens zwischen Anfang 1993 und Mitte 1994 zwar ihren Umsatz per saldo um 71% steigern, die Beschäftigung sank dagegen im gleichen Zeitraum per saldo um 9%.

Abbildung 4:
Verarbeitendes Gewerbe in Ostthüringen

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Die IHK Ostthüringen ermittelte in ihren jüngsten Konjunkturumfragen, daß das Investitionsgeschehen sich hauptsächlich auf Kostensenkungs-, Produktinnovations- sowie Ersatzinvestitionen konzentriert. Nur in 12% der Fälle waren mit beabsichtigten Investitionen auch Beschäftigungszuwächse verbunden.

Immer noch prägend ist das Problem der Kapitalschwäche: .Dem Zusammenbruch der alten Großbetriebe war fast unmittelbar auch der Verlust der angestammten Märkte gefolgt. Neugegründete Betriebe, die nicht unter dem Schutz eines westdeutschen Großkonzerns bzw. einer internationalen Investorengruppe stehen, müssen sich deshalb mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf die Eroberung neuer bzw. die Wiedergewinnung alter Märkte konzentrieren. Das dafür zur Verfügung stehende Kapital ist jedoch häufig zu knapp, um längere Verluststrecken bei der Markteinführung neuer Produkte zu überwinden. Hinzu kommt, daß eine sichere Absatzstruktur zur Mitfinanzierung solcher Phasen aus dem laufenden Geschäft heraus häufig fehlt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | November 2001

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