FES HOME MAIL SEARCH HELP NEW
[DIGITALE BIBLIOTHEK DER FES]
TITELINFO / UEBERSICHT



TEILDOKUMENT:


[Seite der Druckausgabe: I-II = Inhaltsverzeichnis]

[Seite der Druckausgabe: III]


Vorwort

Die Einführung des Vergleichsmietensystems in Ostdeutschland -geplant für Anfang 1998 - sorgt unter den Betroffenen für erheblichen Diskussionsstoff. Für viele Mieter verbinden sich mit dem Stichwort 'Vergleichsmiete' große Ängste bezüglich der weiteren Mietenentwicklung. Sie befürchten eine Erhöhung ihrer Mieten in kurzer Zeit auf Westniveau. Hingegen sehen viele Vermieter durch die Orientierung künftiger Mieterhöhungen an 'vergleichbaren' üblichen Mieten in der Gemeinde die Rentabilität ihrer Investitionen gefährdet. Dringend notwendige Modernisierungsinvestitionen müßten in Zukunft unterbleiben. Ihre Kritik richtet sich im besonderen auf die Einbeziehung der derzeit noch preisgebundenen Mieten bei der Ermittlung der Vergleichsmiete.

Manche Vermieter bezeichnen das Vergleichsmietensystem sogar als einen 'marktwirtschaftsfremden Eingriff des Staates in die freie Preisbildung'. Seine Befürworter halten diese Kritik für unbegründet. Im Gegenteil schärfe das Vergleichsmietensystem die notwendige Markttransparenz und Rechtssicherheit sowohl für Mieter als auch für Vermieter. Es schütze den Mieter vor willkürlichen Mieterhöhungen, verhelfe aber auch dem Vermieter zu Rentabilitätssicherheit.

Auf beiden Seiten führt also die bevorstehende Änderung des Mietensystems zu großen Unsicherheiten und Vorbehalten. Es fehlt an ausreichenden Informationen über die Funktionsweise des Vergleichsmietenssystems wie auch an Erfahrungen mit der konkreten Ausgestaltung der Mietspiegel. Diese entscheidet letzten Endes darüber, wie sich die weitere Mietenentwicklung in den einzelnen Segmenten des Wohnungsmarktes vollzieht und welche Folgen das Vergleichsmietensystem für die beiden Vertragsparteien tatsächlich hat. Viele ostdeutsche Gemeinden sind derzeit mit der Aufstellung von Mietspiegeln befaßt und ebenso wie Mieter und Vermieter an Informationen und Arbeitshilfen interessiert.

Dies war Anlaß für die Friedrich-Ebert-Stiftung, am 25. November 1996 in Weimar eine Konferenz mit dem Titel 'Einführung des Vergleichsmietensystems in Ostdeutschland' durchzuführen,

[Seite der Druckausgabe: IV]

die zum Informations- und Erfahrungsaustausch und zur Meinungsbildung beitrug und den schwierigen Prozeß der Umstellung auf den neuen gesetzlichen Rahmen unterstützte.

In Podiumsdiskussionen wurden die Konzeptionen und Positionen zum Vergleichsmietensystem aus politischer Sicht vorgestellt und die Interessenlagen von Mietern, Eigentümern und Wohnungswirtschaft kritisch beleuchtet. Sodann referierten Experten über die Praxis der Vergleichsmietenermittlung in Westdeutschland und über die Erfordernisse und Möglichkeiten, ostdeutsche Besonderheiten bei der Mietspiegelerstellung zu berücksichtigen. Den Abschluß bildeten die Berichte von Vertretern der Stadt Suhl und der Stadt Leipzig. Diese beiden Städte haben schon frühzeitig die Vorbereitungen für die Aufstellung eines Mietspiegels aufgenommen. Ihre methodischen Vorgehensweisen und praktischen Erfahrungen waren für die an konkreten Hilfen interessierten Teilnehmer der Veranstaltung von hohem Informationswert und Nutzen.

Die vorliegende Broschüre faßt die Referate und Diskussionsbeiträge der Tagung in Weimar thematisch strukturiert zusammen. Für die Konzeption und die Durchführung der Veranstaltung war Diplom-Ökonomin Hannelore Hausmann vom Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung verantwortlich, mit der Organisation waren Andrea Grugel und Ilona Reuter betraut. Den Tagungsbericht verfaßte Dr. Stefan Kofner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stiftungslehrstuhl Grundstücks- und Wohnungswirtschaft der Universität Leipzig.

Hannelore Hausmann

Bonn, Februar 1997

[Seite der Druckausgabe: V]

Page Top

Zusammenfassung und Schlußfolgerungen

Die Entwicklung des ostdeutschen Mietrechts nach der deutschen Wiedervereinigung war vom Einigungsvertrag vorgezeichnet. Die Bundesregierung wurde zur schrittweisen Anpassung der gebundenen Mieten im Rahmen von allgemeinen Einkommenserhöhungen ermächtigt. Ebenfalls schon im Einigungsvertrag enthalten war die Absichtserklärung, alle ostdeutschen Mieten in das Vergleichsmietensystem überführen zu wollen.

Derzeit unterliegt der weit überwiegende Teil der ostdeutschen Mieten noch besonderen Preisbindungen. Die gebundenen Mieten werden zum 1.1.1998 bzw. nach der Übergangsvorschrift zum Teil bereits zum 1.7.1997 in das Vergleichsmietensystem entlassen. Außerdem können die gebundenen Mieten in die ersten ostdeutschen Mietspiegel einbezogen werden. Die Überführung eines solch großen Teilbestandes aus der Preisbindung in das marktorientierte Vergleichsmietensystem ist historisch ohne Vorbild. Sie stellt ohne Frage besondere Gestaltungsanforderungen an die ostdeutschen Mietspiegel.

Das auf eine bestimmte Gerechtigkeitsvorstellung zurückzuführende Prinzip des Vergleichsmietensystems läßt sich auf die einfache Formel verkürzen: „Du darfst nicht mehr Miete verlangen als Dein Nachbar!" Das Verbot läßt sich weiter präzisieren: „Du darfst nicht mehr Miete verlangen, als im Durchschnitt der letzten vier Jahre für vergleichbare Wohnungen erzielt wurde." Für die Vergleichbarkeit sind einzig die fünf Wohnwertmerkmale Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage maßgeblich. Das Verbot der Überschreitung der sog. 'ortsüblichen Vergleichsmiete' gilt in strenger Form nur für Mieterhöhungen im Vertragsbestand. Bei Neuverträgen darf um

[Seite der Druckausgabe: VI]

bis zu 20 vH über der ortsüblichen Vergleichsmiete abgeschlossen werden. Die ortsübliche Vergleichsmiete als Maßstab für die Rechtmäßigkeit von Mieterhöhungsverlangen setzt eine empirische Erhebung der Mietpreisstruktur am Ort voraus. Andernfalls wäre das Verbot ihrer Überschreitung für den Richter im Mieterhöhungsprozeß nicht justiziabel.

Der Verband der Thüringer Wohnungswirtschaft kritisierte das Vergleichsmietensystem als einen Eingriff in die freie Mietpreisbildung. Bei aller während der Tagung geäußerten Kritik an seiner Ausgestaltung im einzelnen kann das Vergleichsmietensystem aber nach überwiegender Meinung doch nicht als ein ordnungspolitischer Fremdkörper bezeichnet werden. Das Vergleichsmietensystem muß als Antwort auf ein spezifisches Marktversagen angesehen werden.

Im Rahmen des Vergleichsmietensystems sind Mietspiegel das ideale Mittel zum Auffinden der Vergleichsmiete für eine bestimmte Wohnung. Die Erhebungsmethode und die Gliederung von Mietspiegeln sind nicht verbindlich geregelt. Aus diesem Grund herrscht in der Praxis der Mietspiegelerstellung eine große Methodenvielfalt. Man unterscheidet empirisch-repräsentative Mietspiegel, die auf einer nach anerkannten statistischen Methoden ausgewerteten Primärerhebung der Mietpreisstruktur am Ort basieren und sog. 'ausgehandelte Mietspiegel', die eine Mietpreisstruktur wiedergeben, auf die sich die beteiligten Verbände der Mieter- und der Vermieterseite geeinigt haben. Die wichtigste Funktion der Mietspiegel liegt in der Schaffung von Transparenz und Rechtssicherheit für das Mieterhöhungsverfahren. Es herrschte allgemeiner Konsens, daß es wünschenswert sei, daß in möglichst

[Seite der Druckausgabe: VII]

vielen ostdeutschen Gemeinden Mietspiegel erstellt werden.

Unter den Mietern sind vielfach Besorgnisse und Vorbehalte gegenüber der Einführung des Vergleichsmietensystems auszumachen. Diese Ängste sind darauf zurückzuführen, daß die Mieter auf Grund fehlender Erfahrungen mit dem Vergleichsmietensystem die Auswirkungen seiner Einführung auf die zukünftige Mietpreisentwicklung nicht einschätzen können. Von der Seite der Vermieter wurde mehrfach die Befürchtung geäußert, die Rentabilität von vergangenen und zukünftigen Investitionen in den Wohnungsbau könnte durch die Einführung des Vergleichsmietensystems gefährdet sein.

Als Bedrohung für die Rentabilität wird insbesondere die Einbeziehung der derzeit noch preisgebundenen Mieten in die Mietspiegel angesehen. Doch wurde die Berücksichtigung dieser Mieten schon in den ersten Mietspiegeln vom Gesetzgeber ausdrücklich gestattet. Der Verband der Haus- und Grundstückseigentümer Thüringen (Haus & Grund Thüringen) sowie der Landesverband Freier Wohnungsunternehmen Sachsen/ Sachsen-Anhalt/ Thüringen haben auf die Verzerrungen innerhalb der preisgebundenen Mieten hingewiesen. Diese Mieten würden nicht nach der Wohnungslage und der Wohnungsgröße differenzieren. Die Verbände befürchten eine Zementierung der Verzerrungen und ein zu niedriges Mietenniveau. Eine marktgerechte Differenzierung der Mieten könne erst im Zeitablauf durch höhere Neuvertragsmieten erreicht werden. Die beiden Verbände haben aber trotz dieser Vorbehalte nicht die Forderung aufgestellt, die preisgebundenen Mieten bei der Erstellung der ersten ostdeutschen Mietspiegel außen vor zu lassen.

[Seite der Druckausgabe: VIII]

Von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Reform des Mietrechts wurde vorgeschlagen, die Mietspiegel als Begründungsmittel bei Mieterhöhungsverlangen wie auch als Beweismittel im Mieterhöhungsprozeß aufzuwerten. Der Staatssekretär des Ministeriums für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr des Landes Sachsen-Anhalt lehnt dagegen eine Aufwertung der Mietspiegel als Begründungsmittel ab. Die von der Expertenkommission Wohnungspolitik, dem Gesamtverband der Wohnungswirtschaft, dem Deutschen Mieterbund (DMB) sowie von der SPD erhobene Forderung nach einer Mietspiegelpflicht ab einer bestimmten Gemeindegröße geht über eine bloße Aufwertung der Mietspiegel hinaus. Der Zentralverband der Deutschen Hauseigentümer (Haus & Grund Deutschland) wendet sich vehement gegen einen solchen Zwang zur Einführung von Mietspiegeln.

Kontrovers diskutiert wurde die Forderung des Deutschen Mieterbundes nach einem einfachen Aufbau der ersten Mietspiegel. Die Vertreter der Haus- und Grundstückseigentümer haben bestritten, daß die Differenzierung der Mietenstruktur im allgemeinen noch nicht sehr ausgeprägt sei. Dies gelte nur für den preisgebundenen Bestand, nicht aber für die frei vereinbarten Mieten. Die Landesverbände Freier Wohnungsunternehmen teilen die Bedenken gegenüber Mietspiegeln mit zu groben Rastern. Insbesondere die Wohnlage müsse mietpreisbildend wirken können. Es konnte jedoch keine Einigkeit darüber hergestellt werden, ob die Wohnlage bereits in den ersten Mietspiegeln berücksichtigt werden soll. Damit mußte auch die Frage nach der Komplexität der ersten Mietspiegel offen bleiben.

Die Frage nach den Kosten für die ostdeutschen Mietspiegel wurde während der Tagung mehrfach thematisiert

.

[Seite der Druckausgabe: IX]

Besonders der DMB rät den Gemeinden davon ab, sich aus Angst vor hohen Kosten völlig passiv zu verhalten. Sie sollten zumindest eine Moderatorenrolle bei der Mietspiegelerstellung anstreben. In dieser Lage war es naheliegend, zu erörtern, inwieweit ausgehandelte Mietspiegel als kostengünstige Alternative in den ostdeutschen Gemeinden eingesetzt werden können. In Westdeutschland überwiegen in den Gemeindegrößenklassen unterhalb von 500.000 Einwohnern die ausgehandelten Mietspiegel. Auch ausgehandelte Mietspiegel haben in der Regel eine empirische Datengrundlage. Im Unterschied zu empirisch-repräsentativen Mietspiegeln handelt es sich dabei jedoch nicht um eine zeitnahe und repräsentative statistische Primärerhebung. Für ausgehandelte Mietspiegel auf einer empirischen Datengrundlage als kostengünstige Alternative plädiert insbesondere der Deutsche Mieterbund.

Die Konferenz hat gezeigt, daß in Ostdeutschland in der Frage des Mischungsverhältnisses für die Gewichtung der in die Mietspiegel eingehenden Mieten Konflikte absehbar sind. Anders als in Westdeutschland steht bei der Erstellung der ostdeutschen Mietspiegel nicht das Mischungsverhältnis zwischen erhöhten Bestandsmieten und neu abgeschlossenen Mieten im Vordergrund, sondern das Verhältnis zwischen den derzeit noch preisgebundenen Mieten, den nach der Übergangsvorschrift neu abgeschlossenen Mieten sowie den frei vereinbarten Mieten.

In verschiedenen ostdeutschen Gemeinden sind bereits Vorbereitungen für die Erstellung von Mietspiegeln gelaufen. Das Suhler Beispiel hat gezeigt, daß Mietspiegel auf einer repräsentativen Datengrundlage zu geringen Kosten erstellt werden können, wenn die Großvermieter und die Stadt zusammenwirken. Für die Großvermieter

[Seite der Druckausgabe: X]

entsteht letzten Endes auch dann kein zusätzlicher Aufwand, wenn sie zusätzliche Daten erheben, denn die entsprechenden Daten müßten später doch wohnungsbezogen bereitgestellt werden, um die Zuordnung der Wohnungen zu den Tabellenfeldern des Mietspiegels vornehmen zu können.

Während der Verband der Thüringer Wohnungswirtschaft die rasche Einführung von Mietspiegeln fordert, der DMB auf die Einführung wenn möglich schon zum 1.7.1997 dringt, wurde aus den Reihen der gewerblichen Wohnungswirtschaft sowie vom Staatssekretär des zuständigen Ministeriums des Landes Sachsen-Anhalt die möglichst rasche Einführung als weniger dringlich bezeichnet. Der DMB hat an die Einführung des Vergleichsmietensystems allerdings bestimmte Bedingungen geknüpft. Neben einer flächendeckenden Einführung von Mietspiegeln und Verbesserungen beim Wohngeld wird eine wirksamere Kappung der Neuvertragsmieten (über die 20 vH-Grenze des Wirtschaftsstrafgesetzes hinaus) und eine Streichung der einseitigen Umlagemöglichkeit von Modernisierungskosten gefordert.

Der Vertreter des Bundesministeriums für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (BMBau) äußerte sich optimistisch über die Aussichten, daß die Einführung des Vergleichsmietensystems in Ostdeutschland zu einem mietenpolitischen Erfolg wird. Eine wichtige Voraussetzung dafür sei allerdings die verbreitete Einführung von Mietspiegeln in den ostdeutschen Gemeinden. Außerdem wurde von Seiten des BMBau die Veröffentlichung neuer Hinweise zur Erstellung von Mietspiegeln angekündigt.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

TOC Next Page