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Einleitung

Einer der wichtigsten Gründe für die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung in der DDR mit den Ergebnissen des sozialistischen Wirtschaftssystems war die unzureichende Wohnraumversorgung. Zwar hatte die politische Führung mittels eines Kraftaktes Ende der achtziger Jahre „die Wohnungsfrage gelöst", aber sowohl der katastrophale Zustand der Altbausubstanz in den Innenstädten, als auch die anhaltende Wohnraumbewirtschaftung, die zu jahrelangen Wartefristen gerade für junge Menschen führte, erhöhten den Unmut. Die politische Strategie, das Wohnungsangebot über großflächige Siedlungen in industrieller Fertigungsweise (Plattenbau) vorrangig am Rande der Ballungsgebiete und Produktionsstandorte zu steigern, erhöhte zwar das Gesamtangebot drastisch. Aber dieser Erfolg wurde mit Abstrichen in der Bauqualität und einer fast vollständigen Vernachlässigung bei der Instandhaltung der vorhandenen Bausubstanz erkauft. Die subventionierten Mieten erzielten keine Kostendeckung für öffentliche und private Vermieter, so daß ein Anreiz für Erhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen fehlte. Das führte dazu, daß zum Zeitpunkt der Vereinigung ein Bestand von ca. einer Million Wohneinheiten als nicht mehr sanierungsfähig einzustufen war.

Der konzentrierte Wohnungsbau auf der grünen Wiese in den siebziger und achtziger Jahren brachte eine Fülle von Problemen mit sich, die die marktwirtschaftliche Transformation der ostdeutschen Wohnungsgesellschaften erschwerte. Vielfach waren die neuen Siedlungen als reine Schlafstädte konzipiert, unzureichend mit Versorgungseinrichtungen ausgestattet und architektonisch extrem monoton gestaltet. Die Bausubstanz wies oft schon kurz nach der Fertigstellung erhebliche Mängel auf. Aus dieser Ausgangssituation ergaben sich für die Wohnungspolitik eine Reihe von Aufgaben, die kurzfristig gelöst werden mußten:

  • Rechtsumwandlung der VEB Kommunale Wohnungswirtschaft und der Genossenschaften
  • Privatisierung ihres Wohnungsbestandes zur Herstellung eines funktionsfähigen Wohnungsmarktes, vorzugsweise durch Verkauf an die Mieter
  • Bestandsaufnahme des Sanierungs- und Modernisierungsbedarfs
  • Erstellung eines mittelfristigen Konzeptes für die Grundsanierung und Formulierung eines staatlichen Förderungsprogramms
  • Stufenplan für die Angleichung von Mieten und Mitrecht

Diese Herausforderung ist von der gesamtdeutschen Wohnungspolitik angenommen und mittlerweile in vielen Bereichen erfolgreich beantwortet worden. Die Wohnungsgesellschaften ha-

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ben sich am neu entstandenen Wohnungsmarkt etabliert und eine erste Grundsanierung des Neubaubestandes durchgeführt. Als erheblich schwieriger erweist sich die Sanierung der innerstädtischen Altbausubstanz, da vielfach Restitutionsansprüche auf den Grundstücken liegen. Mit der Einführung des Vergleichsmietensystems zum 1.1.1998 ist die Angleichung des ostdeutschen Mietrechtes im wesentlichen abgeschlossen, so daß die rechtlichen Voraussetzungen für eine Ausdifferenzierung des Wohnungsangebotes analog der alten Bundesländer gegeben sind. Ökonomisch bleibt die Einkommensentwicklung weiterhin hinter Westdeutschland zurück. Durch steuerliche Sonderförderung hat ein Bauboom von Einfamilien- und Reihenhaussiedlungen in den Neuen Bundesländern (NBL) eingesetzt, der vielfach zu Überkapazitäten an den Stadträndern geführt hat Die Ausbau- und Wohnqualität in den Plattenbausiedlungen wurde erheblich gesteigert, so daß der vielfach gefürchtete Massenexodus bis heute ausgeblieben ist. Allerdings führt das stark ausgeweitete, preisgünstige Neubauangebot in einigen Regionen mittlerweile zu einem erheblichen Leerstand. Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich die Frage nach den längerfristigen Perspektiven der Plattenbausiedlungen in einem sich schnell wandelnden Wohnungsmarkt Ostdeutschland. In der wissenschaftlichen und politischen Diskussion zeichnen sich hierzu zwei Extrempositionen ab:

  • Befürchtet wird eine Abwanderung gut verdienender Mieter (vor allem Familien mit Kindern) bei gleichzeitigem subventionierten Zuzug von Modernisierungsverlierern und Randgruppen, was zu einer schleichenden Ghettobildung und schließlicher „Verslumung" der Großsiedlungen führt.
  • Über abgestimmte städtebauliche Maßnahmen und eine gezielte Vermietungspolitik werden schrittweise in den GS wichtige öffentliche Funktionen und moderne, dauerhaft konkurrenzfähige Arbeitsplätze angesiedelt, so daß sich eine selbst tragende lokale Ökonomie entwickelt. Abschluß dieser Entwicklung ist Aufwertung der GS zu neuen vollständigen Stadtteilen mit eigenen Zentren, so daß sich in der Region eine neue Kombination von Wohnen, Arbeiten und Leben (Freizeit) ergibt.

Beide möglichen Entwicklungspfade lassen sich in westdeutschen Ballungsgebieten beobachten, wobei offenbar die Umsetzung einer integrierten Entwicklungsstrategie eine wesentliche Rolle spielt. Wie eine solche Strategie aussehen kann und welche Aufgaben die beteiligten Funktionsträger dabei erfüllen, wird im Punkt vier dargestellt.

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Um diese Frage für die ostdeutschen Plattenbausiedlungen am Beispiel Berlins zu diskutieren, hat die Abteilung Wirtschaftspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung im Rahmen ihrer Tagungsreihe „Berlin auf dem Weg zur Metropole" am 23. April 1998 in Berlin-Marzahn eine Fachtagung zum Thema: „Von peripheren Großsiedlungen zu urbanen Stadtteilen in Berlin" durchgeführt.

In diesem Tagungsbericht wird im ersten Kapitel ein kurzer Abriß über Ziele und Konzepte der sozialistischen Wohnungsbaupolitik in der DDR gegeben Im zweiten Kapitel wird die Wohnungspolitik im vereinigten Deutschland am Beispiel der Sanierung und Modernisierung der in industrieller Bauweise errichteten Großsiedlungen in Berlin skizziert. Dabei wird auch auf den Wandel der politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen beim Übergang von der staatlich gelenkten Wohnungswirtschaft zu einem funktionierenden Wohnungsmarkt eingegangen Die Perspektiven der Großsiedlungen zwischen beschleunigter Privatisierung und der Angleichung des ostdeutschen Mietrechtes werden diskutiert Nach der bisher erfolgreichen Sanierung geht es um die Anpassung an ein stark ausgeweitetes Wohnungsangebot in den NBL Das dritte Kapitel diskutiert die Probleme, die sich für die ostberliner Großsiedlungen aus der katastrophalen Lage auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt ergeben. Sollte die soziale Entmischung in den GS anhalten, besteht die Gefahr, daß diese sich zu sozialen Brennpunkten entwickeln Welche Maßnahmen können diese Entwicklung stoppen und die GS sozial stabilisieren? Das entscheidende Problem bleibt die anhaltende Massenarbeitslosigkeit, die für viele Bewohner den Einstieg in den sozialen Abstieg bedeutet(e). In Punkt vier werden dazu Lösungsansätze formuliert, die als vorrangiges Ziel die Schaffung neuer Arbeitsplätze anstreben Sowohl eine dezentrale Technologieförderung über die Einrichtung bezirklicher Technologie- und Gründerzentren, als auch der Aufbau Lokaler Ökonomien kann hier Beschäftigungsverhältnisse schaffen. Aber eine integrierte Entwicklungsstrategie für die ostdeutschen Großsiedlungen hängt von wirtschaftspolitischen Grundsatzentscheidungen auf Bundesebene ab. Diese setzen die Rahmenbedingungen für den Arbeitsmarkt in den NBL und damit auch für die ostdeutschen Großwohnsiedlungen. Wenn es gelingt, die Angebotsbedingungen für Handwerk und Mittelstand bzw. kleine und mittlere Unternehmen zu verbessern und gleichzeitig Beschäftigung auf den Arbeitsmärkten der Großstädte zu schaffen, werden die Großsiedlungen eine Entwicklung zu urbanen Stadtteilen erreichen.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Oktober 1999

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