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[Seite der Druckausgabe: 57]


8. Abschließende Thesen

  1. Die Krise der Wirtschaft in der Region Stuttgart in den letzten Jahren war keine klassische konjunkturelle Rezession, sondern eine kombinierte Konjunktur- und Strukturkrise, die besonders die erfolgsverwöhnten Leitbranchen der deutschen Wirtschaft - Maschinen- und Fahrzeugbau sowie Elektrotechnik - erfaßte. Die Region Stuttgart wurde von der Krise aufgrund der einseitigen Wirtschaftsstruktur mit Ausrichtung auf diese Leitbranchen und einem erheblichen strukturellen Defizit im Bereich der deutlich krisenresistenteren Dienstleistungen besonders stark betroffen.

  2. Der wirtschaftliche Aufwärtstrend seit Anfang dieses Jahres darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die strukturellen Ursachen der Krise noch längst nicht überwunden sind. Auch wenn in vielen Branchen inzwischen innerbetriebliche Organisationsdefizite durch Prozeßoptimierungen und Rationalisierungsmaßnahmen beseitigt und damit Kosten eingespart wurden, hängt die dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit der baden-württembergischen Wirtschaft davon ab, ob es gelingt, in den Leitbranchen verlorenes Terrain auf dem Weltmarkt zurückzugewinnen und gleichzeitig neue Märkte vor allem in den Zukunftstechnologien zu erschließen.

  3. Die Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland in den letzten Monaten war primär politisch motiviert. Die Heftigkeit der Diskussionen um Ladenschluß und Rabattgesetz täuschte darüber hinweg, daß es sich hierbei lediglich um Randthemen des Problems handelte. Die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland hängt nicht davon ab, ob die Bürger ihre Besorgungen auch noch nach 18.30 Uhr erledigen können und ob sie dabei über Preisnachlässe feilschen dürfen oder nicht. Angesichts der anstehenden Probleme ist eine Versachlichung und eine Verlagerung der Diskussion auf zentrale Probleme wie Arbeitslosigkeit, Reform der Unternehmensbesteuerung oder Innovationsförderung dringend geboten.

  4. Unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung wird die Massenarbeitslosigkeit auch in der Region Stuttgart zum zentralen Problem der 90er Jahre werden, da es zu einer weitgehenden Entkoppelung von Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung gekommen ist. Selbst bei optimistischen Prognosen für die konjunkturelle Entwicklung muß mit einem weiteren kontinuierlichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen gerechnet werden. Bei allen berechtigten Bedenken gegen eine staatliche Interventionspolitik wäre ein weiterer Rückzug der Bundespolitik aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik kaum zu vertreten.

  5. Die besonders dramatischen Auswirkungen der Wirtschaftskrise in der Region Stuttgart haben die Notwendigkeit zum wirtschaftlichen Strukturwandel eindrucksvoll unterstrichen. Besonders alarmierend ist, daß die baden-württembergische Wirtschaft auf den Zukunftsmärkten (z.B. Umwelttechnik, Kommunikations- und Medienwirtschaft) nur unterproportional vertreten ist. Hier müssen dringend Maßnahmen eingeleitet werden, um den deutschen Unternehmen den Zugang zu diesen Märkten zu erleichtern. Für die Region wird es von großer Bedeutung sein, den Strukturwandel hin zu neuen Technologien und Dienstleistungen zu schaffen und neben den klassischen schwäbischen Industrien neue Branchen anzusiedeln.

[Seite der Druckausgabe: 58]

  1. Die Wiedererlangung und der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen hängt nicht nur von einer Verbesserung der Rahmenbedingungen ab, unter denen die Unternehmen in Deutschland wirtschaften können. Vor allem das Management der Unternehmen muß sich heute mit vollkommen neuen Anforderungen auseinandersetzen und diesen gerecht werden. Aspekte wie Mitarbeitermotivation und der Abbau von Hierarchien und der Übergang zu neuen Organisationsstrukturen innerhalb der Betriebe nehmen dabei zunehmend eine zentrale Bedeutung ein.

  2. Kleine und mittlere Unternehmen haben für die deutsche Wirtschaft eine ausgesprochen große Bedeutung. Obwohl dieses Bekenntnis in nahezu keinem wirtschaftpolitischem Statement führender Politiker fehlt, bemängeln Vertreter der mittelständischen Wirtschaft mit Recht, daß bei konkreten wirtschaftspolitischen Entscheidungen immer noch oftmals mit zweierlei Maß gemessen wird. Hauptproblem kleiner und mittlerer Unternehmen bleibt der Mangel an Kapital. Die Wiedereinführung des erst vor wenigen Jahren durch die Bundesregierung gestrichenen Eigenkapitalhilfeprogramms in den alten Bundesländern läßt hoffen, daß hier Verbesserungen in Sicht sind.

  3. Der Region Stuttgart fehlt eine imageprägende Dienstleistungsstruktur. Eine solche Struktur muß wachsen und kann nicht konstruiert werden. Die Zukunftschancen des Dienstleistungsstandortes Stuttgart liegen daher vor allem in einer konsequenten Anknüpfung der Dienstleistungen an die gewachsenen industriellen Stärken der Region.

  4. Die Probleme der Region Stuttgart als einem hochverdichteten Ballungsraum machten eine regionale politische Organisation notwendig. Diese Einsicht führte 1994 nach jahrelangen politischen Kontroversen zur Bildung des Verbandes Region Stuttgart. Mit dem Verband und der Regionalversammlung als oberstem politischen Organ verfügt die Region nun über ein Gremium, das legitimiert ist, die anstehenden Fragen für die Region als Ganzes zu entscheiden. Politiker aller Parteien haben ihre Bereitschaft zu einer kooperativen Zusammenarbeit in der Regionalversammlung einerseits und mit den bestehenden politischen Gremien auf Kreis- und Landesebene andererseits zum Ausdruck gebracht. Wenn dieser Bereitschaft in der zähen parlamentarischen Arbeit auch Taten folgen, dann wird die Regionalversammlung die Probleme der Region Stuttgart lösen können.

© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition fes-library | Januar 2001

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